Von der Nische ins Zentrum – eine Zeitreise

Timo Aden
Timo Aden

Timo Aden ist Gründer und Geschäftsführer der Trakken Web Services GmbH – eines auf Digital Analytics, Conversion Optimization, DoubleClick und Google Cloud spezialisierten Unternehmens mit mehreren europäischen Offices. Zudem ist er Buchautor mehrerer Google-Analytics-Bestseller, Dozent der FHWS und anerkannter Google-Analytics-Experte.

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Google Analytics kennt jeder. Doch woher kommt das Tool? Was sind die Ursprünge und wie hat es sich im Laufe der Zeit verändert und entwickelt? In diesem Beitrag unternimmt Timo Aden eine kleine Zeitreise mit Google Analytics von den Anfängen des Vorläufer-Produktes bis hin zur heutigen Plattform-Betrachtung als Teil eines Eco-Systems. Und wer könnte dies besser tun als jemand, der durch seine Zeit bei Google von Anfang an dabei war?

Im März 2005 akquirierte Google ein damals zumindest außerhalb der USA weitestgehend unbekanntes Unternehmen namens Urchin Software Corporation. Also lange, bevor die erste Website Boosting erschien. Außer einer Pressemeldung, die am 28. März 2005 lanciert wurde, fand dieser Deal eher nur in der Fachpresse Beachtung. Genauere Deal-Terms wurden nicht kommuniziert, man kolportierte einen Kaufpreis von ca. 20–30 Mio. USD. Eine im Vergleich zu heutigen Transaktionen eher sehr niedrige Summe – der Google-Aktienkurs stand zur damaligen Zeit im Übrigen bei 181 USD.

Urchin war zur damaligen Zeit ein Web-Analyse-Tool, welches in zwei Varianten angeboten wurde – als On-Premise- und als SaaS-Lösung. Die On-Premise-Lösung konnte auf eigenen Servern gehostet werden und lief demnach nicht in der Cloud. Insgesamt hatte Urchin einige Tausend Kunden, die deren Produkte nutzten.

Zum damaligen Zeitpunkt gab es einen sehr heterogenen Markt unterschiedlicher Web-Analyse-Tool-Anbieter wie bspw. Omniture, HBX, Indextools etc. – alles Namen, die man heute eher nicht mehr kennt. Und aus heutiger Sicht noch viel unvorstellbarer ist, dass ein sehr großer Teil der Websites überhaupt kein Web-Analyse-Tool im Einsatz hatte.

Doch zurück zu Urchin. Nach der Übernahme wurden erst mal keine weiteren neuen Kunden zugelassen. Das Urchin-Team zog von San Diego nach Mountain View in die Google-Zentrale und es begann die Integration in die Google-Welt. Es fand ein Rebranding auf Urchin from Google statt.

Und wenige Monate später, nämlich am 15. November 2005, wurde Google Analytics offiziell gelauncht. Das eigentlich Revolutionäre war, dass die SaaS-Version von Urchin kostenlos unter dem Namen Google Analytics zur Verfügung gestellt wurde. Es kam zu einem nicht erwarteten Ansturm auf Google Analytics, welcher zur Folge hatte, dass die Eröffnung weiterer und neuer Google-Analytics-Konten gestoppt wurde. Ausgehend von den damals 30.000 Google-Analytics-Konten waren sämtliche Google-Server hoffnungslos überlastet. Im weiteren Verlauf wurden nur wenigen auserwählten Unternehmen auf Anfrage Zugangscodes gegeben, mit denen dann ein Account erstellt werden konnte. Nahezu unvorstellbar, dass diese Invitation-Codes tatsächlich in Excel-Tabellen manuell gepflegt wurden.

Einige der zentralen Metriken waren zur damaligen Zeit noch Hits, wobei Google Analytics damals auch schon Seitenaufrufe und Besuche darstellte – vor allem Letzteres war nicht unbedingt selbstverständlich. Im Laufe des Jahres 2006 wurden die Zugangsbeschränkungen dann nach und nach aufgehoben, sodass dann zum Jahreswechsel auf 2007 der Zugang zu Google Analytics tatsächlich auch für alle kostenlos möglich war.

