Das neue Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse und seine Auswirkungen auf den Online-Bereich

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Über die Vor- und Nachteile des neuen Leistungsschutzrechts wurde in den letzten Monaten kontrovers diskutiert. Die Publikationen zeichneten sich häufig durch eine stark subjektive Interpretation aus, d. h. zum erheblichen Teil stark von der Interessenlage des jeweiligen Autors abhängig.

Dieser Artikel versucht hingegen, die objektive Rechtslage zu beleuchten und dem Leser aufzuzeigen, was sich nun durch das neue Leistungsschutzrecht tatsächlich ändert und ob und welche neuen Gefahren für Webmaster bestehen.

A. Die Sachlage:

1. Wortlaut

Der neue § 87 f Abs. 1 S. 1 UrhG lautet:

„Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte.“

Ursprünglich hatte der Gesetzestext eine andere Fassung. Es fehlte der letzte Halbsatz, der mit „es sei denn …“ beginnt. Diese Einschränkung kam in letzter Sekunde durch die Beratung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zustande.

2. Was ist überhaupt ein Leistungsschutzrecht?

Wie der Name schon sagt, handelt es sich beim Leistungsschutzrecht nicht um ein Urheberrecht wie es z. B. dem Autor eines Buches, dem Maler eines Bildes oder dem Musiker eines Liedes zusteht. Voraussetzung ist keine kreative Leistung, sondern geschützt werden soll vielmehr die jeweils vorgenommene finanzielle Investition.

Das deutsche Urheberrecht kennt eine Vielzahl solcher Leistungsschutzrechte, z. B.:

  • Schutz des Herstellers von Tonträgern (§ 85 f. UrhG)
  • Schutz von Datenbanken (§ 87 a ff. UrhG)
  • Schutz des Filmherstellers (§ 88 ff. UrhG)

Das Gesetz schützt solche Werke, weil es davon ausgeht, dass für die Veröffentlichung erhebliche finanzielle Leistungen notwendig sind. Kein Unternehmen würde ansonsten derartige monetäre Aufwendungen vornehmen, wenn die Handlungen nicht rechtlich geschützt wären. Andernfalls könnte ein Nachahmer nämlich sofort die Inhalte übernehmen, ohne dass für ihn irgendwelche Kosten anfielen.

Diese Absicht verfolgt die Neuregelung auch beim Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Die Verlage, so die Gesetzesbegründung, würden erhebliche finanzielle Aufwendungen tätigen. Um diese zu schützen, sei es notwendig, das neue Leistungsschutzrecht einzuführen.

3. Begrenzung auf publizierte Presseerzeugnisse

Geschützt sind vom neuen Leistungsschutzrecht nur publizierte Presseerzeugnisse.

Dabei kommt es nicht darauf an, auf welche Art und Weise die Veröffentlichung erfolgte, also ob das Presseerzeugnis offline, in elektronischer Form oder kombiniert offline und online publiziert wurde.

Geschützt sind lediglich Presseerzeugnisse. Der neue Paragraf definiert selbst, was hierunter zu verstehen ist (§ 87 f Abs. 2 UrhG):

„Ein Presseerzeugnis ist die redaktionell-technische Festlegung journalistischer Beiträge im Rahmen einer unter einem Titel auf beliebigen Trägern periodisch veröffentlichten Sammlung, die bei Würdigung der Gesamtumstände als überwiegend verlagstypisch anzusehen ist und die nicht überwiegend der Eigenwerbung dient. Journalistische Beiträge sind insbesondere Artikel und Abbildungen, die der Informationsvermittlung, Meinungsbildung oder Unterhaltung dienen.“

Die Neuregelung ist somit sehr weitgehend und hat daher einen großen Anwendungsbereich. Erforderlich ist nur, dass der Artikel Teil einer Sammlung journalistischer Beiträge ist, die nicht einmalig, sondern fortlaufend unter einem Titel erscheinen. Notwendig sind eine redaktionelle Auswahl und ein regelmäßiges Erscheinen der journalistischen Beiträge.

Bloße Nachrichtenzusammenstellungen sollen hingegen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht hierunter fallen. Absolut unklar ist dabei, wo genau die Grenze zwischen journalistischem Beitrag und einer bloßen Nachrichtenaufbereitung verläuft oder nach welchen Kriterien die Abgrenzung erfolgen soll.

Ebenso ausgenommen sein sollen nach der Gesetzesbegründung Beiträge, die überwiegend der Eigenwerbung dienen, wie Publikationen zur Kundenbindung bzw. Neukundengewinnung. Auch hier ist eine klare, nachvollziehbare Abgrenzung nicht möglich.

Die Verwirrung wird noch größer dadurch, dass die Gesetzesbegründung ausdrücklich erklärt, auch Beiträge in Internet-Blogs könnten leistungsschutzrechtlich geschützt sein. Erforderlich sei hierfür nur, dass eine redaktionelle Sammlung erfolge.

