ChatGPT & Bing

Rechtliche Konsequenzen für Website-Betreiber und Agenturen – Teil 1

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Aktuell wird zum Thema „ChatGPT“ beinahe täglich die allseits bekannte Sau durchs digitale Dorf getrieben. In fast allen Artikeln wird von dem „nächsten großen Ding“ und dem neuen „iPhone-Moment“ gesprochen. Häufig bleiben die Erörterungen aber unspezifisch und sehr allgemein. Mit dem vorliegenden zweiteiligen Artikel soll bewusst ein Gegenpol gesetzt und Antworten auf konkrete rechtliche Probleme gegeben werden – soweit dies heute bereits möglich ist.

Vorbemerkung:

Microsoft hat inzwischen ChatGPT in seine Bing-Suche (Bing-ChatGPT) integriert, auch wenn sich das Ganze noch im Entwicklungsstadium befindet. Das Redmonder Unternehmen bietet damit einen ersten Eindruck, wie es sich die Zukunft des Online-Marktes und seiner Produktpalette (u. a. Office) vorstellt. Es hat bereits angekündigt, die neue Suchfunktion standardmäßig in Windows 11 zu integrieren.

Auch wenn noch ungeklärt ist, ob es sich um eine echte Revolution oder nur einen Medienhype handelt, zeigen die aktuellen Darstellungen anschaulich auf, welche (neuen) rechtlichen Probleme sich stellen.

Dieser zweiteilige Artikel will eine erste juristische Orientierung bieten.

Vorab noch eine wichtige Randbemerkung: Microsoft testet derzeit regelmäßig die ChatGPT-Integration und nimmt Anpassungen und Veränderungen vor. Insofern kann es sein, dass die Suchergebnisse anders aussehen werden, wenn Sie den Dienst einsetzen. Die Screenshots stammen von Anfang März 2023.

Bei der Bing-ChatGPT-Lösung stellen sich – mehr oder minder – drei elementare rechtliche Fragen:

1. Welche Rechtsordnung gilt denn überhaupt?
2. Darf Bing-ChatGPT einfach so fremde Inhalte übernehmen?
3. Welche Probleme gibt es, wenn ich Bing-ChatGPT einsetze bzw. Content von ChatGPT übernehme?

1. Welche Rechtsordnung gilt denn überhaupt?

Diese Antwort ist aus Sicht der deutschen und europäischen Juristen relativ klar und eindeutig zu beantworten. Seit dem Siegeszug des World Wide Web gibt es nämlich zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben. Sei es nun die Frage, welches Recht bei der Zusendung von Spam-Mails anwendbar ist. Sei es bei der unerlaubten Verwendung von Markennamen als Domains oder bei der nicht genehmigten Benutzung von Fotos.
Aus rechtlicher Sicht ist dieses erste Problem inzwischen (weitgehend) geklärt und nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen. Bei Bing-ChatGPT kann also uneingeschränkt auf die bisherige Rechtsprechung zurückgegriffen werden.
Danach gilt: Sobald sich eine Website oder ein sonstiges Internetangebot (zum Beispiel eine App) bestimmungsgemäß an das deutsche Publikum wendet, kommt deutsches Recht zur Anwendung. Das gilt eins zu eins auch für Bing-ChatGPT.

Somit ist auf unsere Beurteilung deutsches Recht anwendbar, da sich Bing-ChatGPT mit seinem Angebot (auch) an die deutsche Öffentlichkeit richtet.

Einzige Ausnahme: Kommt zwischen den Parteien ein Vertrag zustande, kann unter Umständen etwas anderes vereinbart werden, d. h. zum Beispiel die Anwendung ausländischen Rechts. Im B2C-Bereich müssen dafür zwingende Rechte aus Deutschland mitberücksichtigt werden, um den Verbraucherschutz zu gewährleisten. Anders hingegen im B2B-Bereich, hier herrscht eine relativ weitreichende Vertragsautonomie, da aus Sicht des Gesetzgebers Unternehmer weniger schutzbedürftig sind.

