Die Beweislast für das Nicht-Funktionieren von Software-Filtern liegt bei Google – sagt das LG Hamburg

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Vor Kurzem traf das LG Hamburg eine auf den ersten Blick unscheinbare Entscheidung (Urt. v. 24.01.2014 – Az.: 324 O 246/11). Es ging um die Frage, ob der Suchmaschinen-Riese verpflichtet ist, rechtswidrige Bilder zu sperren.

Erst bei näherer Betrachtung fällt auf, dass das Urteil viel Sprengkraft enthält. Denn erstmalig nimmt ein deutsches Gericht eine Beweislast für das Nicht-Funktionieren von Software-Filtern seitens Google an. Bislang konnte sich die Firma immer erfolgreich damit verteidigen, dass Filterungen in diesem Bereich technisch nicht möglich seien. In dem vorbenannten Prozess war dies nun zum ersten Mal anders: Da der Kläger ein ausführliches Gutachten und eine umfangreiche Analyse der handelsüblichen Software vorlegte, sah das Gericht nun den Suchmaschinen-Anbieter in der Pflicht, sich zu äußern. Google blieb jedoch stumm.

A. Der Sachverhalt

Kläger war Max Mosley, der gegen Google Inc. vorging. Es ging um Fotos aus dem Intimbereich des Klägers. Google indizierte fremde Webseiten und zeigte die Bilder an. Die Anwälte informierten den Suchmaschinen-Riesen über die Rechtsverletzungen und verlangten, dass auch zukünftig sämtliche Bilder – auch wenn sie auf anderen URLs indiziert würden – nicht mehr angezeigt würden.

Google lehnte dies ab, da eine solche präventive Filterung nach Auffassung des Unternehmens nicht möglich sei.

B. Die Entscheidung

Das LG Hamburg bejahte die Haftung der Suchmaschine gleichwohl und betrat damit Neuland. Bislang waren sämtliche Ansprüche immer daran gescheitert, dass der jeweilige Kläger nicht ausreichend nachweisen konnte, dass es tatsächlich Software gibt, die entsprechende Filter bei dieser Art der Indizierung unterstützt.

Denn der Schuldner kann natürlich nur zu etwas verurteilt werden, was ihm auch technisch und rechtlich möglich ist. Existiert kein solcher Filter, würde man an Google unmögliche Forderungen stellen, was rechtlich nicht zulässig wäre.

Im nun vorliegenden Prozess gelang es einem Kläger – soweit ersichtlich erstmalig –, dieser Beweislast nachzukommen und entsprechende Dokumente vorzulegen.

1. Gutachten und konkrete Benennung von Software-Programmen angeblich ausreichend

Wie gelang Max Mosley das, woran so viele vorher scheiterten?

Ganz einfach: Er legte zum einen das Gutachten eines Professors vor, zum anderen benannte er konkrete Programme auf dem Markt, die vergleichbare Funktionen bereits beinhalten. Unter Benennung der jeweiligen Dienste von Google wurde dann dargestellt, wie diese bestehende Software eingesetzt und notfalls erweitert werden könnte.

Google bemängelte insbesondere das Gutachten als nicht ausreichend qualifiziert.

Dies interessierte die Hamburger Richter jedoch nicht näher, denn es sei zu berücksichtigen, dass der Kläger gerade keinen Einblick in die komplexen technischen Abläufe und Entwicklungsmöglichkeiten einer Suchmaschine habe. Somit dürften die Anforderungen an den Kläger nicht überspannt werden. Das Landgericht nimmt diese Wertung insbesondere aufgrund des Umstandes an, dass der Kläger technischer Laie ist. Der Kläger habe unstreitig keine Verbindungen zu dem Gebiet der Software-Entwicklung. Ihm würden daher jegliche tiefer gehenden Kenntnisse um die speziellere Frage des Filterns von Bildern im Rahmen eines Suchprozesses fehlen. Er sei daher nicht verpflichtet, die gesamte Fachliteratur zur Frage von Bilderkennungsprogrammen auszuwerten.

