SEO-eriös oder nicht? Ein Wespennest!

Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

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Auf unseren Titelbeitrag der letzten Ausgabe „SEO-Betrug – wie arglose Unternehmen über den Tisch gezogen werden“ haben wir weit über hundert Mails von Leserinnen und Lesern mit zum Teil sehr konkreten Hinweisen bekommen. Das Problem ist offenbar größer, als wir anfangs vermutet haben.

Um es gleich vorwegzunehmen: Nicht hinter jeder Betrugsvermutung steckt auch tatsächlich eine geplante Gaunerei. Manchmal sind sich aufgebrachte Siteinhaber nicht im Klaren darüber, was sie tatsächlich beauftragt haben; es gibt Missverständnisse über den Inhalt einer Vereinbarung oder es besteht schlicht kein Konsens über die tatsächliche Bedeutung von Fachbegriffen. Hierzu ohne eine genaue Analyse der Sachverhalte etwas sagen zu wollen, wäre vermessen und sicher oft auch nicht gerecht. In einigen Fällen stehen wir auch noch in Kontakt mit den Betroffenen bzw. laufen die Recherchen noch.

Einige Leser haben uns darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie gegen Ende des letzten Jahres per Mail eine Rechnung eines Unternehmens mit dem Namen „Regionale Werbung NetClass“ über € 49.- bekommen hätten. Berechnet wurde jeweils „1 Stück Locale Werbeeinträge u. a. bei: Google, Web.de, Klicktel, dasÖrtliche, Yahoo, allesKlar.de, Big.de, altavista, sowie bei weiteren Onlineportalen zur localen Marketingunterstützung“. In der Rechnung wurde darauf hingewiesen, dass man die bestehenden Werbeeinträge durch Eingabe des eigenen Firmennamens + Ort auf google.de finden würde. Es wurde weiterhin darauf hingewiesen, dass die Leistungen bereits vollumfänglich erbracht wurden. Auf der zweiten Seite der Rechnung folgte dann u. a. der Hinweis, den Betrag innerhalb von sieben Tagen zu begleichen. Der gesamte Textblock wurde gleich zweimal identisch hintereinander aufgeführt. Als Anlage waren jeweils noch die „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ angehängt, bei denen der Unternehmensname allerdings nicht mit dem auf der Rechnung übereinstimmte, und eine unwirksame „Datenschutzerklärung“, die wohl vorsichtshalber ohne jeden Unternehmensnamen, Verfasser oder Briefkopf als reine Textseite vorlag.

Man versicherte uns, das Unternehmen „Regionale Werbung NetClass“ niemals beauftragt zu haben und von dem ganzen Vorgang nichts zu wissen. Ob und welche Leistung hier nun genau erbracht wurde, ist schwer zu beurteilen, denn nach Eingabe eines konkreten Unternehmensnamens und des Orts erscheint in den meisten Fällen bei Google ganz automatisch ein lokaler Eintrag – völlig ohne Zutun oder besondere Leistung von irgendjemandem. Im Gegenteil lässt sich ein individueller lokaler Eintrag bei Google nur nach Eingabe einer PIN erzeugen, die aus Sicherheitsgründen per Postkarte an die jeweilige Adresse des Unternehmens geschickt wird. So soll Missbrauch weitgehend verhindert werden.

Seltsam erschien uns, dass die Rechnungsadresse auf „Frau oder Herr“ lautete und dann der Unternehmensname folgte – zum Teil falsch und abgeschnitten. Ein konkreter Ansprechpartner oder gar ein Auftraggeber war also nicht erkennbar. Weiterhin fehlten wichtige Details, z. B. wann der Auftrag erteilt wurde. Zudem gingen die Rechnungen nicht an konkrete, personalisierte Mailadressen, sondern an die Mailadresse, die im jeweiligen Impressum der Website des Unternehmens genannt wurde, aber ansonsten nicht im Außenverkehr. Ebenfalls ungewöhnlich war, dass die Mail, mit der die Rechnung geschickt wurde, keinerlei Namen enthielt, sondern nur mit „Support Team“ unterzeichnet war. Völlig unsinnig aus fachlicher Sicht war der Zusatz:

„Bitte beachten Sie, dass sich unsere Webadresse seit Ihrem Eintrag auf www.regionale-werbung.net geändert hat, um Ihnen mit neuen Servern noch mehr Marketingpower ausliefern zu können.“

Neue Server erfordern bekanntlich keine neuen Webadressen bzw. eine neue Domain. In der Tat wurde die Domain zu diesem Zeitpunkt auf eine Subdomain einer in Vanuatu, einem kleinen Inselstaat im Südpazifik, registrierten Domain umgeleitet.

