Rückblick 2016: Die wichtigsten Online-Rechts-Urteile im Überblick

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Der Artikel nutzt das zu Ende gegangene Jahr 2016, um in der gebotenen Kürze die wichtigsten Urteile zum Online-Bereich darzustellen. Dabei werden insbesondere auch wichtige instanzgerichtliche Entscheidungen mit berücksichtigt.

1. Google Cache und Unterlassungserklärungen: 

Darauf, welche rechtlichen Probleme mit dem Google Cache eintreten können, wenn ein Unternehmen eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat, hatten wir bereits in der Vergangenheit hingewiesen. Es ist daher wenig verwunderlich, dass auch im Jahr 2016 zahlreiche weitere Gerichte sich mit dieser Konstellation zu beschäftigen hatten. 
Klare Worte des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart:  Ein Unterlassungsschuldner haftet ohne Wenn und Aber für die Rechtsverletzungen, die weiterhin im Google Cache stehen. Dem Schuldner waren bestimmte Werbeäußerungen verboten worden. Die Texte waren über den Google Cache jedoch weiterhin abrufbar. Der Schuldner eines gerichtlichen Verbots müsse alles unternehmen, dass die jeweilige Rechtsverletzung dauerhaft unterbunden werde. Hierzu gehöre auch, dass der Schuldner aktiv werde und eine zuvor geschaffene Rechtsverletzung beseitige.  
Im Bereich des Internets gehöre dazu, auch den Google Cache zu kontrollieren und dafür zu sorgen, dass dort die beanstandeten Inhalte nicht mehr abrufbar seien. Eine bloß mündliche Aufforderung per Telefon reiche nicht aus, da einem solchen Handeln der notwendige Druck fehle. Die Aufforderung zur Beseitigung müsse der Schuldner vielmehr schriftlich vornehmen. Auch müsse er kontrollieren, ob der Dritte die verlangte Löschung vornehme. 
Nach Meinung des OLG Zweibrücken  soll dagegen in diesen Fällen überraschenderweise kein Verstoß vorliegen.  
Hier hatte sich noch ein urheberrechtswidriges Bild im Google Cache befunden. Der Beklagte verwendete in diesem Rechtsstreit im Rahmen einer eBay-Auktion unerlaubt ein Foto. Als er eine Abmahnung des klägerischen Rechteinhabers erhielt, gab er eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, in der er sich verpflichtete, das Bild nicht weiter zu nutzen. Bei eBay wurde die Auktion gelöscht, jedoch fand sich im Google Cache noch eine entsprechende Kopie. Nach Ansicht des OLG Zweibrücken lag keine Rechtsverletzung vor. Eine Pflicht, sich auch den Google Cache anzuschauen, habe hingegen nicht bestanden. Denn der Kreis der durchschnittlich versierten Internetnutzer habe nicht von vornherein Kenntnis davon, dass Informationen weiterhin (wenn auch nur befristet) als Abbild des früheren Standes einer Webseite im Cache gespeichert seien und dort, zu welchem Zweck auch immer, gezielt gesucht werden könnten.
Das Urteil des OLG Zweibrücken überzeugt inhaltlich nicht wirklich und ist daher mit Vorsicht zu genießen. Schaut man sich nämlich die gängige Rechtsprechung zu den Pflichten eines Unterlassungsschuldners an, so setzen die Gerichte hier durch die Bank sehr strenge Maßstäbe an. So verlangt der Bundesgerichtshof (BGH)  beispielsweise, dass bei einer rechtswidrigen Firmierung der Schuldner nach Abgabe einer Unterlassungserklärung aktiv auf Online-Dienste wie gelbeseiten.de, Google Maps und 11880.com zugehen und sich dort um eine entsprechende Änderung bemühen muss. Dass nun gerade der Google Cache von dieser Pflicht ausgenommen sein soll, überzeugt nicht. Es handelt sich dabei um kein „exotisches" Feature, sondern um ein Tool, das seit vielen Jahren der Allgemeinheit bekannt ist. Daher hat auch die überwiegende Anzahl der sonst angerufenen Gerichte  in diesen Fällen einen Verstoß gegen die Unterlassungserklärung angenommen.

