Neues BGH-Urteil:

Eine echte „Zeitenwende“ beim Umgang mit kritischen Online-Bewertungen

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Bis vor Kurzem war es für betroffene Unternehmen, die einer falschen und negativen Online-Bewertung ausgesetzt waren, nur sehr schwer, sich erfolgreich zu wehren. Mit der Entscheidung des BGH aus August 2022 ist hier – um ein aktuelles Buzz-Word zu benutzen – eine echte Zeitenwende eingetreten. Zukünftig wird es für Betroffene deutlich schneller und einfacher, sich gegen solche Beurteilungen erfolgreich zu wehren.

Teil 1: Die Problemlage

Jeder Unternehmer kennt das Problem: Ein unbekannter Dritter nimmt eine falsche, negative Bewertung bei Anbieter A, B oder C vor. Enthält eine solche Aussage vorwiegend Meinungsäußerungen und kaum Tatsachen, so war es bis dato kaum möglich, sich erfolgreich gegen solche Einträge zu wehren.

Was war noch einmal gleich der Unterschied zwischen Meinungsäußerungen und Tatsachen?

Tatsachen sind dem Beweis zugänglich und sind somit falsch oder wahr. Sie können objektiv nachgeprüft werden, z. B. kann im Handelsregister nachgeschaut werden, ob Herr M Gesellschafter der Firma X ist. Meinungsäußerungen sind hingegen subjektive Wertungen und können nicht bewiesen werden. Beispiel hierfür sind Aussagen wie: „Diese Frau ist schön“, oder: „Magnum ist die beste Fernsehserie der Welt.“

Diese Unterscheidung spielte bislang beim rechtlichen Umgang mit Online-Bewertungen eine entscheidende Rolle: Wer nämlich bislang gegen Einträge vorgehen wollte, die aus Meinungsäußerungen bestanden, biss in aller Regel auf Granit, weil für diese die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG zutraf. Es bestand kaum ein relevanter Hebel gegen solche Aussagen.

Nur dann, wenn in den Aussagen ein unschwer zu bejahender Rechtsverstoß erkennbar war, musste das jeweilige Bewertungsportal aktiv werden und entsprechende Überprüfungen vornehmen. Bei nicht eindeutigen Erklärungen konnte die jeweilige Internet-Seite sich auf ihren Status als bloßer Host-Provider für fremde Nachrichten zurückziehen und musste nichts unternehmen.

Teil 2: Die Entscheidung des BGH aus August 2022

Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) im August eine weitreichende Entscheidung für diesen Bereich getroffen.1

Was war der Sachverhalt, der dem Urteil zugrunde lag?

Die Beklagte betrieb ein Online-Reiseportal. Dort konnten beliebige Dritte Bewertungen vornehmen, wenn sie sich vorher mit einer E-Mail-Adresse registriert hatten. Für bis zu zehn veröffentlichte deutschsprachige Hotelbewertungen pro Monat erhielt der User Flugmeilen als Prämie. Die Nutzungsrichtlinien des Portals sahen vor, dass eine Leistung nur bewertet werden darf, wenn sie auch in Anspruch genommen wurde.

Die Klägerin betrieb einen Ferienpark und wehrte sich gegen mehrere entsprechende negative Online-Bewertungen bei der Beklagten. Sie forderte die Beklagte auf, die Aussagen zu löschen. Dieser Aufforderung kam die Beklagte jedoch nicht nach.

Zu Unrecht, wie der BGH nun entschied.

Es reiche grundsätzlich aus, wenn das bewertete Unternehmen pauschal bestreite, dass es zwischen ihm und dem einzelnen User einen Kontakt oder einen Vertragsschluss gegeben habe.

Ein solches grundsätzliches Bestreiten sei nicht unzulässig, sondern vielmehr das legitime Recht des Betriebs.

Ein derartiges Bestreiten löse entsprechende Prüfpflichten beim Online-Bewertungsportal aus.

Dabei stellen die BGH-Richter klar, dass dies für alle Bewertungen gelte und nicht nur für solche, in denen auf eine Kontaktaufnahme Bezug genommen werde:

„Entgegen der Ansicht der Revision reicht eine Rüge des Bewerteten, der Bewertung liege kein Gästekontakt zugrunde, grundsätzlich aus, um Prüf­pflichten des Bewertungsportals auszulösen. Zu weiteren Darlegungen, insbe­sondere einer näheren Begründung seiner Behauptung des fehlenden Gästekontakts, ist er gegenüber dem Bewertungsportal grundsätzlich nicht verpflichtet.
Dies gilt nicht nur in dem Fall, dass die Bewertung keinerlei tatsächliche, die konkrete Inanspruchnahme der Leistung beschreibende Angaben enthält und dem Bewerteten daher eine weitere Begründung schon gar nicht möglich ist, sondern auch dann, wenn für einen Gästekontakt sprechende Angaben vorliegen (…) Denn der Bewertete kann diese Angaben regelmäßig nicht überprüfen und damit den behaupteten Gästekontakt nicht sicher feststellen.“

