Mit 50 hat man noch Träume?

Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

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50 Ausgaben Website Boosting. Chefredakteur und Herausgeber Mario Fischer plaudert das erste Mal aus dem Nähkästchen, wie damals alles begann und durch welche Zufälle die Zeitschrift, die Sie gerade in den Händen halten, überhaupt erst entstand.

Eigentlich war es eine typische Schnapsidee. Auf einer Busfahrt vor über acht Jahren fragte mich ein Kollege, wann denn eine neue Auflage meines Buchs Website Boosting 2.0 käme. Boah – mein wunder Punkt. Ich wollte ja nach der ersten, unerwartet erfolgreichen Version die damals ca. 450 Seiten nur updaten. Heraus kam dann ein völlig neu überarbeitetes Werk mit fast 800 Seiten. Nach dem Erscheinen blieb es fast drei Jahre der Topseller auf Platz eins in der Kategorie Web und Internet bei Amazon.

Damals wollte mich der Buchverlag überzeugen, einen anderen, eher verständlichen, eingängigeren Titel als „Webseite Boosting“ zu finden. Das versteht sonst keiner, hieß es vonseiten der Experten. Monatelang hatte ich überlegt, aber einfach keine passende Bezeichnung gefunden. Es war ja das erste Buch, das zumindest den Versuch startete, Erfolg im Web rundum und disziplinenübergreifend zu behandeln. Es reichte meiner Ansicht nach eben nicht, nur SEO, nur AdWords, nur Conversion-Optimierung oder andere einzelne Maßnahmen anzupacken und noch dazu die anfallenden Daten nicht in Summe zu sehen. Daher beharrte ich auf dem Kunstbegriff Website Boosting. Punkt. Im Nachhinein betrachtet, war das eine meiner wichtigsten Entscheidungen.

Anfangs wollte man nur 700 Exemplare drucken. Das sei eh schon viel für ein Fachbuch, sagten die Experten, mehr verkaufe sich in der Regel nicht. Und schon wieder machte ich mir Sorgen. Wenn das gut anläuft, so dachte ich, und ich zum Start viel Werbung und Tamtam dafür mache, könnte das vielleicht zu schnell ausverkauft sein – und nachdrucken dauert. Potenzielle Käufer verlieren das aus den Augen, man hat nur einen Schuss, so meine Vermutung. Der Verlag ließ sich nach einigem Hin und Her breitschlagen und verdoppelte auf 1.400. Um es abzukürzen, die waren nach wenigen Wochen vergriffen und bis heute wurden knapp 40.000 Stück verkauft. Eines der erfolgreichsten Fachbücher in der Branche.

Zurück zur Busfahrt. Jetzt noch mal die ganze Mühle durchmachen, eine Version 3.0 schreiben, dann vielleicht mit 1.500 Seiten? Nein, darauf hatte ich weder Lust noch Zeit. Mir reichten schon die vielen Hundert Mails von Lesern, die mich nach dem Erscheinen der zweiten Version fragten, was sich denn genau geändert hätte und ob man ggf. das Delta bei mir als PDF haben könnte? Was sich geändert hatte? 450 zu 800 Seiten? Hallo? Nein, echt. Das wollte ich mir nicht noch mal antun. Ich versuchte, den Kollegen abzuwehren, indem ich darauf verwies, mittlerweile ändere sich alles so schnell, dass Inhalte schon veraltet seien, Websites oder Tools schon nicht mehr verfügbar seien, wenn es in den Druck geht. Man schreibe ja auch ein paar Monate dran … Eigentlich müsse man das als Zeitschrift herausgeben, spannen wir dann rum. Dann noch zwei Bier für jeden (wir waren ja im Bus) und irgendwie saß da dann plötzlich ein Ideenzeck im Pelz. Eine Zeitschrift. Eigentlich keine so schlechte Idee. Aber wo findet man einen Verlag, der einem die nötigen Freiheiten gibt, keine Daumenschrauben ansetzt und einem keine Beiträge von Werbekunden mit auf den Tisch legt, die aus alter Geldfreundschaft unbedingt in die nächste Ausgabe müssen? Kleine spätere Testballons per Nachfrage ergaben auch schnell, dass dafür kein Markt da wäre. Es gäbe schon genügend Computerzeitschriften, zu spitz, zu speziell, zu edgy. Wieder so eine Facheinschätzung der Experten. Aber der Zeck saß tief und wollte einfach nicht loslassen.

