Nepper, Schlepper, Bauernfänger?

Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

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Mehrmals pro Jahr führte Eduard Zimmermann zu Lebzeiten neben „Aktenzeichen XY ungelöst“ in einer Schwestersendung vor, wie dreiste Betrüger ahnungslose Bürger über den Tisch zogen. Während man damals den Menschen Versprechungen machte, z. B. dass sie mit dem Aufstellen von Kaugummiautomaten reich würden, und ihnen per Vertrag gleich mehrere Hundert solcher Automaten „günstig“ verkaufte und in den Keller stellte, wo sie vermutlich noch heute stehen, sind die Methoden der Bauernfänger heute moderner – aber nicht weniger leicht durchschaubar. Die Anzahl an Unternehmen, die heute SEO-Leistungen anbieten, steigt praktisch täglich. Am goldenen Futtertrog hängen aber auch zunehmend mehr graue und tiefschwarze Schafe, die keine, schlechte oder sogar schädliche Arbeit leisten. Und offenbar geht das einfacher, als man denkt. Ein kalter Anruf bei einem typischen Mittelständler reicht oft bereits, wenn man behauptet: „Hey – Ihre Site wird bei Google nicht gefunden!“ Besonders dreiste Anrufer geben gar vor, selbst Mitarbeiter bei Google zu sein, und „empfehlen“ eine (die eigene) SEO-Agentur. In vielen Fällen reicht es sogar aus, an inhaltlicher Belanglosigkeit nicht mehr zu übertreffende Spammails zu verschicken. Selbst auf solche, meist sehr offensichtliche Abzockangebote fallen noch genügend Empfänger herein und überweisen brav und voller Hoffnung auf Platz 1 bei Google das geforderte Geld. Können solche schwarzen Schafe eine ganze Branche in Verruf bringen?    

Hallo, mein Name ist Sven Butze [Name geändert] und ich arbeite bei Google. Sie oder Ihre Agentur schalten ja bei uns AdWords, damit Sie besser bei Google gefunden werden. Haben Sie dazu vielleicht Fragen? --- Und weil ich Sie gerade dran habe. Hätten Sie nicht auch Interesse, im unbezahlten Bereich, also bei den normalen Suchergebnissen, besser gelistet zu werden? Hier müssen Sie ja für Klicks von Besuchern nichts bezahlen. Wir selbst bei Google machen solche Beratungen natürlich nicht, aber wir arbeiten mit einigen Agenturen zusammen, die solche SEO-Leistungen anbieten. In Ihrem Fall wäre die Agentur X am besten geeignet …“ So verlief inhaltlich in etwa ein Anruf, den uns ein Leser aus dem Gedächtnis schilderte.  

Das Vertrauen, dass man wirklich von Google wäre, ist leicht herzustellen: Der Anrufer weiß ja ganz offensichtlich, dass man Werbung bei Google schaltet und Geld dafür ausgibt. Dass dies über eine Abfrage mit einfachen Suchworten für jedermann leicht sichtbar ist (Abbildung 2), wird den meisten, die so überrumpelt werden, nicht sofort klar. Man gibt z. B. „Poolreiniger“ bei Google ein, sucht sich bei den werbetreibenden Sites vornehmlich die kleineren Shops heraus und holt über die Kontaktseite oder das Impressum eine Telefonnummer.

„Ist es wirklich so einfach? Offenbar schon.“

Wir wollten wissen, ob das wirklich funktioniert, und haben testweise mit dieser Methode 15 werbetreibende Shops angerufen und uns zunächst als Mitarbeiter von Google ausgegeben. Nur ein einziges Mal war der Angerufene von Anfang an skeptisch. Von den restlichen 14 waren nur drei nicht an einer Empfehlung einer SEO-Agentur interessiert, elf nahmen diese erfreut zur Kenntnis. Nicht selten bekamen wir zur Antwort, dass das gut passe, weil man sich sowieso schon länger überlegt habe, da etwas zu tun. Selbstverständlich haben wir unsere kleine Scharade immer sofort aufgeklärt. Der Tenor im Nachgespräch war jeweils in etwa, man wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass der Anrufer nicht von Google wäre – denn schließlich wüsste er ja, dass man dort AdWords schaltete. Und gemeinerweise hatten wir sogar noch eins draufgesetzt und dem Angerufenen mitgeteilt, seit wann er das täte. Bewaffnet mit den entsprechenden SEO-Tools ist es ein Leichtes, zu erkennen, dass für eine Domain z. B. alle Kampagnen ab Mitte November pausiert wurden und man am pünktlich am ersten April 2013 wieder startete (Abbildung 3): „Seit Anfang April haben Sie Ihre AdWords ja wieder hochgefahren – läuft denn alles gut so weit?“ Natürlich glaubt man einem Menschen mit solchen Detailkenntnissen am Telefon. Man fühlt sich als Anrufer allerdings dabei ehrlicherweise ein wenig so, als würde man auf Tauben schießen, die in einem Käfig sitzen, wenn man tatsächlich keinerlei Argwohn auf der anderen Seite der Leitung spürt. Woher soll der normale Mittelständler schließlich auch wissen, wie transparent und leicht nachvollziehbar seine Aktivitäten im Web für einen Profi sind? Es schleicht sich daher ein zwiespältiges Gefühl ein, wie schnell sich andere übertölpeln lassen, wenn es um Online-Themen generell und SEO im Besonderen geht.