All dies zusammengenommen erschien uns Grund genug, mit dem Geschäftsführer von Regionale Werbung NetClass, Herrn Jens Meißner, Kontakt aufzunehmen und ihn zu bitten, sich zum Sachverhalt zu äußern, dass hier offensichtlich Rechnungen für nicht beauftragte Leistungen geschrieben werden. Wir erhielten kurz darauf eine namenlose Antwort vom „Support Team“, dass man alles tun würde, um das zu klären. Weiterhin hieß es in der Mail vom 03. Januar dieses Jahres:

„… Es gibt anscheinend einen Teil an Rechnungen, welcher damals über ein externes Callcenter eingereicht wurde und nicht ordnungsgemäß be- & verarbeitet wurde. Daher haben wir inzwischen den gesamten Rechnungsverlauf gestoppt und werden in Kürze mit der Erzeugung der Gutschrift aller Rechnungen beginnen, welche den Kunden noch an diesem Wochenende zugehen wird. Darüberhinaus werden wir vor erneuter Rechnungsstellung weiterer Kunden, im Vorfeld Kontakt aufnehmen, um ein erweitertes negativ Ereignis zu vermeiden.“

Man hoffe, uns damit geholfen zu haben. Darauf wollten wir es natürlich nicht beruhen lassen und konfrontierten den Absender nochmals mit den konkreten Vorwürfen und unserem Verdacht, dass hier möglicherweise gezielt Rechnungen in größerem Stil mit besonders niedrigen Summen verschickt werden für eine in keiner Weise nachprüfbare bzw. konkret nachgewiesene Leistung. Ebenso erwähnten wir, dass das Impressum als Bildinformation offenbar vor den Robots der Suchmaschinen versteckt werden soll. Seriöse Unternehmen tun dies schon aus rechtlichen Gründen nicht. Durch die unklare Leistungsbeschreibung in der Rechnung besteht ja durchaus die begründete Befürchtung, dass jemand in Unternehmen mit nur wenig Wissen über die Zusammenhänge unbedarft bei Google wie beschrieben nachsieht und die Rechnung dann begleicht in dem Glauben, das hätte alles schon seine Richtigkeit.

Daraufhin herrschte allerdings Funkstille – eine Antwort blieb man uns schuldig bzw. die Gelegenheit zur Klärung wollte man offenbar nicht wahrnehmen.   

Nach unserer zweiten, nicht mehr beantworteten Anfrage wurde die Domain dann auf eine Subdomain bei Wix.com (http://webseitenserver.wix.com/seoseite) umgeleitet. Dort bei Wix.com kann man kostenlos eigene Homepages erstellen. Das Impressum ist nun zwar kein Bild mehr, aber der Quelltext wird per Ajax erzeugt und ist so für die Robots der Suchmaschinen unsichtbar. Vielleicht wurde die neue Onlineheimat von Regionale Werbung NetClass zu eilig bezogen. Dass in den Metatags noch Werbetexte von Wix.com enthalten sind, legt diese Vermutung nahe.

Wir können und wollen an dieser Stelle natürlich nicht behaupten, dass das Unternehmen Regionale Werbung NetClass generell unseriös arbeitet, keine Leistungen erbringt oder gezielt und in voller Absicht ungerechtfertigte Rechnungen verschickt. Nimmt man alle Hinweise, die uns vorliegen, zusammen, erscheint es uns jedoch als keine schlechte Idee, hier genauer hinzusehen, was man da ggf. beauftragte und was am Ende tatsächlich als messbares Ergebnis erreicht wurde.

