Alternative Suchsysteme – Trafficquellen abseits von Google?

Karl Kratz
Karl Kratz

Karl Kratz liebt und lebt feines Online-Marketing seit 1996. Er ist Autor diverser Online-Marketing-Publikationen (Welcome to the System, Haifischbecken Internet Marketing, Landingpage SEO) und betreibt die Online-Marketing-Plattform karlsCORE public.

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„Chef, ich habe unsere Website absichtlich auf Noindex gestellt. So stellen wir fest, ob unser Unternehmen ohne den Google-Traffic überlebt. Dann sind wir vorbereitet, wenn irgendetwas oder irgendjemand eines Tages entscheidet, dass wir nichts mehr im Google-Index verloren haben. Vorausschauend, nicht wahr?“

Im Jahr 2014 gaben Menschen 2.000.000.000.000 (2 Billionen) Mal Suchbegriffe in den Google-Suchschlitz ein und erwarteten die beste Antwort, die ihnen das WWW geben konnte. Diese Zahl verstärkt den Eindruck, dass „Google mit einer Marktmacht von 95 %“ tatsächlich die dominanteste und wichtigste Suchmaschine der Welt sei. Woher auch immer diese Zahl kommen mag, belastbar ist sie nicht – und auch nicht besonders relevant.

Der Tanz ums googelnde Kalb

Es liegt wohl auch an genau diesem Eindruck der Übermacht und Omnipräsenz, dass sich (bis auf wenige Ausnahmen) ein großer Teil der Online-Marketing-Verantwortlichen bedenklich verantwortungslos googlegläubig und googlehörig verhält. Dabei wird jedes Google-Update mit Herzklopfen verfolgt, jede Abstrafung mit Schweißausbrüchen registriert:

  • Hoffentlich werden wir nicht abgestraft!
  • Ich verbessere/ändere an meiner Website besser nichts, sonst verliere ich meine Rankings!
  • Wenn wir aus dem Index fliegen, ist der Laden geliefert!

Außenstehende können über dieses wohl durch die Branche selbst induzierte (Fehl-)Verhalten, nur den Kopf schütteln. Genau diese Online-Marketing-Verantwortlichen sichern sich im echten Leben doppelt und dreifach ab und diversifizieren ihre Vermögensstrategie! Und zurück im Online-Geschäft verhalten sie sich wieder wie gehirngewaschene Lemminge und kennen nur eines: Google.

Was zum Teufel ist da los – und wie kommt ein Unternehmen aus dieser mentalen Sackgasse wieder heraus?

Bisher lebte kein Suchsystem „für immer“

Blicken wir in der digitalen Geschichte ein paar Jahre zurück: 1989 stellte Tim Berners-Lee seine erste Hypertext-Seite bereit. Ab 1991 pflegte Tim eine Liste aller Webseiten in der „Virtual Library“ ... von Hand! Knapp zwei Jahre später gab er den Versuch der manuellen Erfassung wohl leicht entnervt wieder auf. (Das war übrigens eine weise Entscheidung – so konnte er seine wertvollen Ressourcen wieder den wirklich wichtigen Dingen widmen ...) Die Suchsysteme Archie und Veronica leisteten ab 1990 ja bereits wichtige Dienste und wurden kurze Zeit später vom Dienst „Gopher“ ergänzt.

Als Tim Berners-Lee 1993 das WWW-Protokoll zur allgemeinen Verwendung freigab, standen mit dem „World Wide Web Wanderer“ und „AliWeb“ die ersten echten Suchmaschinen in den Startlöchern. Das Crawl-Verhalten dieser Systeme erinnerte damals allerdings eher an einen DDoS als eine zivilisierte Datenerfassung: Nur zu oft kam es vor, dass der Crawler in einer Schleife hing und die damals noch sehr schwach dimensionierten Webserver zum Einfrieren brachte.

