Die Produktsicherheitsverordnung:

neue, nahezu unmögliche Pflichten für Online-Verkäufer ab Dezember 2024

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Obwohl die neue gesetzliche Regelung – die EU-Produktsicherheitsverordnung (ProduktSVO) – schon bald, nämlich Mitte Dezember 2024, in Kraft treten wird, scheinen die weitreichenden Änderungen in der öffentlichen Wahrnehmung der Online-Händler bisher kaum angekommen zu sein. Wer Waren online anbietet oder bewirbt, muss künftig weitreichende Änderungen beachten. Dieser Artikel skizziert die wichtigsten Punkte und zeigt auf, welche Änderungen und Anpassungen notwendig sind. Der Artikel konzentriert sich auf die Auswirkungen auf den Online-Handel.

1. Sinn und Zweck der Neuerungen Der Digital Service Act (DSA) hat zum Ziel, die Verbreitung illegaler Inhalte auf digitalen Plattformen umfassend zu kontrollieren und einzuschränken. Er richtet sich an eine Vielzahl von Unternehmen im Online-Bereich, insbesondere Suchmaschinen, (große) Plattform-Anbieter oder Webhosting-Unternehmen. Die ProduktSVO dient dem Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Verbraucher bei der Verwendung von Produkten. Das neue Gesetz aktualisiert und ersetzt frühere Regelungen, um den Anforderungen moderner Märkte und Technologien gerecht zu werden. Es legt klare Sicherheitsanforderungen für Produkte fest und regelt die Marktüberwachung. Ein zentrales Element ist die stärkere Überwachung des Online-Handels, um sicherzustellen, dass auch im Internet verkaufte Produkte den EU-Sicherheitsstandards entsprechen. Außerdem wird von Herstellern und Online-Plattformen mehr Transparenz verlangt, etwa durch die Pflicht zur Angabe von Kontaktdaten. Die Verordnung verbessert auch den Rückruf gefährlicher Produkte und erleichtert die Marktüberwachung. 2. Überblick über Neuerungen Zentrale Norm für den Online-Handel ist dabei Art. 19 der ProduktSVO: Artikel 19 Stellt ein Wirtschaftsakteur Produkte online oder über eine andere Form des Fernabsatzes auf dem Markt bereit, so muss das Angebot dieser Produkte mindestens die folgenden eindeutigen und gut sichtbaren Angaben enthalten: a) den Namen, den eingetragenen Handelsnamen oder die eingetragene Handelsmarke des Herstellers sowie die Postanschrift und die E-Mail-Adresse, unter denen er kontaktiert werden kann, b) falls der Hersteller nicht in der Union niedergelassen ist: den Namen, die Postanschrift und die E-Mail-Adresse der verantwortlichen Person […] c) Angaben, die die Identifizierung des Produkts ermöglichen, einschließlich einer Abbildung des Produkts, seiner Art und sonstiger Produktidentifikatoren, und d) etwaige Warnhinweise oder Sicherheitsinformationen […]“ Wer also in Zukunft Waren online verkauft oder bewirbt, muss neue, umfangreiche zusätzliche Informationen zur Verfügung stellen. a. Name des Herstellers Das jeweilige Angebot muss Angaben zum Hersteller (Name, Handelsname oder Warenzeichen) sowie Postanschrift und E-Mail-Adresse enthalten. Wenn der Hersteller nicht in der EU ansässig ist, muss eine verantwortliche Person in der EU angegeben werden. b. Genaue Angaben zum Produkt Künftig müssen konkrete Angaben zum Produkt gemacht werden, die eine Identifizierung ermöglichen. Außerdem muss zwingend ein Foto des Produkts eingereicht werden. Allerdings ist nicht abschließend geklärt, was genau unter „Identifizierung“ zu verstehen ist. Muss hier tatsächlich die spezifische Produktnummer angegeben werden oder reicht es aus, das Produkt lediglich näher zu beschreiben, ohne die genaue Identität anzugeben? Diese Frage ist von entscheidender Bedeutung: Legt man die neuen Regeln tatsächlich so aus, dass die eindeutige Produktnummer zwingend angegeben werden muss, wird in Zukunft eine 100%ige Vergleichbarkeit und Transparenz möglich sein. Suchmaschinen können dann ihre Vergleiche noch individueller anbieten. Der Verbraucher kann dann ganz gezielt nach dem gewünschten Artikel suchen. Ob diese Entwicklung tatsächlich so eintritt, ist allerdings offen. Die neuen Regelungen haben hier einen großen