O. k., ausnahmsweise – du Gast!

Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

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Manchmal bekommt man beim Online-Kauf den Eindruck, in dem einen oder anderen Shop nicht so wirklich willkommen zu sein. Echter Kunde wird nur, wer auch ein „Kundenkonto“ eröffnet. Alle anderen werden nur als Gäste bezeichnet. Das Schlimmste dabei ist, dass diese Zweiklassengesellschaft meist gar nicht auf dem Mist der Shopbetreiber gewachsen ist, sondern durch änderbare oder nicht-änderbare Standardeinstellungen von Standardsoftware bedingt wird. Die Programmierer werden sich doch wohl was dabei gedacht haben, oder? Oder?

Können Sie sich noch an die Buchclubs von früher erinnern? Da musste man Mitglied werden, damit man in deren Läden etwas kaufen konnte. Gibt es so was eigentlich heute noch? Gibt es Läden, bei denen man beim Kauf nicht als Kunde, sondern etwas despektierlich nur als „Gast“ begrüßt und verabschiedet wird?

Im realen Leben gibt es solche begrifflichen Entgleisungen sicher nur extrem selten. Im Web sind sie fast die Regel. Da möchte man bei einem Online-Shop einkaufen und ist nicht bereit, dort ein Kundenkonto zu eröffnen - und schon muss man durch die andere Tür gehen. Nicht durch die für registrierte Kunden, mit Anmeldung. Sondern in die daneben. Die für eine Gastbestellung. Irgendwie klingt das immer etwas abwertend, als toleriere man es gerade so, dass jemand hier sein Geld lässt, aber keinen Account eröffnet. Als drücke man aus Goodwill ausnahmsweise noch mal ein Auge zu. Aber nicht immer hat man so viel Glück in Bezug auf Toleranz. Immer wieder trifft man auf Shops, die tatsächlich auf die Erstellung eines Kundenaccounts bestehen. Bestellen als „Gast“? Vergiss es. Pfui, schleich dich.

Was sind die Gründe? Nun, zum einen vielleicht deswegen, weil man als Shopbetreiber eher nur die Vorteile eines angelegten Kundenaccounts sieht. Der Kunde kann, wenn er wieder in den Shop kommt, ohne erneute Adresseingabe bequemer einkaufen. Ein weiterer Vorteil wird nicht selten darin gesehen, dass man eine verlässlichere Adressdatenbank ohne Dubletten hat. Kann man Einkäufe unter einer Kundennummer zusammenfassen bzw. speichern, dann hat man einen besseren Überblick, genauere Kennzahlen und kann ggf. gezielter Marketingmaßnahmen für Mehrfachkäufer oder zur Animation für Wiederholungskäufe fahren. Aber Moment, werden Sie als mitdenkender Leser sicher jetzt als kleines Ausrufezeichen im Kopf blinken sehen. Wenn der Axel Totschnik aus der Mozartstraße 7 aus Niederwunsen mehrfach ohne Registrierung einkauft, kann man das doch technisch recht leicht zusammenführen, oder? Ja klar. Aber eben nicht als reiner Klickbediener einer Shopsoftware, deren Programmierer andere Dinge priorisieren. Was die Software funktionell nicht vorsieht, geht eben nicht. Wenn man dann ein und denselben Axel mehrfach mit unterschiedlichen Kundennummern im Bestand sieht, mag die Schlussfolgerung nicht weit weg sein, durch das Weglassen der Gastbestellung diesen Datensalat zu beenden oder beim Aufsetzen des Shops erst gar nicht entstehen zu lassen. Schließlich lieben gerade wir Deutschen es sauber, organisiert und korrekt.

Grund 1 ist also, dass man den Kunden für einen Folgeeinkauf zur Bequemlichkeit zwingen will. Er wird dann schon merken, dass es einfacher geht. Grund 2 ist, saubere Datenbestände zu haben. Gibt es einen dritten Grund? Zumindest will mir gerade kein vernünftig klingender einfallen.

Irgendwo habe ich mal in einem alten Marketingbuch gelesen, dass der Kunde König sein sollte. Ob das nun ein Hirngespinst ist oder nicht – schauen wir uns den Vorgang doch mal aus seiner Sicht an: Er möchte vielleicht einmal nicht bei Amazon kaufen, wo es so wunderbar bequem geht, und hat sich eben bei einem Shop etwas in den virtuellen Warenkorb gelegt. Nun geht‘s zur Kasse. Dort wird er mit zwei Möglichkeiten konfrontiert: Sich als bestehender Kunde in den Shop einzuloggen oder ein Kundenkonto zu eröffnen.

