Chinesische Website auditieren ohne Sprachkenntnisse?

Kein Problem!

Der chinesische Consumer-Markt ist riesig – sowohl für B2C- als auch für B2B-Unternehmen. Die Motivation, die eigene Website ins Chinesische zu übertragen, ist daher bei vielen Unternehmen groß. Doch Chinesisch ist nicht gleich Chinesisch. Mit großer Wahrscheinlichkeit geht die chinesische Version Ihrer Website nur unzureichend auf die Bedürfnisse von Nutzern in China ein. Dieser Beitrag möchte Ihnen zeigen, wie Sie Ihre eigene chinesische Website beurteilen können, auch wenn Sie nicht die chinesische Sprache beherrschen. Es werden Fragen geklärt wie etwa: Kann die chinesische Suchmaschine Baidu mit der Website umgehen? Wird wirklich die richtige Chinesisch-Version verwendet?

Die Entscheidung ist getroffen: Die Website soll neben Deutsch und Englisch nun auch ins Chinesische übersetzt werden. Sie sind für das Projekt zuständig und beauftragen eine Agentur, die Website professionell zu übersetzen. Während Ihnen die Qualitätskontrolle bei der englischen Übersetzung noch gelingen konnte, fehlen Ihnen allerdings jegliche Kompetenzen bei der chinesischen Sprache? In Ihrem Unternehmen finden sich keine chinesischen Muttersprachler, die diese Aufgabe übernehmen könnten?

Oder Sie sind selbst Agentur-SEO und Ihr Kunde bittet Sie, die Website grob auf die Tauglichkeit für den chinesischen Markt zu prüfen? Sie werden wahrscheinlich nicht darum herumkommen, sich chinesische Partner zu suchen, denen Sie voll und ganz vertrauen. Aber die ersten Überprüfungen können Sie auch ohne fließende Chinesisch-Kenntnisse durchaus selbst durchführen.

Chinesisch, Englisch oder Chinglish?

Die Welt spricht Englisch, scheinen viele Unternehmen zu glauben, und „internationalisieren“ ihre Internetpräsenz, indem ihre Websites für Spanien, Frankreich, Korea, Japan, aber auch China in Englisch bespielt werden. Das funktioniert schon im Online-Marketing für Europa nicht sehr gut. In China ist diese Strategie allerdings noch weniger geeignet. Während in Deutschland die englische Sprache gut verstanden wird, ist das in China nicht der Fall. Der sogenannte EF English Proficiency Index zeigt das sehr deutlich: Deutschland liegt im Ranking der Länder und Regionen nach ihren Englischkenntnissen auf Platz 8, China nur auf Platz 38. Selbst die ehemalige englische Kolonie Hongkong rangiert auf einem mittelmäßigen Rang 33.

Der fehlenden Englischkenntnisse ist man sich auch beim Suchmaschinengiganten Baidu bewusst. Zwar indexiert die Suchmaschine durchaus fremdsprachige Websites und rankt diese für entsprechende Suchbegriffe. Aber die Algorithmen verstehen sehr gut, was chinesische Nutzer, welche chinesische Suchbegriffe verwenden, erwarten.

Chinesische SEOs empfehlen daher, eine Website ausschließlich mit chinesischem Content zu bespielen, wenn sie in Baidu ranken soll. Das heißt, dass alle Inhalte ins Chinesische übertragen werden sollten – akzeptable Ausnahmen sind lediglich Eigennamen und Produktbezeichnungen (z. B. iPhone).

Nicht nur einzelne Landingpages, sondern alle Seiten einer chinesischen Website sollten auf Chinesisch sein – inklusive der Navigation.

Welches Chinesisch?

Das eine „Chinesisch“ gibt es nicht. Tatsächlich gibt es Dutzende Dialekte, die in der chinesischsprachigen Welt gesprochen werden. Sie lesen richtig: Die chinesischsprachige Welt ist nicht gleichbedeutend mit China. Die wichtigsten Länder mit aktuell chinesischer Amtssprache sind die Volksrepublik China, Hongkong (autonomes Gebiet der VR China), Taiwan und Singapur.

