Title-Geddon – war da was bei Ihnen?

R-Leuchtungen! Teil 9

Patrick Lürwer
Patrick Lürwer

Patrick Lürwer ist Senior Analyst bei get:traction GmbH und Partner. Seine Schwerpunkte sind die Umsetzung von ETL-Prozessen für die Beschaffung von Daten mittels APIs, Webscraping etc., ihre Speicherung in Datenbanken, Analysen von Crawls, Logfiles und Traffic-Daten sowie die Konzeption von Informationsarchitekturen.

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Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

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In den Ausgaben bis 54 bis 58 der Website Boosting konnten Sie in der Serie „R4SEO“ von Patrick Lürwer nachvollziehen, wie man die kostenlose Software R verwendet, was sie leistet und wie man sie nutzbringend für die eigene Arbeit für SEO bzw. die Aufklärung im Online-Marketing einsetzen kann. R wurde ja ursprünglich für Statistik entwickelt. Wer das bisher als Entschuldigung verwendet hat, es deswegen links liegen zu lassen, dem sei versichert, dass er damit komplett falschliegt. R kann für den Einsatz im Unternehmen, allen Bereichen voran „Online“, sehr viel mehr leisten, als statistische Berechnungen durchzuführen. Genau genommen ist es ein wirklich nützliches Helferlein bei allen Aufgaben im Umgang mit größeren Datenmengen, mit Daten, die man erst in eine gewisse Struktur bringen muss, und bei der automatischen oder halb automatischen Datenbeschaffung aus praktisch fast allen Quellen aus dem Web! Für die interessierten Einsteiger, aber auch für alle, die nach der Serie von Patrick Lürwer „R-Blut“ geleckt haben, startete in der Ausgabe 62 die neue anwendungsorientierte Serie „R-Leuchtungen“. Sie werden in jeder Ausgabe erfahren, wie Sie ohne Programmierkenntnisse jeweils ein definiertes und in der Online-Praxis häufiger auftretendes Problem rund um das Thema Daten und Auswertungen lösen können. Und keine Sorge, die kleinen Hilfe-Tutorials nehmen Sie Schritt für Schritt an der Hand, sodass Sie auch als Neuling von der Power von R profitieren können. Was hält Sie also ab, das einfach mal auszuprobieren? Die einzelnen Schritte müssen Sie übrigens nicht im Detail verstanden haben. Um an die hilfreichen Daten für ein besseres Ranking zu kommen, müssen Sie im Prinzip nur nachmachen, was Sie hier beschrieben finden. Für dieses Beispiel brauchen Sie übrigens keinerlei kostenpflichtige Tools.

Worum geht es diesmal?

Um den 21.08.2021 herum hat Google das sogenannte Title-Update ausgerollt. Dabei wurde in den Suchergebnissen bei nicht wenigen Seiten der im jeweiligen Quellcode hinterlegte Title durch einen von Google generierten Title ersetzt. Das führte zu einigem Aufruhr bei den aufmerksamen Sitebetreibern, weil zum Teil wohl weniger passende Title erzeugt wurden und man zum anderen einen gewissen Kontrollverlust verspürte.

Einige Tools, so z. B. die SISTRIX-Toolbox, zeigen bereits für einzelne Domains an, ob und welche Title getauscht wurden. Ebenso gibt es bereits Browser-Plug-ins, die Veränderungen direkt in den Suchergebnissen sichtbar machen. Das alles sind aber nur punktuelle Hinweise und bisher bekommt man kaum weiter verarbeitbare Daten geliefert bzw. kann die Ergebnisse nicht downloaden für Checklisten und Handlungsanweisungen.

Die Kernfrage ist, ob sich bei (nahezu) gleichbleibender Position eines Keywords die CTR, also die Klickrate, signifikant derart verändert hat, dass sich der Grund beim Title-Tausch durch Google vermuten lässt. Bleibt z. B. vor und nach dem Update die Position 3 stabil stehen, aber die Klickrate sinkt von 15 % auf 5 %, dann könnte mit hoher Wahrscheinlichkeit das veränderte Ergebnissnippet dafür verantwortlich sein, da sich sonst ja nichts verändert hat. Würde die Position steigen oder fallen, würde sich in jedem Fall bekanntlich auch immer die CTR ändern. Insofern gilt es, Rankings zu filtern, deren Position sich nicht stark verändert hat, jedenfalls nicht über eine normale Schwankungsbreite hinaus. Natürlich tritt auch bei der CTR eine gewisse Schwankung auf.