Mit der Entwicklung des Netscape Navigators (1994) und Yahoo (1995) wurde das WWW dann für die breite Masse der „normalen“ Internetbenutzer interessant. In den folgenden Jahren schossen Suchsysteme wie Pilze aus dem digitalen Boden: Fireball, Excite, AltaVista, Lycos und viele, viele mehr. Die „Suchmaschinenoptimierung“ beschränkte sich zu diesen Zeiten auf die Manipulation einiger Begriffe in der jeweiligen Seite, später in der beliebigen Verlinkung von anderen Seiten.

Das waren goldene Zeiten für Suchmaschinenoptimierer! Es fühlte sich so an, als würden diese Zeiten für immer andauern.

Im September 1998 betrat die kleine private Suchmaschinenfirma Google das digitale Spielfeld. Google überzeugte innerhalb kürzester Zeit weltweit Millionen von Menschen von seiner Fähigkeit, für jede Suche „das beste Resultat“ zu liefern. Google war schnell, leicht, sexy, einfach und präzise. Und die Suchmaschinenoptimierung war nicht besonders schwer: „Keyword-Stuffing“ und die beliebige Verlinkung von anderen Seiten sorgten innerhalb kürzester Zeit für gute Rankings.

Das waren schon wieder goldene Zeiten für Suchmaschinenoptimierer! Und es fühlte sich schon wieder so an, als würden diese Zeiten für immer andauern.

Wer hätte gedacht, dass StudiVZ eines Tages nicht mehr benutzt würde? Oder Fireball? Kaum jemand hätte es sich im Jahr 1997 vorstellen können, dass sich fünf Jahre später kaum noch jemand an das Suchsystem AltaVista erinnern würde. Online-Marketing-Verantwortliche können davon ausgehen, dass auch Google als Suchsystem eines Tages von der digitalen Landkarte verschwinden wird. Das ist ein guter Grund, bereits heute mit der Diversifizierung der Suchsysteme zu beginnen, die das eigene Unternehmen mit (Neu-)Kunden versorgen.

„Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“ – Karl Valentin

1995 starteten übrigens zwei weitere Plattformen, die bis heute von vielen Online-Marketing-Verantwortlichen überhaupt nicht als Suchsysteme wahrgenommen werden: Amazon und Ebay. Das „Besondere“ an diesen beiden Suchsystemen ist, dass sie bis heute profitabel sind und den jeweiligen Unternehmen deutlich relevantere Bedarfsgruppen liefern, als Google das jemals könnte.

Aber über Google suchen doch einfach alle alles, oder?

Zwei Billionen Suchabfragen erhält Google pro Jahr. Das klingt mächtig. Und macht skeptisch. Die Ernüchterung folgt mit der ersten Detailanalyse: „Wonach wird eigentlich gesucht?“ Google selbst behauptet beispielsweise, dass der Begriff „World Cup“ im Jahr 2014 der Such-Kracher schlechthin gewesen sei (Quelle: Google Trends Top-Charts).

Wer die Top-Charts in Relation zu ein paar anderen Begriffen setzt, stellt jedoch sehr schnell fest, „was Menschen tatsächlich“ in die Suchfelder von Bings größtem Wettbewerber eingeben: Facebook, Gmail, Hotmail, Yahoo und so weiter.

Es verwundert sicher nicht, dass Google diese Begriffe nicht in den Top-Charts führt, da dieses Bild sich nicht besonders gut verkaufen lässt. Wie so oft im Leben gilt auch hier: Die schiere Anzahl sagt meist nur wenig über die Relevanz.

„App statt Suche?“

In unterschiedlichen Statements der noch beliebten Suchmaschinenfirma wird auch klar, weshalb in der mobilen Suche ein großes Defizit an Suchanfragen bemerkbar ist: Während Benutzer am Desktop-Rechner „facebook“ oder „hotmail“ in den Suchschlitz eingeben, tippen sie auf dem Smartphone einfach auf die App.

