Aktives Bewertungsmanagement –

deutlich mehr als Vertriebsunterstützung und Kundenbindung

Matthias Süß
Matthias Süß

Matthias Süß arbeitet seit über 20 Jahren im digitalen Raum an Vermarktungsthemen. Aktuell beschäftigt er sich als Head of Business Development bei bytecontent in Nürnberg vornehmlich mit der Digitalisierung von Vertriebsprozessen im automobilen Handel und in der Immobilienwirtschaft.

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Online-Bewertungen sind eine harte Währung: Beim Handel vor Ort schlagen sich negative Bewertungen auf Google My Business direkt im Umsatz nieder. Ein Restaurant spürt fast in Echtzeit die negativen Kommentare in der lokalen Facebook-Gruppe. Die Bedeutung von Bewertungen unterstreichen aktuelle Umfragen, wonach über 50 Prozent der Befragten einen geplanten Kauf nicht realisierten, nachdem sie negative Bewertungen dazu gelesen hatten. Immerhin 22 Prozent gehen laut Google Consumer Panel vor dem Kauf aktiv auf die Suche nach Bewertungen. Überregionale oder globale Marken und Unternehmen sind in gleichem Maße betroffen. Oft ist ein aktives Bewertungsmanagement noch gar nicht vorhanden oder gerade erst in der Entstehung, da verschiedenste Unternehmensteile eingebunden werden müssen.

Die große Herausforderung beim Management von Bewertungen ist, zu einer 360-Grad-Ansicht zu kommen – aktuell ist die Perspektive auf Bewertungen der Marketing- und Vertriebsabteilungen noch vorherrschend. Aktives Bewertungsmanagement ist allerdings ein ganzheitlicher Prozess, der das ganze Unternehmen betrifft. Der folgende Beitrag vermittelt in groben Zügen ein Gefühl dafür, wie das Set-up und der laufende Prozess dafür aussehen könnten.

Weichenstellung: Definition des Bewertungsbegriffs

Der erste Schritt ist die Definition des Bewertungsbegriffs. Eine Bewertung ist nicht zwingend in jedem Fall ein Beitrag auf einer Plattform, auf der explizit zur Abgabe von Bewertungen aufgefordert wird. Eine Bewertung kann auch in Form eines Facebook-Posts, Tweets oder Beitrags auf einem privaten Blog erscheinen. Die vergleichsweise überschaubare Anzahl von „originären Bewertungsplattformen“ – von Amazon bis kununu – wird somit um eine ganz andere Dimension erweitert.

Je nach Begriffsdefinition erweitern oder verringern sich die Anzahl der zu beobachtenden Plattformen, die zu analysierenden Bewertungen, Komplexität bzw. Aufwand der Prozesse, aber auch die zu gewinnenden Erkenntnisse und die daraus resultierenden Benefits.

Eine allgemeine, praktisch nutzbare und nach individuellen Gegebenheiten anpassbare Definition kann also lauten: Bewertungen sind digital zugängliche persönliche Meinungsäußerungen zu Produkten, Marken oder Unternehmen in Schriftform außerhalb eines eindeutig redaktionellen Kontextes. Klar davon ausgeschlossen sind damit beispielsweise Meldungen zum Unternehmen oder Testberichte auf redaktionell betreuten Plattformen.

Was ist jedoch mit Nutzerkommentaren zu solchen Artikeln? Auch bei scheinbar wenig polarisierenden Themen kommt es schnell zu lebhaften Diskussionen. Ein Beispiel aus der Automobilbranche: Ein Bericht über die Deutsche Tourenwagen Masters führte hier unlängst zu lebhaften Diskussionen über Felgen oder Reifen bestimmter Marken. Diese Kommentare können also durchaus Bewertungen darstellen.

„Bewertungsmanagement ist auch Handarbeit.“

Identifikation von Bewertungen im digitalen Raum

Egal, ob ein Unternehmen regional, national oder gar international agiert – es gilt, Bewertungen im digitalen Raum zu identifizieren. Dafür stehen verschiedene Quellen zur Verfügung – im Idealfall meldet eine Plattform selbsttätig, wenn eine neue Bewertung oder ein neuer Kommentar eingegangen ist. Die meisten generischen Bewertungs- und Handelsplattformen bieten diesen bequemen Service an.

