Ein Gewissen? Haben wir verlegt!

Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

Mehr von diesem AutorArtikel als PDF laden

Nicht wenige deutsche Verlage nutzen offenbar weidlich die Möglichkeit, über ihre bekannten und gut besuchten Portale gezielt nicht entsprechend gekennzeichnete Links an Websitebetreiber zu verkaufen. Solche Links bringen die Käufer in der Regel bei den Rankings weiter nach vorn. Das Ganze verstößt selbstverständlich massiv gegen die Richtlinien von Google und es stellt sich daher wohl nicht die Frage, ob dieses Tun seitens der Suchmaschine bestraft wird, sondern wann. Mit welcher Frechheit diejenigen öffentlich gegen Google wettern und der Suchmaschine Manipulation der Suchergebnisse vorwerfen, die umgekehrt massiv an einer Rankingmanipulation verdienen – das ist schon ein starkes Stück. Unser Chefredakteur und Herausgeber konnte es sich daher nicht verkneifen, einmal laut nachzudenken.

Dass Verlage bzw. deren Publikationsorgane Google in der Regel nicht wohlgesonnen sind, ist wohl hinlänglich bekannt. Warum, dazu muss man ein klein wenig weiter ausholen. Die Suchgigantin treibt das Web mit einer Geschwindigkeit an, die sowohl eher traditionell konservativen Verlegern als auch deren angestellten Journalisten, die politisch nicht selten dem entgegengesetzten Lager angehören, die Wut zwischen die Ohren und Letzteren in den Bleistift treibt. Das ist auch verständlich. Jahrhunderte lagen die Pfründe für die Lufthoheit über die öffentliche Meinung bei einigen wenigen Medienunternehmen, und eine Zeitung oder Zeitschrift zu besitzen war mehr, als Papier bedrucken zu können. Es war auch immer eine symbolische Lizenz zum Gelddrucken. Irgendwann kamen dann ein paar rotzfreche Gründer aus diesem silikonierten Tal südlich von San Francisco daher, nahmen ihnen ihre schöne alte Welt aus den Händen und gaben sie allen, die fortan mitgestalten wollten. Und die Journalisten? Auch hier muss man Verständnis zeigen. Sie bestimmten früher die wahrgenommene Realität der Menschen. Wurde über einen Krieg nicht berichtet, fand er für den Normalbürger nicht statt. Mit der öffentlichen Beschädigung und Sensationsberichten über Unternehmen und Persönlichkeiten ließ und lässt sich Geld und Aufmerksamkeit verdienen. Nicht selten blieb und bleibt eine saubere Recherche da oft auf der Strecke. Das alles war nicht so schlimm, bis dieses Web 2.0 daherkam und nun Krethi und Plethi und dem Utziger Rudi ähnliche Macht in die Hände gab. Während es früher praktisch nicht vorkam, dass eine Zeitung oder Zeitschrift eine andere für ihre jämmerliche Recherchearbeit und die falschen Schlussfolgerungen anprangerte, muss man sich heute in Acht nehmen. Da melden sich plötzlich Betroffene zu Wort oder Menschen, die – oft beruflich bedingt – mehr Hintergrundwissen haben, als man bei einem Studium der Politikwissenschaften vermittelt bekommen kann. Früher musste man glauben, was in Zeitschriften und Zeitungen stand. Heute bekommt der kritisch aufgeklärte Mensch beim Vergleich von echten oder scheinbaren Fakten beim Zeitunglesen auch schon mal einen kleinen Grusel auf der Haut. Wurde das Geschreibsel in letzter Zeit so schlecht oder hat man das früher einfach nur mangels Informationsmöglichkeiten geglaubt? Ist es o. k., bei Beschreibungen in Zeitungen ganze Textpassagen von Wikipedia wiederzuerkennen?

Das Web – der Feind?

Wie auch immer man dazu stehen mag: Verlage und Journalisten haben durch das Web massive Probleme bekommen, die ihre Einstellung wohl entscheidend geprägt haben. Der Feind ist schnell ausgemacht: Google. Die machen den ganzen Schund des bloggenden Pöbels findbar und bringen jedes noch so gut versteckte Fitzelchen vermeintlichen Informationsmüll ans helle Licht des Bildschirms. Das Web hat teure Druckerpressen für die Mitteilung einer Meinung obsolet gemacht und diese Art der Produktionsmittel demokratisiert. Wie bei allen Demokratisierungsprozessen gab und gibt es immer erbitterte Gegner. In der Regel sind das die, welche die Entwertung massiv trifft. Hier sind das die traditionellen Medienhäuser und Verlage.

