Ist Mobile First wirklich immer der richtige Ansatz?

Darius Erdt
Darius Erdt

Darius Erdt ist seit 2010 als Online-Marketer aktiv und führt derzeit als Head of SEO ein vielköpfiges SEO-Beratungsteam bei der Digitalagentur Dept in Berlin. In den Jahren zuvor war er selbst verstärkt in der Kundenberatung als SEO-Consultant für eingesessene DAX-Unternehmen bis hin zu Hidden-Champions aktiv und hat als Inhouse-SEO ein internationales Team aufgebaut. Seine größte Leidenschaft: Prozesse und Rahmenbedingungen schaffen, damit Erfolg planbar wird.

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Joanna Hengstebeck
Joanna Hengstebeck

Joanna Hengstebeck ist seit 2014 im Bereich Suchmaschinenoptimierung unterwegs und berät derzeit als Senior SEO-Consultant bei der Digitalagentur Dept namhafte nationale und internationale Kunden aus dem B2C- und B2B-Bereich. Ihr Fokus liegt dabei auf der Entwicklung von Strategien sowie der technischen Suchmaschinenoptimierung. Darüber hinaus gibt sie ihr Fachwissen auch als Speakerin auf SEO-Konferenzen, in Podcasts oder Webinaren weiter.

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Mobile First ist in aller Munde. Als einer der Ersten regte Luke Wroblewski, derzeit Product Director bei Google, bereits 2009 dazu an, dass Websites sowie Web-Applikationen zuerst für mobile Geräte konzipiert werden sollten. Im November 2016 kündigte Google an, dass Suchergebnisse künftig ausschließlich anhand der Informationen bewertet werden, die auf der mobilen Version einer Webseite gefunden werden. Seit April 2018 findet das Mobile-First-Indexing sukzessive seine Anwendung und wird spätestens im September dieses Jahres zur Realität für alle Internetseiten. Die offenen Fragen hierbei sind nur: Macht dies auch wirklich immer Sinn und welche Probleme ergeben sich aus einem ausschließlichen Mobile-First-Thinking? In diesem Beitrag werden die aufgeworfenen Fragen aus vielfältigen Perspektiven ausführlich von Darius Erdt und Joanna Hengstebeck beleuchtet.

Es steht außer Frage, dass sich das Internet in den letzten 10–20 Jahren massiv gewandelt hat. Immer neue internetfähige Geräte haben den Markt erobert und die Art, wie wir Inhalte konsumieren, verändert. 2010 verkündete Google-Chef Eric Schmidt das Ende der Ära des Personal Computers und läutete aufgrund der zunehmenden Verwendung mobiler Endgeräte das Zeitalter des mobilen Computings ein. In diesem Zusammenhang postulierte er das Mobile-First-Prinzip, bei dem zunächst die mobile Variante konzipiert und anschließend auf die Desktop-Variante übertragen wird. Der Fokus auf mobile Endgeräte wurde zur Grundphilosophie des Suchmaschinen-Giganten. Auf dem Mobile World Congress sagte Eric Schmidt: „The new rule is mobile first. Mobile First in everything. Mobile First in terms of applications. Mobile First in terms of the way people use things.”

Google war mit der Mobile-First-Philosophie seiner Zeit voraus, aber spätestens 2017 wurde klar, dass die Nutzung mobiler Endgeräte das Internet auch rein von den Nutzungszahlen erobert hatte. Brightedge hatte in einer Studie damals errechnet, dass 57 Prozent des Suchtraffics über mobile Endgeräte erfolgen. Der Blick auf die Statistik von Statcounter lässt erkennen, dass der Mobile-Traffic weltweit gesehen seit Dezember 2016 prozentual höher ist als der Desktop-Traffic.