Einige Reliquien aus alten Urchin-Zeiten sind auch heute noch in Google Analytics sichtbar. Beispielsweise gibt es die UTM-Kampagnen-Parameter für das Tracking von Marketing-Aktivitäten außerhalb der automatisierten Verknüpfung mit Google-Produkten – also utm_source, utm_medium, utm_campaign, utm_content und utm_term. Hierbei steht utm für Urchin Tracking Module – auch 13 Jahre nach der Übernahme immer noch aktuell.

Im weiteren Verlauf wurde das Tool permanent weiterentwickelt und neue Features hinzugefügt, die heute selbstverständlich erscheinen – verschiedene Export-Möglichkeiten (PDF), Versand von Reports per Mail, Drill-Down-Funktionalitäten und beispielsweise die Möglichkeit, sich innerhalb eines Reports mehr als 100 Zeilen anzeigen zu lassen. Die damalige Urchin-On-PremiseLösung, also diejenige, die auf eigenen Servern gehostet werden konnte, wurde zunächst nicht mehr weiterentwickelt und dann im weiteren Verlauf komplett eingestellt.

On Premise vs. SaaS

Einer der großen Vorteile, die mit dem Launch von Google Analytics einhergingen, war die direkte Verknüpfung mit Google AdWords. Durch die Verbindung der entsprechenden Accounts und das automatisierte Tracking der AdWords-Kampagnen gab es einen Vorteil, den andere Anbieter in der Form nicht bieten konnten. Die Einführung des gclid-Parameters für die automatische Erkennung und Zuordnung von AdWords-Traffic innerhalb von Google Analytics und die Verbindung der Daten hat sicherlich nicht nur Google Analytics deutlich vorangebracht, sondern auch eine merkliche Steigerung der AdWords-Spendings mit sich gebracht, da informierte Entscheidungen getroffen werden und hierdurch eine bessere Steuerung der AdWords-Aktivitäten vorgenommen werden konnte.

Rückblickend hatte Google Analytics, im Vergleich zu einigen anderen Anbietern, durchaus einiges aufzuholen.
Aus den damals 30.000 Google-Analytics-Konten wurden in der Zwischenzeit mehr als 30 Mio. Konten

ntsprechend vielfältig sind die Anforderungen der Nutzer. Vom Blogger bis zum internationalen Großkonzern, vom Developer bist zum Marketer, von E-Commerce bis zum Portal – alle Bedürfnisse müssen mit einem Tool abgebildet werden können. Irgendwann stößt man immer an Grenzen und Limits und folglich werden viele dieser Limits mittels der Bezahlvariante gelöst. Dies betrifft beispielsweise die Anzahl der benutzerdefinierten Variablen (200 statt 20) oder das Sampling (im Grunde nicht mehr vorhanden), aber auch den Zugriff auf Rohdaten, datengestützte Attribution und neben der automatischen Verbindung mit AdWords auch die Verknüpfung mit DoubleClick-Produkten.

Und da die Anforderungen und Wünsche sich nicht nur im Enterprise-Bereich ändern, sondern auch die Erwartungshaltung aller Google-Analytics-Nutzer steigt, wurde am 15. März 2016 die Analytics 360 Suite gelauncht. Innerhalb dieser Suite wurden verschiedene Tools auf den Markt gebracht, die im weitesten Sinne im Zusammenhang bzw. ergänzend zu Google Analytics stehen. Hintergrund ist, dass sich eine Vielzahl unterschiedlicher Tools und Anbieter gebildet hat, die hinsichtlich der Datenstruktur und Verknüpfungsmöglichkeiten untereinander nicht unbedingt zusammenpassen. Das heißt, viele Unternehmen haben einen Bauchladen unterschiedlichster Tools im Einsatz, die nicht oder nur schlecht miteinander harmonieren – dies ist oftmals weit entfernt von einem Plattform-Gedanken, der sich eigentlich mittlerweile etabliert hat, damit die in den jeweiligen Silos entstehenden Daten miteinander in Verbindung gebracht und aktiv genutzt werden können.

Die Abbildung 7 zeigt auf, wie Google Analytics im Umfeld sowohl mit den anderen Produkten der Google Analytics 360 Suite als auch mit weiteren Produkten zusammenspielt – nicht nur zwangsläufig mit Produkten aus der Google-Welt, sondern auch in Verbindung mit Produkten anderer Anbieter.