2. Darf Bing-ChatGPT einfach so fremde Inhalte übernehmen?

a. Beispiele

Zunächst ist es einmal wichtig festzuhalten, wie denn Bing-ChatGPT in der Praxis überhaupt aussieht. Dazu nachfolgend zwei Beispiele:

Unter „weitere Informationen“ benennt Bing-ChatGPT zwar vier Domains, von denen der gezeigte Content stammt. Es wird aber ein Button mit „+2 mehr“ angezeigt. Klickt man dieses Feld an, wird die Anzeige komplett ausgefaltet und sieht dann wie folgt aus:

Aus dieser Ausgestaltung lassen sich zweierlei Dinge relativ klar ableiten:

a) Ein Website-Betreiber, dessen Inhalte von Bing-ChatGPT indiziert werden, wird über kurz oder lang einen erheblichen Traffic-Verlust erleiden. Im ersten Beispiel (Käsekuchen) gibt es für den Suchenden keinen Grund mehr, noch die jeweiligen Unterseiten anzuschauen. Er hat bereits alle Rezeptzutaten, sodass er vermutlich an dieser Stelle seine Suche beenden wird.

Bei dem zweiten Beispiel (Bastelidee) ist dies hingegen nicht ganz so klar. Der User, der nach bloßen Ideen und Anregungen sucht, wird hier ebenfalls nicht weitersuchen. Eine Person, die sich hingegen für eine konkrete Anleitung interessiert, wird möglicherweise einen der angezeigten Links anklicken. Denkbar ist aber auch, dass er eine Suche bei Bing-ChatGPT nach diesem Begriff startet und somit weiterhin im Microsoft-Biotop verbleibt.

b) Bing-ChatGPT zeigt derzeit bei den Suchergebnissen nicht standardmäßig alle Quellen an, sondern vielmehr nur einen Teil. Erst wenn man das Menü anklickt, öffnet sich die gesamte Quellenangabe. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Ausgestaltung dazu führt, dass der Traffic-Strom sich auf die Quellen konzentrieren wird, die zuerst angezeigt werden, während der Rest wahrscheinlich leer ausgehen wird.

Daher stellt sich die Frage: Darf Bing-ChatGPT denn überhaupt fremde Inhalte so auslesen und dann bei sich anzeigen?

Die Antwort scheint auf den ersten Blick relativ klar: Nein, natürlich nicht.

Auf den zweiten Blick offenbart sich aber, dass die Antwort doch gar nicht so eindeutig ist wie ursprünglich gedacht.

Die wichtigsten Schutzmechanismen in diesem Zusammenhang sind das Leistungsschutzrecht und das Urheberrecht.

b. Leistungsschutzrecht

Das sogenannte Leistungsschutzrecht ist ein in den §§ 87 f–87 h UrhG geregeltes besonderes Schutzrecht für Presserzeugnisse.

Es handelt sich dabei, insbesondere für Verlage, um das ausschließliche Recht, Presseerzeugnisse gewerblich zu veröffentlichen, unabhängig von der konkreten Schöpfungshöhe. Ausnahmen bestehen hier nur für private Veröffentlichungen und kleinste Textausschnitte.

Diese Problematik ist eins zu eins die identische, die die deutschen Verlage seit Jahren kontrovers mit Google und anderen Tech-Konzernen diskutieren. Hier gelten für Bing-ChatGPT keine Besonderheiten. Insofern kann auf die bislang ergangenen Gerichtsurteile an dieser Stelle verwiesen werden. Da es sich um ein besonderes Schutzrecht, vor allem für Presseerzeugnisse, handelt, vertiefen wir an dieser Stelle nicht die weitere Darstellung.

c. Urheberrecht

Anders ist hingegen die urheberrechtliche Seite. Denn das Urheberrecht schützt grundsätzlich alle Personen, die etwas herstellen, sei es nun im beruflichen oder privaten Umfeld.

Dabei ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass nicht jeder Text urheberrechtlich geschützt ist. Mindestvoraussetzung ist vielmehr, dass der Inhalt von einem Menschen (Tiere reichen nicht) erstellt wurde, nach außen wahrnehmbar ist (zum Beispiel niedergeschrieben oder gesprochen) und zudem eine gewisse Schöpfungshöhe (= mehr als eine alltägliche, routinemäßige Leistung) aufweist.

Sind diese Merkmale erfüllt, greift der urheberrechtliche Schutz zugunsten des Website-Betreibers.

Das Urheberrecht proklamiert jedoch gewisse Schranken, d. h., ein Dritter darf auch ohne Zustimmung des Urhebers das urheberrechtlich geschützte Werk oder zumindest Teile hiervon übernehmen. In Betracht kommen dabei folgende Schranken:

- Text und Data Mining (§ 44 b UrhG)
- Zitate (§ 51 UrhG)
- Konkludente Einwilligung

aa. Text und Data Mining (§ 44b UrhG)

Auf den ersten Blick scheint die Norm des § 44 b UrhG genau zu passen: Die Vorschrift erlaubt eine automatisierte Analyse von einzelnen oder mehreren digitalen Werken, um daraus Informationen zu gewinnen.