Insbesondere machen die Robenträger klar, dass ein pauschales Bestreiten durch das jeweilige Unternehmen ausreichend sei. Es müsse keine weitergehenden Angaben machen. Dies gelte selbst dann, wenn in den Postings nähere Informationen enthalten seien:

„Zu weitergehenden Angaben als der, dass diese Nutzer nicht ihre Gäste waren, war die Klägerin (…) auch angesichts der in den angegriffenen Bewertungen enthaltenen weiteren Angaben zu der Person des Nutzers, seinen Begleitern, den (angeblich) in Anspruch genommenen Leistungen und teilweise beigefügter Fotos nicht verpflichtet. Auf die (…) Frage, ob die Klägerin aufgrund der in den angegriffenen Bewertungen enthaltenen Ausführungen zu weiteren Angaben überhaupt in der Lage war, um den Kreis der in Betracht kommenden Gäste einzugrenzen, kommt es nicht an.“

Nur dann, wenn für die Firma die Identität des Bewertenden ohne Weiteres ersichtlich ist, sei ein solches pauschales Bestreiten unzulässig.

Der BGH fasst den Kerngehalt in seinen amtlichen Leitsätzen noch einmal anschaulich und prägnant zusammen:

„Bei einem Bewertungsportal (…) reicht die Rüge des Bewerteten, einer Bewertung liege kein Gästekontakt zugrunde, grundsätzlich aus, um Prüfpflichten des Bewertungsportals auszulösen. Zu weiteren Darlegungen (…) ist der Bewertete gegenüber dem Bewertungsportal grundsätzlich nicht verpflichtet.
ies gilt nicht nur in dem Fall, dass die Bewertung keinerlei tatsächliche, die konkrete Inanspruchnahme der Leistung beschreibende Angaben enthält und dem Bewerteten daher eine weitere Begründung schon gar nicht möglich ist, sondern auch dann, wenn für einen Gästekontakt sprechende Angaben vorliegen (…)
Denn der Bewertete kann diese Angaben regelmäßig nicht überprüfen und damit den behaupteten Gästekontakt nicht sicher feststellen.“

Teil 3: Die praktischen Auswirkungen

Die Auswirkungen der neuen BGH-Entscheidung werden in der Praxis enorm sein.

Zukünftig wird es nämlich für die bewertete Firma ausreichen, einen Kontakt pauschal zu bestreiten. Das Bewertungsportal muss sich dann im Einzelfall die Mühe machen, zu überprüfen, ob ein solcher Kontakt eben bestand oder nicht.

Dies bedeutet nichts anderes, als dass das Portal in eine aufwendige individuelle Prüfung einsteigen muss. Es wird nämlich nicht ausreichen, wenn die Webseite pauschale Erklärungen des Bewerters, es habe doch ein Kontakt stattgefunden, als ausreichend ansieht. Vielmehr wird sie verpflichtet sein, dies anhand konkreter Fakten zu überprüfen.

Es liegt auf der Hand, dass viele Bewertungsportale einen solchen umfangreichen Aufwand scheuen und vermutlich vorschnell die Aussage löschen werden.

Aber selbst, wenn eine Online-Seite eine solche Mühe auf sich nehmen wird, bleibt die große Frage, ob der einzelne User, der die Bewertung vorgenommen hat, bereit sein wird, nähere Informationen mitzuteilen, da er hierdurch befürchten muss, identifiziert zu werden, und sich dann einem direkten Anspruch des Unternehmens ausgesetzt sieht.

Insofern wird häufig das Bestreben des einzelnen Users sein, nur solche Angaben zu machen, anhand derer er nicht erkennbar ist. Ob diese Äußerungen dann ausreichen werden, die bestrittene Kontaktaufnahme zu belegen, dürfte mehr als zweifelhaft sein.


1 BGH, Urt. v. 09.08.2022 – Az.: VI ZR 1244/20 = bit.ly/3RFBkLR.

Die praktischen Verhältnisse im Umgang mit Online-Bewertungen haben sich somit grundlegend verschoben: Stand in der Vergangenheit das betroffene Unternehmen nicht selten auf verlorenem Posten, um sich erfolgreich gegen eine Bewertung zu wehren, ist dies zukünftig nun anders.

Ab sofort reicht es aus, wenn der Betrieb pauschal den Kontakt bestreitet. Die Richter haben nämlich ausdrücklich klargestellt, dass ein solches Vorgehen auch bei weiteren Infos in der Bewertung zulässig ist. Nur in dem absoluten Ausnahmefall, dass der User ohne Weiteres erkennbar ist, gilt etwas anderes. Eine solche Ausnahme wird in der Praxis aber faktisch nicht vorkommen: Kann das Unternehmen den Bewertenden von sich aus identifizieren, wird es in aller Regel den Löschungsanspruch direkt gegen den User geltend machen und nicht über den Umweg des Bewertungsportals gehen.

Der BGH hat damit Unternehmen eine faktische Allzweck-Waffe an die Hand gegeben, sich deutlich erleichtert gegen Online-Bewertungen zu wehren.

Es bleibt noch abzuwarten, wie die unteren Instanzgerichte die einzelnen Nuancen der neuen Ansicht in der alltäglichen Rechtsprechung mit Leben ausfüllen werden. Klar ist jedoch die Stoßrichtung.