Hieraus wird zum einen die Komplexität sichtbar, aber auch die Möglichkeiten, die im Zusammenspiel bei professioneller Nutzung der verschiedenen Tools möglich sind. Dabei gibt es klare Wege, die hier hinführen. Zu Beginn geht es immer erst mal um die Data-Collection-Phase. Welche Daten sollen innerhalb des Unternehmens getrackt werden? Welche Websites gibt es? Gibt es Apps, die getrackt werden sollen? Welche weiteren Daten sind innerhalb des Unternehmens verfügbar und können sinnvollerweise mit Daten aus Google Analytics in Verbindung gebracht werden? Welche Herausforderungen gibt es beim Tracking – Cross-Domain-Tracking, Enhanced-E-Commerce-Tracking, User-Tracking, Datenschutz und vielerlei oftmals sehr individuelle Anforderungen. Doch die reine Fokussierung auf die eigenen Websites und Apps ist hierbei nicht ausreichend. Die in Google Analytics anfallenden Daten können (und sollten) ergänzt und veredelt werden, um ein umfassenderes Bild zu erlangen. Hierbei geht es neben den üblichen Website- und Kampagnen-Tracking-Daten um beispielsweise folgende Ergänzungen:

  • Hinzufügen von Storno-Daten für E-Commerce-Transaktionen
  • Hinzufügen von Nutzerdaten wie bspw. Klassifizierungen (ABC-User) oder weiterer nutzerspezifischer Informationen, die aus dem Backend hinzugefügt werden
  • Hinzufügen weiterer Kampagnendaten als Metainformationen für bestehende Kampagnendaten
  • Import von Geo-Daten für die Gruppierung und Individualisierung von Geodaten
  • Anreicherung von Contentdaten durch weitere Informationen wie bspw. Autoren, Zusatzinformationen
  • Ergänzung von Produktdaten durch bspw. Informationen wie Margen, Größen, Lieferanten etc.
  • Benutzerdefinierte Daten können weitestgehend beliebig hinzugefügt werden und eigene Dimensionen und Metriken erstellt werden
  • Kostendaten können für Marketing-Aktivitäten hinzugefügt werden, die außerhalb der Google-Welt platziert sind und damit nicht automatisiert getrackt werden
  • Durch die Möglichkeit einer Verknüpfung mit Salesforce können zudem CRM-Daten integriert werden

Die Collection-Phase innerhalb eines Web-Analytics-Projektes ist essenziell wichtig, da hier die entscheidende Basis für die weitere Arbeit mit den Daten und Tools gelegt wird. Beispielsweise können die Themen Customer Journey oder Attribution niemals sinnvoll angegangen werden, wenn die Collection-Phase nicht professionell durchgeführt und beendet wurde. Laufen alle gewünschten Daten ordnungsgemäß in Google Analytics ein, kann man Google Analytics als zentralen Daten-Hub betrachten. Hier läuft alles zusammen – alle relevanten Daten sind hier zentral verfügbar. Doch was macht man nun damit?

Google Analytics als zentrale Datensammelstelle

Aus dem Schaubild in Abbildung 7 wird ersichtlich, dass die Pfeile zwischen Collection und Analytics in beide Richtungen gehen. Das heißt, es geht nicht nur ausschließlich darum, die Daten in Google Analytics einfließen zu lassen, sondern sie auch wieder herauszuholen. Hierfür gibt es vielerlei Möglichkeiten. Diverse API-Schnittstellen, Export-Funktionalitäten und in der Analytics-360-Variante der Zugriff auf Rohdaten via Google BigQuery. Hierdurch können dann die in Google Analytics generierten Daten zunächst erhoben, dann angereichert werden, um sie dann – sozusagen veredelt – wieder in geeignete Tools oder Datentöpfe zurückzuspielen (beispielsweise ein eigenes Data Warehouse).