Wenig Leistung – hohe Preise?

Ebenso intransparent sind für viele Unternehmen die Preise, die von Agenturen berechnet werden – und es fehlt die Erfahrung, was bei entsprechender Leistung angemessen wäre. Darf man für den Austausch einer einzelnen Datei zwei Arbeitsstunden in Ansatz bringen? Der Profi würde hierzu sein FTP-Programm öffnen, sich in den entsprechenden Webserver einloggen und die Datei aus einer Mail direkt in das Root-Verzeichnis kopieren. Dann vielleicht noch eine kurze Dokumentation darüber anlegen – alles in allem scheinen hier fünf bis zehn Minuten tatsächlich angebrachter. Was treibt eine Webagentur an, um das Beispiel aus Abbildung 4 aufzugreifen, hierfür volle zwei Stunden berechnen zu wollen? 

Zwischen den Billig-Optimierern, die für wenige Hundert Euro gute Listings bei Google versprechen, und denjenigen, die aus allem ein Mysterium machen und ihren Kunden Tausende Euro abnehmen, ohne eine messbare Leistung zu hinterlassen, gibt es eine Menge seriöser Unternehmen, die SEO-Leistung zu angemessenen Preisen anbieten. Nur für die potenziellen Auftraggeber sind diese immer schwerer zu erkennen. Mittlerweile bietet fast jede Webagentur zwangsweise auch SEO an, denn ohne diese drei Buchstaben bekommt man heutzutage natürlich fast keine Kunden mehr. Dass die Berücksichtigung von Suchmaschinen wichtig für den Erfolg einer Website ist, dieser Umstand hat sich auch bis zum letzten Schlüsseldienst herumgesprochen. Im besten Fall hilft die dem Kunden nebenbei verkaufte SEO-Minderleistung nichts. Dann ist nur das Geld weg, Zeit vergangen und der Unternehmer um eine Erfahrung reicher.

Minusleistung – günstige Preise?

Aber es gibt auch genügend wirklich schwarze Schafe, die ihren Kunden sogar schaden. Und wahrscheinlich muss man ihnen sogar zugutehalten, dass sie, die Agentur, noch nicht einmal wissen, wie schädlich ihre Arbeit tatsächlich ist. Sie selbst sehen sich als blütenweiß. Zwei dieser Agenturen, die Website Boosting aufgrund von Beschwerde- bzw. Hinweismails von Lesern kontaktierte, waren tatsächlich der festen Überzeugung, dass das (bloße) Eintragen in möglichst viele Linkkataloge eine der effektivsten und effizientesten SEO-Maßnahmen überhaupt wäre. Hinweise auf die Aussagen von Google zu diesem Thema und den Tenor in der Branche, dass man sich mit zu vielen Katalogeinträgen sehr schnell aus dem Index kegeln kann, brachten echtes oder zumindest sehr gut gespieltes Erstaunen am anderen Ende der Leitung hervor. Trotzdem wurde auch hinterher kein einziges Wort auf der Website geändert oder wenigstens vorsichtiger formuliert.

