10 Jahre Audisto!

Ein Interview mit Tobias Schwarz, Gerd Riesselmann und Sören Bendig

Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

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Auf der SEO Campixx erwähnte Tobias Schwarz mal so nebenbei, dass das SEO-Tool Audisto gerade sein zehnjähriges Jubiläum feierte. Website Boosting hat das zum Anlass genommen, das Ereignis mit einem kleinen Interview zu feiern, insbesondere weil SEOs, die an kleineren Seiten arbeiten, dieses Enterprise-Tool oft nicht auf dem Schirm haben. Audisto ist deutlich anders als die meisten anderen Werkzeuge und nur für Experten gemacht. Wenige bunte Bildchen, keine errechneten Rankingindizes, denen man frönen könnte, dafür erhebt und berechnet das Tool aber alle Daten, die für ernsthaftes Technical SEO notwendig sind. Und selbst viele Millionen URLs sind für Audisto kein Problem. Wie hat das alles angefangen? Warum hat man nicht für den Mainstream entwickelt? Wer steckt hinter Audisto?

Website Boosting: Es gibt euch nun seit mehr als zehn Jahren. Frage vorweg, gehört zu einem runden Geburtstag nicht auch eine Geburtstagsparty?

Sören: Eigentlich war unser Plan, eine nerdige Invite-only-technical-SEO-Konferenz mit einer anständigen Geburtstagsparty am Abend zu organisieren. Das hat uns Corona leider etwas vermasselt, aber wir holen das bestimmt irgendwann nach.

Website Boosting: Zehn Jahre ist eine lange Zeit im Online-Marketing. Wie war das denn ganz am Anfang? Wie und mit welchem Ziel ist Audisto damals überhaupt entstanden?

Gerd: Ursprünglich ist es als nicht öffentliches Tool zur Analyse von interner Verlinkung nach größeren Änderungen an einer damaligen Seite von Tobias entstanden. Aber das Interesse von anderen SEOs an Strukturanalysedaten war in der deutschen Community groß, so haben wir nach und nach weiteren SEOs Zugang gegeben. Ende 2011 haben wir dann ein öffentliches Tool released und später die GmbH gegründet.

Tobias: Wir haben uns früh für den Enterprise-Fokus entschieden. Da wir das Tool für den Eigenbedarf entwickelt hatten, ist es von Anfang an auf erfahrene Nutzer ausgerichtet. Wir glauben, dass man nicht alle Nutzergruppen mit der gleichen Funktionalität bedienen kann und sich ohne Fokus schnell verzettelt. Deshalb haben wir unseren Enterprise-Fokus immer beibehalten. Enterprise bedeutet zwar eher große Seiten, aber wir haben auch Kunden mit Projekten um die 20.000 Seiten. Auch überschaubare Projekte können viel Geld verdienen, und warum soll ich die nicht genauso professionell optimieren wie eine große Website?

Website Boosting:Im Jahr 2015 habt ihr das Unternehmen umbenannt. Ursprünglich hieß das Tool Strucr, jetzt Audisto. Was war der Grund dafür, und wie lief das Rebranding?

Tobias: Wir wollten markenrechtlichen Problemen wegen Ähnlichkeiten aus dem Weg gehen und außerdem wurde der Name eh immer falsch geschrieben und ausgesprochen. Die Findung eines neuen Namens war nicht ganz einfach. Als passionierte Nerds haben wir uns ein Programm geschrieben, welches Hunderttausende Namensvariationen mit guter Phonetik automatisch erzeugt und die Verfügbarkeit aller Domainendungen geprüft hat. Aus der Liste haben wir dann „Audisto“ ausgewählt, womit wir bis heute sehr zufrieden sind.

Website Boosting:Und wie waren die Anfänge der Coronapandemie für euch?

Sören: Da Audisto schon immer ein verteiltes Team war, gab es in den Arbeitsabläufen für uns glücklicherweise keine Veränderung. Bezogen auf unsere Kunden gab es Branchen wie z. B. Tourismus und Events, wo wir anfangs eine große Unsicherheit erlebt haben und Projekte teilweise pausiert wurden. Auf der anderen Seite hatten wir aber auch Kunden, deren Management die Lockdown-Zeit für weitreichende Umbauten freigegeben hat und wo umfangreiche neue Projekte gestartet wurden. Was den Toolumsatz angeht, hielt sich das für uns in etwa die Waage. Insofern sind wir bislang sehr gut durch die Pandemie gekommen. Und wir können das ruhig sagen, 2021 war dann wirtschaftlich das bislang erfolgreichste Jahr für Audisto.

Website Boosting: Wo steht Audisto als Unternehmen heute?

Sören: Ursprünglich konzentrierte sich das Business hauptsächlich auf den DACH-Bereich, hier haben wir nach wie vor die meisten Kunden. Beispielsweise 40 % der deutschen Top-E-Commerce-Player analysieren mit Audisto, und auch kress pro hatte uns in der Vergangenheit zum Publisher-Dienstleister mit der deutlich stärksten Gesamtreichweite der Kunden gekürt. Uns nutzen aber auch große Kunden in den USA, Australien, Brasilien etc., und das bislang ohne wirkliche Marketingaktivitäten im Ausland. Wenn es um die technischen Analysen geht, haben wir überhaupt kein Problem, gegen internationale Konkurrenten mit $20M-Funding zu bestehen.

