Langfristig erfolgreich durch Online-Marketing mit dem grünen Daumen

Gero Wenderholm
Gero Wenderholm

Der Diplom-Informatiker Gero Wenderholm berät seit über 15 Jahren große Unternehmen und reichweitenstarke Portale als Experte für Suchmaschinenmarketing und digitale Strategieentwicklung. Der ehemalige Agenturberater und Tchibo Head of Search referiert regelmäßig auf Online-Konferenzen sowie an Hochschulen und wurde 2013 in den SEO-Expertenrat des BVDW gewählt.

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Online-Werbung ist ein weltweit boomendes Milliarden-Business, das einen blinden Fleck hat: Zur automatisierten Ausspielung und Erfolgsmessung von Anzeigen, dem Versand von Billionen E-Mails und dem Betrieb schneller Webserver werden enorme Rechenkapazitäten und große Mengen an Energie benötigt – mit entsprechenden Folgen für die Umwelt. Demgegenüber kann eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Online-Marketing-Strategie nicht nur umweltfreundlicher und sozialverträglicher sein, sondern auch wirtschaftlich einen echten Wettbewerbsvorteil bieten – sofort als auch in der Zukunft! Gero Wenderholm wirft einen etwas anderen, ungewöhnlicheren Blick auf das Thema!

Vermutlich würde man uns wegsperren, wenn wir alle Methoden des modernen Online-Marketings in der analogen Welt zur Anwendung bringen würden. Mit hochkomplexen Überwachungssystemen werden die Bewegungen potenzieller Interessenten im Netz verfolgt. Alle Nutzer werden permanent markiert, analysiert und kategorisiert. Anschließend handelt man mit ihren Daten und bietet in Echtzeit auf parallelen Auktionen um das Vorrecht, sie mit allerlei Verkaufsbotschaften zu penetrieren, die sie eigentlich gar nicht sehen wollen. Und das tun diese meist auch nicht. Nur ein Bruchteil aller Online-Anzeigen wird wahrgenommen, die meisten Werbe-E-Mails verschwinden ungeöffnet in digitalen Papierkörben und allerlei „hochwertiger Content“ versauert ungesehen in Corporate Blogs. Leidtragende dieses stetig wachsenden Belästigungs- und Datenmüllproduktionsapparats sind nicht nur die Marketingbudgets unbedarfter Unternehmen, deren überforderte Mitarbeiter oder die genervte Nutzerschaft, sondern auch die Umwelt. Das Internet verursacht schon heute mehr Treibhausgase als der weltweite Flugverkehr und Online-Werbung hat daran einen erheblichen Anteil. Es gibt also mehrere gute Gründe, das Konzept „Höher schneller, weiter“ aktueller Online-Marketing-Strategien zu hinterfragen und nach nachhaltigeren Alternativen zu suchen. Online-Ökos werben länger Auch wenn vielleicht einige von uns den Begriff „Nachhaltigkeit“ mit idealistischen, Pullunder strickenden Birkenstock-Hippies verbinden, geht es bei diesem Handlungsprinzip in der Hauptsache darum, wirtschaftliche Erfolge durch beschränkten Einsatz von Ressourcen über einen längeren Zeitraum zu sichern, also um vorausschauendes Business-Kalkül. Soziale und ökologische Aspekte sollten heutzutage in einer ganzheitlichen Betrachtung jedoch nicht fehlen. Abbildung 1: Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit (Quelle: Wikipedia) Angewendet auf das System Online-Marketing ergeben sich verschiedene strategische Handlungsfelder: - Stärkere Fokussierung auf Zielgruppen und Wettbewerbsvorteile, die in der Zukunft liegen - Effektiverer Einsatz von Marketing-Budgets und Verzicht auf unnötige Aktivitäten - Schonenderer Umgang mit personellen und physischen Ressourcen - Dauerhafte Verbesserung des Online-Produkts und/oder der Kundenbeziehungen Um Online-Marketing-Strategien auf nachhaltigere Weise zu gestalten, ist dabei zuallererst die Anpassung von KPIs wichtig, die in der Praxis sowohl bei der internen Steuerung und Erfolgsbewertung als auch in den Zielvorgaben beteiligter Agenturen und Mitarbeiter Anwendung finden muss. Versuchen Sie zudem, vorhandene Zielkonflikte zu eliminieren. Die blinde Gier nach Sichtbarkeit und Reichweite Es bringt absolut keinen Vorteil, in Suchmaschinen für Begriffe gefunden zu werden, die nichts mit dem eigenen Geschäft zu tun haben, und nur Nachteile, sowohl monetär als auch für die eigene Marke, wenn meine Display-, Video- oder E-Mail-Werbung Menschen erreicht, die gar kein Interesse an meinem Produkt haben. Auch Besucher meiner Website, die nicht mit ihr interagieren, kosten im besten Fall nur Geld, im schlechtesten Fall Rankings. Und dennoch werden Online-Maßnahmen häufig nach Kennzahlen bewertet und optimiert, die eher das eigene Ego als konkrete Geschäftsinteressen im Blick haben. Daher lautet die Empfehlung: Fordern Sie Ihre Steuerungsmetriken heraus und verwenden Sie Key Performance Indicators (KPIs), die möglichst exakt Ihren (langfristigen) Zielen entsprechen. Sofern diese nicht direkt messbar sind, arbeiten Sie mit Kombinationen oder Näherungen. Ein paar Beispiele angepasster KPIs finden sich in Tabelle 1. Standard-KPIs Nachhaltigere KPIs Impressionen/Sichtbarkeit Wahrnehmung im gewünschten Kontext (messbar) Besucher im Zeitraum X Wiederkehrende, mit meiner Seite agierende Besucher Anzahl Leads Anzahl und Quote von Leads mit guter Qualität Durchschnittlicher Cost per Click (CPC) Kosten pro interagierendem Besucher auf Zielseite Y Kosten-Umsatz-Relation (KUR) Lifetime Value/Return of Advertising Spend Öffnungsrate Newsletter Zahl Interaktionen auf Seite Y nach Newsletter-Versand Tabelle 1: Beispiele nachhaltigerer Steuerungsmetriken Wer seinen gesamten Online-Marketing-Mix mittels nachhaltiger KPIs analysiert, wird schnell deutliche Unterschiede im individuellen Wertbeitrag einzelner Kanäle erkennen. Fallen dabei bestimmte Platt- oder Werbeformen im negativen Sinn aus der Reihe, sollte man seine bisherigen Aktivitäten kritisch hinterfragen. Da simmer dabei, dat is nich immer prima! Wenn der Bundeskanzler seine Aktentasche für die junge TikTok-Wählerschaft auspackt, ein hipper Influencer eine Gardinenstange liebkost oder der Chef eines Automobil-Zulieferbetriebs einen persönlichen Instagram-Feed bespielt, um modern für potenzielle Bewerber zu wirken, dann ist dies kein zukunftsbejahendes Marketing, sondern verdeutlicht eher die „Fear of missing out“ alternder Boomer oder das besondere Verkaufsgeschick von Media-Agenturen. Nicht jedes Unternehmen muss jedes digitale Spielfeld für sich erschließen, sondern sollte sich bei der Auswahl geeigneter Aktivitäten und Partner ein paar Fragen stellen: 1. Ist meine Zielgruppe hier aktiv und in einem aufnahmebereiten Kontext für mich erreichbar? 2. Bietet mir die Plattform (überprüfbare) Möglichkeiten, meine Zielgruppe gezielt anzusprechen? 3. Wie gut schützt mich ein Anbieter vor Klickbetrug oder sonstiger Ressourcenverschwendung? 4. Rechtfertigt der langfristig zu erwartende Ertrag den personellen sowie monetären Einsatz? 