Ein echtes Geschäftsmodell, das ihnen ähnliche Gewinne bringt wie früher, haben die meisten Verlage noch immer nicht gefunden. Sie selbst brachten damals in Aufbruchstimmung (fast) alle ihre Printinhalte ins Netz. Von Anfang an gewöhnte man die Besucher dieser Portale daran, dass sie nichts bezahlen müssen. Refinanziert hat man sich zum großen Teil über Werbung auf den Seiten. Dass ungerichtete Banner einmal so billig zu haben sein würden, dass man die vielen Redakteure nicht mehr finanzieren kann, war damals wohl nicht absehbar. Seither zieren nicht selten AdWords-Werbeanzeigen solche Portale. Den Verlagen bleibt beim Klick sogar der Löwenanteil des Klickpreises, so um die 70 %. Den Rest behält Google. Das war vielen Verlagen aber nicht genug und so ergingen sie sich in Schmähartikeln, wie ihnen Google das letzte Stück Butter vom Brot nähme.

Google stiehlt die Butter vom Brot?

Dann kam es noch besser. Nach der Einführung von Google News bekam der wahre Feind ein Gesicht. Mit allem, was den Verlagen zur Verfügung stand, schoss man juristisch und auch journalistisch gegen Google News. Google würde ihnen jetzt auch noch den wertvollen Content stehlen, um die User auf den Google-Seiten zu halten. Dass auf den Google-News-Seiten gar keine Werbung stand und steht, hat in dem ganzen Wirrwarr wohl bisher niemand bemerkt oder bemerken wollen. So blieb man auch die Antwort auf die Frage schuldig, was Google eigentlich davon hätte, jemanden auf den Newsseiten (ohne Werbung) zu halten, wenn ein Durchklicken zu den Verlagsseiten (meist mit AdWords-Werbung) Google nicht nur mehr, sondern überhaupt erst Gewinn bringt? Wäre man böse, müsste man sogar argumentieren, dass Google den Newsaggregator in Deutschland vielleicht überhaupt nur erfunden hat, um mehr Traffic auf Verlagsseiten zu schaufeln, der ja, was Newssuchende angeht, erst dort über AdWords auch für Google Geld einbringt. Das würde wunderbar in die kruden Verschwörungstheorien der Gewinnwut passen (neuerdings wird allen unpässlichen Dingen, denen man argumentativ nicht vernünftig beikommt, „wut“ angehängt oder vorangestellt, um sie zu diskreditieren: Datensammelwut, Wutbürger etc.), und wäre es nicht gegen die Argumentationslinie der Verlage, würde das wohl auch so verwendet und wir könnten es überall lesen. 

Google unterdrückt Suchergebnisse der Konkurrenz?

Und wer wird nicht müde, Google öffentlich vorzuwerfen, man manipuliere die Suchergebnisse, um unliebsame Konkurrenten verschwinden zu lassen oder sie in den Suchergebnissen zu unterdrücken? Man fände da z. B. immer „Maps“ ganz vorn, das hauseigene Produkt von Google. Jeder SEO weiß, dass solche Treffer in der Regel durch massive Backlinks zustande kommen. Und es ist nun mal so, dass sehr viele Sitebetreiber auf Google Maps verlinken und nicht auf andere Kartendienste. Im Gegenteil: Es gab mehrere gut dokumentierte Fälle, wo Google für neue Produkte sogar eigene AdWords geschalten hat, um in den Suchergebnissen vorn dabei zu sein. Wie deppert wäre das, gäbe es dort wirklich intern einen einfachen Button, mit dem man Wünsch-Dir-Was bei Suchergebnissen spielen könnte?

Man hat uns also eingeprügelt: Verlagsprodukte sind gut, edel und ohne böse Absicht. Journalisten denken, handeln und schreiben nach einem Kodex, ähnlich wie Ärzte ihn angeblich haben: selbstlos, ohne düstere Profitgedanken und immer zum Wohle der (lesenden) Menschheit. Es fällt schwer, hier beim Schreiben nicht polemisch zu werden, und wie man sieht, ist es trotz bester Vorsätze einfach nicht gelungen. Und im nächsten Absatz passiert es gleich wieder.