Auslegungs- und Ermessensspielraum. Viele Online-Märkte und -Verkäufer werden sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, solche Informationen zur Verfügung zu stellen, die eine solche 100%ige Vergleichbarkeit ermöglichen. Beispielsweise könnten Modehändler dann nicht mehr verschleiern, dass es sich um ein Produkt aus der Vorsaison handelt. Oder Hardwarehändler müssten akzeptieren, dass der Kunde relativ leicht erkennen kann, dass es sich um eine Produktlinie handelt, die bereits vor vielen Jahren produziert wurde. c. Warnhinweise und Sicherheitsinformationen Das neue Gesetz schreibt vor, dass Warnhinweise und Sicherheitsinformationen auch auf der Website enthalten sein müssen. d. Konkretes Beispiel In der Abbildung sehen Sie einen fiktiven Fall für die online bereitzustellenden Pflichtinformationen am Beispiel eines Teddybären: Die Angaben sind zusätzlich zu den bereits vorgeschriebenen Angaben zu machen. e. Platzierung der Angaben Unklar ist, wo genau und wie ein Verkäufer diese Informationen platzieren muss: direkt neben dem Produktbild? Oder reicht es auch, wenn der Text weiter unten auf der Produktseite steht? Müssen wirklich immer alle Informationen auf der Produktseite stehen oder reicht es vielleicht aus, wenn die Informationen einfach auf eine bestimmte Unterseite verlinkt werden, sodass der eigentliche Text auf der Produktseite viel kürzer gehalten werden kann? Auf all diese Fragen gibt das neue Gesetz keine Antwort. Es besagt lediglich, dass die Angaben „gut sichtbar“ sein müssen. Was darunter zu verstehen ist, ist also Auslegungs- und Ermessenssache und wird die Gerichte noch viele Jahre beschäftigen. f. Praktische Bedeutung Bereits heute ist absehbar, dass nur wenige Online-Händler in der Lage sein werden, diese umfangreichen Pflichten zu erfüllen. Für jedes Produkt, das ein Online-Händler in Zukunft verkaufen will, sind daher umfangreiche Datenbankeinträge erforderlich. Für eine Vielzahl von Produkten sind diese notwendigen Informationen aber noch gar nicht vorhanden. Kauft zum Beispiel ein Restpostenhändler künftig Ware auf und bietet sie online an, muss er künftig jedes einzelne Stück vorab identifizieren, denn nur so kann er die vorgeschriebenen Angaben überhaupt machen. Diese neuen Pflichten bedeuten nichts anderes, als dass ein Händler regelmäßig überprüfen muss, ob die gemachten Angaben noch aktuell sind. Auch hier bleiben viele Fragen offen: Wie oft muss der Verkäufer überprüfen, ob seine Angaben noch aktuell sind? Hat sich die Postanschrift oder die E-Mail-Adresse geändert? Hat das Unternehmen mit einem anderen fusioniert? Genügt eine Überprüfung einmal im Monat oder einmal im Jahr? Oder haftet er für jede Fehlinformation, egal wie sehr er seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist? Man muss es in aller Deutlichkeit sagen: Hier wird vom Verkäufer Unmögliches verlangt! Das Gesetz schießt weit über das legitime Ziel hinaus und kann nur als bürokratischer Wahnsinn bezeichnet werden. g. Werbetreibende Werbetreibende (zum Beispiel Affiliates), die Produkte auf ihren eigenen Seiten bewerben, sind nach dem Wortlaut des Gesetzes zwar nicht verpflichtet, diese Informationen zur Verfügung zu stellen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob nicht einzelne Gerichte diese Pflichten auch auf diesen Vorverkaufsbereich ausdehnen werden. In jedem Fall haftet ein Affiliate, wenn er ein Angebot bewirbt und verlinkt, das auf der Landingpage nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Informationen bereitstellt. 3. Übergangsvorschriften für bereits in Verkehr gebrachte Ware? Viele Kunden, die wir über die Neuerungen informiert haben, sind schockiert und haben nachgefragt, ob es Übergangsregelungen gibt. Die Antwort ist eher unbefriedigend. Vieles spricht dafür, dass diese Regelung so zu verstehen ist, dass alle Produkte, die vor dem 13.12.2024 in Verkehr gebracht wurden, von der neuen Regelung ausgenommen sind. Das neue Gesetz würde also nur für Produkte gelten, die ab dem 13.12.2024 neu in Verkehr gebracht werden. 