Die Aufgabe lautet also: Finde alle Rankings, deren Position gleich geblieben ist UND deren CTR sich deutlich verändert hat. Dabei sollten alle Suchphrasen, die als Besonderheit den Domainnamen (Brandbegriffe) enthalten, ignoriert werden.

Das Skript in der vorliegenden Ausgabe nimmt sich dieses Problems an und ist wie folgt strukturiert:

  1. Abholen aller Rankingdaten für zwei definierbare Zeitfenster (vor und nach dem Update)
  2. Definieren gewisser Schwankungstoleranzen für die CTR
  3. Definieren gewisser Schwankungstoleranzen für die Position
  4. Angabe der Brand-Suchbegriffe (Domainname)
  5. Filtern aller ausgeschlossenen Fälle von Punkt 2 bis 4.
  6. Ausgabe der übrig gebliebenen Daten in ein CSV-File zur weiteren Verwendung

Um tatsächlich umfassend mit den Rohdaten direkt von Google arbeiten zu können, muss ein sog. (kostenloses) Entwicklertoken von Google vorliegen (siehe den Infokasten am Rand).

Ihr API-Account bei Google

Um automatisiert bzw. computergesteuert Daten von Google-Tools holen zu können, brauchen Sie dort einen „Developer-Account“. Für diesen bekommen Sie eine von Google erzeugte Mailadresse und ein File mit der Endung .json für die Authentifizierung Ihres Computers bzw. für R, um Daten zu holen. Die Mailadresse dient dazu, einen Nutzer für die Search Console anlegen zu können, und mit dem File kann sich eine Maschine gegenüber Google als berechtigt ausweisen. Wie Sie einen solchen Account anlegen können, haben wir in der Ausgabe 65 ausführlich beschrieben. Falls Sie den Account da angelegt haben, können Sie jetzt erneut darauf zugreifen und müssen nichts weiter tun.

Haben Sie das übersprungen, müssen und sollten Sie das (Schritt 1 und 2 im oben genannten Beitrag) unbedingt nachholen. Bereits in den vergangenen Ausgaben hatten wir Ihnen immer wieder Skripts an die Hand gegeben, mit denen Sie wirklich sehr nützliche Auswertungen mit echten Google-Daten ganz einfach mit wenigen Klicks erzeugen können. Ohne diesen Account bekommen Sie leider keine ausführlichen Daten. Und ohne diese Daten können Sie natürlich auch keine eigenen und detaillierten Hinweise auf Optimierungsmöglichkeiten für Ihr Ranking erzeugen. 

Schritt 1: Das R-Skript downloaden und die Parameter eingeben

Holen Sie sich unter einfach.st/rcode6 das Skript für diese Ausgabe 70 bzw. kopieren Sie von dort ganz einfach den Code in Ihre Zwischenablage. Starten Sie R-Studio als „Benutzerhülle“ für R. Mit File/New File erhalten Sie links oben ein neues, noch leeres Fenster für den R-Code. Kopieren Sie ihn von der Webseite direkt in dieses Fenster.

Stellen Sie sicher, dass R mit dem richtigen Arbeitsverzeichnis (Working Directory, kurz WD) arbeitet bzw. legen Sie das Verzeichnis auf Ihrem Computer fest, das für diese Session verwendet werden soll. Dazu klicken Sie sich einfach rechts unten in dem Fenster wie in Abbildung 2 unter den beiden Ziffern 1 gezeigt zu dem gewünschten Verzeichnis durch. Achtung: In diesem Verzeichnis muss dann auch die Datei (oder eine Kopie davon) von Google liegen, die man zu Authentifizierung des Computers braucht. Sie endet auf .json und enthält vorne die bei Google angegebene Mailadresse, gefolgt von einer Zahlen-/Buchstabenreihenfolge. Sie sieht in etwa so aus:

mein-accountname-cr4436ad9828.json

Stimmt das angezeigte Verzeichnis, klickt man einfach unter dem Zahnradsymbol „More“ auf „Set As Working Directory“. Im Fenster links daneben wird dies nun bestätigt mit:

> setwd("~/was/sie/ausgewaehlt/haben") 

