Wenn Drupal und WordPress zusammen ein Kind hätten …

Im Jahr 2015 wurde die komplett überarbeitete Drupal-Version 8 veröffentlicht. Doch die Adaption der quelloffenen CMS-Plattform verläuft eher schleppend, die absoluten Anwenderzahlen sind sogar rückläufig. Mehr noch: Auch Anfang 2021 basiert die Mehrheit der Drupal-Websites immer noch auf Drupal 7. Dessen Support wiederum läuft Ende 2022 aus. Gerade noch genug Zeit, um mögliche Alternativen zu erwägen. Eine von mehreren Möglichkeiten ist Backdrop CMS.

Mit der Lancierung von Drupal 8 wurde auch dessen Anwendungsgebiet neu definiert: Die Plattform soll „ambitionierte digitale Erlebnisse” ermöglichen und setzt beispielsweise schon länger auf die Nutzung in Headless-Umgebungen – also der vollständigen Trennung von Inhaltsverwaltung und Ausgabe. Die neue Fokussierung von Drupal hat allerdings eine Kehrseite: Neue Funktionen decken zunehmend die Bedürfnisse von Enterprise-Kunden ab. Für kleine und mittlere Projekte ist der Nutzen oft gering.

Dieser Hintergrund ist wichtig für die Geschichte von Backdrop CMS. Denn die Plattform ist ein sogenannter „Fork”, also eine Abspaltung vom Hauptprojekt, in diesem Fall einer frühen Version von Drupal 8. Die Philosophie dahinter: Die schon fast sprichwörtlich steile Lernkurve von Drupal soll deutlich flacher werden, neue Funktionen richten sich strikt nach den Bedürfnissen der Zielgruppen der Community. Ein zentraler Punkt ist zudem die Rückwärtskompatibilität. Die erste Version von Backdrop CMS erschien im Januar 2015 und wurde in seither 18 Releases stark weiterentwickelt.

Website oder digitale Plattform?

Seither entwickeln sich Drupal und Backdrop CMS weitgehend unabhängig voneinander. Die Überschneidungen werden zunehmend geringer: Drupal als Werkzeug für anspruchsvolle digitale Plattformen, die sich zunehmend von der klassischen Website wegbewegen. Backdrop CMS wiederum zielt genau auf diese Anwendung: schnelle und leistungsstarke Websites auch bei begrenzten Ressourcen. Im Fokus sind natürlich auch die Hunderttausenden Websites auf Drupal 7, wo sich der Schritt zur Enterprise-Plattform schlicht nicht aufdrängt.

„Backdrop CMS stellt die Bedürfnisse der Redakteure und Website-Architekten über diejenigen der Entwickler. An erster Stelle steht die Bedienbarkeit” (Auszug aus der Philosophie von Backdrop CMS).

Upgrademöglichkeit von Drupal 7

Drupal 7 reitet nach über zwölf Jahren dem Sonnenuntergang entgegen. Ende 2022 ist auch definitiv Schluss mit Sicherheits-Updates. Backdrop CMS hat die Idee von Drupal 7 stark weiterentwickelt, jedoch das Datenmodell von Drupal 7 beibehalten. Dadurch lassen sich Drupal-Websites grundsätzlich auf Backdrop CMS „anheben”. Erwähnenswert ist das deshalb, weil sogar die Datenbank-Datei übernommen wird. Der Vorteil gegenüber der klassischen Datenmigration: Sämtliche Verknüpfungen von Inhalten, Benutzern oder Kategorien bleiben erhalten.

Backdrop CMS versus WordPress

Auch Blogbeiträge aus WordPress lassen sich per Modul importieren. Verglichen mit dem Marktführer bietet Backdrop CMS das flexiblere Datenmodell und kann vor allem im Bereich Interoperabilität punkten: Ein Modul beschränkt sich auf seine Hauptfunktion, der Core übernimmt alles andere, Probleme mit sich gegenseitig „störenden” Modulen sind darum äußerst selten. Übrigens hat auch WordPress seit einiger Zeit seinen Fork (www.classicpress.net), der sich stärker an den Bedürfnissen der Community orientieren soll.

Module

Backdrop CMS integriert viele Funktionen, die in Drupal 7 nur per Zusatzmodul verfügbar waren. Trotzdem bleibt der Core natürlich erweiterbar, das Angebot umfasst inzwischen mehrere Hundert Module. Die überwiegende Mehrheit davon wurde von Drupal 7 portiert – denn Drupal-Module sind nicht direkt kompatibel mit Backdrop CMS. Sie lassen sich aber vergleichsweise leicht importieren, die Anpassungen betreffen im Wesentlichen den Bereich Konfigurationsmanagement.