Besagter Kollege, Michael Müßig, hatte glücklicherweise eine Menge Vorerfahrung im Verlagswesen und hatte bereits Fachzeitschriften in Deutschland und Österreich an den Markt gebracht. Und so entschieden wir uns, vielleicht auch ein klein wenig aus Trotz, zusammen mit einem talentierten und erfahrenen Layouter, Kai Neugebauer, sowie anfangs „mit dem vierten Mann“ Götz Schmiedehausen, selbst einen Verlag zu gründen. Das war Ende Januar 2010. Ab da ging dann alles schnell. Bereits im Februar verkündete ich die Geburt des neuen Magazins auf der SEMSEO in Hannover nach einem eigenen Vortrag … just one more thing. Bämmm … Die anwesenden Teilnehmer schossen die Nachricht nach draußen und noch vor dem Start eines Probeheftes hatten wir bereits über 1.000 Abonnenten. Blind gebuchte Jahresabos. Meine Herren. Nein, unmöglich, niemals – sagten die Verlagsexperten. Abonnenten kannst du frühestens nach einigen Ausgaben erwarten, Anzeigenkunden eher noch viel später. Euch werden ganz sicher bald die Themen ausgehen, so viel gibt’s da ja nicht, sagten Branchenkenner. Manchmal offen, manchmal hinter vorgehaltener Hand. Worauf ich aber heute noch sehr stolz bin - dass wir für die erste Ausgabe ein Exklusivinterview mit dem legendären Matt Cutts bekamen. Es war übrigens das erste, dass er in dieser Art und Weise für ein Printmagazin gab.

Und jetzt? Jetzt ist das alles es schon 50 Ausgaben und acht Jahre her. Wow. Und was denken Sie – sind uns die Themen ausgegangen?

Werbung. Auch so ein Thema, bei dem ich auch heute noch vom Glauben abfalle. Ein Beispiel aus dem letzten Monat. Mail einer PR-Agentur, der Vorstand von X habe was ganz Tolles zu sagen. Inhaltlich war das in etwa so zu verorten, dass er entdeckt hatte, man könne mit SEO mehr Traffic generieren und biete das jetzt auch für Kunden an. Aufgehübscht mit Zahlen. Solche Mails kommen oft mehrmals pro Tag. Ich lösche die meisten ungelesen. Von der besagten weiß ich, weil sich die Dame von der Agentur hartnäckig und mit nicht ganz sauberen Mitteln Zugang zu meinem Telefonanschluss verschafft hatte. Also ratterte sie kurz ihre Story herunter und ich unterbrach höflich, aber relativ schnell, dass dies nicht das Richtige für unsere Leser sei. Für sie offenbar eine Sollbruchstelle, denn dann machte sie den Geldbeutel auf: „Natürlich würden wir auch eine Anzeige schalten.“ Gerne, sagte ich (innerlich schon grinsend), dann spricht unser Anzeigenleiter mal mit Ihnen deswegen, so was läuft nicht über die Redaktion. Ob das dann mit dem Beitrag klarginge? Nein, sagte ich, leider nicht, denn Redaktion und Anzeigen sind bei uns strengstens getrennt und es gibt keinerlei Möglichkeit, sich da einzukaufen. Wie? Was? Verwirrung am anderen Ende. So was sei doch üblich und da sei doch gar nix dabei. Ich erklärte höflich, dass die anderen Medien sich so vielleicht ihre Brötchen verdienen, bei uns gebe es das nicht. Lieber sperre ich den Laden zu, als mir gekauften Bullshit (Sorry, aber wenn Sie die Inhalte solcher „Pressemeldungen“ sehen würden – es gibt kein anderes Wort; auch da hab ich lang überlegt) ins Heft und vor Ihre kritischen Augen zu holen.

Ab und an bekomme ich da auch immer wieder mal verständlichen Streit mit unserem Anzeigenleiter. Ich habe mich mit einem Autor oder einer Autorin über einen Fachartikel verständigt und die wollen dann – am besten noch innerhalb dieses Artikels – Werbung schalten. Das verstehe ich. Aber wie sieht das denn aus? Richtig – als wäre der Beitrag per Werbung gekauft worden! Da das in der Website Boosting niemals der Fall ist, möchte ich natürlich auch keinesfalls den (falschen) Anschein erwecken. Vor allem, weil ich weiß, dass dies offenbar bei vielen anderen Publikationen in der Branche gang und gäbe ist. Ich lege da und auch für die jeweilige Ausgabe immer mein Veto ein, eben aus diesen Gründen. Ich empfehle den Unternehmen, lieber eine Ausgabe später zu schalten, denn wenn es so wirke, als sei die Veröffentlichung eines Fachbeitrags gekauft, sei er weniger bis gar nicht mehr glaubhaft. Manchmal rutscht mir so was auch schon mal durch, und zwar immer dann, wenn ich es nicht mitbekomme. Damit entschuldige ich mich hiermit schon mal für die Vergangenheit und auch für die Zukunft. Aber in der Regel können Sie sich darauf verlassen, dass man bei uns definitiv keine Beiträge gegen Geld unterbekommt. Natürlich könnte man damit den Gewinn maximieren, aber ich persönlich halte das für eine zu kurzfristige Perspektive, und ich weiß, Sie würden uns das auf Dauer sicher übel nehmen. Richtig?

