Anfang 2024 hat der Internetgigant aus Mountain View den Google Cache ersatzlos gestrichen. Im juristischen Alltag spielte der Google Cache eine wichtige Rolle. Er war nicht nur vor Gericht als Beweismittel anerkannt, sondern führte auch immer wieder zu zahlreichen Urteilen, in denen Betroffene, die eine Unterlassungserklärung für den Online-Bereich abgegeben hatten, Vertragsstrafen zahlen mussten, weil sie Inhalte aus dem Google Cache nicht gelöscht hatten. Ist diese Problematik nun durch die Löschung beseitigt? Oder tauschen die jeweiligen Anspruchsteller nur die Technik aus und berufen sich dann auf die Wayback Machine oder den Bing Cache? Der Artikel berichtet über erste Entscheidungen zu diesem Thema.
Nach Wegfall des Google Cache: Welche Bedeutung hat das für Vertragsstrafen?
1. Zur Erinnerung: Das grundsätzliche Dilemma mit Unterlassungserklärungen im Online-Bereich Der Digital Service Act (DSA) hat zum Ziel, die Verbreitung illegaler Inhalte auf digitalen Plattformen umfassend zu kontrollieren und einzuschränken. Er richtet sich an eine Vielzahl von Unternehmen im Online-Bereich, insbesondere Suchmaschinen, (große) Plattform-Anbieter oder Webhosting-Unternehmen. Angenommen, Sie haben in der Vergangenheit etwas getan, was nicht ganz gesetzeskonform war (zum Beispiel eine Urheberrechtsverletzung oder eine irreführende Werbung). Die Folge ist immer ähnlich: Der Rechteinhaber oder ein Konkurrent schickt Ihnen eine außergerichtliche Abmahnung. Darin werden Sie aufgefordert, die rechtswidrige Handlung zu unterlassen. Neben den Abmahnkosten und weiteren Forderungen verlangt der Abmahnende eine strafbewehrte Unterlassungserklärung. Die Unterlassungserklärung ist ein Dokument, in dem Sie sich verpflichten, die Handlung zu unterlassen und eine Vertragsstrafe zu zahlen, wenn Sie die verbotene Handlung erneut begehen. Im Zeitalter des Internets kann die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung Mandanten, die im Online-Bereich tätig sind, nur noch selten uneingeschränkt empfohlen werden. Denn die Rechtsprechung verlangt hier inzwischen fast Unmögliches: So müssen Sie nicht nur Ihre eigene Website kontrollieren und überarbeiten, sondern Sie sind auch verpflichtet, alle gängigen Online-Angebote daraufhin zu überprüfen, ob diese möglicherweise Inhalte von Ihnen übernommen haben. Tun Sie dies nicht, verstoßen Sie gegen die Unterlassungserklärung und müssen die Vertragsstrafe zahlen. In der Vergangenheit haben wir hier mehrfach und umfangreich über die Zahlung von Vertragsstrafen, die durch den Google Cache ausgelöst wurden, berichtet. Dabei hat die Rechtsprechung sehr umfangreiche Löschpflichten des jeweiligen Schuldners angenommen, der sich zur Unterlassung verpflichtet hatte. So haftete er nicht nur für etwaige Fehler auf seiner Website, sondern im Zweifel auch für nicht gelöschte Inhalte auf Drittseiten wie den Google Cache. 2. Wegfall des Google Cache Anfang 2024 ist der Google Cache ersatzlos eingestellt worden. Viele Schuldner werden nun erleichtert aufatmen und sich darüber freuen, dass es damit scheinbar ein Fettnäpfchen weniger im Online-Bereich gibt. Leider ist dem aber nicht so. Ganz im Gegenteil: Durch den Wegfall des Google Cache, zu dem inzwischen eine gesicherte höchstrichterliche Rechtsprechung existierte, entsteht – wie wir gleich sehen werden – neue Rechtsunsicherheit. Die Einstellung des Google-Diensts hat also keine Erleichterung gebracht, sondern vielmehr eine Verschärfung des Problems. 