Die Analyse darf ungefragt erfolgen. Wer eine solche Untersuchung nicht möchte, muss diese explizit verbieten. Es gilt also ein Opt-out-Prinzip. Ein derartiges Verbot muss in maschinenlesbarer Form erfolgen (zum Beispiel robots.txt), ein einfacher Texthinweis auf der eigenen Website genügt hingegen nicht.

Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die Norm jedoch nur die Analyse, nicht aber die Veröffentlichung erlaubt. Bing-ChatGPT kann sich also nur auf § 44 b UrhG berufen, wenn es Futter für die Datenanalyse sucht. Die Vorschrift erlaubt jedoch nicht die spätere Darstellung als Suchergebnis.

§ 44 b UrhG stellt also keine ausreichende Schranke dar, die das Handeln von ChatGPT legitimieren könnte.

bb. Zitatrecht (§ 51 UrhG)

Eine andere Norm, auf die sich Bing-ChatGPT möglicherweise berufen könnte, wäre das Zitatrecht nach § 51 UrhG.

Dies setzt zum einen voraus, dass Bing-ChatGPT ein eigenes Werk schafft und die fremden übernommenen Inhalte nur Beiwerk sein dürfen. Zum anderen ist eine ordentliche Quellenangabe zwingend notwendig (§ 63 UrhG).

Es ist bereits sehr fraglich, ob Bing-ChatGPT hier tatsächlich eigenständig originäre Inhalte erschafft oder ob es nicht vielmehr Zitat an Zitat an Zitat reiht.

Diese Voraussetzung scheitert jedoch in jedem Fall an der ordentlichen Quellenangabe, denn Bing-ChatGPT benennt die Quellen nicht in ausreichender Form.

Bei dem o. g. Beispiel 2 (Bastelideen) wird nämlich nur ein Teil der Quellen direkt angezeigt. Alle weiteren Links verstecken sich hinter einem zugeklappten Menü.

In der aktuellen Ausgestaltung wird sich Bing somit auch nicht auf das Zitatrecht berufen können.

cc. Konkludente Einwilligung

Der BGH hat in einer Reihe von Entscheidungen zur Google-Bildersuche1 klargestellt, dass ein Urheber, der eine urheberrechtlich geschützte Grafik ohne technische Vorkehrungen ins Netz stellt, damit schlüssig erklärt, dass er in die Wiedergabe von Vorschaubildern einwilligt. Die Richter haben damit die bekannten Vorschaubilder für rechtlich einwandfrei erklärt.

Inwieweit ist diese Rechtsprechung auf Bing-ChatGPT übertragbar?

Sind die Urteile, die auf Bilder ausgerichtet sind, überhaupt auf Textinhalte übertragbar?

Während bei der Google-Bildersuche lediglich kleinformatige Vorschauen dargestellt werden, ist es bei Bing-ChatGPT gerade anders: Hier wird konzentriert der gesamte Textinhalt wiedergegeben, also deutlich mehr als die Vorschaubilder oder die Text-Snippets bei den bisherigen Suchmaschinenergebnissen. Zudem stellt sich auch hier das Problem, dass die Verlinkung nicht transparent erkennbar ist.

Vieles spricht also dafür, dass auch die konkludente Einwilligung keine ausreichende Schranke darstellt.

d. Zusammenfassende Antwort

Die Antwort zur Frage, ob Bing-ChatGPT einfach ungefragt Inhalte von Webseiten übernehmen darf, ist: Wenn der jeweilige Inhalt urheberrechtlich geschützt ist, darf der Content von Bing-ChatGPT aktuell grundsätzlich nicht ungefragt genutzt werden.
Wenn Bing-ChatGPT hingegen seine Suchergebnisse anpasst, dann ist möglicherweise eine Darstellung über das Zitatrecht erlaubt. Dies setzt aber zum einen ein eigenes Werk voraus und zum anderen eine ordnungsgemäße Quellenangabe.
Hinweis: Im 2. Teil des Artikels, der in der nächsten Ausgabe erscheinen wird, gehen wir dann der Frage nach, welche Probleme auftreten können, wenn man Bing-ChatGPT einsetzt bzw. Content von ChatGPT übernimmt.

1.) BGH, Urt. v. 29.04.2010 – Az.: I ZR 69/08: Vorschaubilder I; BGH, Urt. v. 19.10.2011 – Az.: I ZR 140/10: Vorschaubilder II; BGH, Urt. v. 21.09.2017 – Az.: I ZR 11/16: Vorschaubilder III.