Abgekratzt …

Karl Kratz
Karl Kratz

Karl Kratz liebt und lebt feines Online-Marketing seit 1996. Er ist Autor diverser Online-Marketing-Publikationen (Welcome to the System, Haifischbecken Internet Marketing, Landingpage SEO) und betreibt die Online-Marketing-Plattform karlsCORE public.

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„... wenn es Google dann nicht mehr gibt ...“ Dieser Nebensatz von mir sorgte dafür, dass meine 20 Workshop-Teilnehmer überhaupt nicht mehr meinem eigentlichen Inhalt folgen wollten. Aber warum diese Aufregung?

Ein schlechter Tag für Google: Auch in diesem Quartal versuchte die private Suchmaschinen-Firma aus Mountain View, den letzten Cent aus dem adwordsgetriebenen Umsatz-Bericht herauszubeschönigen. Es half nichts: Die von den Anlegern gespannt erwarteten Werte lagen weit unter den Erwartungen. Enttäuschung machte sich breit. Die ersten Besitzer der noch wertvollen Papiere begannen, diese zügig zu verkaufen. Viele folgten und der Abstieg begann.

Während der Aktienkurs von BINGs größtem Wettbewerber weiter in sich zusammensackte, verkündete Apple, dass die Integration der Funktion „Web Ad Blocking" auf iOS-Smartphones jetzt Teil des Betriebssystems sei. Mit dem nächsten Update genießen iPhone-Benutzer ein nahezu werbefreies Internet. Sogar auf Google-AMP-Websites würde keine Werbung ausgeliefert. Ausnahmen bildeten das Apple-Werbesystem, Facebook und Amazon.

Zeitgleich starrte die digitale Welt gebannt auf die Kooperation zwischen Apple und Amazon: Das Amazon-Prime-Now-Programm sollte ebenfalls integraler Bestandteil von iOS werden. Darüberhinaus wurde die Amazon-Produkt-Suche in Spotlight und Siri integriert. Branchenkenner und Strategen waren verwirrt: Amazon verfolgte doch mit „Echo" eine ganz eigene Strategie? Später sollte sich herausstellen, dass Amazon die SIRI-Lernkurve verwendete, um schneller bessere Algorithmen zu erstellen.

Inmitten dieses Umbruchs schaltete Facebook eine smarte und umfassende Suchfunktion innerhalb seines Ökosystems frei: Es war nie die Frage, „ob" Facebook seine Suche eines Tages aktiviert, sondern immer eine Frage des richtigen Zeitpunkts. Die neue Suche war überragend: Vorausschauend, kontextuell unterstützt, basierend auf bekannten und vermuteten Suchpräferenzen. Die ersten Benutzer der Suche jubelten vor Glück. Als Schnittstelle in das alte WWW kam eine Mischung aus BING und vielfältigen Spezialsuchmaschinen wie z. B. YELP zum Einsatz. Facebook war bestrebt, Suchenden die beste Antwort zu liefern.

Parallel zur Freischaltung der Suchfunktion ging Facebook mit dem ATLAS-Werbesystem in die Offensive und empfing irritierte Adwords-Kunden mit weit geöffneten Armen: Das ATLAS-Targeting war deutlich smarter und transparenter als der 16 Jahre alte Google-Anzeigen-Dinosaurier. Darüber hinaus wurden Facebook-Anzeigen auf iOS-Systemen weiterhin dargestellt, während die iPhone-Benutzer den Rest der Werbewelt so gut wie überhaupt nicht mehr sahen.

Monat für Monat sackte der Börsenkurs von Google weiter ab: Facebook lieferte das bessere Werbesystem, iOS die bessere Suche, Amazon das bessere Konsumsystem. Mit dem Zusammenschluss der drei Giganten zu baerbel3.0, dem neuesten und innovativsten Suchsystem des Jahrhunderts, verschwand Google in der Irrelevanz.

Das alles klingt sehr apokalyptisch. Viele schütteln nun sicher den Kopf: „So wird das niemals passieren." Genau so wird es sicherlich nie passieren. Und dennoch wird „Google" als Suchsystem eines Tages genau so irrelevant sein wie seine „damaligen" Artgenossen MetaGer, Altavista, Yahoo und Co.

Wenn wir eine Online-Strategie erarbeiten, sind zwei Fragen essenziell: „Wann wollenwir wie auf diesem Spielfeld gewinnen?", und: „Was passiert danach – wenn es die Systeme nicht mehr gibt, auf die wir uns heute verlassen?"

Egal, ob du mit einer Online-Marketing-Agentur zusammenarbeitest oder dich selbst um deine digitale Positionierung kümmerst: Stelle diese beiden Fragen in den Raum. In der Praxis wird vor allem die letzte Frage zu oft nicht gestellt.