Über die letzten zwei Dekaden hat Google das Spiel der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ gut orchestriert. Der Tenor lautete: „Alle Menschen suchen über Google, also macht es Sinn, Websites für Google zu optimieren. Und zwar nur für Google.“ Daraus entstanden teilweise groteske Situationen: Gestandene SEOs führten beispielsweise in BING eine Suche nach ihrem eigenen Namen durch. Während in Google Resultate zur eigenen Person findbar waren, zeigte BING Resultate von einer anderen Person. Das wurde zum Anlass genommen, BING zu einem ungenügenden Suchsystem zu deklarieren. Aufmerksame Beobachter stellen hingegen einfach fest, dass jemand anderes im BING-Suchsystem schlicht und ergreifend dominanter ist.

Fatalerweise fungieren Suchmaschinenoptimierer an dieser Stelle als informative Multiplikatoren und lassen die restliche Welt glauben, die reinen Zahlen an Zugriffen, Suchabfragen, Rankings, Links, Keyword-Dichten seien wirksame Kriterien.

Glücklicherweise stellen immer mehr Websitebetreiber fest, dass sie eben nicht „viele“, sondern vor allem „relevante“ Suchmaschinenbenutzer auf ihren Websites brauchen. Smarte Websitebetreiber lernen, dass es weniger darum geht, „ob“ jemand konvertiert, sondern „wann“ und „auf Basis welcher Vorqualifizierung“. Deshalb ist es eine gute Sache, wenn bereits das Suchsystem als qualifizierender Filter wirkt und Besucher aktiv differenziert. Diese Differenzierung kann Google als universelles System jedoch per Design erst einmal nicht leisten.

Auch auf der Benutzerseite des Webbrowsers verändert sich die Welt: Immer mehr Suchmaschinenbenutzer stellen fest, dass Google in der Tat die beste Suchmaschine für „alles“, jedoch meistens die schlechteste Suchmaschine für „Spezielles“ ist. Damit eröffnet sich für Spezialsuchmaschinen natürlich ein großes Feld. Wer beispielsweise einen Arzt in seiner Stadt sucht, greift womöglich tatsächlich zuerst zu Google. Dort wird er sicherlich auch irgendeinen Arzt finden. Wer jedoch den besten Physiotherapeuten in Berlin Mitte sucht, nutzt eher jameda.de oder netdoktor.de.

„Alle" suchen über Google eben doch nicht „alles"

Wer ein Produkt kaufen möchte, öffnet mittlerweile eher Amazon, Ebay, Ladenzeile und Co. Wer Produkte anbietet, freut sich über eine wichtige Tatsache: Internetbenutzer sind bei der Suche innerhalb von beispielsweise Amazon bereits in einem transaktionalen Modus. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Menschen etwas kaufen wollen, ist in der Regel deutlich höher, als wenn diese Suchabfrage in Google getätigt würde.

Und all diese Unternehmen investieren teilweise mächtige Summen und Anstrengungen ins Marketing, um in den Köpfen der Menschen anzukommen.

So  infiltriert“ das Freelancer- und IT-Spezialisten-Suchsystem „GULP“ regelrecht die Personalabteilungen von Unternehmen. Wer einen SAP-Spezialisten oder einen Microsoft-Exchange-Server-Experten sucht, kommt um GULP nicht herum. In Google wird man mit einer Suchabfrage für derartige Spezialisten eher nicht glücklich werden. Angenehmerweise ist die Suchmaschinenoptimierung in GULP relativ einfach, sodass mit geringen Aufwendungen oft großartige Resultate erzielt werden können.

„Welche Traffickanäle konvertieren wirklich richtig gut?“

Die Allmächtigkeit von Google wurde zu lange als Misskonzept in den Online-Marketing-Köpfen kultiviert. Immer mehr Websitebetreiber verstehen beispielsweise, dass bei einem Vergleich des Verhältnisses aus Wettbewerbern und abgeschlossenen Transaktionen Google gegen fast jedes Spezialsuchsystem verliert.

