Gibt es das perfekte Bild fürs Web?

Sarah Weitnauer
Sarah Weitnauer

Die Psychologin Sarah Weitnauer befasst sich seit über zehn Jahren mit Psychologie und Online-Marketing, war SEO-Managerin in einer Agentur und führt seit diesem Jahr ihre Agentur PSYKETING. Hier berät sie Kunden zu Synergieeffekten von Marketing und Psychologie unter Berücksichtigung von SEO.

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Ja, wenn es kontextabhängig eingesetzt wird, sagt die Psychologin Sarah Weitnauer. Bilder für verschiedene Kontexte unterscheiden sich wie Schneeflocken; sie sind trotz ihres ähnlichen Aufbaus einzigartig. Bilder lösen in Menschen immer etwas aus, und sei es Langeweile. Um den optimalen visuellen Reiz für einen bestimmten Zusammenhang zu finden und ihn dann einzigartig und erinnerbar zu gestalten, gibt es zahlreiche Optionen. Einige stellt sie Ihnen in diesem Beitrag vor.

Bilder werden im Gegensatz zur Sprache, die erst codiert bzw. decodiert werden muss, sehr schnell wahrgenommen. Selbst einzelne Worte werden nicht direkt rezipiert, sondern in mentale Bilder umgewandelt.

Bilder sind die Sprachrohre der Emotion. Das Gehirn verarbeitet visuelle Informationen um ein Zigtausendfaches schneller als Text. Das menschliche Gehirn merkt sich Bilder wesentlich besser, deswegen sind Bilder so wichtig.

Haloeffekt

Ist ein Wahrnehmungsfehler beziehungsweise eine unbewusste Störung unserer Urteilskraft, bei der einzelne Eigenschaften (Attraktivität, Unausgewogenheit) einer Sache so dominant auf uns wirken, dass sie einen verzerrten Gesamteindruck erzeugen.

Bilder begegnen uns jeden Tag, in Filmen, auf Plakaten, auf WhatsApp und natürlich auch auf Webseiten. Sie machen etwas mit uns. Sie können uns Ideen oder Wünsche einimpfen einfach dadurch, dass sie da sind und gesehen werden. Im Kontext von Webseiten gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit Bildern hervorzustechen. Zum einen kann man über die Bildwirkung mit positiven oder negativen Emotionen stärker in Erinnerung bleiben, zum anderen durch spezielle Aufnahmetechniken glänzen.

Was ist mit Bildwirkung gemeint?

Bildwirkung bedeutet, dass das Bild bei Kunden eine Veränderung seiner Stimmung oder Vorstellungen auslöst. Das kann unter anderem Folgendes sein:

  1. Eine Emotion, die vorher nicht da war
  2. Eine Erinnerung
  3. Einen Wunsch entstehen lassen
  4. Den Blick lenken
  5. Implizite Attributionen zum Produkt auslösen

Bleibt das Produkt gleich, während sich nur der Bildhintergrund ändert, wird es schon anders wahrgenommen, weil es emotional anders bewertet wird.

Bilder können anregend, aufregend oder einfach nur langweilig sein. Wirkungen entstehen immer zwischen Bildern und Betrachtern, egal ob es sie langweilt oder zum Kaufen animiert. Das ist wie bei klassischer Kommunikation, bei der eigene Erfahrungen und Informationen dazu addiert werden, damit die Botschaft verstanden werden kann. Zum Beispiel im Kontext Restaurant: Hier ist auf die Frage des Kellners „Wer ist der Schweinebraten?“ die Antwort „Ich bin der Schweinebraten!“ absolut logisch und auch für andere Gäste in diesem Zusammenhang decodierbar und wird nicht als Beschimpfung verstanden. Der Zusammenhang entsteht allein aus der aktuellen Information der Situation. Ein Bild an sich hat erst mal keine Bedeutung. Diese wird erst durch die Interpretation geschaffen. Es geht um den Zwischenraum, der mit eigenen Erfahrungen gefüllt werden kann.

Wie schnell wird ein Bild erkannt?

  • 1/100 Sekunden reichen, um das Thema zu erkennen
  • Low Involvement ist ausreichend (wenig Sachbezug bzw. Interesse vorhanden)
  • Texterkennung ist sehr viel langsamer: Nur 4-6 Wörter pro Sekunde!

