Alles Tabu?

Ist SEO ein Trend oder eher doch ein Auslaufmodell?

Uwe Tippmann
Uwe Tippmann

Uwe Tippmann ist ein langjähriger Experte auf dem Gebiet der Suche. Als Co-Founder der ABAKUS Community beschäftigt sich Uwe bereits seit mehr als zehn Jahren täglich mit dem Thema Suchmaschinenoptimierung und referiert auf zahlreichen Fachkonferenzen. Dazu zählten in der Vergangenheit u. a. die SEOkomm, SEMSEO, SES, SEO Campixx, SMX und Marketing on Tour, SearchConference sowie Fachveranstaltungen zahlreicher IHK-Häuser in Deutschland. In seiner Funktion als Geschäftsführer hilft er großen DAX-Unternehmen, aber auch kleineren mittelständischen Unternehmen, eine erfolgreiche SEO-Strategie zu etablieren.

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Seit der ersten Ausgabe des Website-Boosting-Magazins am 26.02.2010, welche im Rahmen der SEMSEO-Konferenz in Hannover von Mario Fischer angekündigt wurde, hat sich im Bereich der Suchmaschinenoptimierung doch einiges verändert. In der ersten Ausgabe prangte damals der Schriftzug „SEO: Linkaufbau – Wie man die obersten Plätze in Suchmaschinen erobert“. Bereits ein Jahr danach veränderte Google mit der Update-Serie „Panda“ und anschließend mit den wiederkehrenden „Pinguin“-Updates das Tagesgeschäft und auch maßgeblich die Denkweise vieler Branchenkollegen. Eines der wirklichen Urgesteine und ein SEO-Experte der ersten Stunde ist Uwe Tippmann. Er optimierte bei und für Yahoo schon Webseiten für Google, als die meisten der heutigen Onlineprofis noch gar nicht wussten, was SEO überhaupt bedeutet. Er hat Revue passieren lassen, was sich seit unserer ersten Ausgabe in diesem Bereich getan hat und empfiehlt, Tabu zu spielen …

Mehr als 5.000 Anträge zur Wiederaufnahme in den Index gehen wöchentlich an Google

Erstmals spürt man einen erkennbaren Umdenkprozess – sowohl bei den Kunden als auch auf Seite der Agenturen. Dieser Umdenkprozess wurde nicht zuletzt von den zum Teil harten Konsequenzen der hierzulande wichtigsten Suchmaschine Google immer und immer wieder aktuell gehalten. Bei mehr als 5.000 Wiederaufnahmeanträgen pro Woche, welche bei Google zur Bearbeitung Anfang 2013 eingingen, wurde schnell klar, dass einstige Praktiken, die über Jahrzehnte in der Suche exerziert wurden, keinen Bestand mehr haben und dringend auf den Prüfstand gehören. Mit der im August 2013 eingeführten transparenten Möglichkeit, manuelle Spam-Maßnahmen in den Google-Webmaster-Tools einzusehen, sollte die Flut unnötiger Anfragen an Google eingedämmt werden. Spätestens an dieser Stelle hatte die Suchmaschine einen Weg gefunden, konsequent gegen Manipulationsversuche der Seitenbetreiber vorzugehen. Zusätzlich wurde das Bewusstsein aller beteiligten Akteure für die angewandten Praktiken ihrer Webmaster, SEOs oder Agenturen geschärft.

Im SEO-Agenturgeschäft resultierte daraus das wohl beratungsintensivste Jahr der letzten Dekade. Ein hohes Maß an Verunsicherung breitete sich im Markt aus. Alles wurde angezweifelt – jede Form der Umsetzung  –, ja selbst die Definition von SEO bis hin zur Daseinsberechtigung dieser Online-Marketing-Disziplin.

Dabei stellte sich immer wieder die Frage: 

„Was darf man, was darf man nicht?“

Ob Artikelmarketing, Presseartikel, Webkataloge, Widgets, Kommentare, Blogrolls, Signaturen oder Gastbeiträge – mit jeder Aussage von Google und jedem Update der offiziellen Google-Qualitätsrichtlinien schwanden mehr und mehr die bekannten Instrumente zum Bedienen des wohl wichtigsten Rankingsignals der letzten zehn Jahre – des Links. Mit dem zusätzlichen Wegfall der gesuchten Begriffe in den Statistiken der Seitenbetreiber und dem damit verbundenen Zwang, den Suchanfrage-Daten der Google-Webmaster-Tools zu vertrauen, rundete Google das Bild ab. Neue Instrumente wuchsen nicht so schnell nach, wie die alten verschwanden.