3. Was sind „gängige Suchmaschinen“? Ausgangspunkt des Problems ist die Anforderung der Gerichte, den beanstandeten Inhalt nicht nur auf der Website, sondern auch auf Cache-Seiten von Dritten zu löschen. Um keine uferlosen Pflichten zu produzieren, haben die Gerichte stets diese Pflichten nur auf die „gängigen Suchmaschinen“ bzw. „gängigen Anbieter“ erstreckt. Und genau hier steckt der Teufel im Detail. Was sind gängige Suchmaschinen? Der Google Cache gehörte zweifelsfrei dazu, da Google in Deutschland einen Marktanteil zwischen 80 und 90 % hat. Gehört aber der Bing Cache mit einem Marktanteil zwischen 4 und 10 % auch dazu? Und was ist mit Yahoo! oder Ecosia? Ein Beispiel aus der älteren Rechtsprechung veranschaulicht diese Problematik schön: Das verklagte Immobilienmakler-Unternehmen firmierte in der Vergangenheit mit der Bezeichnung „Eigentum Haus & Grund“. Der Kläger mahnte daraufhin die Beklagte wegen Verletzung ihrer Marke „Haus & Grund“ ab. Die Beklagte gab außergerichtlich eine Unterlassungserklärung ab, die Bezeichnung nicht weiter zu benutzen, und versprach im Fall der Zuwiderhandlung die Zahlung von 25.000 Euro. Auch nach Abgabe der Unterlassungserklärung fand sich die Bezeichnung noch in vielen Internetverzeichnissen wie ortsverzeichnis.org, stadtbranchenbuch.com, 11880.com, gelbseiten.de sowie bei Google Maps. Der Kläger machte daraufhin die 25.000 Euro Vertragsstrafe geltend. Die Beklagte meinte, dass der Anspruch unbegründet sei, denn sie habe diese Eintragungen bei den unterschiedlichen Online-Diensten zu keiner Zeit beauftragt. Die Verteidigung der Beklagten ließen die Richter daher nicht gelten, sondern verurteilten die Beklagte zur vollen Zahlung: Zwar seien die Eintragungen von der Beklagten nicht vorgenommen worden, jedoch liege ein schuldhaftes Verhalten darin, dass die Beklagte damit rechnen musste, dass zahlreiche Online-Dienste die Firmierung in ihre Verzeichnisse übernehmen würden. Bei der Art der Verletzung sei dies naheliegend. Sie hätte zumindest die Betreiber der gängigen Dienste wie gelbeseiten.de, Google Maps und 11880.com informieren müssen. Da dies nicht geschehen sei, liege ein Verschulden vor und die Vertragsstrafe sei angefallen. Hand aufs Herz: Hätten Sie gewusst, welches dieser Internetverzeichnisse nun im rechtlichen Sinne ein „gängiger Dienst“ ist? Diese Problematik gilt eins zu eins auch für den Cache-Bereich. 4. Die bisherige Rechtsprechung Die bislang ergangene Rechtsprechung zur Cache-Problematik hat sich – aufgrund der technischen Dominanz – wenig überraschend auf den Google Cache konzentriert. Da der nun weggefallen ist, stellt sich die Frage: Wie werden die Richter hier zukünftig entscheiden? Schauen wir uns einmal die bislang veröffentlichten Entscheidungen dazu an. a. Yahoo! ist eine gängige Suchmaschine – wirklich? Eine Entscheidung des LG Baden-Baden lässt zunächst aufhorchen. Das Gericht entschied, dass die Beklagte, die ein Hotel betrieb, die abgegebene Unterlassungserklärung verletzte, indem sie weiterhin für das Unternehmen mit einer Vier-Sterne-Kennzeichnung warb, obwohl sie sich dazu verpflichtet hatte, dies zu unterlassen. Zwei Monate später war das Hotel in der Internetsuchmaschine Yahoo! immer noch mit einer Vier-Sterne-Benennung zu finden. Obwohl die Beklagte entsprechende E-Mails an die Online-Buchungsportale geschickt hatte, wies das Gericht darauf hin, dass diese nicht deutlich genug darauf hinwiesen, welche Konsequenzen der Beklagten drohten, falls die Buchungsportale die Kennzeichnung des Hotels nicht entfernen sollten. Echt jetzt?, werden sich viele Leser fragen. Denn Yahoo! hat einem Marktanteil von 1 %! Ein tiefergehender Blick bringt dann die erste Aufklärung. Das Urteil ist von 2016 und somit (scheinbar) Asbach uralt. Der Leser wird schnell annehmen, dass Yahoo! im Jahr 2016 einen bedeutend größeren Marktanteil hatte und somit damals ein gängiger Dienst war. Da Yahoo! heutzutage komplett abgeschlagen ist und keine relevante Größe mehr ist, sollten also die Aussagen dieses älteren Urteils nicht mehr gelten. Wirklich? Ein Blick zurück zeigt nämlich, dass Yahoo! auch schon im Jahr 2016 nur einen Marktanteil von 1 % hatte. Aber dann …? … ist das Urteil möglicherweise doch nicht veraltet? b. The Wayback Machine Deutlich aufschlussreicher ist da ein