Wichtige Änderungen im Online-Wettbewerbsrecht

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Ohne allzu große Aufmerksamkeit sind wichtige Änderungen im Wettbewerbsrecht, insbesondere für den Online-Bereich, Anfang Dezember 2020 in Kraft getreten. Der Artikel gibt einen kurzen Überblick über die wichtigsten Neuerungen, insbesondere, welche praktischen Auswirkungen auf den Online-Bereich zu erwarten sind.

1. Das Anti-Abmahngesetz

Amtlich heißt es „Gesetz zum Erschweren missbräuchlicher Abmahnungen und zur Stärkung des fairen Wettbewerbs". Umgangssprachlich wird es – polemisch – nur Anti-Abmahngesetz genannt.

Ohne allzu große Aufmerksamkeit sind mit Wirkung zum 02.12.2020 wichtige Änderungen im Wettbewerbsrecht in Kraft getreten. Diese Neuerungen sind insbesondere für den Online-Bereich relevant, da es hier bestimmte Spezial-Regelungen gibt.

Intention des Gesetzgebers war es, des aus seiner Sicht bestehenden Missbrauchs von Abmahnungen, insbesondere im Internet, Herr zu werden. Daher hat die Legislative zahlreiche Beschränkungen aufgestellt, die es zukünftig erschweren sollen, Abmahnungen auszusprechen.

Der Artikel stellt die wichtigsten Änderungen im Überblick dar.

2. Abschaffung des fliegenden Gerichtsstands

Bislang konnte jeder Gläubiger bei Wettbewerbsverletzungen im Online-Bereich seine Ansprüche bei jedem beliebigen Gericht in Deutschland geltend machen. Der Jurist sprach hier vom sogenannten „fliegenden Gerichtsstand".

Nicht selten wurde ein bestimmtes Gericht aus taktischen Gründen ausgewählt, z. B., weil der Anspruchsteller wusste, dass die betreffenden Richter seiner Ansicht waren.

Damit ist zukünftig bei Online-Wettbewerbsverletzungen Schluss. Der fliegende Gerichtsstand ist für das Internet ab sofort abgeschafft (§ 14 Abs. 2 UWG). Geklagt werden kann grundsätzlich nur noch am Ort des Beklagten.

Beispiel altes Recht:
Firma A sitzt in Hamburg, Firma B in München. Firma A konnte sich, wenn sie eine Impressumsverletzung rügte, den Gerichtsstand beliebig aussuchen. Geklagt werden konnte in Hamburg, München, aber auch in Berlin oder Stuttgart.

Beispiel neues Recht:
Firma A kann nun nur noch in München klagen.

Die praktische Konsequenz für den Beklagten liegt auf der Hand: Anders als früher reicht es, wenn er die Rechtsprechung seines lokalen Heimatgerichts kennt und sich damit auseinandersetzt. Er muss nicht mehr damit rechnen, an einem x-beliebigen Standort verklagt zu werden, und sich auch nicht mehr mit jeder noch so abstrusen Rechtsansicht eines Gerichts beschäftigten. Der Beklagte erlangt damit, in gewissen Grenzen, Rechtssicherheit.

Die Regelung bringt jedoch in der Praxis nicht nur Vorteile, sondern hat auch eine Schattenseite: Nunmehr werden plötzlich Gerichte angerufen, die bislang kaum oder gar nicht mit Internet-Themen zu tun hatten. Es lässt sich an einer Hand abzählen, welche Auswirkungen das auf die Qualität der Urteile haben wird. Außerdem erhöhen sich für den Beklagten, wenn er den Prozess verliert, die zu erstattenden Kosten, da nunmehr auch die Reisekosten erstattungsfähig sein werden.

3. Ausschluss der Abmahnkosten

Das neue Gesetz sieht, zumindest teilweise, auch den Ausschluss von Abmahnkosten vor (§ 13 Abs. 4 UWG).

Dies gilt jedoch nur für den Fall, wenn ein Mitbewerber die Abmahnung ausspricht. Kommt das Schreiben hingegen z. B. von einem Wettbewerbsverband oder einer sonstigen qualifizierten Einrichtung, gilt diese Beschränkung nicht.

Der Ausschluss ist auch nicht umfassend, sondern gilt nur für Fälle, bei denen Gegenstand des Schreibens nachfolgende Themen sind:

  • Verstöße gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten im Internet
  • Verstöße gegen DSGVO oder BDSG

Die auf den ersten Blick so unscheinbare Regelung hat es in sich, denn es wird nicht näher definiert, was genau alles unter „Informations- und Kennzeichnungspflichten" fällt. Hier gibt es im Detail viele Abgrenzungsprobleme, die ungeklärt sind. Es ist absehbar, dass diese Frage noch viele Gerichte in den nächsten Jahren beschäftigen wird.

Beispiel altes Recht:
Firma A kann den Ersatz von Abmahnkosten verlangen, wenn Firma B kein ordnungsgemäßes Impressum hatte.

Beispiel neues Recht:
Firma A kann nicht mehr den Ersatz von Abmahnkosten in diesen Fällen verlangen.

Beispiel neues Recht:
Wettbewerbsverband X hingegen kann in diesen Fällen weiterhin die Abmahnkosten verlangen, da der Ausschluss nur für Mitbewerber gilt, nicht für sonstige Dritte.

