OMX/SEOkomm 2018

Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

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Im November pilgerten erneut rund 900 wissenshungrige Onliner nach Salzburg zu den beiden Fachkonferenzen OMX und SEOkomm. Wie jedes Jahr gab es in jeweils drei Tracks in Summe knapp 50 Vorträge rund um Online-Marketing und Suchmaschinenoptimierung. Den Veranstaltern ist es, so viel vorweg, wieder einmal hervorragend gelungen, die richtige Mischung vom Einsteiger bis zum Experten und von breit bis tief zu finden.

Die Keynote auf der OMX hielt Karl Kratz, zu dem man eigentlich gar nicht mehr so viel sagen muss. Mit seiner „Kunst der digitalen Verführung“ macht er nachdenklich und erzeugt beim Zuhörer den unwiderstehlichen Drang, die eigene Website durchzuflöhen, aber eben mit einer anderen, der wichtigen, der nicht leicht einzunehmenden Kundenperspektive. Wie müssen alle weg vom „Anschrei-Advertising“, wie Kratz es nennt. Die Angebote müssen wieder mehr das Kundenhirn stimulieren, statt auf den Empfänger mit oft eher tumb und beliebig austauschbaren Werbebotschaften zu schießen. Als Beispiel nannte er MOO.com. Nicht nur die Webseiten, wo man v. a. Visitenkarten verkauft, machen einfach Spaß. Auch die Kommunikation per Mail mit dem Kunden nach der Bestellung ist wirklich einzigartig:

„Hallo Karl, ich bin Little MOO – die Software, die sich um Ihre Bestellung kümmert. Gleich wird sie an Big MOO weitergeleitet. Das ist unser Drucker, der Ihre Bestellung in den nächsten Tagen drucken wird. Ich sag´ Ihnen dann Bescheid, wenn sie fertig und in der Post ist.“  

Das steht da z. B. in der ersten Mail. Wärmt das nicht ein klein wenig das Herz? Macht es die Wartezeit gefühlt etwas kürzer? Sicherlich ja. Und natürlich – nicht für jede Branche passen solche Formulierungen. Wirklich? Was würden wohl Drucker sagen, ob man so mit Kunden reden sollte? Den meisten wäre das wohl zu heftig. Und das ist genau der Punkt. Nicht was ich als Anbieter denke oder als richtig empfinde, ist entscheidend, sondern das, was beim Kunden ankommt bzw. wie es auf ihn wirkt. MOO hat sich das getraut und sie gehören mittlerweile zu den erfolgreichsten Online-Druckereien. Ein auf den ersten Moment arger Gehirnlangweiler – Visitenkarten drucken – wird emotional so aufgeladen, dass man bei Besuch der Website fast einen inneren Zwang verspürt und überlegt, ob man nicht doch noch welche bräuchte … Glauben Sie nicht? Versuchen Sie es! Und dann gehen Sie zu einer beliebigen anderen Online-Druckerei und wundern Sie sich, wie langweilig und mühsam dort plötzlich alles wirkt.  

Sein Backrezept für Erinnerbarkeits-Kekse:

2-5 Prisen Resonanz
+ 1 Kilo Einzigartigkeit
+ 1 Kilo emotionale Bandbreite
+ 80 % Selbsterkenntnis

Produkte bzw. deren Darstellung sollten Interesse wecken, Sehnsucht erzeugen und sensorische Kanäle ansprechen bzw. zumindest simulieren. So wie das die Oreo-Kekse in Abbildung 3 tun. Man kann sie nicht riechen oder anfassen, aber trotzdem erzeugen sie durch automatisch angestoßene Erinnerungen eine Emotion, die sich positiv auf die Visitenkarten überträgt. Das erzeugt Resonanz beim Betrachter. Einzigartigkeit und die erzeugte emotionale Bandbreite, die man bespielt, zahlen positiv auf die Erinnerbarkeit ein. Auch hier führt Kratz wieder MOO als gutes Beispiel an: Wer schon mal eine Mail von MOO bekommen hat, wird sich auf jeden Fall daran erinnern. Trotz der vielen Tausend anderen Mails, die in der Zwischenzeit aufgelaufen sind. Wer dort bestellt hat, wird die Marke wahrscheinlich nicht mehr vergessen und bei weiteren Käufen ist der Anbieter praktisch gesetzt. Ganz ohne teure „Erinnerungswerbung“. Steckt man das (bei jedem) knappe Geld besser in Anschrei-Werbung oder macht man die Webseiten smarter?