aktueller Beschluss des OLG Nürnberg aus dem Jahr 2024. In der Vergangenheit hat die Beklagte unerlaubt Kartenausschnitte online verwendet und daraufhin eine Unterlassungserklärung unter Strafandrohung abgegeben. Einige Zeit später stellte die Klägerin fest, dass die Inhalte immer noch im Archiv der Wayback Machine abrufbar waren. Daraufhin machte sie eine Vertragsstrafe geltend. Zu Unrecht, wie das OLG Nürnberg eindeutig entschied. Die Inhalte der Wayback Machine seien der Beklagten nicht zuzurechnen: „Im Streitfall kann bereits deshalb kein öffentliches Zugänglichmachen (…) angenommen werden, weil die Beklagte auf dem Internetarchiv (…) nicht die Kontrolle über die Bereithaltung der Kartenausschnitte ausübt und sich diese daher nicht in ihrer Zugriffssphäre befinden (…). Darüber hinaus fehlt es an den Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe (…), da die Beklagte über die ‚Wayback Machine‘ nicht absichtlich und gezielt Dritten einen Zugang zu den Kartenausschnitten verschafft und auch Umstände, die im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung von Bedeutung sind, gegen eine Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungsvertrag sprechen.“ Das Gericht geht sogar noch einen Schritt weiter und bezieht sich explizit auf die hinter der Wayback Machine stehende Technik: „Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die ‚Wayback Machine‘ nicht von üblichen Internet-Suchmaschinen durchsucht werden kann. Vielmehr muss der Internetnutzer gezielt das Internetarchiv aufrufen und dort – da das Archiv keine eigene Suchfunktion aufweist – gezielt nach Inhalten suchen. (…) In diesem Zusammenhang ist der Zweck der „w...” – eine Internetbibliothek mit dem Ziel zu schaffen, Forschern, Historikern, Wissenschaftlern und allen weiteren Interessierten einen permanenten Zugang insbesondere zu nicht mehr vorhandenen Webseiten zu bieten (…) – zu berücksichtigen. So wie die fortdauernde Auffindbarkeit einer früheren, mittlerweile zu unterlassenden Werbung in der „w...“ mangels Marktbezugs keine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG darstellt, da die Auffindbarkeit darüber kein denkbarer Kanal zur Absatzförderung ist (…), liegt kein urheberrechtlich relevantes Verschaffen eines Zugangs zum geschützten Werk vor, da dem durchschnittlichen Internetnutzer bekannt ist, dass es sich bei den von der „w...“ vorgehaltenen Seiten um eine frühere Fassung des Internetauftritts handelt (…). Die Beklagte verschafft somit nicht Dritten in voller Kenntnis der Folgen ihres Verhaltens Zugang zu den Kartenausschnitten." In diesem Zusammenhang ist der Zweck der ‚Wayback Machine‘ – eine Internetbibliothek mit dem Ziel zu schaffen, Forschern, Historikern, Wissenschaftlern und allen weiteren Interessierten einen permanenten Zugang insbesondere zu nicht mehr vorhandenen Webseiten zu bieten (…) – zu berücksichtigen. So wie die fortdauernde Auffindbarkeit einer früheren, mittlerweile zu unterlassenden Werbung in der ‚Wayback Machine‘ mangels Marktbezugs keine geschäftliche Handlung i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG darstellt, da die Auffindbarkeit darüber kein denkbarer Kanal zur Absatzförderung ist (…), liegt kein urheberrechtlich relevantes Verschaffen eines Zugangs zum geschützten Werk vor, da dem durchschnittlichen Internetnutzer bekannt ist, dass es sich bei den von der ‚Wayback Machine‘ vorgehaltenen Seiten um eine frühere Fassung des Internetauftritts handelt (…).