„Suche“ ist nicht der Gatekeeper für das mobile Netz

Microsoft hat die Wichtigkeit des klassischen WWW verschlafen. Auch Microsoft hat die Wichtigkeit des mobilen Web verschlafen. Google hingegen erkannte frühzeitig, dass es sehr wichtig ist, Gatekeeper für das mobile Netz zu werden. Wohl auch aus diesem Grund hat Google 2005 das Betriebssystem Android gekauft. Spötter behaupten, dass Google uns damit die Vorherrschaft von Microsoft im mobilen Web erspart habe ... ;-)

Smartphones und das „klassische WWW“ mit seinen oft nicht responsiven und ladezeitintensiven Webseiten standen sich lange Zeit recht feindselig gegenüber. Selbst die Google-Suche war früher mobil nicht wirklich zufriedenstellend.

Apple erkannte die Problematik, dass Smartphone-Benutzer gegenüber konventionellen Desktop-Benutzern über andersartige kognitive Fähigkeiten verfügen, und eröffnete Anfang 2008 seinen iOS App Store. Apps waren einfach die bessere Wahl als Websites, die größtenteils ihre responsive Entwicklung noch vor sich hatten. Das Konzept ging auf und Heerscharen begeisterter Entwickler begannen, Anwendungen für die hübschen Smartphones zu konstruieren.

Google zog wenige Monate nach der Eröffnung des iOS App Stores und des Facebook App Centers nach und etablierte den Android Market, welcher 2012 in Google Play Store umbenannt wurde. Google und Apple war zumindest eines klar: Die klassische Suche ist definitiv nicht als Gatekeeper für das mobile Netz geeignet – ein gut gefüllter App Store hingegen schon. Im selben Rahmen begannen Benutzer, Apps zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse in den Stores zu suchen. Dabei kam es immer häufiger vor, dass Apps die klassischen Suchmaschinen und ihre Suchfunktion ersetzten.

Mit dem plötzlichen Anstieg an verfügbaren Anwendungen entwickelte sich ein Bedarf an einer ganz neuen Dienstleistung: Die App Store Optimization (ASO) war geboren und Experten wie z. B. Mariano Glas wurden händeringend gesucht.

Google schwimmt derzeit noch in Geld

Die erste Milliarde Nutzer zu gewinnen, war für Google relativ einfach und sehr, sehr gewinnbringend: In den USA und Europa spielt jeder Benutzer jährlich um die 45 Dollar Umsatz in die Kasse, sechsmal mehr als ein Facebook-Benutzer.

Der Kapitalist und Skalierungsmaniker im Menschen fordert nach der ersten Milliarde bekannterweise und selbstverständlich gleich die nächste Milliarde.

Doch für Länder wie China, Indien, Brasilien usw. werden deutlich höhere Aufwendungen und immens niedrige ARPU-Werte (Average revenue per user) prognostiziert. Branchenkenner rechnen teilweise mit Beträgen von wenigen Cent insbesondere für Indien. Das bedeutet: Die Zahl der Suchmaschinenbenutzer wächst weiterhin rapide, aber Googles Einnahmen eben nicht. Die aktuelle Strategie mit dem Umbau von Google zu Alphabet zeigt, dass hier bereits weitergedacht wurde.

Doch es stellt sich eine zentrale Frage: Reicht die Zeit noch aus?

Die unheilige Allianz: Apple, Amazon, Facebook ... und „Mobile"

Den größten Teil seiner Einnahmen bezieht Google aus seinem Adwords-Programm. Damit stellt Google Adwords praktisch die Achillesferse des Unternehmens dar. Wenn diese Einkommensquelle versiegt, müssen verdammt schnell neue und leistungsfähigere Quellen her.

Es wäre nicht auszudenken, wie beispielsweise Anleger an der Börse auf ein Einknicken der Umsätze reagieren würden – wie zum Beispiel bereits im Jahr 2012 im kleinen Stil geschehen. Aus diesem Grund ist die Neuausrichtung von Google zu Alphabet auch nur nachvollziehbar: Jetzt müssen viele exzellente Ideen so schnell wie möglich umgesetzt werden, um daraus wenigstens ein paar neue „Cash Cows“ zu erzeugen.