Wie immer müssen für R dann noch bestimmte Funktionsbibliotheken (Librarys) installiert bzw. aufgerufen werden. Nach dem erstmaligen Installieren mit dem Befehl

install.packages("libraryname")

 behält R diese Bibliothek in ihrem Dateispeicherbereich. Sie muss dann nicht mehr installiert werden. Der Aufruf einer Bibliothek, um damit arbeiten zu können, bzw. das Laden in den aktiven Arbeitsspeicher muss hingegen nach jedem Start von R vollzogen werden. Der Befehl dazu lautet:

library(libraryname)

Es gilt zu beachten, dass hier keine Anführungszeichen wie beim Installieren verwendet werden. Um den Aufruf einer Bibliothek in den Arbeitsspeicher muss man sich nicht aktiv kümmern, weil er in der Regel immer am Anfang im Skript steht und daher sowieso immer mit ausgeführt wird. Wer die R-Leuchtungen der letzten Ausgaben aktiv angewendet hat, hat bereits alle nötigen Bibliotheken installiert und kann den Code daher später einfach durchlaufen lassen. Bibliotheken kann man übrigens auch leicht über den Menüpunkt „Tools“ und dort „Install Packages“ einzeln installieren. R sucht sich die Speicherorte im Web von alleine.

Die Anpassungen im Skript sind dort nochmals dokumentiert (alle Zeilen mit einem führenden „#“ stellen Kommentarzeilen dar und sind kein Code).

Sie müssen an sechs Stellen Eingaben/Änderungen vornehmen. Diese sind alle mit „#TODO“ gekennzeichnet.

Zunächst müssen Sie den genauen Namen Ihrer Authentifizierungsdatei (die mit .json am Ende) angeben. Überschreiben Sie einfach die Vorgabe entsprechend:

KEY_FILE <- "name-der-authentifizierungsdatei.json"

Anschließend müssen Sie Ihren Domainnamen noch hinterlegen bzw. überschreiben:

GSC_PROP <- https://www.domainname.com/

Optional: Möchten Sie Suchanfragen nach Ihrem Domainnamen/Brand ignorieren? Dann überschreiben Sie einfach ebenfalls die Vorbelegungen. Brauchen Sie mehr Zeilen, kopieren Sie einfach z. B. die Zeile 2 und fügen Sie diese mit einem überschriebenen Suchwort wieder ein. Diese müssen nur jeweils durch Anführungszeichen und ein abschließendes Komma getrennt werden:

BRAND_QUERIES <- c("brandbegriff-1",
 "brandbegriff-2",
 "brandbegriff-3",
 "brandbegriff-n")

Optional: Nun müssen bzw. können Sie noch die beiden Zeiträume für den Vergleich definieren. Vorbelegt ist:

START_DATE_PRE <- ymd("2021-08-10")
END_DATE_PRE <- ymd("2021-08-16")

START_DATE_POST <- ymd("2021-09-01")
END_DATE_POST <- ymd("2021-09-06")

PRE steht für „vor dem Update“ und POST entsprechend für einen Zeitraum danach. Das Startdatum ist im Beispiel hier so gewählt, dass sicherheitshalber ein Zeitraum einige Tage vor dem Title-Update fixiert wurde. Bei Bedarf können Sie beide Zeiträume entsprechend anpassen, sollten z. B. neue Updates das nötig erscheinen lassen.

Nicht nur für Title-Updates!

Mit dem vorliegenden Skript können Sie übrigens jede Art von Klickveränderungen Ihrer Suchphrasen „überwachen“ bzw. prüfen. Da Sie den Start- und Endzeitraum des Vergleichs frei wählen können, lässt sich damit prinzipiell auch jeder Zeitraum mit jedem anderen vergleichen! Damit haben Sie für jede Art von Sonderanalyse ein recht machtvolles kleines Skript an der Hand, das Ihnen in wenigen Sekunden datengestützte Antworten liefern kann.

Optional: Legen Sie einen Wert fest, um den die Position schwanken darf, ohne gleich als echte Positionsveränderung zu gelten. Da Google Kommawerte bzw. die durchschnittliche Position angibt, schwankt diese eigentlich fast immer um einige Prozentpunkte hinter dem Komma (das in R mit einem Punkt gesetzt wird). Würde man diese Schwankung nicht berücksichtigen, gäbe es für jedes Keyword eine Positionsveränderung, weil bereits ein Ansteigen von Position 2,3 auf 2,4 als Änderung gelten würde. Vorbelegt ist der Wert 0,9, aber Sie können diesen Ihren Bedürfnissen entsprechend verändern. Das macht dann Sinn, wenn Sie zu viele oder zu wenige Daten in der Auswertung haben. Da dies von Domain zu Domain schwankt, kann man keine generellen, verbindlichen Werte angeben. Hier müssen Sie ggf. etwas experimentieren.