“ Das OLG Nürnberg lehnte also einen Verstoß durch die Wayback Machine ab. Sehr ähnlich entschied das LG Karlsruhe bereits im Jahr 2023: Nachdem der Schuldner sich verpflichtet hatte, eine bestimmte Werbung nicht mehr zu verbreiten, die er ursprünglich auf seiner Website platziert hatte, fand sich diese wettbewerbswidrige Darstellung immer noch im Archiv der Wayback Machine, nachdem die Unterlassungserklärung abgegeben wurde. Kein Verstoß, urteilten auch die Richter aus Karlsruhe: „Gegen ihre Verpflichtung, nicht mit ‚12 Jahre Erfahrung im Kanzleimarketing‘ zu werben, hat die Beklagte nicht verstoßen. Es stellt keinen Verstoß gegen eine Unterlassungsverpflichtung dar, es nicht zu verhindern, dass alte Webseiten-Versionen mit der zu unterlassenden Werbung, die aus der Zeit vor Zustandekommen des Unterlassungsvertrags stammen, in einem von Dritten selbständig betriebenen Web-Archiv weiterhin auffindbar sind, welches von üblichen Internet-Suchmaschinen nicht durchsucht werden kann." Und weiter: „Es kommt hinzu, dass der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs grundsätzlich nicht für das selbstständige Handeln Dritter einzustehen hat (...). Das entbindet ihn zwar im Rahmen seiner durch Auslegung ermittelten positiven Handlungspflicht nicht davon, auf Dritte einzuwirken. Dies gilt jedoch nur für Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt und bei denen er mit (weiteren) Verstößen ernstlich rechnen muss (...). Im Streitfall kommt die Archivierung und Vorhaltung veralteter Homepage-Versionen der Beklagten wirtschaftlich nicht zugute. Die Klägerin hat auch nicht dargetan, wie dies der Fall sein sollte. Außer ihrem Prozessbevollmächtigten, der gezielt auf der Suche nach einer (vermeintlichen) Verletzung des Unterlassungsgebots unter Nutzung seiner Fachkenntnisse die Wayback Machine im Netz aufgesucht und einen Stand der Homepage der Beklagten zeitlich vor der Unterlassungserklärung angesteuert hat, kommt, wie ausgeführt, kein Marktteilnehmer auf die Idee, im Internet an dieser Stelle nachzuforschen und das Aufgefundene noch dazu als aktuelle Werbung der Beklagten zu interpretieren." Diese beiden Urteile zeigen zwar in dieselbe Richtung. Es wäre aber viel zu früh, hier von einer gesicherten Rechtsprechung auszugehen und zu behaupten, dass die Wayback Machine von den Unterlassungspflichten ausgenommen ist. Vielmehr gilt es, hier die weitere Entwicklung abzuwarten. c. Bing-Suchergebnisse In dem schon erwähnten Beschluss des OLG Nürnberg ging der Kläger nicht nur wegen der Wayback Machine vor, sondern er monierte auch Inhalte in der organischen Suche bei Bing. Die bloßen Bing-Suchergebnisse seien aber noch keine Verletzung der Unterlassungserklärung. Vielmehr müssten die indizierten Inhalte selbst noch abrufbar sein. Daran fehlte es aber: „Zum einen fehlt es beim Vortrag im Zusammenhang mit den Suchmaschinen an der Darlegung des Zugänglichmachens der Kartenausschnitte, also der Wiedergabe, selbst. Auf den vorgelegten Screenshots mit den Ergebnislisten der Suchmaschinen ist lediglich ein Link zu einem PDF-Dokument auf der von der Beklagten betriebenen Homepage ersichtlich. Die Werke sind in der Ergebnisliste weder als Vorschaubilder (…) noch sonst erkennbar. Dass beim Klicken auf den Link tatsächlich die Homepage der Beklagten geöffnet und Zugang zu den Kartenausschnitten geschaffen wird, ist weder dargetan noch vor dem Hintergrund des nicht bestrittenen Vortrags der Beklagten des vollständigen Löschens aus dem CMS der Beklagten (…) ersichtlich.“ 5. Ausblick Auch nach Wegfall des Google-Diensts wird die Cache-Problematik die Gerichte weiterhin beschäftigen. Es bleibt abzuwarten, welche der anderen Dienste die Rechtsprechung hier als „gängig“ ansehen wird, sodass die Löschpflichten aus der abgegebenen Unterlassungserklärung auch für diese gilt. Die nächsten Jahre werden sicherlich durch eine hohe Rechtsunsicherheit geprägt sein, bis die ersten Verfahren dann vor dem BGH landen und eine höchstrichterliche Linie entsteht. Angesichts dieser Konstellation erneuern wir noch einmal unsere Empfehlung: Überlegen Sie sich wirklich dreimal, ob Sie wirklich eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben wollen. Welche alternativen Möglichkeiten bestehen, hatten wir bereits in der Vergangenheit in einem eigenen Artikel dargestellt.