Was bedeutet das, ein „Konto“ anlegen? Damit entsteht zumindest vom verbalen Eindruck eine längerfristige Geschäftsbeziehung. Eigentlich wollte der Besucher zunächst nur diesen einen Kauf tätigen. Schließlich kennt er die wahre Leistungsfähigkeit des Unternehmens noch gar nicht. Liefern sie pünktlich? Gibt es Probleme bei einer Rückgabe? Wie gut ist der Service, wenn Fragen auftauchen?

Was passiert, wenn man nun wirklich ein „Konto“ anlegt. Nun, es ist wie bei einer Bank. Man bekommen einen Zugang mit einer Identifizierung und kann dann über sein dort lagerndes (oder mehr) Geld verfügen. Beim Shop muss ich meine Mailadresse zusammen mit einem von mir festzulegenden Passwort hinterlassen. Das Passwort identifiziert mich und ersetzt meine Unterschrift bei einer Bestellung. Was aber, wenn sich jemand mit meinen Daten dort einloggt und auf meinen Namen Dinge bestellt und sich diese an eine andere Adresse schicken lässt? Bekomme ich dann Probleme?

Wenn jemand mit meiner PIN am Bankomaten Geld abhebt, behauptet die Bank einfach, dass das nur ich gewesen sein könne oder dass ich fahrlässig mit meiner PIN umgegangen sei. Das System sei sicher, sagt die Bank, und ich müsse für den Schaden geradestehen. Aha. Ist das bei einer Shopbestellung auch so? Kann ich einfach sagen, ich sei es nicht gewesen? Was ist mit den Meldungen, die man fast jeden Tag in den Medien liest, dass sogar Unternehmen von der Größe wie Sony nicht in der Lage sind, intime Daten ihrer Kunden zu schützen? „16 Mio. Nutzerkonten gehackt“, „Online-Shop gehackt – Passwort-Diebe unbekannt“ oder „Betrüger bestellen mit gestohlenen Kundendaten“ – solche Meldungen lesen wir fast täglich irgendwo. Einer Studie von Ibi Research „Informationssicherheit im E-Commerce 2014“ zufolge war jeder dritte Online-Shop schon Opfer einschlägiger Angriffe. Der Grund ist wohl darin zu sehen, so die Studie, dass den Betreibern solcher Shops bereits das Grundlagenwissen in Sachen Datenschutz und -sicherheit fehle. So weit, so schlecht.

Es scheint also nur allzu verständlich zu sein, dass viele Kunden keine Lust haben, bei Sicherheitsamateuren ihre Daten zu hinterlassen. Und es ist sicher immer noch besser, aus Sicht des Verkäufers halt nicht als Kunde, sondern nur als „Gast“ bezeichnet zu werden, als später Ärger zu bekommen.

Wie geht man denn aber jetzt mit einem Neukunden im Shop richtig um? Ganz einfach: Auch hier gilt das Keep-it-simple-Prinzip. Man nötigt ihm nicht schon vor dem Betreten der Bestellstrecke die Entscheidung ab, ob er ein Konto eröffnen will oder nur Gast sein möchte, sondern gibt ihm nur die eine Tür für Neukunden. Das Anlegen eines Kundenkontos unterscheidet sich von der Gastbestellung nur durch eine Sache: das Passwort! Nur diese Angabe fehlt, alle anderen Daten wie Adresse, Kreditkarte, Geburtsdatum oder was auch immer nötig ist, muss ja auch für eine Einzelbestellung hinterlegt werden, weil der Kaufprozess sonst nicht durchgeführt werden kann. So gesehen bleibt eigentlich nur die Frage, an welcher Stelle man das Passwort abfragt – besser: Wann man anbietet, eines zu vergeben. Dies könnte als optionale Möglichkeit im Bestellprozess selbst sein, verbunden mit dem Hinweis, dass man dann bei späteren Käufen die eigenen Daten nicht mehr einzeln eintippen müsste. JETZT wird dem Besucher der Sinn unmittelbarer klar, weil er genau an dieser Stelle die Arbeit des Ausfüllens hat.

Eine andere Möglichkeit wäre, ihm dies nach seiner Bestellung anzubieten. Dazu erscheint eine letzte Seite, auf der klargestellt wird, dass die Bestellung nun eingegangen ist, und direkt darunter bietet man die Möglichkeit an, jetzt „nur noch“ ein Passwort zu vergeben, um bei den nächsten Einkäufen die Eingabe der Kundendaten zu sparen. Sofern die Seite geschickt und schlank gestaltet ist, werden die meisten Besucher diese Möglichkeit erkennen und bei Bedarf nutzen.

Ein solches Vorgehen hätte auch noch einen weiteren Vorteil – statt als Gäste kann man seine Kunden wieder als das bezeichnen, was sie sind: nämlich Kunden.