Was aber, wenn diese edlen „Eigentlich-fast-Non-Profit“-Organisationen aber in Wirklichkeit gar nicht so sauber sind? Was, wenn sie ihre Macht dazu nutzen, uns ihre verschrobene Feindkennung „Google“ einzuimpfen, weil es einfacher ist, jemand anderem die Schuld zu geben, als selbst neue Businesslösungen zu finden? Was, wenn in Wahrheit sie diejenigen sind, die Ehre und Ehrlichkeit bei erstbester Gelegenheit dem Altar des schnöden Mammons zum Opfer bringen? Ein Link als zu wertende Empfehlung für die Suchmaschine – gegen Bares?

Verkaufen sich Verlage?

Dafür spricht einiges. Die Akquisitionsbemühungen der Verlagsportale gehen in der Regel über Dritte, welche die Vermittlerrolle spielen. Diese schicken mehr oder weniger gut getarnte Massenmails an Websitebesitzer, in denen z. B. ein Linktausch zur Verbesserung der Rankingpositionen beider Seiten angeboten wird. Oder viel einfacher und wirkungsvoller: ein Link im redaktionellen Bereich des Online-Portals einer Zeitung oder Zeitschrift. Den Beitrag würde man auf eigene Kosten erstellen, nur der Link wäre zu bezahlen. Und wer könnte so einen Beitrag besser formulieren als ausgebildete Journalisten?

In einigen Fällen, die der Redaktion vorliegen, spricht auch vieles dafür, dass gerade kleinere regionale Verlage gar nicht wissen, was sie da eigentlich tun. Man gewährt den „Agenturen“ zum Teil freie Hand auf Unterverzeichnissen und lässt sie dort gegen Bezahlung unter Logo und Flagge der Zeitung oder Zeitschrift ungehindert publizieren. Eine Kennzeichnung mit „Anzeige“ bei einem gekauften Link im Text? Fehlanzeige. Ist das mit deutschen Gesetzen im Einklang? Ein klares Nein. Gibt es eine Entwertung mittels des „Nofollow“-Attributes, das den Suchmaschinen den gekauften Link meldet? Ebenso Fehlanzeige. Das wäre auch kontraproduktiv, denn dann würde ja niemand mehr diese Links kaufen. Anfragen an die Verantwortlichen bei solchen Zeitungen laufen fast immer ins Leere. Einzig die mittlerweile in Konkurs gegangene Financial Times Deutschland ließ auf mehrere Nachfragen hin nach Wochen vom Pressesprecher wachsweich formuliert mitteilen, man hätte von einem solchem Treiben nichts gewusst und sich von der betreffenden Agentur getrennt.

Viel offener als per E-Mail bieten Verlage ihre Links in diversen Plattformen an oder lassen sie über Vermittler dort feilbieten. Hier kann sich der Linkkäufer, ähnlich wie bei Amazon, seine Wunsch-Links zusammenfiltern und bekommt Festpreise angezeigt. Die Linkpreise liegen dabei je nach Plattform etwa zwischen 300 und weit über 1.000 €. Dieser Markt der Linkhändler und -jongleure ist mittlerweile schon so überbesetzt, dass bei der Vermittlung eines solchen Links oft drei, vier oder fünf Agenturen ihre Provision aufschlagen, indem einfach eine Agentur die Links der anderen kauft oder mietet. Es entstehen richtige Kaskaden und bei einem Linkpreis von 1.000 € für ein Jahr bekommt der Verlag am Ende nur noch den geringsten Teil, ohne dass sie dies wüssten.

Ob und wie Google wohl reagiert?

Was wird passieren, wenn Google hinter diese oft groß angelegten und oft genauso schlecht getarnten (z. B. durch großspurige Messestände oder allzu breiten Flurfunk) Linkkäufe bzw. auf die Linkverkäufer kommt? Zöge man dort die Rote Karte für die Linkgeber, dann würde es wohl ordentlich rumpeln in deutschen Suchergebnislisten. Bisher erwischte es im Wesentlichen nämlich nur die linkkaufenden Kunden.