Warum gibt es keine elektronische Ausgabe der Website Boosting? Diese Frage trudelt häufiger mal bei uns ein. Das hat mehrere, wohlüberlegte Gründe (als ob wir nicht selbst schon auf die Idee gekommen wären ;-) ). Zum einen können wir es uns als kleiner Verlag aus Kapazitätsgründen nicht leisten, zwei Schienen zu bedienen. Dazu kommt, dass jede elektronische Ausgabe im Print wegfallen würde. Und wie sich jeder vorstellen kann, hat Print hohe Fixkosten und es ist (fast) unerheblich, ob man nun weniger oder mehr druckt. Jede Printausgabe würde damit kalkulatorisch teurer werden. Außerdem kann man eine gedruckte Ausgabe im Unternehmen weitergeben, das ist für die Leser auf jeden Fall günstiger, als wenn jeder oder jede ein gesondertes Abo schalten müsste. Es gibt aber noch eine viel wichtigere Überlegung: Legen Sie mal Ihre Hand auf Ihr Herz und beantworten sich ganz ehrlich die Frage, wie viele Dokumente/PDFs auf Ihrem Rechner schlummern, die Sie mal voller Eifer runtergeladen, aber dann doch niemals wieder angesehen haben? Bei mir sind es etwas über 12.000 (kein Spaß, ich hab mal eine Suchabfrage gemacht). Ein gedrucktes Heft liegt auf dem Tisch. Man nimmt es irgendwann in die Hand – man hat ja auch dafür bezahlt. Eine Datei liegt erst mal still auf einer Festplatte. Denkt man nicht aktiv daran, ist sie schnell vergessen. Zudem versichern mir immer wieder Leser auf Konferenzen, dass sie es durchaus schätzen, die Website Boosting überall lesen zu können, etwas in der Hand zu halten und die Abwechslung zu genießen, eben mal nicht wie sonst den ganzen Tag branchennotwenig auf einen Screen zu glotzen. Am Ende kommt noch eine Sicherheitsüberlegung dazu. Wir sind darauf angewiesen, die Hefte auch verkaufen zu können. Alles was elektronisch rausgegeben wird, ist relativ leicht kopierbar. Viele unserer Leser haben berufsbedingt natürlich das nötige Know-how dazu. Wenn unsere Ausgabe unter der Hand von Mail zu Mail weitergegeben wird oder breit über diverse illegale Portale zum einfachen Download zur Verfügung stünde, würden uns der zwangsläufig folgende Rückgang der Absatzzahlen sicherlich finanziell schwer treffen. Ich hoffe sehr, Sie können unsere Gründe nachvollziehen und machen diesen Anachronismus, „Analog“ berichtet über „Digital“, auch weiterhin mit.

Aber eine wichtige „digitale“ Ankündigung kann ich Ihnen schon mal machen. In Kürze werden Sie alle Ausgaben bis auf das jeweils aktuelle Jahr vollständig auf unserer Website finden und darin suchen können. Für uns eine kleine Herkulesaufgabe, an der wir aktuell noch arbeiten. Wie geplant zu dieser Ausgabe 50 ist das leider nicht mehr ganz fertig geworden, aber wer schon einmal einen umfangreichen Relaunch hinter sich hat, weiß sicherlich, dass so was nie zu geplanten Terminen fertig wird. So auch bei uns.

In den letzten Jahren konnten Sie von über 300 ausgesuchten und für jede Ausgabe handverlesenen Fachautoren und Fachautorinnen Tipps, Tricks, Hilfen, Einschätzungen, How-to-dos und Aktuelles lesen und hoffentlich davon in jeder Ausgabe noch eine Kleinigkeit dazulernen. Das ist unser Anspruch und den wollen wir für die Zukunft fortführen. Mit 50 hat man noch immer Träume – meiner wäre, zusammen mit Ihnen die Ausgabe 100 zu erreichen.

Ich hoffe sehr, dass dies auch in Ihrem Sinne ist und Sie uns weiterhin Ihre fachliche Zuneigung schenken!