Bei Google Ads kann und sollte man möglichst viel automatisieren, so Sebastian Hirth in seinem Vortrag. 80 % der Zeit verbringen Account-Manager mit manuellen Aufgaben. Dabei wäre und ist es dringend notwendig, sehr viel mehr Zeit in die strategische Weiterentwicklung zu stecken. Über Alerts, regelbasierte Automatismen, Skripte bis hin zum Einsatz von Smart Bidding oder die Unterstützung durch externe Bidding-Tools lässt sich viel Zeit für wichtigere Aufgaben einsparen. Reports lassen sich beispielsweise heute gut, dynamisch und bequem mit Googles Data Studio erledigen. Zielgruppen oder z. B. auch „negativ Keywords“ können über den Einsatz von Skripten automatisch hinzugefügt werden. Hier lassen sich fast 17 % der Kosten einsparen und die Kosten pro Conversion halbieren, so Hirth. Als Tipp für ein besseres Funktionieren smarter Kampagnen empfahl er, sog. Micro Conversions zu verwenden. Diese markieren wichtige Schritte auf dem Weg zum Kaufabschluss und lassen das bei Google eingesetzte Maschine Learning effizienter arbeiten, als wenn nur der Verkauf am Ende als Conversion-Signal gemessen werden kann. Maschinen lernen schneller, wenn man ihnen mehr Daten zur Verfügung stellt.

„52 % der Fortune 500 seit 2000 existieren nicht mehr“ (Accenture 2016).

„Disruption findet im Kopf den Kunden statt“, meint André Morys. Man muss wirklich verstanden haben, was außerhalb des Unternehmens und bei den Kunden passiert. Es gilt, die „Wahrheit“ für Probleme herauszulösen. Warum ist die Bounce-Rate so hoch? Das kann ein Usability-Problem sein, muss es aber nicht, wenn der Besucher grundsätzlich andere Dinge erwartet. Morys hat verzweifelt versucht, auf der Website der Commerzbank online ein Konto zu eröffnen. Es geht einfach nicht. Unternehmen verschlafen wichtige Trends, weil sie mehr mit sich selbst beschäftigt sind. Der neueste Trend ist, dass die Vorstände durch das Silicon Valley touren und sich ansehen, wie die Unternehmen dort arbeiten. Anschließend kommen sie zurück und es gibt bunte Besprechungsräume, Tischtennisplatten und Kicker für die Mitarbeiter. Dann ist man zwar – vielleicht – hipp, sitzt aber einem sog. Cargo-Kult auf. Man ahmt Dinge der Gewinner nach, ohne das wirkliche (neue) Funktionsprinzip dahinter verstanden zu haben.

Derzeit sind alle Chefs mit der digitalen Transformation beschäftigt, nutzen aber selbst noch nicht mal soziale Plattformen, um zu spüren, was sich draußen verändert. Analoge Prozesse werden ohne Re-Thinking digitalisiert und nicht an die neuen Möglichkeiten und Anforderungen angepasst. Das ist reine Rationalisierung, es kann Geld sparen, aber es macht Unternehmen nicht fit für die Zukunft. Jeff Bezos stellt in jeder Besprechung einen leeren Stuhl mit an den Tisch. Dort sitzt (imaginär) der Kunde und nimmt teil. Die Organisationsstrukturen sind der wahre Conversion-Killer, schließt Morys seinen Appell zu mehr Mut für (auch radikale) Veränderungen. 52 % der 500 größten Unternehmen (Fortune 500) sind innerhalb von nur 16 Jahren vom Markt verschwunden – das ist bitter, aber die Gründe dafür sind durchaus bekannt. Trotzdem werden sie vom Management ignoriert.

Die SEOkomm wurde traditionell mit einer Keynote von Marcus Tandler eröffnet. Tandler ist bekannt für seine Slidestorms, 420 waren es diesmal an der Zahl und kein einziges davon war zu viel. Er gab einen sehr tiefen Einblick in das, was seiner Meinung nach in den nächsten Jahren passieren wird und wie schnell Maschinen schlau werden könnten. Als Beispiel führte er unter anderem das neue „Smart Reply“ von Google für E-Mail an. Es zeigt recht gut, wohin das größte Projekt „Kona“ hinzielt: „A System for understanding the meaning of language.“ Am 25. Oktober 2016 wurde ein Patent von Google unter dem Namen „Question answering using entity references in unstructured data“ (US 9477759 B2) veröffentlicht. Dort ist nachlesbar, wie Google über Entitätenbeziehungen die wahre Bedeutung von Text bzw. Sprache extrahiert und somit immer besser im „Verstehen“ von Inhalten und dem Match mit Suchabsichten wird.