Einmal konfiguriert, immer wieder verwendet

Das erwähnte Konfigurationsmanagement darf durchaus als kleines Juwel bezeichnet werden, das so kaum ein Mitbewerber bietet – übrigens auch die aktuelle Drupal-Version nicht. Die Einstellungen werden nicht mehr in einer Datenbank, sondern in Dutzenden JSON-Dateien gespeichert. Diese lassen sich exportieren und projektübergreifend nutzen. Ob Blog, Bildergalerie oder Produkt-Datenbank: Einmal erstellte Anwendungen können beliebig oft wiederverwendet werden. Gerade für Agenturen und Freelancer, die regelmäßig Websites erstellen, ist der Produktivitätsgewinn je nach Projektgröße enorm.

Simple oder hoch komplexe Informationsarchitekturen

In Backdrop CMS lassen sich allein per Konfiguration fast beliebig komplexe Datenmodelle erstellen. Die Inhaltstypen sind frei definierbar, die Anzahl der Eingabefelder ist theoretisch unbegrenzt. Aber auch die Datentypen Benutzer oder Kategorien sind komplett „fieldable“ und durch eigene Typen erweiterbar. Alle Dateneinheiten (Entitäten) lassen sich sehr einfach untereinander referenzieren, was gerade für B2B-Websites oder komplexe Produktportfolios sehr nützlich ist. Pro Entität sind zudem beliebig viele Ausgabeansichten definierbar, was vor allem die mehrfache und kontextbezogene Ausgabe von Inhalten erheblich vereinfachen kann.

Datenbankabfragen per Benutzeroberfläche

Wie auch bei Drupal 9 ist das vormalige Modul „Views” inzwischen in die Basissoftware integriert worden. Es ist quasi das Schweizer Taschenmesser für die Datenausgabe in Backdrop CMS. Selbst komplexe Datenbankabfragen lassen sich per Benutzeroberfläche realisieren und kontextbasiert ausgeben. Und natürlich lassen sich auch in Views einmal definierte Konfigurationen exportierten und in anderen Projekten wiederverwenden. Views dürfte ein wichtiger Grund sein, warum Drupal überhaupt ein Erfolg wurde. Und es macht wiederum Backdrop CMS zu einer echten Alternative für Hunderttausende Drupal-Anwender, die bisher mit einem Upgrade auf Version 8/9 gezögert haben.

Layouts und Themes

Einer der augenfälligsten Unterschiede gegenüber Drupal 7 dürfte das Layoutsystem sein. Layouts können aufgrund vielfältiger Kriterien zugeordnet werden, etwa nach Inhaltstyp, Kategorie oder natürlich pro Beitrag verschieden. Das Layout-System von Backdrop CMS spielt seine Stärken aus, wenn Layouts weitgehend regelbasiert zugeordnet werden sollen und sich der Redakteur nicht groß mit Layouts befassen muss – oder eben nicht darf, je nach Philosophie.

Auch der Theming-Layer ist äußerst leistungsfähig, Templates lassen sich bis auf Feldebene definieren. Umgekehrt gilt: Detaillierte Anpassungen ans Corporate Design lassen sich nicht im Backend realisieren, sondern erfordern solide Kenntnisse in HTML/CSS sowie Basiskenntnisse in PHP.

Das Angebot an produktionsfertigen Themes in Backdrop CMS ist gering. Die meisten Themes verstehen sich viel eher als Basis für eigene Designvorlagen. Die Mehrzahl davon basiert auf dem Bootstrap-CSS-Framework. Mit wenigen Zeilen Code lassen sich natürlich auch beliebige andere Frameworks einbinden. Umgekehrt gilt: Wer mit CSS möglichst nichts zu tun haben will, wird sich kaum für Backdrop CMS entscheiden.

Hosting

Auch im Bereich Hosting wird ein wichtiges Merkmal von Drupal 7 beibehalten: Backdrop CMS läuft auch in Shared-Hosting-Umgebungen flüssig – je nach Zielgruppe nicht ganz unwichtig beim Systementscheid, auch im Jahr 2021.

Mehrsprachige Websites

Bei der Nutzung mehrerer Sprachen hat sich im Vergleich zu Drupal 7 wenig verändert. Es lassen sich beliebig viele Sprachen anlegen und sowohl im Backend als auch für die Inhalte nutzen. Die Sprachvarianten eines Artikels sind technisch gesehen mehrere untereinander referenzierte Artikel. Nicht in den Core geschafft hat es die Entitätsübersetzung (alle Sprachen eines Artikels teilen sich die Artikel-ID, was vor allem die Handhabung referenzierter Inhalte vereinfacht). 

Stärken von Backdrop CMS

  • Hervorragendes Konfigurations-Management
  • Auch komplexe Datenbank-Abfragen ohne Programmierung möglich
  • Deutlich schneller als Drupal 8 und auch schneller als Drupal 7
  • Flexibles und leistungsfähiges Layout-System
  • Beliebig viele Darstellungsvarianten pro Artikel (View Modes)
  • Zahlreiche Usability-Verbesserungen gegenüber Drupal 7
  • Niedrige Kosten für Entwicklung, Unterhalt und Hosting (Shared Hosting problemlos möglich)
  • Interessante Alternative für Drupal-7-Anwender, die mit dem Update auf Drupal 9 zögern
  • Eine Installation kann mehrere Sites hosten (Multi-Site)
  • Vollständig quelloffen, sämtliche Zusatzmodule frei verfügbar
  • Vielfältige Möglichkeiten für SEO-Optimierungen

Per Zusatzmodul lassen sich jedoch synchronisierte Felder festlegen – etwa für die Bilder, die oft nicht sprachspezifisch sein sollen. Damit deckt Backdrop CMS einen großen Teil der Szenarien ab, die sich bei mehrsprachigen Websites ergeben. Wünschenswert wäre indes noch ein XLIFF-Export für Übersetzungsdienstleister.

