LinkedIn Boosting: Update des LinkedIn-Algorithmus

Fluch oder Segen?

Britta Behrens
Britta Behrens

Britta Behrens ist Digital-Marketing-Managerin bei der Volz Personalberatung am schönen Kölner Rheinauhafen. Sie beschäftigt sich intensiv mit Personal-Branding, Content-Marketing & Social Selling auf LinkedIn. Darüber hinaus gibt sie ihr Wissen als Beraterin, Keynote Speakerin und Autorin auf zahlreichen Events, Konferenzen, in Fachmagazinen und Workshops weiter. Sie liebt aktives Networking sowohl digital wie auch offline. Sie ist Gastgeberin des LinkedIn Local Cologne Networking-Events. In Ihrer Freizeit ist sie verrückt nach Golf und lässt den Abend gerne bei einem guten Glas Gin Tonic ausklingen.

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LinkedIn erfreut sich weiterhin steigender Beliebtheit. Die 15-Millionen-Mitglieder-Marke wurde im Juni im DACH-Raum geknackt. Immer mehr Content-Marketing und Kommunikation findet auf der Plattform statt. Parallel schraubte LinkedIn an seinem Algorithmus zur besseren personalisierten Content-Ausspielung. Viele User berichteten daraufhin zunächst von deutlichen Reichweiteneinbrüchen ihrer Beiträge. Wie und warum das Update die eigenen Beiträge und das Kommunikationsverhalten beeinflusst und ob die goldenen Zeiten unfassbarer Reichweiten auf LinkedIn vorbei sind, klären wir in diesem Beitrag.

Ende Mai 2020 informierte LinkedIn über ein Algorithmus-Update. Das Ziel von LinkedIn ist, jedem User die beste Experience in seinem Feed zu liefern und die Netzwerk-Kommunikation zu fördern. Das heißt, Themen und Personen, die einen interessieren und mit denen man interagiert, regelmäßig in den Feed zu spielen und darüber hinaus stark diskutierte Themen im Feed einzubinden, um neue Perspektiven zu öffnen und neue interessante Netzwerkkontakte zu empfehlen.

Welche Gründe gibt es für die Algorithmus-Anpassung?

Bisher wurden überwiegend Beiträge mit besonders viel Reichweite honoriert, die eine hohe Engagement-Rate verzeichneten. Das heißt, dass in möglichst kurzer Zeit viele Reaktionen und vor allem Kommentare zu einem Beitrag dazu führten, dass dieser als relevant eingestuft wurde. Durch diese Signale wurde ein Beitrag wesentlich schneller im eigenen Netzwerk sichtbar und breiter ausgespielt und darüber hinaus in die Netzwerke der beteiligten Netzwerk-Akteure gestreut, die darauf reagiert hatten.

Dies führte dazu, dass sehr aktive LinkedIn-User den Newsfeed passiver LinkedIn-User dominierten und mit beeinflussten. Es zählte mehr die Reaktion und das Engagement anderer als mein eigenes Leseverhalten auf der Plattform. Dies will LinkedIn nun unbedingt verändern. Denn jeder soll natürlich den idealen Feed für seine Interessen und Lesegewohnheiten bekommen.

Dwell-Time-Update

Das sogenannte LinkedIn Dwell-Time-Update bringt eine massive Änderung mit sich. Die tatsächliche Verweildauer auf einem Beitrag wird in den Mittelpunkt gerückt und bestimmt die Ausspielung ins Netzwerk und an einzelne Netzwerkkontakte. Dies hat den großen Vorteil, dass nun ab sofort auch alle stillen Mitleser die Reichweite eines Posts mitstimulieren und beeinflussen. Und wie man weiß, sind die stillen Mitleser immer in der Mehrheit.

Vor dem Update konnte es passieren, dass Leute, die permanent still mitlasen und an dem Content sehr interessiert waren, irgendwann keinen Content mehr sahen, da sie eben weder ein Like noch einen Kommentar hinterließen. Genau dies wird jetzt verhindert. Der stillen Mehrheit wird Rechnung getragen und jeder bekommt die Art von Content, die er auch tatsächlich konsumiert.

Wieso kommt es zu Reichweitenverlusten?

Im Gegensatz dazu verliert man die Leute, die bisher konsequent die Beiträge überscrollten und diese durch die Priorisierung der Likes und Kommentare immer und immer wieder in den Feed gespült bekamen. Bisher wurde ein View unmittelbar gezählt, wenn der Beitrag im Newsfeed eines LinkedIn-Users auftauchte. Egal, ob er schnell überscrollt, kurz überflogen oder durch die „Mehr lesen“-Funktion aufgeklappt und wirklich gelesen wurde. Es findet also eine Bereinigung von nicht interessierten Netzwerkkontakten statt. Die irrelevanten Scroll-through-Views werden ab sofort nicht mehr angezeigt.