100 % sicher ist diese Auslegung nicht, da es an einer klaren und eindeutigen Regelung fehlt. Erst die Gerichte werden entscheiden, ob die Ausnahmeklausel tatsächlich so gemeint ist. So sind zum Beispiel auch andere Auslegungen denkbar, zum Beispiel dass nur bestimmte Pflichten der Produktsicherheitsverordnung gelten (zum Beispiel Kennzeichnung der Ware), während andere Pflichten (zum Beispiel Informationspflichten im Online-Shop) nicht anwendbar sind. Unter „Inverkehrbringen“ ist die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem EU-Markt zu verstehen. Unklar ist auch, ob Produkterweiterungen noch unter die Übergangsregelung fallen oder ob sie automatisch den neuen Regelungen unterliegen, zum Beispiel wenn ein nahezu identisches Spielzeug in einer neuen, anderen Farbe und mit anderen Beigaben angeboten wird. 4. Für welche Waren gilt das neue Gesetz? a. Neue und alte Ware Die ProduktSVO gilt für neue und gebrauchte Ware gleichermaßen. Das Gesetz stellt ausdrücklich klar, dass auch reparierte und wiederaufbereitete Ware in den Anwendungsbereich fällt. b. Gilt nur für den B2C-Bereich Die Neuregelungen gelten nur für den Fall, dass ein Unternehmer an einen Verbraucher verkauft (B2C-Bereich). Für den B2B-Bereich und für den C2C-Bereich gilt es nicht. c. Ausgenommene Bereiche In Art. 2 Abs. 3 der ProduktSVO ist klar geregelt, für welche Bereiche die Neuerungen nicht gelten: a) Human- und Tierarzneimittel, b) Lebensmittel, c) Futtermittel, d) lebende Pflanzen und Tiere, genetisch veränderte Organismen und genetisch veränderte Mikroorganismen in geschlossenen Systemen sowie Erzeugnisse von Pflanzen und Tieren, die unmittelbar mit ihrer künftigen Reproduktion zusammenhängen, e) tierische Nebenprodukte und Folgeprodukte, f) Pflanzenschutzmittel, g) Beförderungsmittel h) Luftfahrzeuge und i) Antiquitäten. d. Gilt auch für Waren, die mit Dienstleistungen verknüpft sind Die ProduktSVO gilt nicht nur beim bloßen Verkauf von Ware, sondern kommt auch dann zur Anwendung, wenn der Verkauf mit der Erbringung einer Dienstleistung verknüpft wird. 5. Für wen gilt das Gesetz? Das Gesetz wendet sich an fünf unterschiedliche Arten von Unternehmen: a. Hersteller Hersteller ist jede natürliche oder juristische Person, die ein Produkt herstellt oder entwerfen oder herstellen lässt und dieses Produkt in ihrem eigenen Namen oder unter ihrer eigenen Handelsmarke vermarktet. b. Bevollmächtigter Als Bevollmächtigter wird jede innerhalb der Union niedergelassene natürliche oder juristische Person angesehen, die von einem Hersteller schriftlich beauftragt wurde, in dessen Namen bestimmte Aufgaben wahrzunehmen. c. Einführer Einführer ist jede in der Union niedergelassene natürliche oder juristische Person, die ein Produkt aus einem Drittland in der Union in Verkehr bringt. d. Händler Als Händler gilt jede natürliche oder juristische Person in der Lieferkette, die ein Produkt auf dem Markt bereitstellt, mit Ausnahme des Herstellers und des Einführers. e. Fulfilment-Dienstleister Jede natürliche oder juristische Person, die im Rahmen einer Geschäftstätigkeit mindestens zwei der folgenden Dienstleistungen anbietet: Lagerhaltung, Verpackung, Adressierung und Versand von Produkten, an denen sie kein Eigentumsrecht hat. f. Online-Marktplätze Anbieter eines Vermittlungsdiensts, der es unter Einsatz einer Online-Schnittstelle Verbrauchern ermöglicht, mit Unternehmern Fernabsatzverträge über den Verkauf von Produkten abzuschließen. 6. Sanktionen Was passiert, wenn ein Händler die vorgenannten Pflichten nicht einhält? Die ProduktSVO sieht zunächst keine unmittelbaren Sanktionen vor, wenn gegen die Vorgaben verstoßen wird. Der deutsche Gesetzgeber wird aber in Kürze mit der Überarbeitung des nationalen Produktsicherheitsgesetzes entsprechende Regelungen zu Geldbußen (10.000 bis 100.000 Euro) erlassen. Unabhängig davon wird man Verstöße gegen die Vorgaben zudem auch als Wettbewerbsverletzungen einstufen, die dann entsprechend von Mitbewerbern oder entsprechend befugten Einrichtungen verfolgt werden können.