Ein Blick zurück: Das Problem von Desktop First

Die Webentwicklung sowie das Webdesign konzentrierten sich von Beginn an ausschließlich auf die Ausrichtung von Websites für stationäre Desktops. Wo das Design und die Funktionalitäten zu Beginn an die langsame Internetgeschwindigkeit angepasst werden mussten, ergaben sich neue Gestaltungsspielräume durch die Einführung immer schneller werdender DSL-Bandbreiten. Als der mobile Hype mit insbesondere dem Produktlaunch des ersten iPhones begann, ergaben sich für Unternehmen zweierlei Herausforderungen. Die mobilen Datenverbindungen zwangen Website-Betreiber zum einen wieder verstärkt dazu, auf die eigene Website-Geschwindigkeit zu achten. Zum anderen galt es nun einen Weg zu finden, die eigentlich für Desktop entwickelten Inhalte und Features auf die neuen, kleineren Bildschirme anzupassen. Da Desktop First hierbei nicht so gut funktionierte, etablierte sich der entgegengesetzte Weg. Und dies war auch nötig, denn der traditionelle Weg führte viel zu oft dazu, dass man Inhalte krampfhaft wie mit einer Schraubzwinge auf kleinere Bildschirme presste. Viele Websites waren mobil damit viel zu überladen oder hatten eine Bedienbarkeit, die den Nutzer in seinem Kontext nicht ausreichend abholte.

Die Hoffnung lag und liegt so also auf dem Mobile-First-Prinzip. Der Gedanke dahinter: Wenn man bei der Website-Konzeption dazu gezwungen wird, sich darüber Gedanken zu machen, was die wesentlichen Inhalte und Funktionen einer Seite sind, dann liegt es nahe, mit dem Endgerät zu beginnen, auf dem rein physisch auch weniger Platz zur Verfügung steht.

Das Problem von Mobile First aus Usability-Sicht

Es zeigt sich jedoch immer wieder, dass auch Mobile First nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Mobile und Desktop sind gänzlich unterschiedliche Endgeräte, die aus Usability-Sicht ihr eigenes individuelles Anforderungsprofil für das Webdesign mit sich bringen. Die Schwierigkeit des Mobile-First-Ansatzes ist, dass dieser das mobile Interface bevorzugt behandelt und dadurch die User Experience auf dem PC zu wünschen übrig lässt.

Ein im Rahmen dessen oftmals angeführtes Problem ist das mobil häufig verwendete Burger-Menu auf der Desktop-Variante. In einer Studie der Nielsen Norman Group (http://einfach.st/nngroup3) zeigte sich, dass das Verstecken der Navigation den mitunter größten negativen Einfluss auf die Usability von Websites auf Desktop-Geräten hat. Auch die Positionierung der Navigation oben rechts sowie das Ersetzen einer Suchbox durch ein einfaches Such-Icon wie etwa eine Lupe führen auf der Desktop-Seite zu einer schlechteren Nutzererfahrung.

Der Grund dafür ist, dass Mobile First dem Irrglauben aufsaß, Reduktion sei aus Usability-Sicht immer die bessere Wahl . Nutzer sind Gewohnheitstiere und daher wird von einem Nutzer immer unnötige kognitive Arbeit abverlangt, wenn diese von der gelernten Norm abweicht. Aus diesem Grund macht es immer mehr Sinn, vom Nutzer aus zu denken und die eigene Website dessen kontextbasierten Bedürfnissen anzupassen. Amazon-Chef Jeff Bezos brachte dies sicherlich am besten auf den Punkt, als er sagte: „Start with the customer and work backwards.“  

Das Problem von Mobile First aus Content-Sicht

Aber Mobile First ist nicht nur aus Usability-Sicht ein Problem. Auch aus redaktioneller Sicht bringt dieses Prinzip ganz praktische Probleme mit sich. Es fällt einem Redakteur immer wesentlich leichter, einen umfangreichen Artikel zu kürzen und zusammenzufassen, als von einer gekürzten Fassung in kurzer Zeit einen detaillierteren Content zu produzieren. Aus mehr weniger zu machen, funktioniert immer besser, als aus wenig viel zu machen. Das gilt nicht nur beim Thema Geldvermehrung, sondern auch bei der Content-Erstellung.

Letztlich sollte uns diese Erkenntnis auch nicht weiter überraschen, da eine einfache Übertragung von Inhalten zwischen unterschiedlichen Medien und Interfaces noch nie funktionierte. Genauso wie man Inhalte für Print nicht einfach 1:1 auf das Web übertragen sollte, passen Inhalte für Desktop nicht zwangsläufig automatisch für Mobile. In diesem Zusammenhang hat sich daher auch die Überlegung etabliert, dass man Inhalte gemäß der Displaygröße dynamisch ausspielt, um sich somit dem individuellen Nutzungsverhalten pro Endgerät anzupassen. Dies ist wiederum auch aus Usability-Gründen wesentlich erfolgversprechender, als ausschließlich mobile Endgeräte in den Fokus zu rücken.