Land

Bevölkerung

Amtssprache

Chinesisches Schriftsystem

VR China

1,4 Milliarden

Mandarin

Kurzzeichen

Hongkong

7,5 Millionen

Kantonesisch

Langzeichen

Taiwan

23,5 Millionen

Mandarin

Langzeichen

Singapur

5,7 Millionen

Englisch, Mandarin, Malaiisch, Tamil

Kurzzeichen

Tabelle 1: Bevölkerungsgröße, Amtssprache und Schriftsystem der chinesischsprachigen Länder

In jedem dieser Länder gibt es Unterschiede in der Sprache, und so muss zunächst einmal definiert werden, für welches Land die Optimierung stattfinden soll. Da die VR China der größtmögliche Absatzmarkt in der chinesischsprachigen Welt ist und starkes Wachstumspotenzial hat, konzentriert sich dieser Artikel auf China als Zielmarkt.

Unterschiede in den chinesischen Schriftsystemen

In China wird Mandarin, also Hochchinesisch, gesprochen und in sogenannten Kurzzeichen (Simplified Chinese Characters) geschrieben. Kurzzeichen sind die vereinfachte Form der traditionellen Langzeichen (Traditional Chinese Characters). Die Regierung der Volksrepublik China hat ab den 1950er-Jahren die Vereinfachung vieler komplexerer Schriftzeichen angestrebt, um es der Bevölkerung zu erleichtern, Lesen und Schreiben zu lernen. Nicht alle Schriftzeichen wurden in diesem Prozess der Vereinfachung unterzogen, sodass man leider nicht auf den ersten Blick die Lang- von den Kurzzeichen unterscheiden kann. Aber es gibt eine ausreichend hohe Anzahl an Unterschieden, die auch Sie für eine schnelle Prüfung einsetzen können.

Info

Die chinesischsprachigen Regionen unterscheiden sich nicht nur durch unterschiedliche Schriftsysteme, sondern auch durch eine eigene kulturelle Entwicklung und damit eine andere Entwicklung der modernen Sprache. Daher sollte Content- und Keyword-Prüfung unbedingt von einem Muttersprachler aus der Ziel-Region durchgeführt werden.

Drei einfache Schriftzeichen

Im Folgenden finden Sie eine Übersicht einiger der am einfachsten zu erkennenden eindeutigen Kurzzeichen und ihrer Langzeichen-Gegenstücke. Ein chinesischer Text enthält in der Regel nur eine der beiden Formen. Haben Sie also bereits ein Zeichen als traditionell (lang) oder vereinfacht (kurz) identifiziert, finden Sie wahrscheinlich weitere derselben Form. So lässt sich der entsprechende Text als „optimiert“ für die VR China oder für Taiwan oder Hongkong einstufen.

Einige werden nun einwenden, dass es doch auch ein Text für eine singapurische Website sein könnte, doch die für Amtsangelegenheiten und für viele Websites eingesetzte Sprache in Singapur ist Englisch. Abgesehen davon wird in Singapur (offiziell) der Chinesisch-Dialekt Mandarin gesprochen. Damit ist der sprachliche Unterschied zwischen den Texten für China oder für Singapur in etwa so hoch wie der zwischen Deutschland und Österreich – vorhanden, aber für die Suchmaschine nahezu zu vernachlässigen.

Die folgenden drei Grundformen für chinesische Schriftzeichen (man nennt sie auch „Radikale“) versinnbildlichen einen Vogel (鳥,鸟), ein Pferd (馬,马) und eine Tür, Tor oder Zugang (門, 门).

Info

Die Zahl der unterschiedlichen Schriftzeichen in „Simplified“ und „Traditional“ ist sehr viel größer als nur diese drei. Aber diese drei Schriftzeichen lassen sich für Nicht-Chinesen am leichtesten in der Flut von Schriftzeichen in einem Text erkennen.

