Nischen-Ranking-Faktoren:

Warum die Ansprüche an Search und Content immer individueller werden

Markus Tober
Markus Tober

Marcus Tober ist nicht nur als Gründer, CTO und treibende Kraft von Searchmetrics über einschlägige SEO-Kreise hinaus bekannt, sondern auch als Impulsgeber und Experte auf vielen internationalen Bühnen unterwegs. Der „Big-Data- und Statistik-Freak“ ist bei Kongressen, Symposien und Think Tanks weltweit ein gefragter Gast und Keynote Speaker. Als Stratege hinter der Searchmetrics Suite macht er mit Leidenschaft das Thema Search-Analyse zur Grundlage für jegliche Weiterentwicklungen der Software.

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Wie sinnvoll ist das Konzept der Ranking-Faktoren heute noch? Ist es in Zeiten höchster Individualisierung – mit hochkomplexen Algorithmen, lokalisierten Suchergebnissen, personalisiertem Content – noch sinnvoll, sich am Durchschnitt zu orientieren? Spoiler: Es gibt keine universellen Ranking-Faktoren mehr! Wichtig sind der individuelle User und folglich eine spezifische Search- und Content-Strategie! Marcus Tober erklärt, wie man damit am besten umgeht.

Im Mai 2010 erschien die erste Ausgabe dieses Magazins. Drei der Themen auf dem Deckblatt waren: Linkaufbau, Ladegeschwindigkeit und ein Interview mit Googles Matt Cutts. Damals wie heute, 49 Ausgaben der „Website-Boosting“ später, treibt Autoren und Leser die Frage um, welche Maßnahmen denn nun die wichtigsten sind, um die Rankings in den Google-Suchergebnissen zu verbessern. Matt Cutts ist nicht mehr bei Google, aber ist denn irgendwas von damals noch relevant?

Fakt ist: Search ist weiterhin einer der wichtigsten Kanäle im Online-Marketing. Nach Daten von similiarweb.de bekommen die 100 Seiten mit der höchsten SEO Visibility (eine Metrik von Searchmetrics zur Messung der Online-Performance bei Suchmaschinen) bei Google.de durchschnittlich 48,2 % ihres Traffics via Organic Search. Und damals wie heute ist das Ziel, Optimierungspotenziale für diesen Kanal über Analysen wie Ranking-Faktoren zu ergründen. Was heute anders ist? Dass bestimmte SEO-Taktiken heute kaum noch funktionieren, ist Konsens. SEO hat sich verändert. Und SEO wird sich weiter verändern. Das Ziel ist dasselbe geblieben, doch die Maßnahmen haben sich geändert.

Old-School-SEOs müssen sich umerziehen

Früher bestand ein Großteil der Suchmaschinenoptimierung darin, anhand allgemeiner Faktoren mit skalierbaren Methoden große Erfolge zu erzielen. Das haut nicht mehr hin und wird von Google abgestraft. Neben Penguin-Updates, die künstliches Linkbuilding ins Visier nehmen, erkennt Googles Algorithmus viele weitere Taktiken, die zu keinem Erfolg mehr, sondern nur noch zu Ranking-Penaltys führen. Auch größere Firmen werden nicht vom Misserfolg verschont.

Wer heute nur noch für Suchmaschinen optimiert und die eigentlichen Bedürfnisse seiner Nutzer dabei vernachlässigt, der sieht schnell seine Rankings – und damit seinen Traffic – in den Abgrund rutschen. Viele Methoden der Vergangenheit sind auf dem Friedhof gelandet und SEOs, die mit diesen Old-School-Taktiken hausieren gehen, sollten sich schleunigst der Realität der Gegenwart anpassen.

Die Suche nach Awesomeness

Seit Langem äußert sich Google vorsichtiger zum Thema Ranking-Faktoren. „Hochwertige Inhalte“, „Qualität“ oder „Awesomeness“ seien jetzt die wichtigsten Faktoren: Alles Aspekte, die sich schwer messen und dementsprechend schwer manipulieren lassen. Links (und andere Faktoren) bleiben wichtig – es reicht aber nicht mehr, einen vermeintlich positiven Faktor zu identifizieren und damit unendlich zu skalieren. Was heißt das für SEOs? Einpacken? Nein! Das Ziel der Suchmaschinenoptimierung hat sich damit nicht geändert – man muss nur cleverer vorgehen, um zu erkennen, was großartig oder „awesome“ ist.