Responsiver Content ist aber auch aus SEO-Sicht die zu bevorzugende Lösung, da hierbei alle responsiven Inhaltsvarianten im Quelltext abgelegt und Device-abhängig ausgespielt werden. Um Google und Co. daher mehr Content-Signale anzubieten, ohne gleichzeitig Textwüsten zu produzieren, hat sich der Einsatz einer responsiven Ausspielung von Inhalten als ein sinnvoller Weg herausgestellt. Basis dieser Umsetzung ist technisch gesehen die Nutzung eines Responsive Designs, welches wiederum schon seit Jahren von Google empfohlen wird und auch im Hinblick auf den Mobile-First-Index die beste Wahl darstellt.

Problem von Mobile First aus SEO-Sicht

Im Bereich der Suchmaschinenoptimierung wird Mobile First häufig mit Mobile Friendliness (dt. mobile Nutzerfreundlichkeit) gleichgesetzt. Während es bei der von Google offiziell als Rankingfaktor bestätigten Mobile Friendliness einer Website primär um die Nutzererfahrung auf mobilen Endgeräten geht, beschreibt die Mobile-First-Indexierung Googles Vorgehensweise, ausschließlich die mobile Version als Maß der Dinge bei der algorithmischen Bewertung einer Website heranzuziehen. Diese veränderte Form der Indexierung kündigte Google bereits 2016 an und ab September 2020 wird sie für alle Websites zum Standard.

Zur Bereitstellung einer mobilen Website gibt es verschiedene Möglichkeiten. Neben dem Einsatz eines Responsive Designs oder Dynamic Serving kann die mobile Version auch unter einer gesonderten Mobile-Subdomain laufen (meist „m.domain.de“), was bedeutet, dass es stets zwei URL-Varianten pro Landingpage gibt. Da Backlinks (Links von externen Websites auf die eigene Website) ein essenzieller Rankingfaktor sind und Google hierbei Subdomains als eigene Website betrachtet, muss der Suchmaschinengigant auch nach der Umstellung auf den Mobile-First-Index die Website weiterhin als Ganzes betrachten – zumindest im Hinblick auf den Aspekt der Backlinks. Denn kaum ein Link von einer externen Seite deutet auf die mobile Variante einer Landingpage, sodass hier mit der ausschließlichen Betrachtung der mobilen Websiteversion ein essenzieller Teil der Bewertung für Google wegfallen würde. Hier scheint der Konzern offensichtlich einen Weg gefunden zu haben, denn für einen Großteil der Websites mit mobiler Subdomain führte die Umstellung auf Mobile-First-Indexierung nicht zu Problemen. Allerdings gab es in den letzten 12 Monaten auch schon Beispiele, wo Websites mit mobilen Subdomains nach der Umstellung massiv an Traffic verloren.

Die Bewertung einer mobilen Website bringt darüber hinaus auch die Gegebenheit mit sich, dass Inhalte wegen der begrenzten Displaygrößen deutlich kompakter dargestellt werden müssen. Aus diesem Grund muss Content teilweise hinter Tabs, Akkordeons oder Ein- und Ausklappfunktionen verborgen werden. Diese nicht initial sichtbaren Inhalte (auch „Hidden Content“ genannt) waren aus SEO-Perspektive lange Zeit kritisch zu betrachten, da sie von Google für die Bewertung der Website als weniger wichtig eingeordnet wurden. Im Zuge der Mobile-First-Entwicklungen musste Google also zwangsläufig einen neuen Weg finden, mit nicht initial sichtbarem Content auf Websites umzugehen, und John Müller bestätigte in einem Google Webmaster Hangout 2017, dass Hidden Content in einer Mobile-First-Welt kein Problem mehr darstellt. Gleichzeitig muss Google dennoch sicherstellen, dass über Hidden Content keine Manipulationen stattfinden können, und crawlt daher auch in den Mobile-First-Index überführte Websites noch ab und zu mit dem Googlebot für Desktop (siehe Abbildung 3). Diese Vorgehensweise revidiert ein Stück weit die Ausschließlichkeit des Crawlings im Zuge der Mobile-First-Indexierung und führt weiterhin zu Unklarheit. Daher sollte auch bei Mobile-First-Websites weiterhin ebenfalls die Desktop-Variante hinsichtlich einer optimalen Darstellung sowohl für Nutzer als auch für Google geprüft werden.