In der Mehrzahl der Fälle dient die Veröffentlichung in den Blogs jedoch unzweifelhaft auch zugleich der Eigenwerbung und einer möglichen Neukundengewinnung. Was gilt in diesen Fällen nun? Ist es leistungsschutzrechtlich geschütztes Presseerzeugnis oder nur ein ungeschützter Artikel? Eine klare und überzeugende Antwort sucht man vergeblich.

4. Zeitliche Schutzdauer

Geschützt ist das Presseerzeugnis nur ein Jahr nach seiner Veröffentlichung. Danach erlischt das Leistungsschutzrecht (§ 87 g Abs. 2 UrhG).

Hierbei ist jedoch zu beachten, dass das Gesetz nicht an die erstmalige Veröffentlichung eines Artikels anknüpft, sondern an die Publikation generell. Ein Schutz besteht somit auch dann, wenn ein bereits veröffentlichter Artikel noch einmal publiziert wird.

Beispiel:
Verlag X publiziert im Juli 2013 den Artikel „SEO leicht gemacht für jedermann“. Bis Ende Juli 2014 steht somit der Artikel unter dem Schutz des Leistungsschutzrechtes. Im März 2015 veröffentlicht der Verlag den Artikel erneut, diesmal in einem anderen Magazin. Der einjährige Schutz beginnt durch die Neupublikation erneut.

B. Die Rechtslage:

Welche praktischen Auswirkungen ergeben sich nun für den Online-Bereich durch das neue Leistungsschutzrecht?

1. Verlinkung

Nach Meinung des Gesetzentwurfs wird das neue Leistungsschutzrecht durch eine bloße Verlinkung nicht verletzt. So heißt es in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich:

„So wird eine bloße Verlinkung von dem Leistungsschutzrecht nicht erfasst und bleibt weiterhin zulässig. Der Bundesgerichtshof hat schon im Jahre 2003 entschieden (Urteil vom 17.07.2003, Az. I ZR 259/00 – ‚Paperboy‘), dass durch das Setzen eines Links (…) nicht in das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung des Werkes eingegriffen wird. Dies gilt ebenso für das neue Leistungsschutzrecht (…)."

Diese absolute Aussage der Gesetzesmaterialien wird man in der Praxis freilich nicht gänzlich teilen können, denn Mitte 2010 hat der BGH entschieden, dass das zuvor genannte Paperboy-Urteil nicht schrankenlos gilt. In der „Sesson-ID“-Entscheidung (BGH, Urt. v. 29.04.2010 – Az.: I ZR 39/08) hatte ein Webseiten-Betreiber die Unterseiten seines Portals mittels einer Session-ID „abgesichert“. Die Beklagte umging diesen Schutz und verlinkte direkt auf eine Unterseite. Hierin sah der BGH einen Urheberrechtsverstoß. Das Handeln der Beklagten verletze die Klägerin in ihren Rechten. Auch wenn eine Session-ID kein qualifizierter Schutzmechanismus sei, reiche er aus, um eine rechtlich wirksame Absicherung gegen Deep-Linking vorzunehmen. Wenn dieser Schutz nun umgangen werde, liege hierin ein unzulässiger Rechtsverstoß.

Diese Ausführungen wird man auch auf das neue Leistungsschutzrecht übertragen können. Verlinkungen sind somit nur dann unproblematisch, wenn dadurch nicht Schutzmechanismen (wie z. B. eine Session-ID) umgangen werden.

2. Einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte

Wie bereits ausgeführt, hatte der Gesetzestext ursprünglich eine andere Fassung. Es fehlte der letzte Halbsatz („… es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte.“). Diese Einschränkung kam in letzter Sekunde durch die Beratung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zustande.

Nicht betroffen vom Leistungsschutzrecht sind somit einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte.

Das größte Problem ist jedoch die Unklarheit der beiden Begrifflichkeiten. Was genau sind einzelne Wörter? Zwei, drei oder vier Wörter? Und wann genau sind Textausschnitte klein? Bei Ausschnitten mit 20, 30 oder gar 40 Buchstaben?

Die Gesetzesbegründung verzichtet ausdrücklich auf eine exakte Vorgabe und stellt vielmehr fest, dass jeder Sachverhalt einzelfallbezogen zu überprüfen sei.

Lediglich an einer Stelle gibt der Gesetzgeber ein Beispiel. So soll der Satz „Bayern schlägt Schalke“ nicht unter das Leistungsschutzrecht fallen.[6] Eine genaue Begründung, warum diese Schlagzeile nun nicht geschützt sein soll, sucht der aufmerksame Leser freilich vergebens. Und kritische Leser werden sich die Frage stellen: Wenn die Schlagzeile nun „Bayern schlägt Schalke und wird erneut Meister“ lautet, gilt dann nach wie die Ausnahme? Oder greift hier schon das neue Leistungsschutzrecht, weil es sich hier nicht mehr um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte handelt?

