Der Kern des Karl

Karl Kratz
Karl Kratz

Karl Kratz liebt und lebt feines Online-Marketing seit 1996. Er ist Autor diverser Online-Marketing-Publikationen (Welcome to the System, Haifischbecken Internet Marketing, Landingpage SEO) und betreibt die Online-Marketing-Plattform karlsCORE public.

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Normalerweise berichten wir nicht von geschlossenen Konferenzen. Die karlsCORE-public-Veranstaltungen tragen zwar den Zusatz „public“, können aber nur von Teilnehmern der gleichnamigen Plattform von Karl Kratz bzw. für Mitarbeiter aus deren Unternehmen  besucht werden. Wegen der erkennbar guten Resonanz auf diese Veranstaltungen haben wir uns entschlossen, uns dann doch mal dort in Berlin für Sie umzusehen und zu schauen, ob der vor allem über Social Media empfundene Zauber auch tatsächlich durchschlägt. Und ja, diese Konferenz hat eine große Fangemeinde gefunden – wir haben einige der Inhalte, die normalerweise so nicht für die breite Öffentlichkeit zugänglich sind, für Sie ausgewählt.

Karl Kratz dürfte den meisten unserer Leser wohlbekannt sein. Er hat für einige Ausgaben immer wieder von den Lesern gut beachtete Beiträge verfasst und schreibt seit einiger Zeit regelmäßig unsere letzte Seite ganz hinten im Heft „Abgekratzt“. Karl ist ein Rebell. Wo andere oft den gleichen ausgetretenen Denkpfaden folgen, versucht er, Dinge von anderen Seiten her zu beleuchten, um den Blick zu erweitern. Kenner der Szene wissen, dass man in seiner Nähe tunlichst nicht „Keyworddichte“ sagen sollte. Wenn so ein Typ Konferenzen veranstaltet, erwartet man, dass diese etwas anders sind. Und in der Tat – natürlich können die Speaker auch dort Räder nicht neu erfinden, aber sie beleuchten Details in Achsen und Speichen, die man oft so noch nicht wahrgenommen hat. Karl Kratz bringt sie offenbar dazu, nicht den gleichen oft schon gehörten Einheitsbrei zu präsentieren, sondern sich auf Dinge zu fokussieren, die für viele der fast 200 Teilnehmer dann doch in dieser Zusammenstellung neu wirken, nachdenklich(er) machen und die Motivation für Veränderung in den eigenen Webseiten erzeugen.

„Spürst du, dass die Luft beim Einatmen etwas kälter ist als bei Ausatmen?“

Kennen Sie Jan Becker? An ihn können Sie sich nur erinnern, wenn er das will. Nein, Spaß beiseite, er ist einer der ganz bekannten Hypnosespezialisten. Was hat so jemand auf einer Online-Marketing-Konferenz verloren? Er war für das Intro verantwortlich und zeigte dem Publikum, wozu man den menschlichen Geist bringen kann, wenn man das nötige Know-how hat und es nur geschickt anstellt. Und tatsächlich glaubten etwa 80 % der Zuhörer, dass erst der Mittelfinger ihrer einen Hand länger wäre und nach einigem Einreden plötzlich der andere. Natürlich muss man sich auch darauf einlassen. Und hier liegen auch der springende Punkt und der eigentliche Bezug zur Veranstaltung. Realität entsteht im Gehirn des Betrachters und was er zu sehen glaubt, das ist tatsächlich die wahrgenommene Realität für ihn. Später holte Jan Becker eine Teilnehmerin zu sich nach vorne und brachte sie nach einiger Zeit dazu, nach hinten umzufallen (wo sie freundlicherweise von Karl Kratz aufgefangen wurde). Das Besondere für mich als Beobachter war, dass ich diese Person zufällig gut kannte, später mit ihr sprechen konnte und sie ganz sicher nicht „gekauft“ war. Ja, meinte sie, das sei ein ganz komisches Gefühl gewesen, und sie habe sich fest vorgenommen, stehen zu bleiben. Aber plötzlich gingen ihre Fußspitzen nach oben und da war es auch schon passiert. Die Vermutung hat man ja oft im Fernsehen, wenn Personen scheinbar wahllos aus dem Publikum als Versuchskaninchen herausgepickt werden. Der „Trick“ hinter dem Ganzen liegt darin, für die Person unbewusst Erwartungen aufzubauen – wenn das gut gemacht wird, werden diese Erwartungen dann für diese Person zu ihrer Realität. Anders ist es auch nicht erklärbar, dass Menschen plötzlich den Mund nicht mehr öffnen können, um ihren Namen zu sagen. Oder nicht mehr in der Lage sind, einen Fuß vom Boden zu nehmen und ihn einen Schritt nach vorne zu setzen. Das alles zeigte Jan Becker und hinterließ damit ein diffus ungutes Gefühl bei vielen Teilnehmern. Kann man uns Menschen tatsächlich so leicht und unbewusst manipulieren? Ja, ganz offenbar schon. Durch das genannte aktive Aufbauen einer inneren Erwartungshaltung, eine Eskalation und Verstärkung des benutzten Impulses folgen Menschen in eine „Realität“, die physikalisch gar nicht möglich ist. Es geht also. Man kann Realität auch bewusst „bauen“. Die in dem Slot gemachten Erfahrungen waren jedenfalls für viele ein sehr guter Eye Opener und insofern auch ein recht gut gelungener. 