2. Google kann sich auf Betriebsgeheimnis berufen

Ein weiteres Argument, mit dem Google sich verteidigt hatte, war die Tatsache, dass es unzumutbar sei, die geforderten Betriebsgeheimnisse offenzulegen. Google trug lediglich vor, dass es derzeit noch keine handelsübliche Filter-Software für den konkreten Einsatz bei der Beklagten gebe.

Das Unternehmen ließ jedoch ausdrücklich offen, ob es nicht selbst einen solchen Filter entwickelt habe und ob dieser nicht bereits im Einsatz sei. In einem expliziten richterlichen Hinweis forderte das Gericht Google auf, klare und eindeutige Antworten auf die Fragen zu geben.

Die Firma hüllte sich jedoch in Schweigen. Sie zog sich vielmehr auf den allgemeinen Standpunkt zurück, dass es derzeit keine handelsübliche Filter-Software gebe, die wirksam sei.

Mit relativ deutlichen Worten kritisiert das Landgericht diese fehlende Auskunftsbereitschaft des Suchmaschinenriesen. Denn es gehe im vorliegenden Fall nicht um die Frage, ob es eine entsprechende Software auf dem Markt gebe, die Google erwerben und einsetzen könne. Es gehe vielmehr um die Frage, ob die Beklagte, die einen großen, bedeutenden und weltweit bekannten Suchdienst neben weiteren Diensten anbiete, sich dazu äußert, ob sie eine entsprechende Software bereits einsetzt, und hierzu die Möglichkeiten und die Reichweite darlegt, und ob Maßnahmen ergriffen wurden, eine entsprechende Software zu entwickeln.

All dies seien Umstände, die sich in der Sphäre des Suchmaschinenriesen abspielen. Diese Umstände könne der Kläger nicht kennen, sodass er daher auch nicht verpflichtet sei, in seiner Klage hierzu Stellung zu nehmen.

Den Einwand von Google, dass ein solcher Vortrag unzumutbar sei, da man damit gezwungen würde, Betriebsgeheimnisse offenzulegen, lehnte das Gericht ab. Verlangt sei hier nicht ein umfassender, konkreter Vortrag, der Details zu Softwareprogrammen enthalte, die z. B. einen Konkurrenten der Beklagten in die Lage versetzen könnten, sich diese Angaben zunutze zu machen. Dies habe das Gericht gerade nicht verlangt. Vielmehr habe das Gericht lediglich wissen wollen, ob die Beklagte eine solche Technologie selbst entwickelt habe und bereits einsetze. Nähere Einzelheiten seien nicht erforderlich gewesen.

Die Äußerung, dass Google möglicherweise die Weiterentwicklung von Bilderkennungsprogrammen betreibe, stelle keinen Eingriff in Betriebsgeheimnisse dar. Vielmehr sei es in Anbetracht der fortschreitenden technischen Entwicklungen und ihrer zahlreichen allgemein bekannten Aktivitäten sogar als wahrscheinlich zu erwarten.

Insbesondere das vollkommene Schweigen von Google zur Frage, ob das Unternehmen in seinem Betrieb eine solche Software einsetzt, kritisiert das Gericht. Google habe zwar zu dem Punkt Stellung genommen, ob die einzelnen Softwareprogramme, die der Kläger namentlich genannt hatte, zur Filterung geeignet seien. Die Beklagte habe jedoch keine Maßnahmen benannt, die sie ergriffen habe, um weitere gleichartige Rechtsverletzungen des Klägers – möglicherweise nicht sogleich, jedoch mit Blick in die Zukunft – verhindern zu können. Sie trage noch nicht einmal vor, dass sie Anstrengungen unternommen habe, eine entsprechende Software zu entwickeln, eine bereits vorhandene Software weiterzuentwickeln oder dass sie hierbei an Grenzen gestoßen sei.

3. Der (vermutlich) weitere Verlauf des Gerichtsverfahrens

Das Urteil fällte die 24. Zivilkammer – auch als Pressekammer bezeichnet. Diese Kammer ist bekannt dafür, dass sie inhaltlich rechtlich sehr umstrittene Entscheidungen fällt, die nicht selten von den höheren Instanzen wieder aufgehoben werden. Insofern ist noch nicht aller Tage Abend, sondern der weitere Verlauf des Gerichtsverfahrens dürfte leicht vorhersehbar sein.