Stefan Czysch gab praktische Tipps für Online-Shops, die ihr Ranking verbessern wollen. So wird häufig vergessen, die Stammdaten in die Keyword-Recherche mit einzubeziehen. Das Inventar sollte auch die Keywords bestimmen, so Czysch. Dazu trägt man die Produktdaten der Kategorien zusammen, splittet sie in Ein-Wort-Suchanfragen und ermittelt über Pivot-Tabellen die Häufigkeiten. Daraus lassen sich dann wieder Suchphrasen und deren Suchvolumen (z. B. via Searchvolume.io) ableiten. Anschließend fragt man die aktuell bestehenden Rankings dafür ab und erkennt so Lücken und Optimierungsbedarf. Als Tool-Tipp nannte er „Search Analytics for Sheets“, mit dem man über Google Sheets direkt online Daten ermitteln kann. Aber auch der Blick auf die Mitbewerber kann wertvolle Hinweise geben, z. B. welche Keywords dort verwendet werden und welche Eigenschaften sich die eigenen Top-Seller mit ihnen teilen. Und natürlich ist immer ein Blick auf die eigene Shopsuche wertvoll – nach welchen Begriffen wird dort gesucht?

Ist SEO jetzt tot oder nicht? Nein, „aber verdammt komplex“, und daher müsse man am besten datengestützt vorgehen, meint Kai Spriestersbach. Er erklärte, dass und wie man die wahren Nutzerbedürfnisse erkennen und Keywords besser klassifizieren kann. Mittels Rankbrain lernt Google, welche Rankingfaktoren wann am besten funktionieren. Das bedeutet auch, dass am Ende bei jeder Suchanfrage durchaus andere Kriterien für das Ranking verwendet werden können – Patentrezepte und pauschale Faktoren gibt es nicht mehr. So empfahl er folgerichtig, sich nicht (mehr) zu stark auf das Ad-Suchvolumen zu konzentrieren, da dies leicht in die Irre führen kann. Die Zufriedenheit des Nutzers bzw. Suchenden ist Googles oberstes Ziel. Man wird ganz am Ende wohl doch nicht drum herumkommen, die richtigen Inhalte dafür zu erstellen.

Ganz genauso sah das Sebastian Erlhofer. Seine Beobachtung in der Praxis ist, dass man sich immer noch wundert, wenn das Ranking sich nicht verändert hat, obwohl man doch z. B. die Descriptions oder alle H3-Überschriften optimiert habe. Letztes Mal habe das ja noch funktioniert. Dazu stellte er u. a. seine drei Gesetze des SEO vor:

  1. Man weiß nicht genau, welchen Effekt eine Optimierungsmaßnahme haben wird. Es gibt keine Sicherheiten im SEO.
  2. SEO kostet immer zweimal. Das erste Mal bei der Analyse, das zweite Mal beim Optimieren.
  3. Man hat nie ausreichend Ressourcen (Zeit, Geld, Leute).

Um einen besseren Leitfaden für eine zielgerichtete Vorgehensweise an der Hand zu haben, stellte Erlhofer ein SEO-Framework bzw. einen entsprechenden Workflow und spezielle Scorecards vor. Da dieses Thema aber zu komplex für eine kurze Darstellung in einem Konferenzbericht ist, hat er versprochen, es in der nächsten Ausgabe der Website Boosting in einem eigenen Beitrag vorzustellen.

Fazit

Eine schlicht nahezu unbeantwortbare Frage ist wohl, ob man lieber auf die OMX oder die SEOkomm gehen sollte. Wenn auch inhaltlich getrennt, ist ein Kombi-Besuch auf beiden Konferenzen wohl fast als Pflicht anzusehen, um selbst bei stark spezialisierter Tätigkeit über den sprichwörtlichen Tellerrand sehen zu können. Insofern liegen dann doch beide Inhaltsblöcke nahe (genug) beieinander. Die Veranstalter Oliver und Uschi Hauser bieten von Jahr zu Jahr zusammen mit dem Beirat nicht nur zuverlässig ein wirklich sorgfältig ausgesuchtes Programm mit sehr guten Speakerinnen und Speakern, sondern man spürt dort auch den intensiven Charme des echten Kümmerns. Das Herz. Die Leidenschaft.
Insofern eine wirklich klare und ehrliche Empfehlung auch für 2019!