Somit sind auch Reichweitenverluste gut erklärbar. Es wird nur der Anteil von Views herausgefiltert und nicht mehr angezeigt, der überhaupt keine Relevanz hat. Vergleichen lässt sich das mit nicht sichtbaren Ad Impressions von Google Ads. Dies betrifft Anzeigen, die auf einer Website ausgespielt werden, die der Nutzer aber nie bewusst vors Gesicht bekommt. Die Reichweitenanzeige ist nun „ehrlicher“. Es werden nur die Views von Personen gezählt, die sich mit dem Content auch tatsächlich beschäftigen. Hinzu kommt, dass flüchtige Liker, die im Vorbeiscrollen eine Reaktion hinterlassen, keinen unmittelbaren Einfluss mehr auf die Reichweite ausüben.

Verweildauer First

Es gibt zwei Arten Verweildauer, die gemessen werden und in den Algorithmus einfließen. Die erste ist die „Dwell-Time on the feed“. Sie wird gemessen, sobald der Beitrag im Newsfeed zur Hälfte im sichtbaren Bereich ist. Scrollt der User weiter, stoppt sie und der Post wird als irrelevant für ihn eingestuft. Passiert das häufiger mit Ihren Beiträgen, verschwindet man aus dem Newsfeed. Hält der User beim Scrollen durch den Feed dort an, wird die Verweildauer weiter gemessen. Klickt der User nun interessiert auf den Beitrag, startet die zweite Art der Verweildauer „After-Click Dwell-Time“. Hier wird genau die Zeit gemessen, die der User tatsächlich mit dem Beitrag verbringt.

Echtes Interesse und Teilhabe haben nun einen höheren Stellenwert. Erfolgen daraufhin Likes und Kommentare, wird die Ausspielung des Contents zusätzlich dynamisiert und vom LinkedIn-Algorithmus berücksichtigt. Eine hohe Aufmerksamkeit definiert sich nicht alleine durch sichtbares Engagement. Auch der überwiegend stillen Aufmerksamkeit wird Rechnung getragen. Und auch durch das stille, intensive Mitlesen wird der Beitrag in das Netzwerk dieser Personen getragen. Dies ist neu und ermöglicht neue Reichweiten und Netzwerkkontakte. Die angeblichen Reichweitenverluste bei Personen, für die man eigentlich unsichtbar blieb, werden mehr als kompensiert. Die Sichtbarkeit bekommt eine viel bessere Qualität.

Im LinkedIn Engineering Blog geben die Entwickler detailliert Auskunft und schildern die technischen Zusammenhänge: „Understanding dwell time to improve LinkedIn feed ranking.“ (https://engineering.linkedin.com/blog/2020/understanding-feed-dwell-time)
 

Pod-Gruppen und Like-Bots

Ein weiterer Dorn im Auge ist für LinkedIn die Bildung professioneller und semi-professioneller Engagement-Gruppen, im Fachjargon auch LinkedIn-Pods genannt. Hier organisieren sich LinkedIn-Mitglieder untereinander und teilen kurz nach der Veröffentlichung die Links zu ihren Beiträgen. Jedes der Gruppenmitglieder verpflichtet sich, die Beiträge der anderen schnell zu liken und mit einem Kommentar zu versehen, um eben dem Algorithmus ein starkes Signal von Relevanz zu vermitteln und die Reichweite zu triggern.

Diese Gruppen können unterschiedlich groß sein: angefangen von fünf bis zehn Personen, die sich im kleinen Kreis gegenseitig unterstützen, bis hin zu Hunderten oder gar Tausenden Personen. Hier gibt es spezielle Online-Dienste, wo man sich für eine monatliche Gebühr anmelden kann und sich dann zu seinen Themen organisiert. Parallel dazu gibt es Like-Bots-Services, die man auf seine Postings ansetzen kann, um schnell viele Reaktionen zu erhalten.

Dass dies weder nachhaltig noch sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Doch viele erliegen der Aufmerksamkeits-Ökonomie und wollen sich möglichst automatisiert Reichweite um jeden Preis verschaffen. Hier schiebt LinkedIn einen klaren Riegel vor und räumt der tatsächlichen Verweildauer und dem wirklichen Wahrnehmen der Beiträge nun höchste Priorität ein. So können diese Manipulationen kaum bis nur noch wenig Wirkung entfalten.

Wie gestalte ich nun meine Postings?

Für die eigene Gestaltung der Beiträge ist es nun wichtig, seinem Netzwerk klar zu signalisieren, um welches Thema es sich handelt, um einen Klick auf „Mehr lesen“ zu erhalten. Hier sollte man auf digitales Storytelling zurückgreifen und eine starke Headline oder Einleitung ins Thema formulieren. Die Aufmerksamkeit muss sofort eingefangen werden. Die Kernbotschaft muss gleich zu Beginn erfasst werden können. Die Neugier wird geweckt. Danach werden weitere Hintergrundinfos, Einsichten und Erfahrungen geschildert und zur Diskussion angeregt.

Um die Verweildauer zu fördern, sollten die Beiträge nun etwas länger, aber ebenso klar strukturiert werden, sodass die Lesbarkeit unterstützt wird. Aber auch kurze und knackige Beiträge funktionieren, wenn das Thema klar kommuniziert und die Neugier geweckt ist. Der Content muss zum Netzwerk passen und auf die eigene Personal Brand einzahlen. Um echtes Engagement zu erhalten, bietet sich zum Abschluss immer eine Frage an oder ein Aufruf, seine eigenen Erfahrungen zu schildern und mit zu diskutieren.