SEO-Boosting mit Backdrop CMS

Diese Zeitschrift trägt die Optimierung von Websites im Titel. Je mehr künstliche Intelligenz in SEO steckt, desto wichtiger werden sauber aufbereitete Ausgangsdaten. Mit dem sehr flexiblen Datenmodell in Backdrop CMS lassen sich Inhalte fast beliebig strukturieren und für die Ausgabe mit Meta-Informationen anreichern. Auch das Kategoriensystem kennt kaum Beschränkungen bezüglich der Komplexität. Die Möglichkeit, sogar für einzelne Felder Templates zu definieren, dürfte nicht nur SEO-Spezialisten freuen.

Schwächen von Backdrop CMS

  • Derzeit noch keine Lösung für sehr granulare Benutzerrechte von Gruppen
  • Vergleichsweise kleine Anwenderbasis, hauptsächlich USA und DACH-Region in Europa
  • Wenige produktionsfertige Themes verfügbar
  • Vergleichsweise simple Medienverwaltung
  • Kein Upgrade-Pfad für Entity-Translation-Projekte aus Drupal 7
  • Prozedurale Programmierung und keine Unterstützung moderner PHP-Frameworks

Für weitergehende SEO-Funktionen sind indes Zusatzmodule erforderlich. Die Ansprüche von SEO-Profis deckt das Modul Metatag vermutlich am besten ab. Es erlaubt umfassende Anpassungen des Codes auf Site, Kategorie und Artikel, wobei sich Letztere natürlich individuell übersteuern lassen. Neben Texteingaben unterstützt das Metatag-Modul auch die systemweit verfügbaren Inhaltsvariablen: Die sogenannten Tokens bieten Zugriff auf Hunderte dynamische Werte, etwa [current-page:title] | [node:field-kategorie-neuheiten] für den Seitentitel, gefolgt vom Namen einer benutzerdefinierten Kategorie.

Das Einsatzgebiet von Backdrop CMS

Redakteure und Autoren, die schon Drupal oder WordPress genutzt haben, werden sich in Backdrop CMS schnell zurechtfinden. Zumal seit Version 1.0 Hunderte von Details im Bereich der Benutzeroberfläche verbessert wurden – das Thema Usability genießt beim Entwicklerteam hohe Priorität, bis hin zur besseren Formulierung einzelner Systemnachrichten. Der Schulungsaufwand für Backdrop-CMS-Anwender ist gering.

Andererseits ist Backdrop CMS – wie schon der Name impliziert – eher eine Evolution einer bewährten, zuverlässigen und leistungsstarken CMS-Plattform und weniger eine Basis für das nächste coole Digitalisierungsprojekt. So gibt es Anwender, die Backdrop CMS erst nach Umwegen über aktuelle Headless- und Flat-File-Lösungen für sich entdeckt haben, weil man bei diesen „buchstäblich alles selber entwickeln“ müsse, trotz moderner Frameworks wie Laravel oder Symphony, die diesen Systemen zugrunde liegen.

Seine Stärken kann Backdrop CMS vermutlich im Einsatz bei Agenturen ausspielen, die regelmäßig Websites erstellen, denen jedoch die bekannten Website-Baukästen zu unflexibel sind. Schon das Konfigurationsmanagement Backdrop CMS ist für Agenturen eine Betrachtung wert, da es teilweise massive Produktivitätsverbesserungen ermöglicht. Das Datenmodell unterstützt auch komplexe Informationsarchitekturen.

Gleichzeitig bleiben kleinere Projekte im vierstelligen Euro-Bereich durchaus realisierbar, was etwa mit der aktuellen Drupal-Version kaum noch machbar ist. Ganz einfach, weil sich der Fokus auf andere Einsatzgebiete verändert hat. 

Umgekehrt ist Backdrop CMS nur bedingt geeignet, wenn der Redakteur komplette Kontrolle über sein Layout (und somit auch die Datenstruktur) haben soll, etwa im Stil des Gutenberg-Editors in WordPress. Ebenso wenig Sinn ergibt Backdrop CMS für Agenturen, die sich zunehmend auf komplette Digitalisierungsprojekte statt Websites spezialisieren möchten, hier bleibt die aktuelle Drupal-Version ganz klar die bessere Wahl.

Wer jedoch vor allem klassische Websites erstellt, diesen Prozess effizienter gestalten möchte und zudem großen Wert auf SEO-Optimierungen legt, für den könnte sich ein Blick auf Backdrop CMS sehr lohnen.