Ist in einer Bewertung ein Link auf eine Webpräsenz des Unternehmens gesetzt, kommt man diesem mithilfe einer Backlinkanalyse auf die Spur. Kostenpflichte und kostenfreie SEO-Tools wie die Google Console bieten diese Funktion. Da ein Link in den meisten Fällen irgendwann geklickt wird, findet diese Aktion auch im Webtracking der eigenen Websites unter „verweisende Websites“ Eingang.

Allerdings bleibt ohne den Einsatz von Tools, die aktiv nach Nennungen der Marke oder der Firmierung suchen, ein nicht unerheblicher Teil der Bewertungen unentdeckt. Auf dem Markt hat sich inzwischen eine größere Anzahl von Anbietern mit entsprechenden Lösungen etabliert. Die Preisspanne dafür reicht vom kleinen zweistelligen bis in den vierstelligen Euro-Bereich. Das Keyword-Set, das für eine erfolgreiche Suche erstellt werden muss, kann dabei überschaubar bleiben: Marken- und Firmennamen mit eventuell bekannten Synonymen bzw. Fehlschreibungen genügen.

Neben dieser automatisierten Datengewinnung ist es dennoch nach wie vor notwendig, bestimmte Plattformen zumindest teilweise manuell zu überwachen. Beispiele dafür sind geschlossene Facebook-Gruppen oder Webforen, die Webcrawler ausgeschlossen haben.

Nicht jede Fundstelle ist aber tatsächlich eine Bewertung. Bisher ist keine Softwarelösung auf dem Markt, die eine bloße Nennung von einer echten Bewertung sicher unterscheiden kann. Der Unterschied wird anhand des folgenden Beispiels deutlich:

Bewertung:

„Nach zahlreichen anderen Autohäusern habe ich hier nur beste Erfahrungen gemacht, Super-Service, alles klappt schnell und zuverlässig. Das Autohaus XYZ ist nur zu empfehlen.“

Nennung:

„Das Audi-Zentrum XYZ gehört zur ABC-Gruppe, einer der vertriebsstärksten Händler dieser Marke im gesamten deutschsprachigen Raum.“

Ein manueller Review ist daher unumgänglich. In einem ersten Schritt sollte aus Gründen der Effektivität eine Vorqualifizierung vor der eigentlichen Beurteilung einer Bewertung erfolgen. Optimal und schon mittelfristig hilfreich ist es außerdem, zeitgleich die für eine Beurteilung notwendigen Bestandteile einer Bewertung in einer Datenbank zu erfassen:

  • Name der Plattform (z. B. Amazon)
  • Datum der Erstellung und der letzten Interaktion
  • Link zur Bewertung
  • Inhalt im Wortlaut, bei Diskussionen kurze Zusammenfassung
  • Tendenz (positiv, negativ, neutral)
  • Art der Interaktionen (Likes, Shares, Tweets etc., auch plattformspezifisch)

Für den Fall, dass eine größere Datenmenge anfällt, als innerhalb eines bestimmten Zeitraums – in der Regel 24 bis 48 Stunden – vorqualifiziert und erfasst werden kann, müssen Regelungen zur Priorisierung festgelegt werden. Haben etwa explizit beobachtete Fachplattformen eine höhere Priorität als Bewertungsplattformen als Google My Business? Eine individuelle Entscheidung, die stark an dem jeweiligen Geschäftsmodell hängt.

Unbedingt berücksichtigt werden sollten Krisenfälle: Wird plötzlich ein unerklärlicher Traffic von einer verweisenden Seite registriert, sollte man sich unverzüglich an die Ursachenforschung machen: Dahinter kann eine kritische Bewertung mit hohem Aufmerksamkeitswert stehen – und das wäre ein Fall für die Krisen-PR.

Beurteilung einer Bewertung

Für die Beurteilung einer Bewertung sind drei Merkmale von zentraler Bedeutung: Verfasser, Plattform und Inhalt. Die Empfehlung seitens einer bekannten Persönlichkeit auf deren eigenem Blog hat eine ganz andere Wirkung als die eines Hobby-Bloggers. Der Effekt, der von einem Verriss durch einen anerkannten Experten ausgeht, ist sicherlich deutlich schädlicher als die persönliche Meinung einer in der Branche unbekannten Person. Vorsicht: Auch beliebte Mitglieder in einer aktiven Community sind Meinungsführer. Ob sie den Daumen heben und senken, hat in der digitalen Welt unweigerlich große Auswirkungen auf die angepeilte Zielgruppe.