2. Dauerbrenner Google, Google AdWords & Google Shopping:

Auch im Jahr 2016 gab es zahlreiche Entscheidungen, die die Google-Dienste betrafen.

a. Haftung von Google erst ab Kenntnis

Google haftet für fremde Rechtsverletzungen grundsätzlich erst ab Kenntnis. Dies hat 2016 auch noch einmal das OLG Köln  bestätigt. 
Über die Kläger waren umfangreich persönlichkeitsverletzende Äußerungen auf Webseiten Dritter veröffentlicht worden. Die Kläger wollten von Google die Löschung dieser Seiten aus Suchergebnissen. Die Richter bejahten grundsätzlich einen solchen Anspruch, wenn trotz Kenntnis der Rechtsverletzungen Google keine entsprechenden Maßnahmen ergreife. Im konkreten Fall verneinte das Gericht jedoch die Ansprüche, weil die Kläger nicht in ausreichendem Maße über die Verstöße informiert hätten. Die Sperrung durch einen Suchmaschinen-Anbieter müsse nur dann erfolgen, wenn die Rechtsverletzung offensichtlich sei.  

b. Irreführende Angabe bei Werbeanzeigen

Macht ein Unternehmen irreführende Angaben im Rahmen seiner Online-Werbung, so haftet es genauso wie im Offline-Leben.
Eine Firma, die online mit einem nicht vorhandenen Standort wirbt, führt den Verbraucher in die Irre, entschied das OLG Köln.  Die Beklagte war im Bereich der Schädlingsbekämpfung tätig und warb online mit Standorten, an denen sie gar keine Niederlassung hatte. Die Kölner Richter stuften dies als irreführend ein. Durch den angeblichen Firmensitz vor Ort werde der Eindruck erweckt, das Unternehmen sei ortsnah und schnell verfügbar. In Wahrheit sei dies aber gerade nicht der Fall, sodass potenzielle Kunden getäuscht würden.

c. Falsche Preisangaben

Auch im Jahr 2016 sind die Entscheidungen zu falschen bzw. ungenauen Preisangaben im Rahmen von Online-Werbeanzeigen ein Dauerbrenner.
Eine AdWords-Anzeige „Alles Drin-Tarif 9,99 EUR/M" für Mobilfunkleistungen ist irreführend, wenn neben dem erwähnten monatlichen Entgelt zusätzliche Einmal-Gebühren anfallen, so das LG Düsseldorf.  Auf diesen Umstand hätte bereits in der Werbung selbst hingewiesen werden müssen.  
Gleiches gilt für eine Anzeige mit der Angabe „0 EUR Zuzahlung“ für die Lieferung eines Smartphones, wenn neben den monatlichen Entgelten eine einmalige Zuzahlung erforderlich ist. Auch hier wertete das LG Düsseldorf  das Verschweigen der weiteren Kosten im Rahmen der Anzeige als Wettbewerbsverstoß.
So sieht es auch das OLG Hamburg.  Dort ging es um die Frage, ob auf der verlinkten Landingpage das konkret beworbene Angebot einsehbar sein muss oder ob es ausreicht, wenn die Offerte an irgendeiner anderen Stelle auf der Webseite angeboten wird.
Der verklagte Handy-Online-Shop schaltete folgende AdWords-Anzeige „Das neue Samsung S6 ab 1,- EUR“. Auf der Landingpage wurde das Samsung Galaxy S6 jedoch nicht zu diesem Preis angeboten. Ein entsprechender Vorschlag befand sich aber an anderer Stelle im Online-Shop. Hierfür musste der Surfer jedoch das Menü auf der Webseite verwenden. 
Die Hamburger Richter stuften diese Werbung als irreführend ein. Der Verbraucher erwarte, dass er auf der Landingpage selbst Informationen zu dem beworbenen Angebot erhalte. Die Aussage „Das neue Samsung S6 ab 1,- €" erzeuge eine große Anlockwirkung, denn es handle sich um die wesentliche und prägende Information für eine Kaufentscheidung. 
Das vorgegebene Shop-Menü sei nicht ausreichend. Es lasse nicht ansatzweise erkennen, dass sich in den dahinter geschalteten Internetseiten ein Angebot für das Samsung Galaxy S6 zu einem Preis von 1,- € wiederfinde. Vielmehr bleibe es dem Nutzer überlassen, auf der Seite weiter nach dem beworbenen Angebot zu suchen.