Wer ungerechtfertigt und unbeauftragt eine Rechnung von „Regionale Werbung NetClass“ bekommen hat, sollte in jedem Fall nach der oben zitierten Auskunft bereits eine Gutschrift erhalten haben, wenn die Rechnung aus Versehen bezahlt wurde. Falls dies nicht automatisch passiert, sollte man sich mit dem Unternehmen in Verbindung setzen. Sollten Probleme auftreten, melden Sie sich einfach bei unserer Redaktion, und wir versuchen, das zu koordinieren bzw. zu unterstützen.   

Neben diesem ausführlicher beschriebenen Fall haben uns Leser eine ganze Reihe weiterer Einzelfälle geschildert, von denen der folgende Auszug aus der Mail einer Leserin nur beispielhaft und den anderen symptomatisch ähnlich ist.

„[…] Nachdem sich nach einem Jahr nach Beauftragung der Firma ‚XXXX' [Name von der Red. entfernt] nichts wirklich tat, hakten wir nach und ließen uns eine Liste der gesetzten Backlinks zuschicken. Dies geschah nur auf mehrmaliges Nachfragen und sehr widerwillig. Man wollte die Daten nicht rausgeben, da diese angeblich geheim waren. Zugangsdaten bezgl. der Anmeldungen in den verschiedenen Webkatalogen konnten uns auch nicht ausgehändigt werden. Wie sich dann herausstellte, wurde überhaupt kein langsamer, qualitativer Linkaufbau betrieben.

Vielmehr wurden an einem Tag im Jahr viele automatisierte Einträge in Webkatalogen gemacht, die nicht einmal optimiert waren. Auch die Portale, wo die Einträge erfolgten, waren mehr als fragwürdig. Eine angegebener Link führte zum Beispiel zu einer Pornoseite.

Nach Ankündigung von rechtlichen Schritten wurden weitere Texte für unsere Website ‚kostenlos und aus Kulanz‘ geschrieben und eingepflegt, jedoch denken wir, dass unser Ranking durch diese Aktionen maßgeblichen Schaden in Bezug auf das Ranking bei Google genommen hat. Prüfen oder beweisen konnten wir das aber nicht.

Am Ende haben wir über 6.000 Euro an ‚X‘ gezahlt – ein teures Lehrgeld! […]“

Auch wenn wir nicht jeden an uns gemeldeten Fall einzeln überprüfen können, ergibt sich aus unserer Sicht schon ein gewisses Bild. Man kann mit dem Anpreisen von SEO-Leistungen offenbar viel zu leicht Geld verdienen, ohne wirklich eine messbare Gegenleistung zu erbringen oder auch tatsächlich genügend Know-how in diesem Gebiet vorweisen zu müssen. Woher sollen Unternehmen auch das Wissen nehmen, einer solchen Agentur vorher auf den Zahn zu fühlen? Noch schlimmer: Viele ahnen im Vorfeld ja noch nicht einmal, dass sie vor einer Beauftragung kritisch nachfragen sollten. Und weil sich mittlerweile so viele minderleistenden Unternehmen auf dem Markt tummeln, ist eine Besserung nicht wirklich in Sicht – im Gegenteil. Die Goldgräberstimmung auf beiden Seiten (Agenturen und Unternehmen), wenn die drei Buchstaben S, E und O fallen, lässt vermuten, dass die Zahl der Beschwerden in Zukunft eher noch ansteigen wird.

Der beste und am einfachsten zu befolgende Rat scheint uns zu sein, auf die Seriosität zu achten. Oftmals erkennt man auf der Website oder in Mailtexten schon Unstimmigkeiten, ungewöhnliche Formulierungen oder unverblümte Versprechen, die sich einfach zu gut anhören. Wenn man wirklich hinsehen will, erkennt man „es“ meist rechtzeitig. Die Freude über vermeintlich günstige Leistungen oder darüber, dass da bequemerweise jemand zur rechten Zeit anruft, SEO-Leistungen anbietet und das alles irgendwie schon passen wird – diese Freude kann leider allzu leicht das anzuratende kritische Bauchgefühl überlagern.