4. Ausschluss der Vertragsstrafe

Wurde ein Betroffener in der Vergangenheit abgemahnt, gab er nicht selten vorschnell eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, die ihm am Ende den Hals brach. So verpflichtete er sich beispielsweise, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen, übersah dabei aber, dass die Rechtsverletzungen teilweise nach wie vor online waren (z. B. im Google Cache). Konsequenz war, dass er eine Vertragsstrafe von 5.000, - EUR oder mehr zahlen musste.

Auch hier hat das Gesetz für den Fall, dass ein Mitbewerber erstmalig abmahnt, erhebliche Einschränkungen vorgenommen. Betrifft die Rüge gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten oder Datenschutzverstöße, kann der Abgemahnte seine Unterlassungserklärung grundsätzlich ohne Vertragsstrafe abgeben. Das heißt, es reicht ab sofort das bloße Versprechen, die betreffende Handlung nicht mehr zu tun, ohne jede Vertragsstrafe. Diese Möglichkeit gilt jedoch nur dann, wenn der Abgemahnte in der Regel weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigt. Mit dieser Bestimmung sollte vermieden werden, dass auch Großkonzerne in den Genuss dieser Regelungen kommen.

Bei der zweiten und jeder weiteren Abmahnung, die die identische Angelegenheit betrifft, hingegen besteht die Verpflichtung, eine entsprechende Sanktionsklausel mit aufzunehmen.

Während früher Werte von 5.001, - EUR und mehr in der Regel verpflichtend waren, hat sich durch die Gesetzesreform auch hier etwas getan. Handelt es sich bei dem gerügten Verstoß nur um eine unerhebliche Verletzung, so darf die Vertragsstrafe nur bei höchstens 1.000, - EUR liegen (§ 13 a Abs. 3 UWG). In den Genuss dieses Privilegs kommt der Abgemahnte jedoch nur dann, wenn er weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigt hat.

Beispiel altes Recht:
Wegen einer Impressumsverletzung gab Firma B, die weniger als 100 Mitarbeiter hat, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab und musste zukünftig damit rechnen, im Falle einer Zuwiderhandlung 5.000, - EUR oder mehr an den Abmahner zahlen zu müssen. 

Beispiel neues Recht:
Es reicht nun, wenn Firma B schriftlich erklärt, dass sie die Verletzung eingestellt hat und es zukünftig nicht mehr tun wird. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung muss sie nicht mehr unterzeichnen.

Ausnahme: Firma B hat mehr als 100 Mitarbeiter oder es handelt sich bereits um den zweiten Verstoß in der gleichen Sache.

5. Weitere Verschärfungen

Das Gesetz sieht noch weitere Verschärfungen vor.

a. Anspruchsberechtigung

Anspruchsteller müssen zukünftig nachweisen, dass ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht (§ 8 UWG). Nur unwesentliche oder rein zufällige Überschneidungen hingegen reichen zukünftig nicht mehr aus. Auch die Berechtigung von Wirtschaftsverbänden, überhaupt Abmahnungen auszusprechen, wurde verschärft. So müssen dem Verband mindestens 75 Unternehmen angehören und dürfen zudem nicht primär darauf ausgerichtet sein, Einnahmen aus Abmahnungen zur erzielen.

b. Formale Anforderungen an Abmahnung

Die Abmahnung muss zukünftig einen bestimmten Mindestinhalt haben (§ 13 Abs. 2 UWG). Sie muss beispielsweise klar und verständlich sein und die tatsächlichen Umstände angeben. Werden diese Voraussetzungen nicht eingehalten, ist die Abmahnung unwirksam und dem Abgemahnten steht ein Schadensersatzanspruch zu.

c. Missbrauchs-Katalog

Das neue Gesetz stellt auch Kriterien für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs auf (§ 8c UWG), so beispielsweise eine Vielzahl von Verstößen oder die unangemessene Höhe der Abmahnkosten.

d. Schadensersatzanspruch des Abgemahnten

Ist die Abmahnung unbegründet, rechtsmissbräuchlich oder entspricht sie nicht den formalen Anforderungen, so hat der Abgemahnte zukünftig einen Ersatzanspruch (§§ 8 Abs. 3; 13 Abs. 5 UWG).

6. Praktische Konsequenzen

Noch ist es zu früh, um zu konstatieren, welche tatsächlichen Auswirkungen sich in der Praxis durch das neue Gesetz ergeben haben.

Es spricht jedoch vieles dafür, dass bestimmte „Klassiker" im Online-Bereich (z. B. fehlerhaftes Impressum oder fehlerhafte Widerrufsbelehrung) zukünftig eher selten Gegenstand von Wettbewerbsverletzungen sein werden. Denn die meisten Abmahner werden nicht bereit sein, bei derartigen Verstößen ihren Anwalt aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Zu vermuten ist vielmehr, dass nunmehr Rechtsverletzungen gerügt werden, für die die dargestellten Beschränkungen nicht gelten.

In jedem Fall bietet das neue Wettbewerbsrecht dem Abgemahnten zukünftig eine deutliche bessere Verteidigungsmöglichkeit als bislang. Zumal für viele Vorschriften noch gar keine oder zumindest keine gesicherte Rechtsprechung existiert. Insofern wird sich auch der Abmahner zukünftig gut überlegen, ob und welche Ansprüche er geltend macht, um nicht am Ende auf die Nase zu fallen.