Google wird, falls nötig, aller Voraussicht nach bis vor den Bundesgerichtshof gehen, um diese grundlegende Frage klären zu lassen. Das Unternehmen trat diesen Gang auch in anderen Grundlagen-Verfahren an.

C. Bewertung des Urteils

Das Urteil überzeugt inhaltlich nicht wirklich. Insbesondere hinterlässt es hinsichtlich der Frage der Beweislast-Verteilung einen faden Beigeschmack. Denn das Gericht dreht hier mit wenig überzeugenden Argumenten die Beweislast einfach um, zulasten des Suchmaschinen-Riesen.

Erstaunen ruft insbesondere hervor, dass das Gericht die qualitativen Anforderungen an die klägerischen Beweise sehr gering ansetzt, weil der Kläger technischer Laie ist und keinerlei Erkenntnisse auf dem Gebiet der Software-Entwicklung hat. Schaut man sich nämlich die bisherigen Verfahren an, bei denen Google verklagt wurde, dann lässt sich schnell erkennen, dass durch die Bank sämtliche Kläger nie Suchmaschinen-Profis waren. Warum nun hier das Landgericht – soweit ersichtlich erstmalig – diesen Umstand ausdrücklich erwähnt und daraus auch noch bestimmte Rückschlüsse zieht, ist nicht wirklich nachvollziehbar. Wenn dieser Umstand aus gerichtlicher Sicht tatsächlich relevant gewesen wäre, hätte er in zahlreichen Verfahren zuvor ebenfalls Beachtung finden müssen. Gerade dies geschah aber nicht.

Nicht zu erschließen ist auch der Umstand, was gewonnen gewesen wäre, wenn Google tatsächlich zu der Frage Stellung genommen hätte, ob bereits eine Filter-Software im Bilder-Bereich eingesetzt wird. Wenn das Unternehmen mit Nein geantwortet hätte, wäre dann die Beweislast wieder beim Kläger gewesen? Oder hätte Google dann seine Antwort nicht vielmehr begründen müssen?

Anders als das Gericht es meint, berührt bereits die Frage, ob eine Filter-Software eingesetzt wird oder nicht, unzweifelhaft das Geschäfts- und Betriebsgeheimnis von Google. Auch insofern sind die Ausführungen mehr als abenteuerlich. Etwas anderes ist es, ob die Firma nicht die vom Gericht verlangte Auskunft hätte erteilen müssen, denn auch Betriebsgeheimnisse sind nicht schrankenlos gewährleistet. Der BGH stellte erst vor Kurzem (Urt. v. 19.02.2014 – Az.: I ZR 230/12) klar, dass auch ein unmittelbarer Konkurrent im Zweifel nicht von einer Beweisaufnahme vor Ort ausgeschlossen werden darf.

Da Google die gewünschten Äußerungen wie der Teufel das Weihwasser fürchtet, liegt die Vermutung schnell auf der Hand, dass das Unternehmen bereits seit Langem – erfolgreich – eigene Filter-Software einsetzt und sich daher vor der Auskunft drückt. Bei längerem Nachdenken ist ein solcher Rückschluss jedoch keineswegs zwingend. Den Suchmaschinen-Riesen können im vorliegenden Fall auch grundsätzliche Erwägungen bewogen haben, keine Auskunft zu erteilen. Ist nämlich einmal der Deckel geöffnet, dann besteht die außerordentlich große Gefahr, ihn nicht mehr schließen zu können.

D. Die Konsequenzen aus dem Urteil

Sollte sich die Entscheidung des LG Hamburg durchsetzen, liegen die Konsequenzen auf der Hand: Google müsste auch im Bilder-Bereich massiv in seinen Such-Algorithmus eingreifen, um die jeweils gewünschten Löschungen und Sperrungen vorzunehmen.

Dies wäre keineswegs das erste Mal, denn unter anderem in der „Autocomplete“-Entscheidung bejahten die BGH-Richter (Urt. v. 14.05.2013 – VI ZR 269/12) bereits eine Sperrpflicht. Damals ging es freilich um Text-Filterungen und nicht wie hier um die Selektion von Bildern.