Mal umgekehrt betrachtet: Nutzer erkennen sehr schnell, wenn eine Website nicht großartig ist. Entsprechend wichtig sind Faktoren, die zur positiven User Experience beitragen: eine schnell ladende Seite, eine gut umgesetzte Mobiloptimierung, verschlüsselter Datentransfer über HTTPS. Eine gute User Experience ist immer gut, aber trotzdem unterscheiden sich je nach Branche die Prioritäten und das, was für den User am meisten zählt. Zum Beispiel:

  • Im Mobilbereich ist AMP Voraussetzung für Publisher, die bei den Schlagzeilen- und News-Karussell-Integrationen erscheinen möchten. In anderen Branchen ist AMP zwar kein Nachteil, aber längst nicht so entscheidend.
  • Seiten ohne HTTPS werden vom Browser als unsicher gekennzeichnet – für Seiten in Bereichen wie E-Commerce oder Finanzen kann dies besonders fatale Auswirkungen haben, da sie häufig sensible Nutzerdaten abfragen.
Nutzer erkennen sehr schnell, wenn eine Website nicht großartig ist. Auch Google wird immer besser darin.

Diese Faktoren – neben weiteren Punkten wie etwa der Vermeidung von zu viel Werbung – kann man mit der Botschaft zusammenfassen, die technische Umsetzung der Website soll möglichst benutzerfreundlich sein. Die User Experience soll den Nutzer zufriedenstellen. Richtig zufrieden dürfte der Nutzer aber erst dann sein, wenn der Content „awesome“ ist und seine Erwartungen erfüllt. Und hier heißt es: Es kommt darauf an.

Wie „awesome“ Inhalte sind, hängt davon ab, inwiefern sie der Suchanfrage entsprechen und relevant sind. Dies ist aber keine Umschreibung von einfachen Formeln wie „mehr Keywords = mehr Awesomeness“. Google will die besten Ergebnisse liefern, gemessen am genauen Kontext und an der Nutzerintention. „Awesome“ ist also die Website, die unter Betrachtung des Kontexts und der Nutzerintention das beste Ergebnis liefert.

Was heißt in diesem Kontext „Kontext?“

Zum Kontext einer Suchanfrage gehören theoretisch alle denkbaren Variablen: Gerät (z. B. Mobile oder Desktop), aktueller Standort des Nutzers, Browser (z. B. Chrome oder Firefox), Nutzerdaten (z. B. Suchhistorie) und weitere.

Durch die Datenexplosion können Suchergebnisse extrem differenziert ausgespielt werden. Für die SEO-Branche geht es darum, Relevantes von Irrelevantem zu trennen. Google bezieht beispielsweise den Browser bei der Berechnung der Suchergebnisse mit ein. Allerdings zeigt eine kleine Analyse von Searchmetrics, dass über 90 % der URLs auf der ersten SERP in den Browsern Mozilla Firefox und Google Chrome völlig identisch sind. Außerdem sind die wenigen Unterschiede, die es gibt, meistens erst auf den Plätzen 7-10 zu finden, wo eh relativ wenig Traffic generiert wird.

Google weiß, wo ich bin

Google kennt auch den Standort des Nutzers, aber abgesehen von expliziten Suchen nach lokalen Informationen werden in Bonn, Berlin und Hamburg zu über 85 % vollkommen identische Ergebnisse angezeigt (Analyse von Searchmetrics). Dies erscheint logisch. Die Antwort auf „Wie wechsle ich einen Autoreifen?“ hat nichts mit dem Standort zu tun.

Demgegenüber stehen Suchbegriffe mit eindeutigem lokalen Bezug (Pizza in der Nähe, Wetter heute). Hier liegt die Übereinstimmung zwischen den Suchergebnissen verschiedener Städte bei unter 5 %. Google berücksichtigt den Standort aus sehr gutem Grund – er ist jedoch nur in bestimmten Fällen relevant. Hinzu kommt die Tatsache, dass Suchen nach lokalen Geschäften häufig besser durch die Verwendung der Daten von Google My Business als durch SEO-Maßnahmen bedient werden, da diese für die Einbindung in Google-Maps entscheidend sind.

Individualität schön und gut – aber was heißt das für mich?