Verunsicherung und Machtlosigkeit dominierten – alles galt als tabu. Rien ne va plus!

Die Suche nach geeigneten Alternativen begann und es entstand eine wesentliche Strömung, welche einen neuen Taktgeber in der Klaviatur der Instrumente herausausarbeitete – Content-Marketing. So sollte das Kind also genannt werden, wirklich neu war es nicht – schon einige Zeit vor dem „Content-Marketing“ dominierte die Phrase „Content is King“ in der Szene. Davor nannten wir es schlicht „gute Inhalte“. Diese Entwicklung im Online-Marketing begründe ich mit der Tatsache, dass man sich zurückbesonnen hat auf das eigentliche Ziel der Suchmaschinen – das Finden relevanter Dokumente. Dabei ist Relevanz das eigentliche Endziel, das Mastersignal der Suche, auf das es am Ende in der Suchmaschinenoptimierung hinausläuft. Links, als eine Form der Empfehlung, sind dabei eine wichtige Art von „Bestätigung“, die Google dazu verwendet, die Relevanz eines Dokumentes zu verifizieren und zu gewichten. Weil das Linksignal mit immer höheren Qualitätsanforderungen und, damit einhergehend, einem steigenden Risiko belegt und auch Google parallel immer besser in der Beurteilung von Inhalten wurde, verwundert es nicht, dass sich der Inhalt, gepaart mit echtem Mehrwert, auf Dauer im Markt durchsetzt. Dazu minimiert dieses alleinige Marketinginstrument das Risiko einer Abstrafung im Bereich der Suchmaschinenoptimierung auf 0 %. Es entspricht genau dem, was die Suchmaschine vom Webmaster möchte.

Die Fragestellung ändert sich also zunehmend von –

Was darf man noch?“ – hin zu: „Habe ich eine Chance, relevanter als mein Marktbegleiter zu werden?“ 

Schnell zeichnet sich bei dieser Frage ab, dass man ohne ein nennenswertes Alleinstellungsmerkmal in den Pool der Vergleichbarkeit fällt und seine Daseinsberechtigung, auch innerhalb der Suche, verliert. Es gilt, nachhaltige Aufmerksamkeit beim Nutzer zu generieren und dabei angenehm anders als alle anderen zu sein. Im Online-Business sind die Wege, dieses Ziel zu erreichen, sehr vielseitig.

Von Markenstrategien bis hin zu treffgenauen Werbestrategien – vieles spiegelt sich am Ende online in Signalen wider, welche die Suchmaschinen über kurz oder lang vollständig auszulesen versuchen werden.

Suchanfragen werden zunehmend umschreibend oder lösungsorientiert gestellt

Betrachtet man das Thema Relevanz auf Dokumentenebene, wird die Fragestellung konkreter und lautet oft:

Wie ausführlich muss ich meine Inhalte darstellen?

Immer wenn mir diese Frage zugetragen wird, muss ich an das bekannte Spiel „Tabu“ denken. Bei diesem Spiel muss der Spieler einen Begriff erklären, dabei darf er aber fünf wesentliche beschreibende Wörter nicht benutzen – die Tabuwörter. Dadurch entstehen dann Umschreibungen, manchmal auch ganz lustige Zusammenhänge, genau wie in der Suche. Beschäftigt man sich intensiv mit dem Suchverhalten, wird man merken, dass ein Großteil der Suchanfragen umschreibend, gar lösungsorientiert gestellt wird. Schafft man es nun, die Inhalte seiner Webseite auf dieses Verhalten anzupassen, in dem man zu 100 % davon ausgeht, dass der Suchende das Produkt, die Dienstleistung oder den Lösungsansatz nicht kennt, dann entsteht etwas Wundervolles – wir nennen das Relevanz. Die Inhalte gewinnen an Bedeutung für den Einzelnen, der auf der Suche nach einer Antwort ist. Die Ausbaustufe der Relevanz entsteht dann, wenn man versucht, die fünf wichtigsten Begriffe nicht zu verwenden, und somit sein Produkt erklären muss. Versuchen Sie es.

