Die Kunst digitaler Verführung

Karl Kratz
Karl Kratz

Karl Kratz liebt und lebt feines Online-Marketing seit 1996. Er ist Autor diverser Online-Marketing-Publikationen (Welcome to the System, Haifischbecken Internet Marketing, Landingpage SEO) und betreibt die Online-Marketing-Plattform karlsCORE public.

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„Weshalb kaufen so wenige Menschen auf unserer Webseite ein?“ Eine gute Frage – die nächste Frage muss lauten: „Lenken wir die Aufmerksamkeit unserer Besucher so, dass in ihrer Wahrnehmung die von uns gewünschte Realität entsteht?“ Diese Frage kann beantwortet werden, wenn die Angebotskommunikation von Online-Systemen bedarfsorientiert und resonanzfähig ist. Wer diesen Aufwand scheut, wird weiterhin regelmäßig hohe Aufwendungen betreiben, um seine Website-Besucher zu einem Kauf zu verführen.

Heute steht Hühnchen auf dem Speiseplan. Du gehst zu deinem Lieblingsmetzger. Der große, grobschlächtige Typ schnappt sich ein gerupftes, ausgenommenes Tier und hackt mit dem Schlachterbeil ca. 3 % Fleisch ab: ein kleiner Teil vom Flügelchen! Der Metzger packt dir das Flügelteilchen ein, den Rest des Huhns wirft er emotionslos in die Mülltonne.

Jeder normale Mensch würde lautstark protestieren. Man hat 100 % Huhn bezahlt und will gefälligst 100 % Huhn nutzen. Online-Marketer hingegen zucken nicht einmal mit der Wimper. Drei Prozent Umwandlungsrate? Das ist doch super! Vor dem Relaunch der Website war das sogar nur ein Prozent!

Eine ganze Branche hat seit Anbeginn des WWW gelernt, Irrelevanz als Normalität zu akzeptieren. Es wird als normal angesehen, dass 97 % der Website-Besucher eben nicht konvertieren oder dass auf 1.000.000 Bannereinblendungen lediglich ein paar Klicks folgen. Es wird ebenso als völlig normal angesehen, dass auf einer beliebigen Nachrichten-, Rezept- oder Informationsseite ein Dutzend thematisch völlig unpassender Werbebanner positioniert ist.

Eine ganze Branche schreit wie im manischen Fieberwahn nach immer mehr Verkäufen. Auf die Diagnose „zu wenig Verkäufe“ wird gedankenlos die Medizin „noch mehr Traffic, Klicks, Werbeeinblendungen“ verschrieben. Dass dieses Verhalten unreflektiert und unverändert aus dem Zeitalter der Postwurfreklame übernommen wurde, scheint niemanden zu stören.

Für gewöhnlich überlegen sich Online-Marketing-Verantwortliche: „Wer ist meine Zielgruppe?“ Diese Überlegung führt regelmäßig zu einer mehr oder weniger scharfen Eingrenzung eines Personenkreises, „der sich eventuell für das Angebot interessieren könnte“. Dabei werden gerne demografische Faktoren wie Alter, Geschlecht, Wohnort und Interessen verwendet. Die daraus entstehenden Streuverluste werden unreflektiert als Normalität in Kauf genommen. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, nochmals über die 3 % des Hühnchens nachzudenken.

Smarte Konversionsoptimierer und Online-Marketing-Verantwortliche orientieren sich statt an einer imaginären Zielgruppendefinition am „konkreten Bedarf“ und erzielen so regelmäßig hohe Konversionsraten.

„Zielgruppe" versus „konkreter Bedarf"

In jedem Menschen besteht ein anderes Zusammenspiel aus Emotionen, Motivation und Wertvorstellungen. Was für den einen selbstverständlich erscheinen mag, löst bei anderen Menschen womöglich Unverständnis aus. Dieses komplexe Geflecht reagiert auf die Stimulation durch Ereignisse. Dabei kann ein Ereignis jede beliebige Form und Intensität annehmen: ein Unfall, eine Nachricht, das Auftreten von Hunger, eine bestimmte Uhrzeit, ein Streit, ein Umzug, eine Geburt ...