POSITION_FLUCTUATION <- 0.9

Optional: Ebenso macht es Sinn, einen natürlichen Korridor für Schwankungen im CTR-Wert zu berücksichtigen. Hier wurde 5 % vorbelegt. Das bedeutet, dass eine Schwankung unter oder über 5 % noch nicht als nennenswerte Veränderung gesehen wird und die Daten weggefiltert werden, die sich innerhalb dieser Breite befinden. Sollten Sie zu viele oder zu wenig Daten bekommen, versuchen Sie einfach, das Skript mit veränderten Werten noch mal laufen zu lassen.

CTR_FLUCTUATION <- 5

Das war auch schon alles, was Sie hinterlegen bzw. anpassen müssen. Klicken Sie nun einfach auf „Source“ rechts oben im linken oberen Fenster (Abbildung 3). Dies löst das Abarbeiten des gesamten Skripts auf einen Rutsch aus.

Das Durchlaufen kann je nach Datenumfang etwas dauern, da die Daten von der Search Console im Batchbetrieb für jeden angeforderten Tag (über das Zeitintervall oben definiert) abgeholt werden (Abbildung 4). Anschließend werden alle empfangenen Daten automatisch ohne weiteres Zutun vom Skript verarbeitet.

Am Ende des Skripts sorgt noch die letzte Codezeile dafür, dass die fertigen Daten in einer CSV namens „ctr_vergleich.csv“ im Arbeitsverzeichnis gespeichert werden:

write_csv2(gsc_data, "ctr_vergleich.csv")

Selbstverständlich können Sie hier auch einen eigenen Dateinamen vergeben, indem Sie die Vorgabe "ctr_vergleich.csv" im Skript einfach nach Ihren Wünschen verändern.

Schritt 2: Sehen Sie sich die Auswertungen an und arbeiten Sie damit

Wenn Sie die erzeugte Datei öffnen, finden Sie alle URLs, die in dem von Ihnen definierten Zeitraum bei gleichbleibender Position (innerhalb der definierten Schwankungsbreite) eine CTR-Veränderung über der Prozentzahl haben, die Sie definiert haben. Das ist der Startpunkt für weitere Analysen. Durch die Verwendung der SEO-Tools für Excel kann man die Tabelle problemlos mit weiteren Metriken anreichern, wie z. B. den aktuellen Title und den Inhalt der H1 dazu holen. Dem Vernehmen nach wird beim Austausch der Title von Google häufig auf den Inhalt der H1 zurückgegriffen, sofern er nicht identisch mit dem Title oder wenig aussagekräftig ist.

Beachten Sie bitte, dass Sie von der Google Search Console deutlich mehr Daten bekommen als mit vielen anderen Tools. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass Sie auch für nur wenige Impressions oder Klicks Datensätze im Ergebnis bekommen. Hier sind die Änderungen der CTR natürlich statistisch nicht aussagekräftig bzw. belastbar. Sie sollten Sie daher in Excel am besten wegfiltern (Zahlenfilter/größer als).

Bei den meisten Analysen, die wir testhalber vorgenommen haben, hat sich das „Title-Geddon“, wie das Update im Netz zum Teil genannt wurde, übrigens nicht besonders stark ausgewirkt. Es gab zwar möglicherweise viele Title, die tatsächlich getauscht wurden, in eine stark messbare CTR-Veränderung mündete dies allerdings nicht. Die Fälle, die wir extrahieren konnten, zeigten bei einer manuellen Einzelfallprüfung, dass man sicherlich mit der getauschten Zeile gut leben kann.

Trotzdem gibt es im Web zum Teil heftige Beschwerden von Webmaster, dass die Algorithmen alles deutlich verschlimmert hätten. Es ist noch zu früh, stabile Aussagen dazu zu machen, vor allem weil Google angekündigt hat, nochmals nachbessern zu wollen. Trotzdem kann es natürlich nichts schaden, sich einmal in Ruhe anzusehen, ob die Performance Ihrer Suchergebnisse möglicherweise gelitten hat. Hier hilft Ihnen das vorliegende Skript!