Abbildung 5 zeigt beispielhaft das Angebot einer Agentur, die nach eigenen Angaben alle Einträge einzeln per Hand und nur durch geschulte Suchmaschinenoptimierer vornimmt. Ohne solche Angebote inhaltlich werten zu wollen, muss man sich allerdings die Frage stellen dürfen, wie lange so ein einzelner Eintrag dauert, zu dem man laut Angebot ja auch noch Keywords zuliefert, die Einträge mit unterschiedlichen Textvarianten erstellt und eigens nur für die Katalogeinträge neue E-Mail-Adressen anlegt. Rechnet man die 2.000 versprochenen Einträge für 699,99 € auf den Nettobetrag herunter, bleiben ganze 0,29 € pro individuellen Handeintrag übrig. Würde man auf den Gewinnanteil und Arbeitspausen verzichten, die Arbeit in den Nahen Osten auslagern und dann dort noch unter dem Mindestlohn bleiben – mindestens 20 Katalogeinträge pro Stunde müsste jemand dann schon schaffen, damit man bei einem solchen Auftrag nicht draufzahlt. Alle drei Minuten ein „qualitativ hochwertiger“ Eintrag? Bei entsprechender Organisation mag das sogar vielleicht noch machbar sein, oder wenn man eines der vergleichsweise günstigen Eintragstools für Webkataloge verwenden würde – was ja aber explizit durch die Erwähnung von „Handeinträgen“ ausgeschlossen scheint. Zumindest scheinen gesunde Zweifel angebracht. Und statt sich über extrem günstige mehrere Tausend Links zu freuen, würde ein Taschenrechner und gesundes Nachrechen-Misstrauen wohl den einen oder anderen Auftraggeber dann doch zumindest zum Grübeln bringen. Mag das ein begünstigender Aspekt sein? Die fast an Naivität grenzende Gutgläubigkeit der Auftraggeber, die glauben, eine Leistung, die sonst Tausende von Euro kostet, als Schnäppchen auch für 29,95 € bekommen zu können? Oder suggeriert eine shopähnliche Bestellmaske, dass man SEO-Leistungen als Stangenware wie einen Turnschuh oder ein Sommerkleidchen kaufen könne? Ja gut, kaufen schon. Aber ist das auch tauglich?  

Bei den Fällen, die uns zur Überprüfung durch Leserhinweise vorlagen, haben wir mehr oder weniger immer das gleiche Muster gesehen. Katalogeinträge wurden beauftragt, es gab einen kurzen Push im Ranking bzw. bei den unterschiedlichen Sichtbarkeitsindizes der Toolanbieter und einige Wochen danach kam dann der große Absturz und fast immer Keywordstrafen für die Linktexte, die bei den Katalogen hinterlegt wurden (Abbildung 6). Seit vielen Jahren ist bekannt, dass die zu häufige Verwendung sog. Money-Keywords (also besonders werthaltige Suchbegriffe) als Linktext eine recht zuverlässige Methode darstellt, genau mit diesen Worten aus dem Ranking zu fallen. Google ist bei Weitem nicht mehr auf dem technischen Stand von 2005. Einige Suchmaschinenoptimierer aber offenbar schon.

Damit dürfen und sollen Einträge in Webkataloge jedoch nicht generell verteufelt werden. Denn es gibt durchaus sehr nützliche Kataloge, die eine hohe Eintragsqualität aufweisen – aber leider meist nicht kostenlos sind, d. h., hier verlangt der Katalogbetreiber Geld, damit man sich eintragen darf. Auch Google sagt, dass man sich nicht von seriösen und nützlichen, wohl aber von den vielen minderwertigen Katalogen fernhalten sollte. Vielen dieser Kataloge ist nämlich gemeinsam, dass sie nur deshalb existieren, um Links zu generieren – meist durch Tausch oder Verkauf. Dabei bekommt man die Basiseinträge nicht selten umsonst, damit die Kataloge schön gefüllt aussehen. Für sog. Premiumeinträge wird dann oft gesondert Geld verlangt oder ein Gegenlink.

„Stundenlöhne von 1.800.- €? Machbar – wenn man keine Skrupel hat!“

Auf den Schirm von Google & Co. sind Webkataloge wahrscheinlich zu dem Zeitpunkt gekommen, seit dem es für wenig Geld Softwares zu kaufen gibt, die automatische und halbautomatische Einträge in Tausende solcher Kataloge versprechen. Zu viele Webmaster gingen wohl diesen einfachen Weg per Knopfdruck – und wie so oft fand man bei den Suchmaschinen schnell ein Mittel gegen diese plötzlich ausufernde Linkkategorie. Man darf getrost davon ausgehen, dass man bei Google, Bing und anderen gut gepflegte Verzeichnisse hat, in denen die minderwertigen Webkataloge aufgeführt werden. Kommen zu viele Links einer Domain aus diesem Negativpool, kann man leicht diverse Strafen vergeben. Der Redaktion ist auch mindestens ein Fall bekannt, wo eine SEO-Agentur eine solche Eintragssoftware für unter hundert Euro benutzt und den Kunden für die Einträge 299.- € in Rechnung stellt. Die Einträge erledigt die Software nach ein paar Benutzereingaben vollständig automatisch. Damit lässt sich umgerechnet ein Stundensatz von knapp 1.800 € erzielen. Wohlgemerkt für eine Arbeit, die ein angelernter Aushilfsarbeiter erledigen kann.