Wenn ein Ereignis bei einer Person ein wahrnehmbares Bedürfnis erzeugt, ihren Handlungswillen aktiviert und für den Einsatz einer vorhandenen Handlungskraft sorgt, entsteht für diese Person ein konkreter Bedarf. Grundsätzlich entsteht ein konkreter Bedarf nur dann, wenn diese drei wesentlichen Faktoren alle erfüllt sind:

  1. Es existiert ein wahrnehmbares Bedürfnis.
  2. Es besteht ein umsetzungsfähiger Handlungswille (auch: Kaufwille).
  3. Es besteht eine umsetzungsfähige Handlungskraft (auch: Kaufkraft).

Wird auch nur ein einziger dieser Faktoren nicht erfüllt, besteht kein konkreter Bedarf.

Das bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Website-Besucher das Angebot wahrnimmt, ist sehr gering. Entweder empfindet der Besucher einfach kein Bedürfnis für das Angebot. Oder er will das Angebot schlicht und ergreifend nicht. Oder er kann es sich nicht kaufen. Es wird mit größter Wahrscheinlichkeit keine Konversion zustande kommen.

Wenn dieser konkrete Bedarf durch dein Angebot befriedigt werden kann, ist die Grundlage für eine Konversion geschaffen. Ab jetzt besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass dein Angebot gekauft wird. Das bedeutet auf keinen Fall, dass diese Wahrscheinlichkeit auch eintreten muss. Aber du kannst diese Wahrscheinlichkeit ab jetzt über deine Angebotskommunikation aktiv steuern.

Steuerung der Resonanzfähigkeit deiner Angebotskommunikation

Damit die Angebotskommunikation überhaupt funktioniert, müssen einige grundlegende Faktoren erfüllt sein. Man kann an dieser Stelle durchaus von einer Art „Konversionshygiene“ sprechen. Es kommt in der Praxis sehr häufig vor, dass Menschen ein wahrnehmbares Bedürfnis, einen Kaufwillen und auch die erforderliche Kaufkraft besitzen, und dann verhindert eine ungenügende Konversionshygiene die Konversion.

Um eine vernünftige und praxisgerechte Grundlage bereitzustellen, sollten für ein Online-System mindestens diese Faktoren erfüllt sein:

  1. Relevanz, Durchgängigkeit und Erwartungskonformität zwischen Suche, Werbemittel und Webseite
  2. Vermeidung von Störern beim Aufbau der Vertrauenswürdigkeit
  3. Angemessene Einfachheit und gute Benutzbarkeit
  4. Anreiz, Stimulation und Begründung
  5. Handlungsaufforderung

Relevanz, Durchgängigkeit und Erwartungskonformität zwischen Suche, Werbemittel und Webseite

Ein Beispiel aus der Praxis: Im Haushalt der Familie Müller geht das Heizöl zur Neige. Rita Müller beschließt, online Heizöl zu kaufen. Sie öffnet das Suchsystem „Google“ und gibt den Begriff „Heizöl kaufen“ ein. Rita Müller erwartet in der Ergebnisliste Links zu Webseiten, auf denen sie Heizöl kaufen kann.

Zu ihrer Überraschung haben bereits die angezeigten Werbemittel nicht wirklich etwas mit ihrer Suche nach dem Kauf von Heizöl zu tun:

Rita Müller findet ein Werbemittel, das ihrem Empfinden nach zum gewünschten Ziel führen könnte. Sie klickt auf das Werbemittel und erwartet jetzt eine Website, auf der sie Heizöl kaufen kann. Allerdings handelt es sich bei der Website nicht um das erwartete Ergebnis:

Derartige Abweichungen zwischen Suchabfrage, Werbemittel und Webseite sind keine Ausnahme, sondern vielmehr gängige Praxis. Durch die nicht erfüllte Erwartungskonformität kommt es zu Abbrüchen und hohen Seitenabsprungraten.

Um die Erwartungskonformität eines Suchenden zu erfüllen, sollte auf folgende Punkte großer Wert gelegt werden:

  • Das Werbemittel hat einen direkten Bezug zur formulierten Suche.
  • Die Überschrift, das Hauptbild und die Hauptaussage der Website haben einen direkten Bezug zur formulierten Suche und dem jeweiligen Werbemittel.
  • Die Webseite beantwortet in einer angemessen kurzen Zeit (ca. 5–10 Sekunden) die Frage: „Geht es hier um das, was ich erwarte und gesucht habe?“

Bereits diese einfachen Maßnahmen zur Verbesserung der Konversionshygiene sorgen in der praktischen Anwendung für Steigerungen der Konversionsraten.