Rechtssicherheit ist etwas gänzlich anderes. Bereits jetzt ist absehbar, dass die Klärung all dieser Punkte den Gerichten überlassen bleiben wird. Bereiten wir uns also darauf vor, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren die Robenträger eine genaue Definition herausarbeiten werden. Bis dahin bleibt unklar, wie dieses Gesetz anzuwenden ist.

3. Gefahr nur für Suchmaschinen-Betreiber und News-Aggregatoren?

Häufig ist die Aussage zu hören, dass das Gesetz nur für Google & Co. gelte und der einfache Webmaster gar nicht betroffen sei. Anknüpfungspunkt für diese Argumentation ist § 87 g Abs. 4 UrhG. Dieser lautet:

„Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder Teilen hiervon, soweit sie nicht durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte entsprechend aufbereiten.“

Auf den ersten Blick scheint es somit so, dass das neue Leistungsschutzrecht speziell nur auf Suchmaschinen und News-Aggregatoren ausgelegt ist. Ein Blick in die Gesetzesbegründung scheint diese Vermutung noch zu verstärken. Denn dort heißt es wörtlich:

„Der Presseverleger wird so vor der systematischen Nutzung seiner verlegerischen Leistung durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen und von gewerblichen Diensten, die Inhalte entsprechend aufbereiten, geschützt, die ihr spezifisches Geschäftsmodell gerade auf diese Nutzung ausgerichtet haben.

Andere Nutzer, wie z. B. Blogger, Unternehmen der sonstigen gewerblichen Wirtschaft, Verbände, Rechtsanwaltskanzleien oder private bzw. ehrenamtliche Nutzer, werden somit nicht erfasst. Ihre Rechte und Interessen werden durch das vorgeschlagene Leistungsschutzrecht für Presseverleger mithin nicht berührt."

Prima, wird sich nun jeder Leser denken. Damit bin ich doch als Webmaster von diesem blödsinnigen neuen Gesetz gar nicht betroffen. Warum dann also dieser ganze Aufschrei?

Die Antwort ist relativ einfach: Die Gerichte sind keineswegs an die Vorgaben aus der Gesetzesbegründung gebunden. Vielmehr legen sie neue Bestimmungen im eigenen Ermessen aus. Natürlich nehmen sie dabei auch Bezug auf die Entstehungsgeschichte und die Gesetzesbegründung. Es ist jedoch keine Seltenheit, dass ein Gericht eine Rechtsnorm anders auslegt, als es der Gesetzgeber ursprünglich wollte.

Einfallstor für eine sehr weitgehende Interpretation sind beim Leistungsschutzrecht nämlich die Worte „und von gewerblichen Diensten.“ Wann genau liegt hier ein „spezifisches Geschäftsmodell“ vor und wann nicht?

Beispiel:
SEO-Agentur X wirbt für ihre Leistungen in ihrem Blog. Zur Untermauerung der Qualität übernimmt sie dabei in regelmäßigen Abständen leistungsschutzrechtlich geschützte Artikel.

Verletzt hier die Agentur das Leistungsschutzrecht?

Die Antwort ist relativ klar: Niemand kennt die Antwort. Vielmehr werden wir sie erst in ein paar Jahren kennen, wenn die Gerichte durch eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten den Begriff näher herausgearbeitet haben. Solange können sich Webmaster nicht entspannt zurücklehnen, sondern müssen ihre Webseiten an das neue Recht anpassen.

4. Keine längere Übergangszeit

Das neue Gesetz kennt keine längere Übergangszeit. Bereits drei Monate, nachdem es im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde, tritt es in Kraft. Der Zeitpunkt der Verkündung ist derzeit noch unklar. Wahrscheinlich ist jedoch ein Inkrafttreten im 3. Quartal dieses Jahres.

Das neue Gesetz gilt auch für Handlungen, die ein Webmaster vor Inkrafttreten vorgenommen hat. Es ist somit zwingend notwendig, seine Webseiten an das neue Recht anzupassen.

Beispiel:
SEO-Agentur X hat einzelne Presseerzeugnisse vor Inkrafttreten der Neuregelungen übernommen. Das neue Gesetz tritt zum 01.07.2013 (fiktives Datum) in Kraft.

X muss nun sämtliche Presseerzeugnisse entfernen, andernfalls verletzt sie das Leistungsschutzrecht. Sie kann sich nicht auf den Umstand berufen, dass die Handlungen vor dem 01.07.2013 erfolgt sind.

C. Ergebnis:

Der Gesetzgeber hat mit dem Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse ein unklares und ungenaues Gesetz geschaffen. Die meisten Begrifflichkeiten und Voraussetzungen sind ungenau und harren einer eindeutigen Interpretation. Bereits heute ist absehbar, dass erst durch jahrelange Gerichtsprozesse die notwendige Rechtssicherheit für alle Beteiligten eintreten wird. Bis dahin sollte jeder Webmaster die entsprechende Sorgfalt walten lassen und besser keine fremden Inhalte übernehmen, denn bei Verletzung des Leistungsschutzrechtes können etwaige Schadensersatzansprüche schnell in vier- oder fünfstelliger Höhe liegen.