Tobias: Auch unsere technischen Fähigkeiten und Analysemöglichkeiten sind deutlich gewachsen. Inzwischen crawlen wir mühelos Seiten, die größer als 50M URLs sind und viele Milliarden Links beinhalten. Unsere technischen Hints, die auf Anomalien prüfen, haben sich mehr als verdreifacht, und die Daten, die wir über den internen Linkgraph erheben, berechnen und speichern, haben sich über die Jahre verzehnfacht. Dazu kam 2018 unser Testing und Monitoring an den Start, womit wir Kunden individuelle Prüfungen ermöglichen.

Website Boosting:Weit über zehn Jahre beschäftigt ihr euch mit Technical SEO und habt wahrscheinlich schon viele „kaputte“ Projekte gesehen … wie hat sich im Laufe der Jahre das Thema weiterentwickelt?

Gerd: Allgemein kann man sicher sagen, Webseiten werden immer komplexer. Viele große Seiten, egal ob Shop oder Publisher, sind heutzutage eigentlich eher Applikationen, die viel Programmlogik enthalten und aus verschiedenen Gründen oft selbst programmiert oder zumindest stark angepasst sind. Das macht es im Debuggen von Problemen nicht übersichtlicher. Aber SEOs arbeiten heute anders: Früher war viel mehr Bauchgefühl dabei und die meisten nutzen deutlich mehr Daten als Entscheidungsgrundlage. Es wird immer jemanden mit unzureichender Kenntnis von Spezifikationen oder einer eigenwilligen Interpretation von SEO-Standards geben.

Website Boosting:Welche Rolle spielt Google dabei?

Tobias: Aus eigenem Effizienzinteresse beim Crawling, aber auch für eine bessere User Experience sind Google-performante Webseiten sehr wichtig. Um dabei zu unterstützen, stellt Google tolle kostenlose Werkzeuge, wie pagespeed.web.dev, zur Verfügung und etabliert auch neue Themen, wie beispielsweise die Core Web Vitals. Dies muss man sinnvoll bewerten und nicht dem kurzfristigen Hype folgen, aber die Richtung ist klar: Google liebt technisch sauber umgesetzte und gut strukturierte Webseiten.

Gerd: Google treibt aber auch Web-Security-Themen immer stärker voran und nutzt dazu die Marktstellung vom Chrome Browser. Beispielsweise wird „Mixed Content“ (HTTPS-Seiten versuchen, unsichere Elemente zu laden) einfach gar nicht mehr geladen oder angezeigt. Mit solchen Entwicklungen muss sich ein Webseiten-Betreiber natürlich auseinandersetzen.

Website Boosting:Wie hat sich eurer Meinung nach das Know-how bzgl. Technical SEO verändert? Ist Komplexität ein Thema?

Sören: Neben immer komplexeren Shops und Webseiten verkompliziert auch die eingesetzte Technologie mitunter die Dinge. Da ist die Device-Weiche schlecht umgesetzt oder es wird JavaScript-Magie betrieben, die der normale Entwickler mit Blick auf SEO-Probleme gar nicht mehr debuggen kann. Insofern ja, Komplexität der Systeme wird ein immer wichtigeres Thema und leider bekommen Seitenbetreiber Probleme oft erst mit, wenn bereits ein Schaden entstanden ist.

Wir versuchen durch Vorträge auf Konferenzen, unsere Guides (https://audisto.com/guides/) oder unseren YouTube-Kanal (https://www.youtube.com/c/Audisto) Aufklärung zu wiederkehrenden Themen zu leisten. Auch haben wir vor Corona regelmäßig Technical-SEO-Workshops veranstaltet. Bei den komplexeren Themen ist es leider nicht so einfach, sich weiterzubilden, und Erfahrung spielt eine große Rolle. Gefühlt suchen gerade alle Unternehmen erfahrene Technical SEOs und die Verfügbarkeit ist doch arg begrenzt.

Website Boosting: In den letzten Monaten habt ihr euch intensiv mit Strukturanalyse für große Webseiten beschäftigt. Dazu gab es verschiedene Videos und Vorträge von Sören und Tobias. Seht ihr hier noch mehr Potenzial?

Tobias: Auf jeden Fall. Eigentlich seit der Entstehung von Audisto. Speziell für große Seiten mit Millionen von Unterseiten liegt in Strukturanalyse und Informationsarchitektur ein größerer Hebel, als es den meisten bewusst ist. Oft traut man sich aber nicht an große Veränderungen, entweder weil man die Wirkung für das eingesetzte Budget nicht gut genug abschätzen kann oder weil das Risiko, etwas falsch zu machen, zu groß erscheint. Sinnvoll umgesetzt kann man das aber gut vorab simulieren und muss es nicht bei Google testen.