Vermeidung von Störern beim Aufbau der Vertrauenswürdigkeit

Vor allem Transaktionen im weitgehend anonymen Internet erfordern ein hohes Maß an Vertrauenswürdigkeit. In der Regel kennen sich Käufer und Verkäufer nicht. Darüber hinaus stehen dem Käufer lediglich die Angaben des Angebots auf der jeweiligen Website zur Verfügung. Im Rahmen der Konversionshygiene geht es in erster Linie um die Vermeidung von Störern im Vertrauensaufbau:

Schnelle Ladezeiten: Auch wenn es auf den ersten Blick nicht zusammenhängend erscheint, wirken sich sehr schnelle Ladezeiten von Webseiten positiv auf die Vertrauensbildung von Website-Besuchern aus.

Authentische, prüfbare Rezensionen: Grundsätzlich ist der Einsatz von Rezensionen eine positive Sache. Sind Rezensionen nicht authentisch oder nachprüfbar (z. B. „Susanne S. aus B.“), kann sich die Wirkung auf Website-Besucher ins Negative umkehren. Eventuell macht es Sinn, auf eine externe Bewertungsplattform auszuweichen oder auf Rezensionen zu verzichten.

Fehlerfreiheit: Wenn beispielsweise das Absenden eines Formulars eine Fehlermeldung verursacht, wirkt sich dieses Ereignis direkt auf die empfundene Vertrauenswürdigkeit aus. Ähnlich ist es mit fehlenden Bildelementen, unklaren Fehlermeldungen, Schreibfehlern oder Fehlern beim Laden von Webseiten.

Verschlüsselung: Während der Einsatz einer SSL-Verschlüsselung als positiver Faktor für den Aufbau von Vertrauenswürdigkeit gelten sollte, wird diese Maßnahme von immer mehr Internetnutzern als selbstverständlich angesehen. Die Fehlermeldung eines abgelaufenen oder falsch konfigurierten Zertifikats wirkt sich stark störend auf den Aufbau der Vertrauenswürdigkeit aus.

Angemessene Einfachheit und gute Benutzbarkeit

Online-Systeme sollten so gestaltet sein, dass eine Benutzung durch den jeweiligen Website-Besucher mit seinen kognitiven Fähigkeiten im jeweiligen Kontext angenehm, störungsfrei und zielorientiert stattfinden kann. Komplexität wirkt grundsätzlich konversionshemmend: Was nicht verstanden wird, wird nicht genutzt. Eine gute Benutzbarkeit umfasst auch die responsive Behandlung der Website-Darstellung, der textuellen und medialen Inhalte und der Prozesse.

So kann es beim Einsatz von Formularen eine gute Maßnahme sein, auf Geräten mit großen Bildschirmen das Formular vollumfänglich anzuzeigen. Auf Geräten mit kleinen Bildschirmen wird eine Schaltfläche für die Kontaktaufnahme zu einer Telefonhotline angezeigt. Die Telefonhotline nimmt die erforderlichen Daten auf. So muss sich der Website-Besucher nicht durch lange Formulare quälen.

Grundsätzlich sollten diese Fragen durch einen gewöhnlichen Anwender in unterschiedlichen Kontexten positivbeantwortet werden:

  • Ist es einfach?
  • Muss ich nur wenig tun?
  • Kann nichts passieren?

Wer online bereits ein Bahnticket, eine Flugreise oder eine Versicherung abgeschlossen hat, kann nachvollziehen, mit welchen Ängsten und innerem Stress die Betätigung des „Zurück-Buttons“ einhergehen kann. Dieses Gefühl kann keinem Website-Besucher mehr zugemutet werden.

Anreiz, Stimulation und Begründung

In einer Welt voller Überfluss und Alternativen sind Menschen regelmäßig auf zusätzliche Anreize und Stimulationen angewiesen, damit ein Handlungswille aktiviert wird. Das kann beispielsweise durch die Formulierung einer Begründung geschehen, weshalb der Website-Besucher ausgerechnet dieses Angebot wahrnehmen soll.

Diese Stimulation kann resonanzsteigernd wirken und die Wahrscheinlichkeit für eine Konversion erhöhen.