Branchenkenner betrachten diese strategische und operative Hektik allerdings mit Argwohn: Google investiert in selbstfahrende Autos, Infrastruktur, Militärroboter, Homeautomation und vieles mehr. Diese Forschung kostet immense Geldbeträge und die angestrebten Produkte verdienen zurzeit noch kaum Geld. Und so stehen aktuell kritische und unbeantwortete Fragen im Raum:

Was geschieht, wenn in der Zwischenzeit „etwas“ passiert? Zum Beispiel etwas, was das Google-Adwords-Programm und seine Umsätze gefährden könnte? Aber was sollte das sein?

„Auf dem Smartphone-Display ist einfach weniger Platz vorhanden.“

Aufmerksame Beobachter des Themas „Mobile“ stellen fest, dass das Google-Adwords-Programm auf dem Smartphone offensichtlich anderen Regeln unterliegt als in der Verwendung am Desktop-Rechner. Google kann auf den kleinen Smartphone-Bildschirmen nicht so viele Werbeschaltungen zulassen wir auf einem großen Desktop-Bildschirm, denn das würde die Benutzererfahrung massiv beeinträchtigen. Rangeln sich auf einem großen Bildschirm bis zu elf Anzeigen um die begehrten Suchmaschinenbenutzer, sind es auf dem Smartphone oft weniger als fünf Anzeigenschaltungen.

Doch nicht nur der stark verminderte Werbeplatz macht Google zu schaffen. Mit der Freigabe von Werbeblockern auf iOS-Geräten durch Apple wird Google gleich auf zwei Fronten angegriffen: Während beispielsweise keine Adwords-Werbung mehr angezeigt wird, ist Werbung innerhalb der Facebook-App und innerhalb des Apple-Mikrokosmos weiterhin zu sehen. Es ist also nicht nur so, dass Google wertvolle Werbeeinnahmen verloren gehen, gleichzeitig werden auch noch die direkten Wettbewerber Facebook und Apple gestärkt.

Google konnte im Jahr 2014 knapp 12 Milliarden Dollar Werbeeinnahmen im mobilen Bereich (Tablets und Smartphones) verzeichnen. Bitter für Google ist dabei, dass 75 % dieser Einnahmen über iOS-Geräte zustande kamen. Damit liegt die Steuerung von 9 der 12 Milliarden Dollar mehr oder weniger in der Hand von Apple.

Das Google-Adwords-Programm wurde im Jahr 2000 eingeführt und im Laufe der Zeit hinsichtlich der Bedienbarkeit und der verfügbaren Funktionen ein wenig angepasst. Unterm Strich blieb das grundlegende Funktionsprinzip jedoch gleich. Drastischer ausgedrückt: Google Adwords hat sich in den letzten 15 Jahren überhaupt nicht verändert. Menschen erzeugen Werbeanzeigen und lassen diese im Rahmen eines wettbewerbsgesteuerten Bieterverfahrens gegen Geld anzeigen.

Das ist für den einen oder anderen Online-Marketing-Verantwortlichen vielleicht sogar ganz beruhigend: „Endlich ändert sich mal eine ganze Weile nichts!“ Doch mit dieser Strategie hat sich Google keinen besonderen Gefallen getan. Diese Untätigkeit räumte Facebook genügend Zeit ein, sich vom Werbeplatz-Kuchen jetzt ein gehöriges Stück zu sichern.

„Facebook verfügt über eine atemberaubende Datenqualität.“

Ausgerechnet von Microsoft kaufte Facebook 2013 das Werbesystem „Atlas“ und integrierte es in die eigenen Strukturen. Facebook hat gegenüber Google einen enormen Vorteil: Der größte Teil der Facebook-Benutzer ist eindeutig und unmissverständlich identifizierbar. Damit erschließt Facebook mit Blick auf geräte- und kanalübergreifende Besucherdatenerfassung (Cross-Device/Cross-Channel-Tracking) ganz neue Welten.