5. Gibt es effektivere, grünere oder sozial verträglichere Alternativen? Ein konsequent auf nachhaltige Wirksamkeit ausgerichteter Online-Marketing-Mix führt meist automatisch zu einer Reduktion von Aufgaben sowie deren Komplexität und bietet gleichzeitig verbesserte Möglichkeiten, die eigene Botschaft an die Frau oder den Mann zu bringen. Aber auch die gezielte Ausnutzung von Synergien, die Vermeidung von Kannibalisierungen sowie eine Zielerreichung mit reduziertem Ressourceneinsatz sind Ansätze, die sie in ihrer kanalübergreifenden Strategie verfolgen sollten. Als Beispiel sei hier das extrem populäre, aber unverhältnismäßig energieaufwendige Programmatic Advertising genannt, bei dem auf komplizierte Weise versucht wird, ihre Zielgruppe auf reichweitenstarken Portalen zu identifizieren. Platzieren Sie Ihre Werbung stattdessen direkt in einem Umfeld, in dem ausschließlich potenzielle Interessenten unterwegs sind, sparen Sie meistens Geld und haben einen weitaus höheren, relativen Nutzen. Oft bringen aber auch schon kleine Anpassungen innerhalb eines einzelnen Tätigkeitsbereichs spürbare Effekte. Abbildung 2: CO2-Bilanz einer digitalen Werbekampagne (Quelle: Fifty-Five, Business Insider) Auf der Jagd nach den grünen Quick Win-wins Während in der Offline-Welt Verbesserungen der eigenen Umweltbilanz häufig mit teuren Investitionen oder der Anpassung komplexer Lieferketten einhergeht, finden sich im Online-Marketing viele Maßnahmen, die sehr schnell ihre Wirksamkeit entfalten können (aka Quick Wins) und dabei gleich mehrere Vorteile in Sachen Nachhaltigkeit bieten. Verkleinert man beispielsweise die Dateigrößen seiner Werbemittel, sollten diese in aller Regel schneller sichtbar, performanter und umweltfreundlicher funktionieren. Schärfe ich mein Adwords-Targeting zum Beispiel durch Regionalisierung meiner Anzeigen um physische Verkaufsstandorte, minimiere ich Kosten und Streuverluste. Bereinige ich meinen Newsletter-Verteiler oder die Social-Media-Followerschaft regelmäßig um Langzeitignoranten, spart dies wiederum Ressourcen und verbessert die Datenbasis für die Konzeption nachfolgender Kampagnen. Nutzen Sie gern das abgebildete Bewertungsschema (Abbildung 3), um die Nachhaltigkeit vorhandener Online-Marketing-Aktivitäten oder das Potenzial eigener Optimierungsideen zu überprüfen. Abbildung 3: Entscheidungsmatrix zur Bewertung von Nachhaltigkeit Wenn Sie erkennen, dass einige Ihrer Tätigkeiten zwar auf eines der strategischen Ziele einzahlen, jedoch kontraproduktiv gegenüber anderen sind, versuchen Sie, eine alternative Lösung zu finden, die gleich mehreren Zwecken dient. Aufruf zur Kehrwoche Nicht nur auf externen Seiten finden sich Wirkungsfelder für mehr Nachhaltigkeit. Einen sehr großen Hebel bieten zumeist Content-Audits und -Inventuren. Jeder Inhalt, der keinem unmittelbaren Zweck dient, verbraucht unnötigerweise Energie, kostet Geld und kann das Nutzererlebnis verschlechtern. Arbeiten Sie daher schon bei der Inhaltserstellung möglichst weitsichtig sowie ressourcenschonend und räumen Sie regelmäßig bei Ihren Online-Assets auf. Für nachrichtlich getriebene Seiten bietet es sich zudem an, Content-Lebenszyklen schon vorab zu definieren und veraltete News automatisch zu entsorgen. Mithilfe geeigneter Tools (zum Beispiel digitalbeacon.co) lässt sich der CO2-Fußabdruck beim Besuch ihrer Seite analysieren und