Alle, die sich mit SEO beschäftigen, suchen nach praktikablen, das eigene Geschäftsmodell betreffend umsetzbaren Optimierungen. Dafür müssen sie wissen, welche Differenzierungen zwischen Websites relevant sind. Vor diesem Hintergrund ist die individuelle Entscheidung zwischen zu granularen – und deshalb ineffektiven – und zu allgemeinen – und deshalb ineffektiven – Ranking-Faktoren der richtige Weg. Es ist nicht zielführend und mitunter kontraproduktiv, auf allgemeine Ranking-Faktoren zu setzen und Schlüsse für sein individuelles Business zu ziehen.

Trotz aller sonstiger Nebengeräusche bleibt zunächst der Suchbegriff (Keyword) – in seiner Rolle zur Erschließung des höher gelagerten Themas sowie der Nutzerintention – der Schlüssel zur Wahrheit. Anhand des Keywords kann man versuchen, zwei Fragen zum Verhalten des Nutzers und seinen Bedürfnissen zu beantworten:

  • Für welche Themen interessiert sich der Nutzer?
  • Wo befindet sich der Nutzer im Sales Funnel?

Ermittelt man die Antworten auf diese zwei Fragen, dann hat man eine gute Chance, die nächste Frage zu beantworten. Die lautet:

  • Welche Intention verbirgt sich hinter der Suchanfrage des Nutzers?

Ohne Kenntnis der Intention hat man keine Chance, den richtigen Content zu erstellen. Elektronik-Shops, die nur Produktseiten anbieten, werden nie das User-Bedürfnis nach Information bedienen können. Entsprechend verpassen sie die Chance, für Suchbegriffe ums Thema „Smartphone Vergleich“ oder „Handy Testberichte“ zu ranken. Ohne informative Inhalte können sie Nutzer nur abholen, wenn diese sich bereits in der Kaufphase befinden – dabei ist das Suchvolumen nach informativen Inhalten viel größer.

Sogenannte allgemeingültige Ranking-Faktoren sind so allgemein, dass sie faktisch nirgendwo gültig sind. Sie existieren nur im Durchschnittsbereich aller Webseiten.

Was denken meine User?

Keywords werden zwar gesucht, aber Nutzer denken in Themen. Optimiert man für ein Keyword, kann man für dieses ein gutes Ranking erzielen. Aber wenn man holistischen, einschlägigen Content ums Thema kreiert, hat man eine gute Chance, hohe Rankings für viele Keywords im thematischen Cluster zu erzielen. Wichtig ist es dann, zu wissen, was Inhalte zu diesem Thema einschlägig – relevant – macht. Mit allgemeingültigen Ranking-Faktoren kommt man aber nicht sehr weit.

Branchen-Ranking-Faktoren

Vor diesem Hintergrund fing Searchmetrics 2017 an, Ranking-Faktoren für einzelne Branchen zu ermitteln. Die Vermutung war, dass sich Seiten im Reisebereich von Finanz- oder Medienseiten unterscheiden würden. Die Analysen bestätigten die Vermutung.

Dennoch umfasst eine Branche ein so breites Themenfeld, dass es sogar innerhalb der Branche sehr viele verschiedene Nutzerintentionen gibt, die durch sehr unterschiedliche Inhalte bedient werden. Branchen-Trends sind nützlicher als ganz allgemeine Trends, aber für wirkliche Handlungsempfehlungen muss man eine Ebene tiefer ins Thema tauchen – daher braucht man Nischen-Ranking-Faktoren.

Nischen-Ranking-Faktoren

Nischen sind kleiner als Branchen. Zur Branche „Finanzen“, könnten beispielsweise die Nischen „Kredit“ oder „Versicherung“ gehören. Weitere Nischen aus anderen Bereichen wären „Dating“, „Scheidung“, „Witze“, „Auto-Tuning“ etc. Die Auswahl an Nischen ist unendlich und was für ein Unternehmen relevant ist, hängt davon ab, was es bzw. seine Website anbietet. In vielen Fällen werden sich relevante Nischen an den Abteilungen oder Produktsegmenten des Unternehmens orientieren. Dadurch entsteht eine Struktur zur Optimierung der Website, die eng mit der Struktur des Unternehmens (und dementsprechend mit dessen Zielen) verbunden ist.

Strukturierte Daten als Ranking-Faktor?