Natürlich spielt die Plattform selbst eine nicht unwesentliche Rolle: Steht die Bewertung prominent auf einem hochfrequentierten Bewertungsportal, ist die Wirkung nicht (nur) primär von Verfasser abhängig. Steht die Bewertung auf einer Handelsplattform in unmittelbarer Nähe zum „Jetzt Kaufen“-Button, hängt mit großer Wahrscheinlichkeit der Umsatz direkt davon ab, ob die Bewertung positiv oder negativ ausfällt. Sucht die vom Unternehmen angepeilte Zielgruppe gezielt nach Informationen auf einer dafür relevanten Plattform – beispielsweise nach einem gefragten Spezialisten auf kununu –, hat die Bewertung unabhängig vom Verfasser einen Effekt.

Mit Bewertungen arbeiten

Der Kern der Bewertung ist aber natürlich ohne Zweifel deren Inhalt. Verfasser und Plattform wirken als Verstärker für die Sichtbarkeit. Allein vom Inhalt hängt es jedoch ab, wie weiter mit der Bewertung zu verfahren ist: Ab hier sollten zuvor genau definierte und standardisierte Prozesse ablaufen.

Die Frage, die man sich auf jeden Fall stellen muss, lautet: Auf welcher Plattform und mit welchem zeitlichen Abstand wird in welcher Form auf eine positive Bewertung reagiert? Ein Dankeschön schadet nie, wirkt aber zwei Jahre nach Bewertungsabgabe vielleicht etwas deplatziert.

Schwieriger wird es bei negativen Bewertungen: In der Regel sollte innerhalb von 48 Stunden eine Reaktion erfolgen. Schlechte Bewertungen sollten ebenso professionell gemanagt werden wie direkte Beschwerden. Meist liegen Standardfälle vor, die vom Bewertungsmanagement direkt bearbeitet werden können, ohne dass eine Fachabteilung involviert werden muss.

Sinnvolle Bewertungen, die über ein reines Sich-Luft-Machen hinausgehen, sind unabhängig von positivem oder negativem Tenor wertvoll, liefern sie doch ungefilterte Erkenntnisse über das Produkt, die Marke, das Unternehmen.

Risiken früh erkennen

Wie attraktiv eine Bewertung ist, lässt sich an ggf. vorhandenen Reaktionen ablesen, sprich, an der Anzahl der Facebook-Shares, Tweets, aber natürlich auch plattformspezifischer Interaktionsmöglichkeiten. Das Alter des Artikels und der Zeitstempel der letzten Reaktion können wichtige Indikatoren dafür sein, ob das Risiko einkalkuliert werden muss, dass aus einer negativen Bewertung etwa ein veritabler Shitstorm erwächst.

„Aktives Bewertungsmanagement: Kein Weg führt daran vorbei.“

Denkbar ist auch, dass ein älterer unschöner Beitrag wieder aus der Versenkung auftaucht. Mit wachsendem zeitlichem Abstand wird dies meist allerdings immer unwahrscheinlicher. Hier gilt es also auch, das Risiko abzuschätzen, das von solchen älteren Beiträgen ausgeht, und es ins Verhältnis mit dem Aufwand zu setzen, den eine Bearbeitung verjährter Beschwerden bedeutet.

Der Inhalt einer Bewertung kann aber nicht nur positiv oder negativ sein, sondern – davon losgelöst – auch zivil- und strafrechtlich relevant. Besonders sensibel: Fälle, an denen ein (Ex-)Mitarbeiter beteiligt ist. Beispiel: Ein übereifriger Kollege greift in einer Bewertung den direkten Konkurrenten in unzulässiger Weise an – das kann auf das ganze Unternehmen zurückfallen und schlimmstenfalls in einer Klage gipfeln.

Fazit

An einem aktiven Bewertungsmanagement kommt kein Unternehmen mehr vorbei, denn Marketing- und Vertriebserfolg hängen davon direkt ab. Der richtige Umgang mit Bewertungen fördert die Kundenbindung, liefert wichtige Grundlagen für die Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen und hilft, etwaige Risiken frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren.

Allerdings gibt es gutes Bewertungsmanagement nicht zum Nulltarif. Wer hier jedoch vor Investitionen zurückscheut, bezahlt morgen in Form deutlicher Wettbewerbsnachteile weitaus mehr.