Maßnahmen können abgeleitet werden. Weitere Ansatzpunkte sind zum Beispiel die Beschränkung des Website-Crawlings auf „erwünschte“ Bots, die Entfernung ungenutzter Tracking-Codes sowie Maßnahmen zur Verbesserung von Ladezeiten oder der generellen Zugänglichkeit (Accessibility) ihres Online-Angebots. Auch die unternehmensinterne Datenerhebung, Reporting-Prozesse und Tool-Nutzung sollte in Ihre Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit einfließen. Weniger ist auch hier oft mehr und entlastet Ihre Mitarbeiter. Weitere Möglichkeiten für grünere Websites hat Dr. Torsten Beier in seinem Artikel in der letzten Ausgabe beschrieben. Zitat: „Nützliche Websites brauchen kein Marketing, um erfolgreich zu sein.“ Spiel mit dem Lead vor dem Tod Neben den zuvor genannten Möglichkeiten, das eigene Online-Marketing fokussierter, effektiver und ressourcenschonender aufzustellen, fehlt noch der eigentliche Protagonist all Ihrer Bemühungen: der Nutzer. Versuchen Sie trotz der wunderbaren Möglichkeiten der Automatisierung und KI, den Menschen hinter all den Daten und Tools zu sehen. Reagieren fünf von 100 Adressaten Ihrer vorgefertigten LinkedIn-Nachricht positiv, haben Sie vermutlich eine deutlich größere Anzahl an Menschen verärgert. Bekommt Ihr Kunde noch vor der Lieferung des Produkts dank Re-Targeting ein neues Angebot auf einer anderen Website angezeigt, schmälert es womöglich seine Vorfreude. Bedenken Sie, dass jede Art der Kommunikation, die nicht bewusst initiiert wurde, negativ konnotiert ist, und handeln Sie entsprechend mit Bedacht. Ist Ihr eigenes Online-Geschäftsmodell werbefinanziert, arbeiten Sie lieber aktiv daran mit, die Relevanz der ausgespielten Ads zu verbessern und deren Störfaktor zu minimieren, anstatt Ihre User durch fremdgesteuerten Werbedruck auf Dauer zu vergraulen. Wer zu viel wirbt, der stirbt! Ihr Wettbewerber ist meist nur einen Klick entfernt. Die beste und nachhaltigste Methode, dauerhaft eine große Anzahl an Nutzern anzulocken, ist und bleibt nämlich Freiwilligkeit. Nützliche Websites brauchen kein Marketing, um erfolgreich zu sein! Bieten Sie Besuchern einfach einen guten Grund, wieder zu kommen, und suchen Sie permanent nach den Ursachen, wenn dies nicht geschieht. Vollziehen Sie auch einmal bewusst den Perspektivwechsel zum Nichtkunden und betrachten Sie kritisch Ihr Angebot. Verlassen Sie sich hierbei nicht nur auf Ihre Webanalysten, sondern reden Sie mit Ihrem Callcenter und der Social-Media-Abteilung oder laden Sie Probanden ein, die Sie bei der Nutzung Ihres Webauftritts beobachten. Die kontinuierliche Verbesserung Ihres Online-Produkts und bessere Überzeugung vorhandener Nutzer wird Sie dauerhaft unabhängiger von der immer teurer werdenden Zuführung neuer Interessenten machen. Fazit Nachhaltiges Online-Marketing ist keine Öko-Spinnerei, sondern ein bewusster, schnell wirksamer und effektiver Ansatz, sich dem automatisierten Wettbieten um leere Aufmerksamkeit zu entziehen. Dabei bietet jeder Schritt in Richtung des Aufbaus loyaler Kundenbeziehungen und der Rückkehr zu einer direkteren, romantischeren Interpretation des Werbens nicht nur einen Wettbewerbsvorteil in Krisenzeiten oder für kommende Gesetzesänderungen, er kann auch den Spaß und die Sinnhaftigkeit für Ihre Mitarbeiter erhöhen. Die Umwelt freut es sowieso, wenn Sie sorgsam mit ihren Ressourcen umgehen. Danke dafür!