Genauer ist der Blick auf die Schriftzeichen als Ganzes. Zugegeben: Ohne tiefere Beschäftigung mit der Sprache ist das nicht so einfach. Aber Menschen sind gut darin, Bilder in Formen zu identifizieren und wiederzuerkennen. Macht man sich dies zunutze, findet man die Bilder von Pferd, Tür und Vogel relativ schnell und hat damit eindeutige Hinweise. In der Abbildung sehen Sie dieselben Schriftzeichen noch einmal illustriert – sowohl die traditionelle Lang- als auch die vereinfachte Kurzform.

Dennoch wird man sehr genau hinsehen und mehrere Textabschnitte durchsuchen müssen, um auf der Basis dieser drei unterschiedlichen Kurz- und Langzeichen-Grundformen einen Content potenziell China oder Hongkong/Taiwan zuzuordnen. Mit weitreichenderen Lesefähigkeiten, also dem Erkennen vieler weiterer der vereinfachten bzw. traditionellen Schriftzeichen, fällt dies viel leichter, aber es ist bei ausreichend Text-Content und Konzentration bereits mit diesen drei einfachen Schriftzeichen (und den Varianten, die sich von ihnen ableiten) möglich.

Werden Langzeichen gefunden, sind berechtigte Zweifel angesagt, ob die vorliegenden Inhalte wirklich für eine chinesische Website geeignet sind, die die Volksrepublik China als Zielmarkt hat.

Die Welt ist Social

Nicht nur für die Deutschen sind die verschiedenen Social-Media-Websites und -Apps wichtige Kommunikations-, Entertainment- und Informationskanäle. In China nutzten die Menschen im Jahr 2019 Social Media im Schnitt 132 Minuten täglich – im Gegensatz zu 79 Minuten in Deutschland. Umso wichtiger ist es für Unternehmen, die in China erfolgreich werden möchten, auch die sozialen Kanäle sinnvoll zu bespielen. 

Mit einer wirkungsvollen Social-Media-Strategie macht man nicht nur neue Besucher auf die eigene Brand aufmerksam, sondern informiert und entertaint auch Menschen, die bereits mit der Marke vertraut sind.

Für die Website bedeutet dies, die Besucher über die Social-Media-Kanäle zu informieren, auf denen man aktiv ist. Viele Unternehmen tun das bereits mit den Logos der Netzwerke im Footerbereich und mit Links zu Facebook, Twitter und Co.

In China allerdings sind viele der im Westen beliebten sozialen Netzwerke blockiert. Finden sich auf einer chinesischen Website Links zu diesen blockierten Netzwerken, bedeutet dies vor allem Frustration für den User. Zwar führen diese Links nach der aktuellsten Baidu-Ranking-Faktoren-Korrelations-Studie (www.searchmetrics.com/de/knowledge-hub/studien/baidu-ranking-faktoren-korrelations-studie/) nicht zwangsläufig zu einem Ausschluss aus den Top-10-Rankings, wohl aber zu einer negativen Erfahrung für den Nutzer, der hoffnungsvoll auf diese Links klickt.

In China entwickelte sich an den westlichen Social-Media-Kanälen vorbei ein vollkommen autarkes Internetuniversum – inklusive sozialer Netzwerke. Es gibt Dutzende erfolgreiche Social Apps und es werden jährlich mehr. Bei deutschen Online-Marketern bekannt sind vor allem:

  • Wechat (chinesisch: Weixin)
  • QQ
  • Sina Weibo
  • TikTok (chinesisch: Douyin)

Info

Tatsächlich hat die 2020er Baidu-Ranking-Faktoren-Studie herausgefunden, dass fast jede in den Top 10 rankenden URL auf mindestens ein chinesisches soziales Netzwerk (wie QQ, Wechat oder Sina Weibo) verweist.

Westliche Online-Marketer sollten daher unbedingt darauf achten, ob das Unternehmen dieser Besonderheit in China Rechnung trägt: Verzichtet die Seite auf Icons und Links zu westlichen Social Media und verweist stattdessen auf die vom chinesischen Social-Marketing-Team genutzten Kanäle?