Bild/Situation + eigene Erfahrung = individuelle Interpretation/Bedeutung

Die individuellen Erfahrungen typischer Emotionen wie Freude, Überraschung oder Trauer sind über alle Menschen hinweg sehr ähnlich. Insbesondere innerhalb eines bestimmten Kulturkreises lösen Bilder nahezu identische Erinnerungen, Assoziationen und damit vorhersagbare Emotionen aus. Plakativ kann hier an den Fall der Mauer oder 9/11 erinnert werden. Mit einem Bild kann oft eine ganze Geschichte erzählt werden, weil innerhalb einer Kultur bestimmtes Hintergrundwissen vorhanden ist.

Das kann von Webmastern genutzt werden, um die Seite entsprechend, d. h. zielgruppenadäquat, zu gestalten. Online-Shops, die zusätzlich andere Kulturkreise erschließen wollen, sollten daher nicht nur die Sprache verändern, sondern auch die Bildsprache anpassen.

Worauf sollte bei Bildern auf Webseiten geachtet werden?

Gezielt Schemata öffnen, die zum Produkt passen. Damit ist gemeint, mit spezifischen Bildern den Spirit der Seite rüberzubringen.

Jetzt stellt sich die Frage: Sind schöne und glatte Bilder ausreichend? Nein. Für Websitefotos sind psychologische Stärke und emotionales Schema relevant, sonst fällt das Triggern eigener Ideen und Erfahrungen zu gering aus.

Emotionales Schema

Emotionale Schemata werden nicht nur durch Bilder bedient, sondern auch durch Schriftbild, Design und Text. Dazu einige Beispiele:

Die optimale Website eines Discounters unterscheidet sich in vielen Hinsichten von der eines Delikatessenladens. Die Produktpräsentation wird im Discounter üblicherweise mit wenig Emotionstext und mit schreienden Rabattzeichen, gerne in den Farben rot und gelb, deklariert, während der Delikatessenladen bewusst auf eine höhere Emotionalisierung seiner Produkte achtet, Preisnachlässe oft gänzlich fehlen und die Begleittexte an kleine Romane erinnern, die die Leser auf eine kulinarische Reise entführen. Die auf weißem Grund freigestellten Produkte des Discounters würden auf dieser Seite grell herausstechen, während die ästhetisch inmitten von Natur arrangierten Lebensmittel sich formvollendet einfügen. Unterschwellig wird auch über die Typografie kommuniziert.

Jeder Leser wird zu diesen beiden Liebesbekundungen, Abbildung 1 und Abbildung 2, gänzlich unterschiedliche Bilder im Kopf erhalten. Diese Ideen und Assoziationen sind ebenfalls Teil des vermittelten emotionalen Schemas. Auch das Schriftbild, also die reine Schriftart, unabhängig vom Inhalt, transportiert bestimmte Emotionen und Erwartungen. Die Art und Weise, wie eine Schriftart bestimmte Reize mitschwingen lässt, hilft dem Leser, Nuancen des Gesamtauftritts besser einzuordnen. So wirkt eine Schrift wie aus dem Horrorfilm ganz anders als Kalligrafie.

Schriftbilder öffnen wie Bilder ebenfalls Schemata in den Köpfen der Kunden und damit verbundene Erwartungshaltungen und Interpretationen. Die Webseite wird sozusagen in eine bestimmte Schublade gesteckt. Günstig oder hochpreisig, vertrauenswürdig oder unglaubwürdig. Bilder und Fotos können über den Haloeffekt (siehe Info-Box) die Wirkung einer ganzen Seite beeinflussen. Rechtschreibfehler oder formale Fehltritte, schlechte Fotografie und Bildbearbeitung, z. B. auf Hotelwebseiten, können sich dann unbewusst auf das Hotel übertragen. So kann ein Individuum annehmen, es würde dort nicht regelmäßig geputzt etc.

Ebenso sprechen auch Diagramme mit dem Betrachter (Abbildung 3 und Abbildung 4). Wird ein von Hand gezeichnetes Kuchendiagram gezeigt, so schwingt eine Aura von „da kann sich noch was ändern“ und „das ist nicht fixiert“ mit, während Betrachter bei einem klassischen Excel-Diagramm das Gezeigte eher für „in Stein gemeißelt“ halten. Je nach Einsatz und Zielwunsch kann beides die Bedeutung des Gesamtkontextes unterstreichen bzw. torpedieren.