Gerade Google wird im Erkennen von Kookkurrenzen, dem wiederkehrenden gemeinsamen Auftreten zweier Wörter in einem Satz, immer besser. Dabei ist sich die Suchmaschine bewusster denn je, dass „Mallorca“ und „Urlaub“ in einem engen Zusammenhang stehen und bei Erwähnung zur Relevanzsteigerung eines Dokumentes beitragen. Seit dem Launch von Hummingbird (deutsch: Kolibri) im Dezember 2013, einem grundlegenden Update der algorithmischen Technik im Hintergrund von Google, kann man nun auch den Versuch antreten, dass Wörter aus der Umgebung einer Verlinkung im Algorithmus berücksichtigt werden. Gestützt wird der Versuch durch die neue Funktion „Missing Keyword“, bei dem unterhalb eines Ergebnisses das fehlende Suchwort durchgestrichen angezeigt wird.

Was ist das „Missing Keyword“?

Ein kleiner Praxistest: Sucht man zum Beispiel nach „Suchmaschinenoptimierung Grundlagen Strickjacke“, gibt Google bei den angezeigten natürlichen Ergebnissen das Wort „Strickjacke“ durchgestrichen unter dem Ergebnis aus. Man erkennt sofort, dass auf der Seite das Keyword „Strickjacke“ fehlt.

Sucht man anschließend zum Beispiel nach „Suchmaschinenoptimierung Grundlagen Charlier“, zeigt Google den Nachnamen des Buchautors Dr. Michael Charlier nicht durchgestrichen unter dem Ergebnis an. In beiden Fällen kommt das gesuchte Wort nicht auf dem erstplatzierten ABAKUS-Dokument vor– ein mögliches Zeichen dafür, dass Google sich in diesem Beispiel sicherer ist, dass dieses Keyword in einem engeren Zusammenhang steht als im Vergleich dazu das Keyword „Strickjacke“. Wenn Sie nun die eingehenden externen Verlinkungen der URL www.abakus-internet-marketing.de/Suchmaschinenoptimierung/grundlag.htm prüfen, kommen Sie diesem Phänomen ein Stück näher. Probieren Sie es aus.

Dieser und ähnliche Tests zeigen uns, dass der Trend immer greifbarer in Richtung „Latent Semantic Optimization (LSO)“ geht. Das Thema wurde bereits im Rahmen der SEMSEO-Konferenz 2008 von dem ABAKUS-Gründer Alan Webb diskutiert und ist heute aktueller denn je. Die Veränderung, hin zum besseren Verständnis von Inhalten seitens der Suchmaschinen, ist auch dringend notwendig, um dem zukünftigen Suchverhalten standzuhalten. Die Welt wird zunehmend digitaler und die Anzahl der Suchanfragen pro Kopf sowie der Umfang einer Suchanfrage werden weiter steigen. Begründet ist das zum einen durch die steigende Abdeckung der Netzverfügbarkeit, den Ausbau der Geschwindigkeiten und die Vielfalt der Zugangsgeräte sowie die zunehmende gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, welche das Internet mittlerweile innehat – zum anderen auch durch die steigende Erfahrung, die mit jeder erfolgreich gestellten Suchanfrage erworben wird. Was nicht unendlich im gleichen Maße steigen wird, ist die Aufmerksamkeit der Suchenden für die immer umfangreicheren Inhalte, und da sehe ich auch die Grenze im Content-Marketing. In einer sich immer schneller drehenden Gesellschaft sinkt meiner Auffassung nach langfristig die Bereitschaft zum Konsum zeitintensiver Inhalte. Spätestens dann, wenn zehn gleichwertige, gleichsprachige und hochrelevante Dokumente zu einem Thema dank Content-Marketing im Web existieren, stellt man sich wieder die Frage: 

Wer gewinnt das Rennen um die ersten Plätze?

Die Antwort liegt im richtigen Verständnis der persönlichen Bedürfnisse des Besuchers, der technischen und redaktionellen Onpage-Optimierung und natürlich im Bedienen externer Empfehlungssignale, welche in Sachen Relevanz auf das Dokument von außen einwirken können. Wir haben es sicherlich noch immer mit einem Optimierungskreislauf zu tun, der trotz aller Veränderungen und Umdenkprozesse in den letzten Jahren noch sehr beständig ist und aktiv betrieben werden sollte. Und man kann ihn sicherlich auch weiterhin als „SEO“ bezeichnen. In diesem Sinne – keep calm and play taboo!