Die Rechtsprechung überträgt diese Grundsätze auch auf den Bereich von Google Shopping. Werden bei Google Shopping falsche Versandkosten angezeigt, haftet der werbende Unternehmer für diese Wettbewerbsverletzungen, so das OLG Naumburg. 
Die Beklagte hatte bei Google Shopping Angebote eingepflegt und ursprünglich keine Versandkosten angegeben, sodass Google bei Aufruf den Text „Versand gratis" anzeigte. Im Laufe der Zeit stellte die Beklagte ihre Leistungen um und verlangte schließlich doch Entgelte für die Zustellung. 
Im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung konnte nicht geklärt werden, wer den Fehler begangen hatte: die Beklagte oder Google Shopping. Das Gericht stellte klar, dass dies im Ergebnis auch unerheblich sei. Denn selbst wenn der Fehler bei Google Shopping gelegen habe, sei das werbende Unternehmen verantwortlich. Google Shopping sei Beauftragter im wettbewerbsrechtlichen Sinn, sodass der Händler sich etwaige Unzulänglichkeiten zurechnen lassen müsse. 

d. Fehlende Pflichtangaben bei Google Analytics

Wenig verwunderlich ist die Entscheidung des LG Hamburg.  Die fehlerhafte Verwendung von Google Analytics auf der Webseite eines Unternehmens ist ein Wettbewerbsverstoß. Bei der Auseinandersetzung ging es nicht um die grundsätzliche Frage, ob Google Analytics generell genutzt werden darf, sondern nur um die fehlerhafte Verwendung dieses Tools. Das Unternehmen hatte nämlich auf seiner Webseite die nach § 13 Telemediengesetz (TMG) erforderlichen Daten für Google Analytics nicht angegeben. Hierin sah das LG Hamburg einen Rechtsverstoß und bejahte eine Wettbewerbsverletzung.


3. Amazon:

a. Haftung des Marketplace-Verkäufers für Amazon-Rechtsverstöße

Der BGH hat im Jahr 2016 hier zwei Machtworte gesprochen.
Erstens: Ein Marketplace-Verkäufer haftet für wettbewerbswidrige Amazon-Inhalte. Dies gilt auch dann, wenn die Informationen von Amazon vorgegeben werden und der Händler hierauf keinen Einfluss hat.  Es ging dabei um eine Werbung mit falschen Preisen. Die Preisangaben wurden originär von Amazon eingepflegt und der Händler hatte keine vertiefte Kenntnis von den Umständen. Trotz dieser Unkenntnis haftet der Händler in vollem Umfang.
Und zweitens: Ein Marketplace-Händler haftet für manipulierte, markenrechtswidrige Angebote bei Amazon.  Ein Amazon-Händler hatte ursprünglich eine Produktbeschreibung für seine Ware online gestellt. Einige Zeit später war die Beschreibung durch einen weiteren Händler abgeändert worden, sodass der Text eine Markenverletzung enthielt. Auch hier kannten die Richter kein Erbarmen: Wer die Vorteile von Amazon nutzt, muss demnach auch mit den Nachteilen leben.
Spätestens mit diesen beiden Entscheidungen sollte sich jeder Amazon-Händler erneut die Frage stellen, ob und wie er bei seinem Vertragspartner Amazon und dem Dritten Regressansprüche für vertrags- und rechtswidriges Verhalten geltend machen kann.


b. Haftung von Amazon für Rechtsverstöße von Marketplace-Verkäufern

Manchmal trifft es auch die Großen: Der Online-Riese Amazon haftet für urheberrechtswidrige Bilder seiner Marketplace-Verkäufer, so das Landgericht (LG) Berlin. 
Es ging um Produktfotos zum Parfüm „The Game" von Davidoff. Auf den Webseiten von Amazon tauchten entsprechende Fotos auf, an denen die Klägerin die ausschließlichen Nutzungsrechte hatte. Daraufhin mahnte die Klägerin die Plattform Amazon wegen des Urheberrechtsverstoßes ab. 
Amazon verteidigte sich damit, dass es sich um fremde Inhalte seiner Marketplace-Verkäufer handle, sodass es frühestens ab Kenntnis hafte. Das Gericht gab der Klage statt und verurteilte Amazon zur Unterlassung. Es handle sich um keinen fremden Content, denn mittels eines eigenen Algorithmus bestimme das Unternehmen, welche von den Verkäufern hochgeladenen Inhalte ausgewählt und angezeigt würden. Damit greife Amazon in die Autonomie des einzelnen Marketplace-Händlers ein, der möglicherweise ein ganz anderes, nicht rechtsverletzendes Foto gewählt hatte. 