Während Google weitgehend noch von Cookies und einigen anderen Teilsystemen zur (Wieder-)Erkennung von Systembenutzern abhängig ist, könnte Facebook völlig darauf verzichten – und verfügt gleichzeitig über eine atemberaubende Datenqualität. Doch Facebook verzichtet natürlich nicht auf Cookies und kann so selbst dann fleißig Daten über seine Benutzer sammeln, wenn diese abgemeldet sind. Sobald sich jemand wieder im Facebook-Universum anmeldet, werden seine „anonymen“ Daten mit den persönlichen zusammengeführt.

Während Google also nur feststellen kann, „dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein und dieselbe Person handelt“, kennt Facebook nicht nur die Person mit einem deutlich höheren Wahrscheinlichkeitsgrad, sondern besitzt noch eine große Fülle weiterer direkt zuordnungsfähiger Daten.

Facebook wird damit zeitlich gesehen vor Google in der Lage sein, echte personenbasierte Werbung auszuspielen. Das ist für jeden Online-Marketing-Manager natürlich eine deutlich verlockendere Option, anstatt „Budget in einen Adwords-Topf zu packen und ihn über suchbegriffbasierten Suchanfragen auszukippen". Gleichzeitig ist Facebook mit dem Thema „Responsive“ eher groß geworden als Google und verfügt im Bereich der mobilen Werbung über deutlich mehr Erfahrung. So kümmerte sich Google beispielsweise zum ersten Mal im Jahr 2013 um das Thema „Responsivität von Adsense-Anzeigen“, während bei Facebook das Thema bereits 2010 auf der Agenda stand.

Was passiert, wenn Apple auf iOS das Blockieren von Google-Anzeigen zulässt, Menschen mobil ohnehin mehr in Apps unterwegs sind und sehr wenig „googeln“ und Facebook gleichzeitig den Adwords-Dinosaurier mit einer deutlich effizienteren Werbemöglichkeit angreift?

Die Kombination dieser Maßnahmen könnte dazu führen, dass die Adwords-Einnahmen empfindlich sinken. Das wiederum könnte eine negative Kettenreaktion an der Börse nach sich ziehen.

Dennoch bleibt Google auf jeden Fall noch ein wichtiges Asset: Die Fähigkeit, große Teile des WWW zu erfassen, zu strukturieren und durchsuchbar zu machen. Der Betrieb einer solchen Infrastruktur ist allein mit Blick auf die Kosten, Prozesse und Anforderungen von kaum einem Unternehmen zu leisten. Zumindest wird davon ausgegangen. Und dennoch bekommt BING das sehr gut in den Griff. Und Yandex. Und Baidu. Und demnächst wohl auch Apple.

Moment, Apple? Eine Suchmaschine? Genau, Apple!

Seit 2008 entwickelt Apple im Verborgenen ein eigenes Suchsystem. Ende 2014 verbannte Apple Google als Standardsuchsystem von den eigenen Betriebssystemen. Und seit Beginn 2015 wurde durch den neuen Personalbedarf seitens Apple klar deutlich, dass ein neues weltweites Suchsystem bereitgestellt werden soll. Ein solches Suchsystem wäre natürlich von Vorteil: Es würde die Marktmacht von Google weiter dezimieren und gleichzeitig die Abhängigkeit von BING, Wolfram Alpha, Yelp und vielen anderen Suchsystemen reduzieren.

Als ob Apples Vorstoß in die Suchmaschinendomäne nicht genügen würde, teilte Facebook just mit, dass es nun möglich sei, „die ca. 2 Billionen Postings ganz einfach zu durchsuchen“. Angesichts des Umstands, dass immer mehr Inhalte statt im öffentlich zugänglichen WWW innerhalb von Facebook erstellt werden, entsteht hier gerade ein Ökosystem, auf dessen Inhalte Google bereits keinen Zugriff mehr hat. Und Facebook hat weitere Vorteile gegenüber Google: Anstatt sich mit all den unterschiedlichen Formaten und Technologien des gesamten WWW auseinandersetzen zu müssen, nutzt Facebook einfach die eigene und bekannte Datenstruktur.