Unnütze Arbeit – aber günstig wie nie?

Jeder Leser und jede Leserin hat sie wohl schon bekommen: Mails, in denen der Verfasser (bei einer Aufforderung zum Linktausch meist eine Verfasserin namens Mandy, Sandy oder Chantal) behauptet, die eigene Domain werde nicht gut in Google gefunden und man könne dem gern und schnell abhelfen. 

Solche Mails gehen oft wellenartig durch das Netz und einige schaffen es immer wieder, an den Spamfiltern vorbeizukommen. Über eines dieser Unternehmen wird in Foren recht häufig diskutiert und auch uns erreichten schon mehrere Leseranfragen, wer sich hinter der ominösen Firma „ProSerg“* verbirgt. Das Impressum nennt nur eine Adresse in Wiesbaden und eine Telefonnummer, die ins Leere läuft. Der Name einer natürlichen Person fehlt. 

Sucht man nach dem (echten) Unternehmensnamen, taucht ein Wort in den zum Teil hitzigen Diskussionen in Foren und Blogs besonders häufig auf: „Betrug“. Das Unternehmen betreibt mehrere Domains, die u. a. in Neuseeland oder den USA registriert wurden, wo man sich gut hinter sog. Privacydiensten verstecken kann. Die IP-Adressen der Spammails stammen regelmäßig aus Polen. Auch bei Antispam e. V. wurde dazu bereits Ende Sept. 2012 ein umfangreicher Thread zu dem Unternehmen eröffnet.

Subject: Professionelle Suchmaschinenoptimierung

„... Unser Angebot bezieht sich auf die Optimierung des Quellcodes und beruht auf der Modifikation der Inhalte, nach denen sich die Google-Suchmaschine richtet. Durch diese einmalige Dienstleistung erscheint Ihre Webseite in der Rangfolge der Suchergebnisse höher, als die der Konkurrenz. […] Schon nach 2 Wochen nach der Vornahme der Optimierungsmaßnahmen kann Ihre Webseite auf der ersten Seite unter den ersten Suchergebnissen stehen."

Wenn man nicht reagiert, kommen weitere Mails, in denen dann auch noch „speziell für Sie“ ein Rabattcode über 15 % beiliegt:

„[…] Auf Ihrer Webseite haben wir ziemlich schwerwiegende Optimierungsfehler sowohl im Code der Seite als auch in ihrem Inhalt gefunden. Das ist der Hauptgrund für die niedrige Position Ihrer Webseite in den Suchmaschienen.“

Maschinen mit „ie“ steht so in den Originalmails. Auch das kann man nicht selten beobachten: eine gewisse Lässigkeit im Umgang mit der Rechtschreibung, wie auch beispielhaft eine zentrale Abbildung (siehe Abbildung 7) einer SEO-Site zeigt.

Eine Firma „ProSerg“* gab es laut dem Bundesanzeiger tatsächlich, sie wurde allerdings am 17.01.2013 liquidiert (Abbildung 8). Der Jahresabschluss für 2011 weist ein Anlagevermögen von 0 € aus und einen Kassenbestand von 317,05 €. Im Vorjahr betrugen die Einnahmen 0 €. Das gezeichnete Kapital betrug 1 €. Es ist unklar, ob dieser Mantel nur deshalb erzeugt wurde, um auf einen eingetragenen Namen zurückgreifen zu können.

In der WaybackMachine (web.archive.org) finden sich jedenfalls die ersten Einträge am 5. Mai 2008 für „ProSerg“.net* mit einer 302-Weiterleitung auf „ProSerg“.de* mit den identischen Texten, die zum Teil auch heute noch per Mail verschickt werden. Als Kontaktadresse wurde damals eine Adresse in London angegeben. Laut den Kommentaren im Web handelte es sich auch hier offenbar um eine Tarnadresse. 2011 wurde die .net-Domain dann nicht mehr weitergeleitet, sondern mit italienischen Texten bestückt, und man stellte sich nun als Rundum-Webmarketing-Unternehmen dar. „SEO (ottimizzazione e posizionamento naturale sito sui motori di ricerca)“ war nur ein Teilbereich der angeblichen Leistungen. Seit spätestens 2. April dieses Jahres stehen wieder deutsche Texte auf der Site.