Website Boosting: Passt ja eigentlich zu der These, dass das Internet immer „voller“ wird und Google stärker priorisiert, welche Inhalte wann gecrawlt werden, oder?

Tobias: Genau, Google kennt deutlich mehr Webseiten und URLs, als sie in ihren Index aufnehmen. Es gibt Indikatoren dafür, dass sich das Wachstum des Such-Index verlangsamt hat, und es ist auch nur logisch, dass Google seine Ressourcen möglichst effizient einsetzen möchte und kein Interesse daran hat, unrelevante URLs zu indexieren. Zumindest für große Seiten spielen Crawl Budget und Aktualisierungsrate eine wichtige Rolle. Neben dem Content kann ich es Google durch geeignete Seitenstruktur und eine technisch saubere Seite dabei einfacher machen.

Website Boosting: Was seht ihr aktuell als die größten Herausforderungen im Technical SEO an? Vielleicht nennt jeder seinen wichtigsten Schmerzpunkt.

Tobias: Priorisierung von Tasks und Quantifizierung von Problemen. Dabei sollten Online-Marketer sich nicht auf Ampelsysteme für Probleme in ihren Tools verlassen. Hier werden Probleme oft qualitativ nicht korrekt bewertet oder die falschen Tasks priorisiert.

Gerd: Technisches Verständnis und Stakeholder zusammenbringen. Viel zu selten sitzen Produktmanagement, SEOs, Entwickler und Analytics/BI gemeinsam an einem Tisch, um Herausforderungen zu lösen oder voneinander zu lernen.

Sören: Geeignete Prozesse für kontinuierliche Verbesserung und Überwachung. Es gibt immer noch Teams, die sich zu sporadisch mit technischen Themen auseinandersetzen. Das wirtschaftliche Risiko für die Webseite zu minimieren, sollte höher auf der Managementagenda stehen. „Luck is not a Strategy“, wie wir gerne herausstellen.

Website Boosting: Viele Unternehmen klagen ja (hinterher), dass ihre SEO-Agentur nicht unbedingt über genügend Know-how verfügt. Bei Inhouse-SEOs ist das je nach der „internen“ Ausbildung manchmal ähnlich. Könnt ihr denn langsam eine steigende Professionalisierung in der Arbeitsweise von SEO-Teams beobachten?

Tobias: Ja, ich denke, das kann man schon sagen. Wir sehen, dass sich mehr Teams weg von Einmalanalysen und hin zu einer regelmäßigen Überwachung bewegen. Dazu gehören auch Prozesse, die kontinuierlich Probleme oder Optimierungspotenzial aufdecken. Einhergehend damit wird auch eine stärkere Automatisierung der Prozesse angestrebt, da das händisch nicht zu leisten ist. So was kann ich nur sinnvoll umsetzen, wenn meine Arbeitsweise professioneller wird. Bei den Agenturen ist es wie bei den Inhouse Teams, es gibt welche, die entwickeln ihre Analysemöglichkeiten stark weiter, und andere arbeiten so wie bisher.

Website Boosting: Viele der professionellen Unternehmen nutzen eure Daten über die API für ihr SEO Data Warehouse. Wie schätzt ihr die Entwicklung der Branche bzgl. Business Intelligence und Insights aus Daten ein?

Sören: Ich finde, hier geht die Schere über die Jahre immer weiter auseinander. Wir arbeiten mit SEO-Teams, die seit Jahren ihre Überwachung und BI für konkrete Business Insights im Online-Marketing aufbauen und verbessern. Auf der anderen Seite gibt es Unternehmen, die haben noch nicht einmal damit angefangen oder erhoffen sich Abkürzungen, indem die Datenverknüpfung in externen Tools vorgenommen wird – mit dem Problem, das ich dort niemals meine Umsatzdaten hinterlegen werde. Wenn ich noch am Anfang stehe, benötige ich vielleicht nur einzelne Trendkurven über die API und baue meine ersten Dashboards. Andere Kunden übertragen im Gegensatz dazu jeden durchgeführten Crawl vollständig in die eigene Datenbank. Alle möchten mehr Daten und Insights, aber nur wenige sind in der Lage, die richtigen Fragen zu stellen und aus den Daten auch fundierte Handlungen zur Optimierung abzuleiten.

Website Boosting: Möchtet ihr erzählen, an welchen Themen und Features ihr aktuell arbeitet? Was kommt als Nächstes?

Tobias: Es ist kein Geheimnis, dass wir gerade eine neue JavaScript-Crawler-Version bauen. Wer den Tiefgang unserer technischen Analysen zu schätzen weiß, wird sich speziell über die neuen JS-Debugging-Möglichkeiten freuen. Dazu haben wir uns umfangreiche Analysewerkzeuge geschaffen.

Sören: Auch im Testing und Monitoring wird es einige Neuerungen und Prozessverbesserungen geben. Ein großer Kunde aus den USA stellt gerade seine kompletten internen Prozesse um, und wir unterstützen mit erweiterten Features die stärkere Automatisation dabei. Daraus entsteht gerade eine Beta, die später dann für alle Kunden im Monitoring verfügbar ist.