„Auf das Ökosystem von Facebook hat Google keinen Zugriff!“

Während Google immer weiter und intensiver mit Spam kämpft und die Ermittlung von Relevanz immer kostenintensiver wird, wendet Facebook ganz andere Hebel an: beispielsweise die Bewertung des Vertrauensfaktors bekannter Benutzer. Auf diese Weise wird Facebook es mit Leichtigkeit schaffen, die aktuell 1,5 Milliarden Suchanfragen pro Tag zu vervierfachen – und befände sich dann sehr komfortabel auf Augenhöhe mit Google.

Und Facebook strebt an, dass kein Benutzer das System verlassen muss, „nur weil er/sie/es eine Frage hat“. Dafür soll der in den Facebook Messenger integrierte digitale Assistent sorgen: Facebook M.

Im Kommen: Sprachsuchsysteme und digitale Assistenten

Was wäre das für ein Gefühl, wenn man für alle die täglichen Fragen seine Lieblings-App nicht mehr verlassen müsste? Wie wäre das, wenn man einfach seine Frage in den Raum stellen könnte und eine Antwort erhielte? Gleich sechs große Player sind aktuell dabei, dieses digitale Spielfeld zu besetzen:

  • Microsoft mit Cortana
  • Amazon mit Alexa/Echo
  • Google mit Google Now
  • Apple mit Siri
  • Facebook mit dem Facebook M Assistent
  • und SoundHound

Insbesondere die Leistungsfähigkeit der SoundHound-Demos zaubert angesichts der Kombination aus Spracherkennung und Sprachverständnis eine Gänsehaut auf den Rücken. Alle sechs Systeme sind dafür geeignet, eine mächtige Gatekeeperfunktion einzunehmen und Suchende zu den passenden Angeboten und Informationen zu routen.

SEO wird damit als Dienstleistung nicht nur interdisziplinärer, sondern auch wesentlich differenzierter und anspruchsvoller werden.

Alternative Suchsysteme

Viele Unternehmen liefern sich auf dem Google-Schlachtfeld ressourcenintensive Dauerkämpfe. Diese Unternehmen unterliegen regelmäßig der Illusion, „dass Google ja die meisten Besucher liefert“. In der Praxis ist diese Denkweise für Unternehmen mit begrenzten monetären und personellen Ressourcen regelmäßig unwirtschaftlich und wenig effizient. Smarte Unternehmen besetzen dominante Positionen in genau den Suchsystemen, in denen sich die jeweilige Bedarfsgruppe tatsächlich qualifiziert.

Wer physische Produkte wie beispielsweise Möbel verkauft, sollte sich überlegen, ob neben Google Shopping, Amazon, Ebay, Ladenzeile.de und idealo auch Roomido ein sinnvolles Suchsystem ist: Immerhin treiben sich auf diesem Suchsystem genau die Menschen herum, die sich gerade Inspirationen für die Neugestaltung ihrer Wohnung holen möchten.

Anbieter von lokalen Dienstleistungen wie z. B. Therapeuten füllen sich regelmäßig die Praxis über eine gute Optimierung in der Kombination aus Jameda.de, Yelp und netdoktor.de.

In der Praxis gelingt es immer häufiger, kleine und mittelständische Unternehmen über ein gut diversifiziertes bedarfsspezifisches Portfolio an Suchsystemen sinnvoll auszulasten. Oftmals wird das Google-Suchsystem lediglich als zusätzlicher Traffickanal angesehen, auf den jedoch auch verzichtet werden könnte.