Zur Austauschbarkeit von Bildagentur-Fotos

Weil Bilder schnell erkannt werden und auch noch gut gemerkt werden können, kann die Verwendung gekaufter Fotos aus bekannten Bildagenturen problematisch sein. Nicht nur, weil die Suchmaschinen es als wiederholt auftretendes Bild erkennen, sondern auch, weil der Kontext, in dem dieses Bild schon einmal gesehen wurde, sich negativ auf die eigenen Inhalte auswirken kann. Beispielsweise kann ein Foto, das bereits auf einer radikalen Seite verwendet wurde, bei wiederholter Nutzung negative Assoziationen beim Webseitenbesucher auslösen. Des Weiteren kann ein bereits einmal auf der eigenen Seite verwendetes Bild dazu führen, dass der Leser aufgrund dessen Bekanntheit den Artikel nicht mehr liest, in der fälschlichen Annahme, ihn bereits einmal gelesen zu haben.

Wie verringert Austauschbarkeit die Werbewirkung?

  • Setzt Gedächtnisleistung für ein Bild herab
  • Erschwert Zuordnung zur Marke
  • Verringert Abgrenzung zur Konkurrenz

Die magische Wirkung von Bildern ist die nonverbale Kommunikation

Es geht auf Bildern – ebenso wie beim Gesamteindruck einer Website – nicht darum, allzu offensichtlich mit dem Betrachter zu kommunizieren.

Ein übertriebenes Szenario für eine Werbeanzeige für Kaffee:

Ein Pärchen steht in einer von der Morgensonne freundlich durchfluteten Design-Küche. Beide schauen sich, während sie ihre weißen Design-Kaffeetassen halten, tief in die Augen und lächeln versonnen und glücklich über ihr wunderbares Leben in der perfekten Beziehung.

Kaum einer wird überzeugt davon sein, diese eine Sorte Kaffee würde wirklich die Paarbeziehung verbessern. Dennoch kommunizieren Bilder wie diese über die Regeln der Symbolik emotionale Trigger, die dem Produkt die entsprechenden Emotionen wirkungsvoll zuweisen.

Können Bilder Text vollständig ersetzen?

Ja. Allerdings nur dann, wenn das Bild eine Textpassage ersetzen kann; dann ist es sogar sinnvoll, den Text durch ein Bild zu ersetzen. Will man Abstraktes kommunizieren, wie zum Beispiel Freiheit, Demokratie und Werte, sollte auf Text nicht verzichtet werden, denn da gibt es zu viele Streueffekte.

Wenn bei der Zielgruppe genug Hintergrundformationen vorhanden sind, sodass das Bild die gewünschte Assoziation auslöst, ist es möglich, den Text durch ein Bild zu ersetzen. Gibt es Zweifel an der Homogenität der Hintergrundinformation innerhalb der Zielgruppe, sollte auf ein solches Bild verzichtet werden, um Fehlinterpretationen beim Betrachter vorzubeugen. Ein Bild der Freiheitsstatue löst bei manchen die Assoziation Freiheit und bei anderen die Assoziation USA aus (Abbildung 5).

Was assoziieren Betrachter?

Viele Gebrauchsanweisungen bedienen sich nur der Bildsprache, gänzlich ohne Text. Bekannte Beispiele hierfür sind Aufbauanleitungen von IKEA oder aus Überraschungseiern.
Übertragen auf eine Hotelwebseite würde das bedeuten, dass der Außenpool mit Blick auf die imposante Bergkulisse nicht extra erwähnt werden muss, wenn er auf der Webseite an geeigneter Stelle bildlich platziert wird.

Welche Tricks lassen Bilder auffallen?

Sex und Kindchenschema

Erotische Aufnahmen ziehen ebenso wie Kleinkinder mit Kulleraugen und Stupsnase zwar immer Blicke an, aber sie sind austauschbar. Und jeder nutzt es. Für Individualität gibt es entsprechend dem Kontext bessere Bildoptionen (Abbildung 6).

Bildbenennung

Die Beschriftung von Bildern verstärkt in der Regel auch die Erinnerungen an das Bild. Sie führt einen gedanklichen Kontext ein und schafft neuartige Assoziationen, die sich im Gedächtnis verankern. Wenn ein Bild einen Namen hat, wird es leichter erinnert und verstanden, vergleiche hierzu das Foto der kleinen Schildkröte (Abbildung 7).