Problem von Mobile First aus Business-Sicht

Der Mobile-First-Ansatz basiert auf der Grundannahme, dass die Mehrheit aller Nutzer Websites mit einem mobilen Endgerät besucht. Auch wenn diese Annahme übergreifend und global betrachtet sicherlich dem Trend entspricht und größtenteils zutreffend ist, zeigt sich bei genauerer Betrachtung jedoch teilweise ein anderes Bild. So offenbart etwa ein Blick auf die Statcounter-Daten zur Device-Nutzung in Deutschland (siehe Abbildung 4), dass im Gegensatz zur globalen Lage in Deutschland der Anteil mobiler Geräte auch heute noch unter dem Anteil von Desktop-Geräten liegt. Auch zeigt sich der erneute Anstieg der Nutzungszahlen von Desktop-Geräten während der aktuellen Corona-Krise. Diese Fälle verdeutlichen, dass die Nutzung von Devices immer abhängig vom Kontext der jeweiligen Nutzer ist.

Diese Kontextabhängigkeit der Endgerätenutzung wird aber auch anhand unterschiedlicher Branchen bzw. Geschäftsmodelle deutlich. Während die Nutzung von Smartphone & Co. im Bereich Business-to-Consumer (B2C) eindeutig die von der Mehrheit der Nutzer präferierte Variante des Websitebesuchs ist, sieht es im Bereich Business-to-Business (B2B) insbesondere in Branchen wie Maschinenbau, fertigendes Gewerbe oder Transport und Logistik anders aus. Im B2B-Bereich machen Website-Zugriffe mittels mobiler Endgeräte häufig nur einen niedrigen einstelligen Prozentsatz des gesamten Traffics aus und Mobile als Traffic-Segment ist damit nahezu vernachlässigbar. Hier wäre der Mobile-First-Ansatz eindeutig der falsche Weg und könnte sogar zum ökonomischen Nachteil werden. Zweifelsfrei zahlen viele der typischen mobilen Optimierungen, wie etwa die Verbesserung der Seitenladezeiten oder gut strukturierte Inhalte, auch auf eine verbesserte Nutzererfahrung am Desktop ein. Allerdings stellt sich vor allem aus betriebswirtschaftlicher Sicht die berechtigte Frage, warum ein Unternehmen viel Zeit, Geld und Ressourcen darauf verwenden sollte, eine mobile Website, die so gut wie nicht genutzt wird, zu optimieren, nur weil Google eine One-Fits-All-Solution fahren möchte.

Bei Google dreht sich in den letzten Jahren zwar alles um das Thema Machine Learning und es wird „KI-First“ postuliert, doch mit der pauschalen Umstellung auf Mobile-First-Indexing für alle Websites werden individuelle Gegebenheiten nicht ausreichend beachtet. Mit der vorhandenen Datenbasis in Kombination mit Machine Learning und KI wäre es für Google sicherlich ein Leichtes, das Besucherverhalten pro Branche, Themenfeld oder gar pro Website bezüglich der Verwendung von Mobile und Desktop zu unterscheiden. Auf Basis dessen wäre es doch wesentlich sinnvoller, zu entscheiden, wo ein Mobile-First-Indexing tatsächlich Sinn macht.

Fazit

Das Internet unterliegt einem stetigen Wandel und es entstehen regelmäßig neue Webstandards. In diesem dynamischen Umfeld ist es für Unternehmen zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit wichtig, mit der Zeit zu gehen und den Anforderungen der genutzten Plattformen zu entsprechen. Aus der SEO-Perspektive muss deshalb sichergestellt werden, dass die Unternehmenswebsite den aktuellen Anforderungen von Google genügt, was dennoch gerade im Hinblick auf Mobile First nicht in blinden Gehorsam übergehen sollte. Die in diesem Artikel diskutierten Aspekte verdeutlichen, dass alle Marketingmaßnahmen stets auf die letztendlichen Businessziele einzahlen müssen. Dies kann eben auch bedeuten, dass der Fokus auf Desktop gesetzt wird, wenn sich die Nutzer und potenziellen Kunden primär dort bewegen, und im Bereich Mobile nur die Hygienefaktoren erfüllt werden. Bei allen Überlegungen und Maßnahmen sollte der Nutzer im Zentrum stehen und ein User-First-Ansatz verfolgt werden – sowohl für SEO als auch für Usability o. a. Marketingkanäle.