„Zu erkennen, dass nicht alle Suchen über Google laufen, ist eine große mentale Herausforderung.“

Online-Marketing-Verantwortliche berichten oft von den angenehm stabilen Zuständen, einer deutlich einfacheren Optimierbarkeit sowie enormen Kostenvorteilen. In der Regel musste im Unternehmen zwar jeweils erst verstanden und akzeptiert werden „dass nicht alle Menschen über Google suchen“ und „dass nicht die Menge der Suchenden auf Google relevant ist“, sondern eben genau die ausreichende Zahl an Menschen, die unmissverständlich und eindeutig das Angebot des Unternehmens benötigen. Das ist erst einmal eine große mentale Herausforderung und Umstellung – aber sie lohnt sich. Es kommt regelmäßig vor, dass zwei bis fünf bedarfsspezifische Suchsysteme die Anzahl an Transaktionen ersetzen, die über Google gekommen wären. Durch die Diversifizierung entsteht automatisch eine angemessene Risikominimierung, gleichzeitig liegen die operativen Kosten für die Neukundengewinnung fast immer weit unterhalb der Kosten für eine Suchmaschinenoptimierung bzw. für die Schaltung bezahlter Anzeigen über das Google-Adwords-Programm.

Grundsätzlich gibt es wohl für jede Branche und jedes Online-Angebot ein Suchsystem, über das sich die jeweilige Bedarfsgruppe qualifiziert. Eine wichtige Aufgabe der Suchmaschinenoptimierung wird die kontinuierliche Identifikation weiterer Suchsysteme sein. So kann sichergestellt werden, dass eine angemessene Diversifizierung der (Neu-)Kunden-Kanäle stattfindet.

Diversifizierung ist Pflicht!

Oma brachte uns von Kindesbeinen an bei: „Leg nicht alle Eier in einen Korb!“ Oma war super, denn sie hatte Ahnung von Diversifizierung und Risikomanagement. Viele Online-Marketing-Verantwortliche in Unternehmen jeglicher Größe hingegen stellen sich auch 2015 noch an, als hätten sie diesen Spruch von Oma noch nie gehört. Wenn die Umsätze eines Unternehmens zu einem großen Teil von der Laune einer einzigen Suchmaschinenfirma abhängen, hat dieses Unternehmen ein echtes Problem.

Wenn Online-Marketing-Verantwortliche bei jedem Google-Update zusammenzucken, sollten sie sich folgende Fragen stellen:

  • Sind wir Stand heute in der Lage, komplett auf den Besucherstrom von Google zu verzichten?
  • Überlebt unser Unternehmen die Simulation einer Trennung?
  • Wer entscheidet darüber, ob wir Besucher von Google erhalten?
  • Wird diese Entscheidung unser Unternehmen gefährden?

Diese Fragen sind weitreichender, als es zunächst erscheint: Es geht dabei nicht nur darum, dass ein Unternehmen weniger Umsatz macht, wenn es beispielsweise von einer Google-Abstrafung betroffen ist. Eine „Trennung vom Strom der Google-Besucher“ muss nicht immer durch Google selbst initiiert sein: Oft ist es ein selbst verschuldeter Fehler, eine technische Störung oder Ähnliches. Die Auswirkung sollte dann zumindest das Unternehmen nicht gefährden.

Aus rechtlicher Sicht wiederum besteht beispielsweise die Möglichkeit, dass Gesellschafter einer GmbH den Geschäftsführer im Innenverhältnis rechtlich belangen, wenn dieser dauerhaft ein unangemessen hohes Unternehmensrisiko eingeht, indem er das Unternehmen von einer einzigen Kundengewinnungsquelle abhängig macht. Eine gute Faustformel ist daher:

Für jeden Besucher über Google sollten zwei Besucher über mindestens zwei andere Quellen kommen.

Jedes Unternehmen sollte die Planung für die digitale Gewinnung von (Neu-)Kunden zunächst ohne Google durchführen und umsetzen. Diese Vorgehensweise sorgt regelmäßig für einen robusten und entspannten Geschäftsbetrieb.  

Nur Mut – auch andere Suchsysteme haben schöne Benutzer/-innen!