Jan Becker fasste das Erlebte für die Teilnehmer nochmals zusammen und landete punktgenau beim Leitthema der Konferenz: „Wie leiten wir die Aufmerksamkeit unserer Besucher, damit in ihrer Wahrnehmung die von uns gewünschte Realität entsteht?“ 

„30 Prozent Klickrate auf Mobile Ads gibt Anlass zur Sorge.“

Die Passion von Thomas Grübel ist seit über zehn Jahren SEA, also bezahlte Klickwerbung – genauer gesagt die technischen Herausforderungen dahinter. Sein erster Tipp war, dass eine hohe Klickrate (CTR) auf Mobile Apps in der Regel eben kein Grund zur Freude ist. Wer 30 Prozent CTR oder mehr bei Displaywerbung in den Auswertungen sieht, hat seiner Einschätzung nach ein Problem. Meist entstehen solche zu hohen Werte durch Ausspielungen auf den falschen Plattformen oder der Surfer wird „überrumpelt“, zu klicken. Sein Tipp dazu war, sich die Plattformen genau anzusehen und sie ggf. manuell auszuschließen und vor allem auch eine Analyse nach den Toplevel-Domains zu fahren. Kommen dann für bestimmte TLD wie z. B. .org oder .ru zu hohe CPO-Werte (Cost per Order), kann das ein Zeichen für Manipulationen im weitesten Sinne sein. In einer beispielhaften Analyse zeigte er, dass der CPO auf .de-Sites bei 21,65 € lag, auf .org-Sites aber bei fast 38 €. Hier besteht Handlungsbedarf, wenn man sein Geld nicht durchs falsche Werbefenster werfen möchte.

„Excel ist das wichtigste Werkzeug für SEA-Manager“; Thomas Grübel.

Grübel empfahl, sich persönliche Spalten im AdWords-Konto einzurichten, die individuell benötigte Kennzahlen direkt ausweisen. Dies lässt sich in AdWords vergleichsweise einfach per Maus bewerkstelligen. Um eine neue Spalte zu erzeugen, die den ROI ausweist, klickt man als Formel im Spalteneditor einfach z. B. „Conv.-Wert gesamt“ geteilt durch „Kosten“ zusammen. Für den ROI für Mobile spezifiziert man den Messwert „Conv.-Wert“ einfach tiefer auf die Geräte, hier eben bestimmte Mobilgeräte, die man segmentieren möchte. Wer noch nicht mit Spaltenerweiterungen gearbeitet hat, sollte dies einfach mal ausprobieren. Der Zuwachs an Transparenz und damit an Optimierungspotenzial kann enorm sein.

Nach der Erweiterung der sog. Expanded Text Ads (ETA) gibt es nun insgesamt 45 zusätzliche Zeilen. Wie geht man bei der Umstellung am besten vor? Vor allem, wenn man einen größeren Shop mit vielen solcher ETA in der Kampagne hat? Die wichtigsten Texte kann man natürlich manuell anpassen. Auch hier kann Excel helfen und nach etwas Parametrisierung die Arbeit fast automatisiert übernehmen. Grübel gab den Rat, einfach Informationen von den jeweiligen Landingpages zu holen. Also z. B. Texte aus den Überschriften (H1, H2 etc.), aus dem Title oder der Breadcrumb. Das ist nicht immer optimal, aber für eine erste Massenumstellung oft ein einfacher und erst mal wirtschaftlicher Weg. Die Textbausteine bekommt man z. B. recht einfach über Excel-Add-ons wie das SEO-Tool von Nils Bosma. Ein klein wenig muss man sich natürlich mit solchen Tools und HTML auskennen. Über eine der nützlichen Funktionen, „XPathOnURL()“ kann man praktisch jedes Element von einer Webseite in eine Excelzelle extrahieren. Ist eine Liste mit Landingpage-URLs definiert, kann man über die von dort extrahierten Texte recht schnell an Material kommen, um die ETA entsprechend zu ergänzen. Mit einer Live-Vorführung blieb er den Beweis dann auch nicht schuldig. Als Online- bzw. Cloudalternative wies er auf Google Spreadsheets in Verbindung mit Supermetrics hin.