Titel A: Chef über Arbeitsmoral: So arbeitet die Konkurrenz

Titel B: Werbung für Australien: Inselhopping im Naturreservat

Titel C: Naturschutzorganisation: Plastik tötet Schildkröten

Da das Bild mit der Babyschildkröte außer dem Kindchenschema keine Besonderheiten aufweist, die auf den Kontext schließen lassen (sog. schwaches Bild), kann es wie anhand der oberen drei Beispiele mehreren Kontexten zugeordnet werden. Ein starkes Bild, wie der Mann beim Yoga in Abbildung 8, lässt sich hingegen in der Regel nicht so leicht in verschiedene Kontexte bringen.

Framing

Bei der Gestaltung von Webseiten ist es wichtig zu wissen, dass ein Großteil der visuellen Bedeutung dem Objekt durch einen Rahmen gegeben wird, weil dieser den Blick auf das Wesentliche lenkt. Die Bildausschnitte sind dadurch zwar kleiner, aber der Blick wird direkt zum relevanten Kern gelenkt (Abbildung 9 und Abbildung 10).

Auf Webseiten können Hintergründe auch Emotionen transportieren. In Abbildung 11 wird hier die Andeutung einer Weidewirtschaft in der Peripherie genutzt, die über die gesamte Produktpalette der Metzgerei ausstrahlt.

Wie löst ein Bild positive Emotionen aus? Fröhliche bunte Farben oder schwarz-weiß?

Durch monochrome Aufnahmen, Abbildung 12, kann die Bildaussage unterstützt werden. Vor allem bei Personenaufnahmen können so die Gesichtszüge hervorgehoben werden und wirken dadurch ausdrucksstärker.

Bei anderen Bildern wiederum geht die komplette Aussage verloren, siehe im Vergleich Abbildung 13 und Abbildung 14.

Der Kontext zählt! Bunte Essensfotografien für Restaurants werden sehr positiv aufgenommen. Eine knallbunte Versicherungswerbung wiederum würde einen falschen Kontext erwecken. Im europäischen Raum wird die Farbe Blau mit Vertrauen assoziiert und daher oft von Versicherungen und Banken genutzt. Busfahrer und Polizisten nutzen wohl auch aus diesem Grund die blauen Uniformen.

Kultur und Farben sind einige globale Aspekte von Bildern, aber auch ganz kleine Dinge können beim Betrachter unerwartet große Unterschiede machen und einen Effekt auf die Wahrnehmung auslösen.

Der Belladonna-Effekt

Zeigt man zwei Fotos derselben Person, nur dass bei einem Foto die Pupillen vergrößert sind, finden Betrachter das Foto mit den erweiterten Pupillen attraktiver. Eine erweiterte Pupille zeigt eine Erregung, im Fall von Bildern ist das als Interesse zu werten.
Ob im Autohaus oder auf dem Flohmarkt – ein geübter Verkäufer erkennt hieran das Interesse eines Käufers und weiß, dass er einen höheren Preis verlangen kann. Für die getrimmten Aufnahmen, die die höchste Aufmerksamkeit erzielen, sind mittlerweile entsprechende Filter in zahlreichen Apps verfügbar.

Original statt Spiegelung

Spiegelungen statt Originale führen beim Betrachter zu Irritationen aufgrund stärkerer Familiarität. Spiegelungen von bekannten Personen oder Bauwerken sollten vermieden werden, weil sie aufgrund ihrer Andersartigkeit nicht so positiv wirken wie das Original (siehe Abbildungen 15 bis 18).

Das perfekte Bild ist immer vom Kontext abhängig. Mit den oben genannten Tricks und Kniffen wird es auffälliger, eindringlicher und positiver wahrgenommen. Es löst starke Emotionen aus, ist leichter zu decodieren, neuartiger und einprägsamer.
Überprüfen lassen sich diese Effekte, indem die Produktfotos einem A/B-Test unterzogen werden. Für die Auswahl bzw. Erstellung der Produktfotos ist psychologisches Fachwissen sehr nützlich, weil dadurch die Anzahl potenzieller Fotos objektiv limitiert und der Testaufwand relevant reduziert wird.

Fazit: Augen auf!

Jedes Bild ist wie ein Fenster, mit dem man einen Blick in eine fremde Welt werfen kann. Die damit verbundenen Assoziationen und Emotionen sind es, worauf es im Marketing ankommt. Auch wenn hier nur einige Beispiele ausgewählt wurden, gilt immer: Die Wirkung beim Betrachter wird umso intensiver ausfallen, je mehr Gedanken und Fachwissen in ein Bild investiert wurden.

Und zum Schluss noch die Auflösung zur Bilderfrage: Die Abbildungen 15 und 18 waren die Originale, die beiden anderen wurden gespiegelt.