Liegen dann sämtliche Daten in der zentralen Datensammelstelle Google Analytics vor, geht es darum, sie nutzbar zu machen, sie zu aktivieren und in Aktionen umzuwandeln. Innerhalb der 360-Suite und in Verbindung mit anderen Google-Produkten gibt es hierbei vielfältige Möglichkeiten. Sämtliche – angereicherte und veredelte – Daten stehen zur Verfügung, um daraus Segmente bzw. Audiences zu erstellen. Diese wiederum können dann für die Optimierung von Marketing-Kampagnen verwendet werden. Über die Schnittstelle mit AdWords kann dort auf sämtliche in Google Analytics erstellte Segmente zugegriffen und Kampagnen können damit entsprechend individualisiert werden. Innerhalb der 360-Suite besteht die Möglichkeit, Verbindungen zu den DoubleClick-Produkten zu erstellen (DoubleClick Campaign Manager, DoubleClick Bid Manager, DoubleClick Search) und auch hier die jeweiligen Segmente und Audiences für Optimierungszwecke einfließen zu lassen. Hierdurch können gravierende Effizienzsteigerungen und Kampagnenerfolge erzielt werden. Ebenso können diese Audiences dann wiederum auch externen 3rd Party Adtech Providern zur Verfügung gestellt werden, um Kampagnen auch außerhalb der Google- und DoubleClick-Welt auf der einheitlichen Datenbasis zu optimieren.

Neben der Optimierung der eigenen Marketing-Kampagnen können die verfügbaren Informationen auch für die Onsite-Optimierung genutzt werden. Hierbei kann eine Verbindung von Google Analytics mit Google Optimize 360 erstellt werden. Hierüber können sämtliche in Google Analytics angelegten Segmente und Audiences in dem Tool für Conversion-Optimierung und Personalisierung verwendet werden. Das heißt, in Abhängigkeit vom jeweiligen Segment können beispielsweise segmentspezifische Landingpages ausgespielt werden. Hierdurch kann Content auf der Website weitestgehend individuell optimiert wiedergegeben werden – auf Basis sämtlicher in Google Analytics verfügbarer Daten.

Ein weiteres Modul ist Attribution 360, womit Daten aus Google Analytics und DoubleClick zusammengeführt werden, um datengestützte Attributionsmodellierungen durchzuführen. Auf dieser Basis können Marketing-Budgets auf anderer Basis allokiert und deutliche Marketing-Effizienzgewinne erzielt werden.

Und da sämtliche Produkte der Suite mittlerweile recht komplex geworden sind, sodass es nicht jedem Mitarbeiter innerhalb eines Unternehmens zumutbar ist, sich in die verschiedenen Produkte einzuarbeiten, gibt es mit dem DataStudio die Möglichkeit, Daten aus den jeweiligen Produkten zu visualisieren, Dashboards und Reports zu erstellen und diese mit den entsprechenden Kollegen zu teilen.

Nach wie vor stellt sich die Herausforderung, sämtliche Nutzer glücklich zu machen. Nicht jeder wird sich die jeweiligen Bezahlvarianten der einzelnen Produkte leisten können oder wollen. Entsprechend gibt es zu jedem Produkt eine kostenlose Alternative. DataStudio ist global ausschließlich kostenlos verfügbar, Google Analytics, Google Optimize, Google Attribution gibt es jeweils als kostenlose und kostenpflichtige Variante – mit nachvollziehbarerweise unterschiedlichen Ausprägungen und Möglichkeiten.

Sieht man sich die Entwicklung seit 2005 an, hat sich nicht nur das Online-Marketing dramatisch weiterentwickelt. Der Web-Analyse-Markt hat sich entscheidend verändert – Google Analytics hat hieran sicherlich einen großen Anteil. Vor allem aber hat sich Google Analytics von einem eher rudimentären Webtracking-Tool zu einem globalen Enterprise-Tool entwickelt, welches ein essenzieller Teil einer kompletten Marketing-Suite, einer technischen Infrastruktur geworden ist.

Die damaligen Gründer, im Übrigen zum Teil immer noch bei Google aktiv, werden sich diesen Weg zum damaligen Zeitpunkt der Übernahme sicherlich nicht in dieser Form ausgemalt haben. So hat vielleicht auch Google Analytics einen kleinen Anteil daran, dass bislang 50 Ausgaben des Website-Boosting-Magazins erscheinen konnten, da sich am Ende die Online-Marketing-Welt doch immer vor allem um Daten dreht.

Herzlichen Glückwunsch Website Boosting!