Mobile First

Online-Marketing in China zu betreiben, bedeutet, eine Mobile-First-Welt zu betreten. Laut gs-statcounter.com liegt die Nutzung des mobilen Internets bei rund 60 %. Eine Website, die heute in China bestehen soll, muss daher mobile-ready sein. Baidu empfiehlt, eine responsive Website einzusetzen.

Fun-Fact

Viele chinesische Websites verfügen derzeit immer noch über eine separate mobile statt über eine einzige responsive Website.

Für westliche Marketer ohne Chinesisch-Kenntnisse bieten die von Google angebotenen Tools (Google Search Console, Google Lighthouse, Google Mobile Friendly Test) alle nötigen Möglichkeiten, die Mobile Readiness zu testen bzw. zu optimieren.

Pagespeed

In einer Welt, die zu einem großen Teil mit mobilen Endgeräten online ist, bedeutet Seitengeschwindigkeit alles. Doch diese von Deutschland aus für eine chinesische Website zu beurteilen, ist nicht so einfach.

Eine in Europa gehostete Website ist in der Regel in China deutlich langsamer als eine Website, die auf zuverlässigen Servern innerhalb Chinas liegt.

Das hat mehrere Gründe.

  1. Die geografische Entfernung der beiden Kontinente verlangsamt die Geschwindigkeit.
  2. Die „Great Chinese Firewall“: Alle Inhalte, die aus dem Ausland in China angefordert werden, werden zunächst von staatlichen Instrumenten, umgangssprachlich die „Great Chinese Firewall“, auf in China illegale Inhalte (z. B. Pornografie) überprüft. Dies führt zu zusätzlichen Geschwindigkeitseinbußen.

Alternative: Möchte man seine Website in China hosten, braucht man übrigens die ICP-Lizenz (Internet Content Provider Lizenz). Für deren Verleihung verpflichtet man sich, nur Inhalte zu veröffentlichen, die nach den Gesetzen der Volksrepublik China zulässig sind.

Werden von den Behörden auf einer ausländischen Domain, IP oder IP-Range vermehrt unpassende Inhalte gefunden, so kann dies zu einer grundsätzlichen Blockade der Quelle in China führen. So sind beispielsweise, wie oben erwähnt, viele westliche Social-Media-Websites blockiert. Ein weiterer guter Grund für einen Server in China.

Um zu testen, ob eine Website in China zugänglich ist, eignet sich z. B. das Tool viewdns.info/chinesefirewall/.

Ist ein Server (oder CDN mit Servern) in China keine Option, so ist die bestmögliche Alternative ein Server in der Nähe der VR China: Hongkong, Südkorea, Taiwan oder Japan.

Um die Geschwindigkeit einer Website in China zu testen, eignet sich z. B. das Tool www.chinafy.com/tools/global-speed-test.

Der bewährte Service ce.cloud.360.cn ist eine Weile schon nicht mehr erreichbar – aber vielleicht ändert sich das noch einmal, daher sei er hier erwähnt.

JavaScript

Anders als Google führt Baidu (noch) kein JavaScript aus. Daher sollte auf jeden Fall überprüft werden, ob alle wichtigen Text-Inhalte auch ohne JavaScript im Quelltext der Seite zu finden sind (und bestenfalls auch gerendert werden).

Fazit

Insgesamt ist SEO für China und damit SEO für Baidu nicht grundsätzlich anders als SEO für jedes andere Land. Es gilt allerdings zu beachten, dass Baidu technisch noch nicht so weit ist wie Google. Außerdem sind die „Great Chinese Firewall“ und damit die Geschwindigkeitseinbußen und das Risiko, blockiert zu werden, zu beachten. Wer systematisch Schritt für Schritt alle notwendigen Punkte – technisch und formal – überprüft, wird ein erstes SEO-Audit auch ohne Sprachkenntnisse durchführen können.

Um mit einer Website allerdings wirklich erfolgreich in China und in der Suchmaschine Baidu zu sein, ist es absolut notwendig, dass Keyword-Recherche, -Strategie, -Mapping und Content von muttersprachlichen SEOs (aus China – nicht Taiwan, Hongkong oder Singapur) durchgeführt und/oder überprüft werden.