Als versierter AdWords-Technik-Experte zeigte er auf, wie man mit AdWords-Skripts an die einzelnen aufgespaltenen Metriken des Qualitätsfaktors für ein Keyword kommt (Abbildung 3). So kann man wertvolle Hinweise darauf erhalten, wo man den Hebel für Verbesserungen ansetzen muss.

Zum Schluss gab er noch den Tipp, beim Remarketing nicht jeden Besucher zu taggen. Über den Tag-Manager kann und sollte man sinnvolle Filter einrichten wie z. B. eine Mindestbesuchsdauer von x Sekunden, eine bestimmte Anzahl an Klicks und/oder eine bestimmte Scrolltiefe festlegen. So etwas lässt sich über Triggerkonfigurationen realisieren. Somit vermeidet man, auch diejenigen Besucher ins Remarketing zu nehmen, die vielleicht nur versehentlich auf der Seite gelandet sind und gar kein wirkliches Interesse haben. Ob man einen kurz denkenden Marketingmanager allerdings davon überzeugen kann, solche „Fehlbesucher“ in Ruhe zu lassen, bleibt dahingestellt. Noch immer findet man viel zu oft die „Mehr-ist-mehr“-Mentalität im Online-Marketing. „Lasst euch die Arbeit abnehmen, aber nie das Denken!“, meinte Grübel am Ende.

„No Werbe Bullshit“; Nic Lecloux.

Ein weiteres Highlight war sicherlich Nic Lecloux, einer der Gründer von true fruits, mit einen extrem sympathischen, weil offenen Vortrag über den Umgang seines Unternehmens mit Werbung und Social Media. Wer die Werbung von true fruits kennt, insbesondere die letzte Kampagne, kann sich wohl vorstellen, dass diese auch manchmal aneckt. Seiner Meinung nach ist niemand in den Social-Media-Plattformen, um sich Werbung anzuschauen. Die Leute suchen dort Unterhaltung. Insofern hält er auch nichts von den klassischen Werbebotschaften, die tatsächlich mehr langweilen, als Aufmerksamkeit zu erzeugen. Aber selbst angepasste Werbung geht nicht einfach mal so auf allen dieser Plattformen in gleicher Form. Was auf Facebook läuft, geht noch lange nicht gut z. B. bei Instagram, wo man in erster Linie sehr viel mehr Wert auf Ästhetik legen muss. Ein Bild oder ein Video kann gleich sein, aber die Texte muss man anpassen – oder umgekehrt, empfiehlt Lecloux. Er nannte ein Beispiel, das auf Twitter einen kleinen Shitstorm auslöste, auf Instagram fanden die Nutzer denselben Post „voll schön“. 

„Same same but different“; Nic Lecloux.

In Sachen Werbung muss jeder seine eigene Bildsprache finden, aber eben auch spürbar anders sein als alle anderen – will man nicht im Werbebrei aller anderen untergehen.

Bei der Entscheidung über neue Kampagnen geht Lecloux mit seinem Team nach dem „The-Rock-Prinzip“ vor. „Wenn es dich nicht rockt, rockt es niemanden“, meinte er und plädierte für mehr Leidenschaft. Als Prüffrage sollte man sich immer ehrlich überlegen, ob man das auch unter seinen Freunden teilen würde. Wenn nicht, dann muss man einfach noch mal ran und ggf. auch von vorne anfangen. Das klingt zwar einfach, aber wer wirft schon gerne etwas weg, wo man vielleicht sogar viel Zeit investiert hat? Der Erfolg seiner Company auf dem durchaus gesättigten Smoothie-Markt gibt ihm allerdings recht. Man muss und sollte sich in den sozialen Medien auch nicht unbedingt alles gefallen lassen. Bei allzu blöder Anmache halte man den Postern auch schon mal gerne einen Spiegel vor. Das sehen viele Unternehmen vielleicht anders, aber für die durchaus oft freche Marke true fruits passt dieses Vorgehen offenbar ganz gut. 