Handlungsaufforderung

Die Handlungsaufforderung lenkt die Aufmerksamkeit eines Website-Besuchers auf die Wahrnehmung des Konversionselements.

Es kann sinnvoll sein, im Rahmen der Handlungsaufforderung ein Vorteilsversprechen zu formulieren. Ein Vorteilsversprechen beschreibt die angenehme Situation nach der Lösung des Problems. Diese Maßnahme kann gut dafür geeignet sein, beim Website-Besucher eine Art hypnotischen Zustand auszulösen, während er sich mit der soeben geschaffenen imaginären Situation beschäftigt.

Fehlt die Handlungsaufforderung, wird ein Website-Besucher über die Absicht der Seite im Unklaren gelassen. Normalerweise macht der Website-Besucher das, was er als am sinnvollsten erachtet: Er klickt auf irgendetwas oder verlässt die Webseite.

Wie wird Angebotskommunikation resonanzfähiger?

Sind die Anforderungen aus der „Konversionshygiene“ erfüllt, ist ein guter Texter gefragt: Die Stimulation der Bedürfnisbefriedigung, das Setzen von Anreizen zur Aktivierung des Handlungswillens und die Anpassung des Wertversprechens an das Wertverständnis des Besuchers sorgen dann in letzter Instanz für das Zünglein an der Waage.

In der Praxis kommt es sehr häufig vor, dass es viele Menschen mit einem ganz konkreten Bedarf gibt. Gleichzeitig verbuchen Online-Anbieter mit Angeboten für diese Personengruppen nur wenige Verkäufe. Ein Beispiel: Sehr viele Menschen, die sich durchaus eine Massage für 80 EUR leisten könnten, laufen dennoch unmassiert und verspannt durchs Leben. Sie suchen einfach nicht nach einer Entspannung durch einen Masseur. Wie kommt es zu dieser Situation?

Ein Hauptgrund dafür liegt regelmäßig in der ungenügenden Resonanzfähigkeit der Angebotskommunikation:

  • Wenn verspannten Menschen nicht erklärt wird, welche Ressourcen ihrem Körper bei einer Entspannung plötzlich wieder zur Verfügung stehen, dann fehlt eine Stimulation zur Bedürfnisbefriedigung.
  • Wenn verspannten Menschen nicht erklärt wird, dass unbehandelte Schmerzen chronisch werden können, mangelt es an Anreizen zur Aktivierung des Handlungswillens.
  • Wenn verspannten Menschen nicht erklärt wird, welche Kosten und dauerhafte gesundheitliche Belastungen vermieden werden können, gibt es kein Wertversprechen, welches dem Wertverständnis des Besuchers entsprechen würde oder es verändern könnte.

Eine gute Angebotskommunikation erreicht einen Website-Besucher auf seiner emotionalen, motivationalen und Werteebene. Sie macht dem Website-Besucher klar, dass er frischer, wacher und leistungsfähiger sein kann, wenn sein Körper die dauernde Anspannung loslässt. Sie erklärt dem Website-Besucher, dass unbehandelte Schmerzen chronisch werden können. Und sie zeigt dem Website-Besucher auf, wann sich seine Investition bereits rentiert haben kann.

Zwei wichtige Fragen für „mehr vom Huhn"

Genau betrachtet lässt sich das Funktionsprinzip in zwei wichtigen Fragen zusammenfassen:

  1. Welches Ereignis erzeugt einen konkreten Bedarf, der durch unser Angebot befriedigt werden kann?
  2. Ist die Angebotskommunikation so resonanzfähig, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Konversion hoch ist?

Das Prinzip kann wie ein Motor betrachtet werden: Wenn ein Teil fehlt, funktioniert der Motor vielleicht trotzdem noch. Er funktioniert vielleicht nicht besonders effizient, aber „irgendwie läuft es ja“. Wenn mehr Teile fehlen, funktioniert der Motor immer schlechter. Oder er funktioniert eben überhaupt nicht. Diese beiden Fragen sollen helfen, einen gut funktionierenden Motor zu betreiben.

Die „Kunst digitaler Verführung“ besteht zum größten Teil überhaupt nicht aus „Kunst“. Unterm Strich geht es um das wirksame, vollständige Zusammenspiel einfacher handwerklicher Faktoren.