Der Redaktion von Website Boosting wurde zu diesem Unternehmen (sofern es sich rechtlich gesehen überhaupt um ein solches handelt) umfangreiches Material zugespielt, das wir für authentisch halten.

Laut diesen Unterlagen sind die Betreiber der Domainnetzwerke und des Unternehmens die Herren Przemyslaw O., Arkadius O. und Tomasz L. Im Web treten sie offenbar mit verschiedenen Namen auf, mal als Olaf Meyer, Peter Knopp oder auch als Tobias Koch.

Mit zumindest gleicher Kontoverbindung (bei der Deutschen Bank und einer Sparkasse in der Oberlausitz) tritt auch ein anderes Unternehmen mit Sitz in London auf. Dieses Unternehmen versendet offensichtlich seit Jahren Spammails über käuflich erwerbbare Firmendatenbanken, die so oder ähnlich lauten:

„Guten Tag,
Wir sind in Besitz neuer, aktualisierter Datenbanken deutscher Firmen und Unternehmen.
Ihre Konkurrenz sucht täglich nach neuen Methoden der Kundengewinnung.
Unser Produkt ermöglicht dies Ihnen auf effektive Weise.
Wir laden Sie dazu ein, Gebrauch aus unseren Lösungen für eine gelungene Werbekampagne zu machen.
Wir bieten Ihnen Datenbanken der aktivsten Firmen auf dem deutschen Markt, die gerne Interesse für Ihr Produkt zeigen und eine feste Zusammenarbeit mit Ihnen knüpfen. […]“

Dem leicht holprigen Deutsch steht wohl viel technisches Know-how gegenüber, denn diese Mails schwappen regelmäßig auch über gut trainierte Spamfilter. Selbst Googlemail lässt sie zumindest anfänglich passieren. Als Domains fungiert ein unerschöpflich wirkender Pool an unterschiedlichen virtuellen Webresidenzen. Das System im Backend ist sehr professionell aufgebaut und scheint u. a. dafür ausgelegt worden zu sein, beliebige Domains mit den entsprechenden Infos praktisch auf Knopfdruck zu erzeugen. Geht die Diskussion in Foren über eine Domain los – und das dauert meist nicht lange – zieht man einfach um, um potenzielle Interessenten nicht zu verunsichern, die vorab nach dem Domainnamen googeln. Weitere Varianten sind bereits in Spanisch und Italienisch aufgetaucht. Das wahre Ausmaß kennen wahrscheinlich nur die Betreiber selbst.

Hinter den offiziell angegebenen Kontaktdaten verbergen sich regelmäßig nur Briefkastenadressen, Auftragsdienste oder auf slawische Ansagetexte umgeleitete Telefonnummern. Bei „ProSerg“* mag man Spam oder als möglicherweise kritisch einzustufende Anfragen selbst aber offenbar nicht und daher hat man die eigenen Kontaktformulare so präpariert, dass Anfragen einer IP-Adresse nicht mehr durchgehen, falls die Seite mit dieser Adresse zu oft aufgerufen wurde. 

Referenzen erzeugen Vertrauen und auf dieses Vertrauen mag man auch bei besagtem Unternehmen nicht verzichten. Die auf den SEO-orientierten Websites des Unternehmens angegebenen Referenzen existieren allerdings entweder nicht in dieser Form oder die Namen lassen sich in Verbindung mit den genannten Unternehmen nicht auffinden, was zusätzlich eigentlich keine besonders gute Referenz für gute SEO-Arbeit wäre.

So berichtet eine gewisse Claudia R. von der Firma F.

„Als wir unsere Zusammenarbeit mit ‚ProSerg‘* angefangen haben, wussten wir nicht, welche Ergebnisse wir erwarten können. Heute sind wir schon sicher, dass wir zurzeit ohne Unterstützung unserer Aktivitäten im Internet nicht so erfolgreich wären."

Oder ein Fabian T. von einer Fensterfirma:

„Hervorragende Ergebnisse für den geringen Preis? Bis jetzt dachten wir, dies sei unrealistisch. ‚ProSerg‘* hat bewiesen, dass es keine unmöglichen Dinge gibt."