Denn eine Reaktion oder ein Kommentar von einer Person, die tatsächlich mit dem Beitrag interagiert, hat immer noch den stärksten Impact auf die Verbreitung des Beitrags. Wenn dieser Kontakt selbst ein großes Netzwerk hat, entsteht Dynamik. Viele Kommentare sorgen zusätzlich dafür, dass die Verweildauer automatisch ansteigt, denn die involvierten User lesen sowohl Beiträge als auch Kommentare. Und eine hohe Zahl von Reaktionen suggeriert neuen Netzwerkkontakten, dass das Thema relevant ist und Resonanz erzeugt. Diesen psychologischen Effekt sollte man nicht außer Acht lassen. Viele Likes können Nutzer dazu bewegen, den frisch in den Feed gespülten Beitrag „aufzuklappen“ und zu lesen.

Welche Content-Formate profitieren vom Update?

LinkedIn liebt immer noch überwiegend Content-Formate, die die User auf der Plattform halten und zur Diskussion anregen. Ein reiner klassischer Text-Post ohne Links funktioniert hervorragend und erzielt starke Reichweiten. Hier zählt natürlich der Inhalt des veröffentlichten Beitrags. Foto-Posts sind sehr aufmerksamkeitsstark und lassen den LinkedIn-User innehalten, wenn das Bild ein Thema oder eine Botschaft transportiert, die ihn interessiert. Das Bild ist ein Show-Stopper und der Netzwerkkontakt wird in den Beitrag gezogen.

Ein derzeit absolut reichweitenstarkes Medium ist der Dokumenten-Post. Kurze prägnante PDFs, die zur Wissensvermittlung für ein Thema eingesetzt werden und zur Diskussion anregen. Die Verweildauer ist sehr hoch, da die User durch das Dokument swipen können. Mit kurzen Statements und Schritt-für-Schritt-Anleitungen können Sie hier punkten oder auch Zitate oder Learnings präsentieren. Da auf diese Weise Know-how sehr komprimiert zusammengefasst wird, löst dies meist gute Diskussionen aus.

Videos stehen in der Reichweite hinter Text-, Dokumenten- und Bild-Posts. Allerdings werden hier Views erst ab vollen drei Sekunden gewertet. Videos sollte man immer dann einsetzen, wenn sie zur Erklärung das beste Medium sind oder zur Stärkung der eigenen Personal Brand eingesetzt werden sollen. Hier wird man gesehen und gleichzeitig gehört. Dies erzeugt weitere Nähe zu den Netzwerkkontakten.

Interessanterweise erleben externe Link-Posts, die auf Webseiten und Blogs verweisen, eine Wiederauferstehung. Wurden sie bislang vom LinkedIn-Algorithmus abgestraft und mit wenig Reichweite zu Beginn bedacht, zeigt das Update, dass sie bisher ähnlich performen wie Foto-Posts, wo der Link im Teaser-Text oder im ersten Kommentar platziert ist. Solange die Verweildauer stimmt und der Beitrag als lesenswert vom Netzwerkkontakt wahrgenommen wird, scheint es hier eine Akzeptanz seitens LinkedIn zu geben. Hier sollte man verschiedene Formate gegeneinander testen und miteinander vergleichen. Die Zeiten, einen Link nachträglich einzubetten oder im ersten Kommentar zu verstecken, scheinen vorbei zu sein.

Fazit

Das Update ist eindeutig ein Segen für alle LinkedIn-User, die LinkedIn gezielt als Networking- und Kommunikationsplattform einsetzen und ihre Expertise und Erfahrungen mit dem eigenen Netzwerk teilen und diskutieren wollen. Die angeblichen Reichweitenverluste lassen nur die Views verschwinden, die eh weder Einfluss noch Bedeutung hatten. Die Beiträge wurden übersprungen und schon gar nicht gelesen. Künstlich erzeugtem Engagement wird der Stecker gezogen und Pod-Gruppen und Like-Bots wird das Leben deutlich schwerer gemacht.

Im Mittelpunkt steht echte Interaktion zwischen Menschen und die tatsächliche Wahrnehmung ihrer Beiträge. Dass das Leseverhalten der überwiegenden Mehrheit, die lieber still mitlesen und nicht in Erscheinung treten, nun berücksichtigt wird, ist ein großer Vorteil. In deren Netzwerke wird der Beitrag nun auch weiter eingeschleust und nicht nur bei denen, die in der eigenen Community regelmäßig sichtbar mit Kommentaren und Reaktionen in Erscheinung treten. Auf diese Weise hat der Beitrag eine längere Lebenszeit und erreicht über das eigene Netzwerk hinaus neue potenzielle Geschäftskontakte. Veröffentlichen Sie relevanten Content, der zum Nachdenken und Diskutieren anregt und Ihrem Netzwerk einen Mehrwert liefert. Dies ist der beste Weg, um in den Köpfen Ihrer Geschäftspartner und potenziellen Kunden zu bleiben.