Abgekratzt …

Karl Kratz
Karl Kratz

Karl Kratz liebt und lebt feines Online-Marketing seit 1996. Er ist Autor diverser Online-Marketing-Publikationen (Welcome to the System, Haifischbecken Internet Marketing, Landingpage SEO) und betreibt die Online-Marketing-Plattform karlsCORE public.

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Ein Aufschrei geht durchs WWW: „Die Washington Post blockiert ihre Online-Inhalte für Website-Besucher, die einen Werbe-Blocker (auch: Ad-Blocker) einsetzen!“ Entsetzen allerorten: Zerstören Werbe-Blocker das Internet?

Wie kann es jemand wagen, einen Website-Besucher von Online-Inhalten auszusperren, wenn dieser doch lediglich die nervige omnipräsente und irrelevante Werbung aussperren möchte, welche wiederum den Anbieter der besuchten Online-Inhalte finanziert?!? (Achtung, Satire!)

O. k., findige Entwickler haben also einen Besucher-Blocker entwickelt, der Besucher fernhält, die einen Werbe-Blocker einsetzen. Und noch findigere Entwickler haben wiederum mittlerweile Skripte entwickelt, die diese Besucher-Blocker umgehen. Da stellt sich die Frage: „Was wird als Nächstes entwickelt? Ein Werbe-Blocker-Benutzer-Blocker-Entblocker-Entblockerblocker-Script?“ Was würde passieren, wenn all diese wertvollen Entwickler-Ressourcen darauf verwendet würden, wirklich sinnvolle Dinge zu entwickeln?

Der „Adobe Ad Blocking Report 2015“ beziffert 198 Millionen aktive Ad-Block-Benutzer – Tendenz stark steigend. Und es geht noch weiter: Apple möchte eine Werbe-Blocker-Funktion direkt ins Betriebssystem integrieren. Und das Start-up Shine versucht, Werbung bereits auf der Netzwerk-Ebene zu filtern. Nach einem „Abrüsten“ sieht das nicht gerade aus.

Werbetreibende, Vermarkter und Website-Betreiber könnten in einem fiktiven Szenario nun weiter so reagieren: Zuerst werden alle Benutzer von Ad-Blockern systematisch von der Nutzung von Websites ausgesperrt. Danach lassen sie eine Vielfalt proprietärer Werbeformen entstehen, wodurch Anbieter von Werbe-Blockern dauerhaft ihre Systeme aktualisieren müssten. Und zu guter Letzt würden wichtige Beeinflusser in der Werbe-Branche durch Lobbyarbeit und Neuauslegung von Rechtslücken die Anbieter von Werbe-Blockern rechtlich angreifen. Noch wird einer Verhinderung von Werbe-Blockern auf dem Rechtsweg keine große Chance beigemessen ... noch nicht.

Dieses Szenario könnte so eintreten. Aber wäre es sinnvoll? Macht ein (digitaler) Krieg Sinn, wenn sein einziges Ziel lautet: „Zeige Website-Besuchern Werbung, die sie auf keinen Fall sehen möchten!“?

Adblocker Plus wirbt mit der kernigen Aussage: „Für ein Web ohne nervige Werbung!“ Für meinen Geschmack gehen die Jungs da einen Tick zu weit: Wer definiert denn bitteschön, was „nervig“ ist? Aber ja, sie haben dennoch recht: Die gefühlte Relevanz, Erwartungskonformität und Responsivität digitaler Werbung ist unter aller Sau. Wir leben im Jahr 2015. Unternehmen blubbern beratungsgeschwängertes BigData-, Customer-Journey- und User-Experience-Bullshitbingo vor sich hin und geben gleichzeitig das sechsstellige Jahresbudget für lineare, stumpfsinnige Display-Werbung im Gießkannenprinzip frei. Display-Werbung, die inhaltlich womöglich weder interessant noch kontextuell positioniert ist. Wie so oft macht man sich dabei eher Gedanken um Skalierbarkeit und „wie kann ich noch mehr Traffic einkaufen“ als um Relevanz und Resonanz.

Eine menschliche Reaktion auf irrelevante Werbung ist Ablehnung und Ignoranz. Dieses Gefühl wird digital in Form eines Werbe-Blockers ausgedrückt.

Online-Werbung sollte so gestaltet sein, dass Menschen ihre Werbe-Blocker freiwillig deaktivieren. Werbung sollte ein Flirt sein. Wenn dabei Gewalt angewandt werden muss, läuft in den Köpfen der Menschen etwas schief.

Schreib Dich nicht ab – mach Werbung, die Menschen lieben! :-)