Google liebt strukturierte Daten (schema.org), denn sie helfen, Inhalte zu erkennen und zuzuordnen. Dies ist aber auch in unterschiedlichen Nischen anders wichtig. Deshalb sollte man nicht verallgemeinern, dass jede Webseite auf Microdata setzen sollte.

In der Rezept-Nische wird viel mehr Gebrauch von Mikrodaten gemacht als bei Dating oder Scheidung. Im Schnitt haben Top-10-Rezeptseiten 15,6 Mikrodaten-Integrationen. Dies ist nicht unlogisch, denn es gibt nämlich Mikrodaten-Tags für Zutaten, Kalorienwerte, Kochzeiten etc. Außerdem gewinnen URLs an Aufmerksamkeit in den SERPs, wenn sie Mikrodaten integrieren, denn sie werden direkt als Snippet-Ergänzung angezeigt.

Text-Struktur als Ranking-Faktor?

Allgemein gilt: Content, den der Nutzer besser verstehen und konsumieren kann, kommt besser an. Aber allgemein gilt eben nicht mehr. Listen sind ein Mittel, Inhalte nutzerfreundlich zu strukturieren, aber deren Verwendung variiert stark je nach Nische.

Informationen zum Thema Scheidung sind in der Regel komplexer und bedürfen mehr Struktur als Dating-Websites. Auto-Tuning-Seiten brauchen Listen, um dem Nutzer seine Optionen anzubieten. Wer schnell lachen will, braucht keine Aufzählungen. Strukturiere HTML-Elemente für Inhalte sind also nur dann ein Ranking-Faktor, wenn es für den Content wichtig ist.

Alles ist ein Ranking-Faktor?!?

Diese sind zwei Beispiele von unendlich vielen – wichtig ist, die eigenen Nischen zu definieren und die dafür relevanten Ranking-Faktoren zu ermitteln. Wenn man das nicht macht, optimiert man seine Seite an den Zielgruppen und ihren Intentionen vorbei. Google wird nicht lange brauchen, darauf zu reagieren.

Suchmaschinenoptimierung im Jahr 2018 und darüber hinaus

Beim bisher verwendeten Konzept der Ranking-Faktoren hört es nicht auf. Auch weitere, über die organischen Suchergebnisse im eigentlichen Sinne hinausgehende Elemente sind im Einzelfall entscheidend. Als Beispiel unterscheidet sich die Integration von Universal-Search-Elementen wie Bilder, Video, Maps, Featured Snippets, App-Rankings etc. auch stark, je nach Branche oder Nische.

Finanzseiten, die ihre Ressourcen für Bilderoptimierung einsetzen, verschwenden ihre Zeit. Seiten im Reisebereich, die Bilderoptimierung vernachlässigen, entgeht eine große Traffic-Quelle.

Alles geht, nichts bleibt

Ohne konkrete Prognosen für die Zukunft zu machen, lassen sich drei Tendenzen feststellen, die sich wahrscheinlich weiter fortsetzen werden.

  • Die Berechnungsebene für Ranking-Faktoren wird immer genauer. Gegenwärtig wurde sie schon von allgemein auf Branchen und Nischen präzisiert – künftig geht der Trend bis hin zur Keyword-Ebene weiter.
  • Die Rolle von SEOs wird sich mehr Richtung Projekt- bzw. Produkt-Management entwickeln, da Aufgaben komplexer werden und mehr Spezialisten verschiedener Abteilungen involviert werden.
  • Es wird weiterhin Unternehmen geben, die sich mit Disziplinen wie technisches SEO, interne Link-Analysen, Content-Überarbeitung schwertun. Diejenigen, die das können, werden sich wahre Vorteile verschaffen.

Der Walkman und VHS-Videokassetten verkaufen sich nicht mehr besonders gut, aber Songs und Serien haben überlebt. Ob es in acht Jahren noch Spotify und Netflix geben wird, weiß man nicht, aber Leute werden noch irgendwas hören und gucken. Weder Suchmaschinen noch Ranking-Faktoren sind das, was sie vor acht Jahren waren, aber Leute googeln weiter. Search ist wichtig. Solange Menschen Fragen haben und nach Antworten suchen, wird Suchmaschinenoptimierung, in welcher Form auch immer, ein wichtiges Werkzeug im Online-Wettbewerb bleiben.