Das ist auch kein Wunder, denn auf den Portalen der Verlage werden die gekauften Links allzu mechanisch angelegt, sodass sie jeder Toolnutzer mit ein, zwei Filtereinstellungen sofort erkennen kann. Die Seiten ziehen oft die gleiche Anzahl an externen Links und die Position der verkauften Links ist relativ gesehen fast immer gleich oder ähnlich. In Abbildung 1 haben die ersten vier Seiten einer Online-Zeitschrift z. B. identisch je 89 abgehende externe Links. Die Position der gekauften Links liegt schwankend um ca. 225. Und sogar weit angelegte Kooperationen lassen sich hier erkennen: Die unteren beiden Linkgeber einer anderen Online-Publikation zeigen nicht nur ähnliche Linkmuster, sondern auch identische Linktexte. Wer sich die URLs näher ansieht, wird erkennen, dass auch hier ein ähnliches, fast schon verräterisches Muster erkennbar ist.

Laut den Richtlinien von Google ist es übrigens völlig in Ordnung, Links zu verkaufen. Nur eben nicht zum Zweck der Rankingmanipulation. Daher sollte man alle verkauften Links als solche mittels nofollow kennzeichnen.

Ob Google hier nach Kenntnisnahme hart durchgreifen würde und gegen alle linkverkaufenden Verlagssites eine zugegeben verdiente Strafe verhängen würde? Darüber kann man nur spekulieren. Nicht ganz unwahrscheinlich ist ein Szenario, in dem die Verlage diese Maßnahmen öffentlich breit als weitere unverschämte und geradezu unfassbare Behinderung seitens Google brandmarken würden. Erst klaut Google ihnen per zweizeiligem Snippet wertvolle Inhalte ihrer oft mühsam von der DPA abgeschriebenen Nachrichten und gibt sie in Google News wieder, ohne einen Cent an den Verlag dafür zu bezahlen. Und dann wirft man auch noch genau diese Inhalte aus den organischen Suchergebnissen, um nun letztlich wohl als Racheakt die volle Luft- und Klickhoheit über Deutschland zu bekommen. Die Schlagzeilen und Titelstorys dazu mag man sich gar nicht ausmalen. Auch nicht die sicher schnelle und harsche Kritik der Regierung, die ja bereits bewies, dass man Frühstücksgesprächen mit einflussreichen Verlegern mehr Bedeutung beimisst als einer sorgfältigen Analyse des Geschehens (siehe Leistungsschutzrecht). Frau Dr. Merkel & Co. wäre es zuzutrauen, im vereinten Benehmen mit dem Koalitionspartner SPD ein Eilgesetz durchzuboxen, das es Google verbietet, Verlagsseiten nicht ganz vorn in den Suchergebnissen zu ranken. Die SPD ist übrigens die Partei, die zum Teil bedeutende Anteile an deutschen Verlagen hält. Würde z. B. einer dieser Verlage Links verkaufen, verdiente die SPD hier mit. Darin muss man nun nicht gleich den Untergang des Abendlandes vermuten, aber ein saueres „Geschmäckle“ hat das in diesem Zusammenhang bei Gesetzen wie dem Leistungsschutzrecht dann doch irgendwo.

Eine Strafaktion gegen Verlage wäre eines ganz sicher: Autschn!

Damit bleibt am Ende die Frage stehen, ob Google vielleicht schon einen Schlag gegen die groß angelegten Linkverkäufe plant? Falls man dort nicht selbst auf die massiven Verstöße aufmerksam geworden ist, müsste eigentlich nur irgendjemand Matt Cutts eine eindeutige Liste mit nachvollziehbaren Beweisen vorlegen. Bisher hat Google mit mehr oder weniger langen Strafen auch vor sehr großen Unternehmen nicht haltgemacht. Ob man von der Deutschlandzentrale aus den Strafnerds in den USA klar gemacht hat oder klar machen wird, welch unternehmenspolitischer Sprengstoff in einer breiten Abstrafung deutscher Verlagssites liegen würde, ist nicht bekannt. Wie es auch kommt, in der Haut der Menschen, die das zu entscheiden und dann auch zu verantworten haben, möchte man sicher nicht stecken. Denn eine Strafaktion würde nicht nur für die Verlage, sondern über das rächende Echo sicher auch bei Google ganz nach René Marek „Autschn!“ machen.