c. Amazon-Autocomplete-Funktion

Die Autocomplete-Funktion der Amazon-Suche verletzt doch keine fremden Markenrechte. Dieser Auffassung ist jedenfalls das OLG Köln.  Bei Eingabe bestimmter Begriffe in die Amazon-Suche vervollständigte die Autocomplete-Funktion von Amazon die Suchworte. Sämtliche Treffer führten auf Produkte von Mitbewerbern der Klägerin. Die Klägerin bot selbst keine Produkte über Amazon an. 
In der ersten Instanz hatte das Landgericht noch eine Markenverletzung bejaht. Denn der Verbraucher werde meinen, dass sich hinter den einzelnen Suchwortvorschlägen von Amazon ein konkretes Produkt eines bestimmten Herstellers verberge. Dieser Ansicht hat das OLG Köln aber eine Absage erteilt und das Urteil in der Berufungsinstanz aufgehoben. 

4. Das LG Hamburg und das Internet: Linkhaftung reloaded

Auch im Jahr 2016 bot das LG Hamburg genug Material für kontrovers diskutierte Entscheidungen. Eine sticht besonders hervor: Nach Auffassung der Richter haftet, wer auf eine urheberrechtswidrige Seiten einen Link setzt und in Gewinnerzielungsabsicht handelt. 
Der Beklagte hatte einen Link auf die Webseite eines Dritten gesetzt. Auf dieser Homepage wurde ein Foto benutzt. Der Rechteinhaber ging nun gegen den Verlinkenden vor und begehrte Unterlassung.
Zu Recht, wie das LG Hamburg im Wege der einstweiligen Verfügung entschied. Entsprechend den Vorgaben, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) vor Kurzem aufstellte, sei der Verlinkende mitverantwortlich für die von dem Dritten begangene Urheberrechtsverletzung. Für die erforderliche Gewinnerzielungsabsicht reiche es aus, wenn die verlinkende Webseite an sich gewerblich unterhalten würde. Durch die eigentliche Verlinkung selbst müsse nicht zwingend eine Umsatzerzielung beabsichtigt sein. Dass der Verlinkende von der Rechtsverletzung keine Kenntnis gehabt habe, sei nicht schädlich, da er zumutbare Nachforschungen zur Frage der Rechtmäßigkeit des Foto-Einsatzes unterlassen habe.  
Unsere Meinung dazu: Problempunkt ist nicht die Rechtsansicht der Hamburger Richter, sondern es sind vielmehr die Vorgaben des EuGH. Das LG Hamburg setzt diese im vorliegenden Fall lediglich konsequent um. Nach Meinung der EuGH-Richter soll bei Handeln im Falle der Gewinnerzielungsabsicht grundsätzlich von der Kenntnis einer Rechtsverletzung auszugehen sein.
Denkt man diesen Ansatz des EuGH zu Ende, bedeutet dies nichts anderes, als dass jede kommerzielle Webseite ab sofort nicht mehr verlinken dürfte. Denn die vom EuGH aufgestellte Verpflichtung, sich vorab über die Rechtslage an den urheberrechtlich geschützten Werken zu informieren, ist nicht nur völlig lebensfremd, sondern in der Praxis auch gar nicht durchführbar. Verlinkt eine Webseite nun dennoch, steht sie stets mit einem Bein in der Haftung, da sie nie hinreichend sicher sein kann, dass die verlinkte Webseite nicht doch irgendwo einen Urheberrechtsverstoß begeht. Da die Linksetzung eines der elementaren Elemente des Internets ist, würde eine solche Rechtsansicht, wenn sie sich denn durchsetzen sollte, zu einer massiven Einschränkung und Veränderung in diesem Bereich führen.