„33 Millisekunden benötigt das Gehirn, um ein Gesicht zu erkennen und über die Vertrauenswürdigkeit zu entscheiden.“

Auch Torsten Tromm und Tina Banerjee gaben aus ihrem Arbeitsalltag einige Tipps an das Publikum weiter. Dass Bilder für Menschen besonders wichtig sind, vom Gehirn schneller verarbeitet werden können und auch besser in Erinnerung bleiben, ist ja durchaus bekannt. Anhand einiger Beispiele zeigten die beiden aber, dass das auch der Fall ist, wenn die Bilder eigentlich irrelevant für den Content sind (Abbildung 5). Man muss bei Bildern ebenso das instinktive Verhalten von Besuchern mit einbeziehen, das den willentlichen und vernünftigen Umgang stets „unterwandert“. Eigentlich Basics, aber man muss wirklich immer daran erinnert werden, dass Bilder nur aus wenigen, eindeutigen Merkmalen bestehen, wenn sie die beabsichtigte Wirkung erzielen sollen. Einfach mal aus dem Bestand aus Stockfotos etwas mit auf die Startseiten einmorphen, damit eben auch ein Bild dabei ist – das klappt in den seltensten Fällen wirklich gut.  

Statt nichtssagender Firmengebäude oder gar Landschaften sollte man, so ein Tipp der beiden Referenten, zeigen, wie Menschen ein Produkt benutzen. Oftmals bleiben gerade bei Bildern von der Stange eben die Emotionen auf der Strecke und damit wird Vertrauenspotenzial verschenkt. Eine weitere Erkenntnis aus dem Neuromarketing ist, dass die linke Gesichtsseite von Menschen die Schokoladenseite ist. Dies hat wohl mit den beiden Gehirnhälften und deren unterschiedlichen Zuständigkeiten zu tun. Daher kann die linke Hälfte Emotionen etwas besser ausdrücken und kommt somit beim Betrachter attraktiver an. Dies steigert sich noch, wenn die Person direkt in die Linse blickt. Die alten Meister wussten das – man muss sich nur Bilder wie das der Mona Lisa ansehen. Selbst die Art zu lächeln hat einen Einfluss auf die Wahrnehmung. Zurückhaltendes Lächeln wirkt intelligenter und vertrauenswürdiger, während deutlich ausgedrücktes Lächeln eher dominant und freundlich wirkt. Man sollte das Thema Bilder daher nicht dem Zufall oder einem günstigen, aber untalentierten Fotografen überlassen.

Selbst die Stärke des sog. Limbusringes wirkt sich auf die Attraktivität eines Menschen aus. Dieser zarte dunkle Ring säumt die Iris im Auge. Gute Photoshop-Künstler verstärken diesen Ring durch einen manuellen Eingriff daher auf Bildern etwas.

Gegen die Verwendung von Stockfotos (also solche, die man über entsprechende Plattformen samt Lizenz käuflich erwerben kann) spricht laut den beiden Vortragenden auch, dass Menschen ein sehr gutes visuelles Gedächtnis haben und solche Gesichter bewusst oder unbewusst wiedererkennen können. Das wirkt dann natürlich unglaubwürdig für eine Website. Schlimmer ist aber, dass man ggf. verbunden mit diesen Bildern/Gesichtern auf anderen Websites bereits vielleicht schlechte Erfahrungen gemacht hat. Diese können dann unbewusst für die aktuell betrachtete Website und damit auf das dahinter stehende Unternehmen negativ abfärben. Wenn man denn schon keine eigenen Bilder verwenden möchte, sollte man, so ein weiterer Praxistipp, wenigstens vorher über die Bildersuche bei Google oder über Tineye.com prüfen, wo dieses Bild schon überall verwendet wird und im Zweifel bei Low-Quality-Websites dann doch auf einen Einsatz auf der eigenen Website verzichten.

Neben weiteren sehr interessanten Vorträgen und Vortragenden (u. a. Andre Morys, Dominik Schwarz, Jens Altmann und Martin Schirmbacher) schloss Karl Kratz die Konferenz mit einem leidenschaftlichen Plädoyer, wirklich exzellente Inhalte für Besucher bereitzustellen, und stellte eine große Checkliste vor, wie man dies prüfen und bewerkstelligen kann.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass karlsCORE tatsächlich etwas anders ist als andere Konferenzen. Die Themen sind nicht zu zentriert und breit gestreut. Das hat zwei Vorteile: Es ist durch das gemischte Publikum immer genügend für jeden dabei. Weiterhin bekommt man zwangsweise eben auch immer den Blick über den eigenen Tätigkeitstellerrand und lernt Wichtiges ergänzend dazu. Dazu kommt noch die sehr herzliche, ja fast familiäre Atmosphäre unter den Teilnehmern, was für das wichtige Networking zwischen den Vorträgen durchaus sehr zuträglich ist.

Weitere Infos unter www.online-marketing.net/karlscore-public/