Entsprechende Abfragen bei Suchmaschinen zeigen, dass diese Referenzen auf mehreren unterschiedlichen Websites verwendet werden und auch, dass schon vergleichsweise oft von vielen Interessierten nach den Referenzen gesucht wurde – mit negativem Ergebnis. Die entsprechenden Foren sind voll von Menschen, die sich über das Unternehmen, seine Methoden und die Unerreichbarkeit aufregen. In mindestens einem Fall hat man  wohl den Überblick über den gerade benutzten Unternehmensnamen verloren und vergessen, die Variable im Standardtext der Referenzen auszutauschen. Dort wartet der Textbaustein „SeoAgentur“ noch darauf, ausgetauscht bzw. angepasst zu werden (Abbildung 10).

Auf der anderen Seite gibt es nach den Unterlagen, die Website Boosting vorliegen, offenbar weit über 400 zahlende Kunden, die das Unternehmen tatsächlich beauftragt und vorab blind Geld überwiesen haben.

Die vergleichsweise recht unklar beschriebene SEO-Leistung („Optimierungsarbeiten“) zu beauftragen, geht auch recht einfach. Dafür füllt man einfach eine Bestellmaske auf der jeweiligen Website aus und erhält kurz darauf eine sauber formulierte Bestätigung (Abbildung 11). Der Hinweis, dass man bei Fragen nicht zögern sollte, bei dem Unternehmen rückzufragen, soll wohl eher Vertrauen erzeugen, denn eine konventionelle Kontaktaufnahme ist praktisch nicht möglich.

Ebenso fordert man Benutzernamen und Passwort für den entsprechenden Webserver an, um die Seiten modifizieren zu können. Alternativ kann man die Dateien angeblich auch per Mail schicken – man schicke sie nach der Modifikation wieder zurück. Zusätzlich solle man zehn Suchbegriffe nennen, nach denen optimiert werden soll. Wer der Bitte nach der Übermittlung der Zugangsdaten nachkommt, schickt damit sehr sensible Daten in einer offenen E-Mail, die ja oft mit einer Postkarte verglichen wird, die jeder lesen kann, durch dessen Hände sie geht. Aber das ist nicht das eigentliche Risiko. Das Unternehmen legt die sensiblen Zugangsdaten scheinbar dauerhaft im Klartext und nicht besonders gut geschützt in seiner Online-Datenbank ab (Abbildung 12). Ein Hacker hätte hier leichtes Spiel und würde auf einen Schlag listenweise Zugang zu fremden Webservern erhalten. Zum Einschleusen von Malware bzw. Schadcode, versteckten Links und anderen bösen Dingen muss man heute kein besonders ausgewiesener Experte sein. Die Anleitung dazu gibt es in einschlägigen Foren. Insofern darf man das Risiko nicht verniedlichen, falls Fremde ungehinderten Zugang zum eigenen Webserver erhalten.   

Wohl um Vertrauen zu suggerieren, zeigt die Website ein Logo von Google „Website Optimizer Certified Partner“. Laut den Richtlinien von Google darf man das Logo nur verwenden, wenn eine entsprechende Prüfung abgelegt wurde und das Logo mit dem bei Google eigens dafür hinterlegten Account verlinkt wurde. Das Logo (Abbildung 13) weist übrigens aus, dass man sich mit dem mittlerweile eingestellten Website Optimizer von Google auskennt, mit dem man u. a. A/B-Tests durchführen konnte. Mit SEO hatte diese Art der Optimierung niemals etwas zu tun, was ein unbedarfter Besucher in dem Zusammenhang wahrscheinlich völlig falsch versteht. Ob das Unternehmen das Google-Logo der „Certified Partner“ zu Recht trägt, ist leider nicht mehr online in Erfahrung zu bringen, da der Website Optimizer bekanntlich eingestellt wurde und Klicks zu dem noch immer aufgeführten Zertifizierungsprogramm bei Google selbst auf eine 404-Fehlerseite führen.

Auch wenn im Web wie oben erwähnt schnell das Wort Betrug die Runde macht, müsste man hierzu dennoch wissen, was das Unternehmen denn dann genau bei seinen vorauszahlenden Kunden optimiert. Wir haben uns daher einige Websites näher angesehen, die das Unternehmen beauftragt und bezahlt haben.

Beispiel Kunde 1:

Ein Auszug aus dem Header der Startseite:

<title>[hier stand allein nur der Domainname, Anm. der Red.]</title>
<meta name="keywords" content="keywords,kommagetrennt" />
<meta name="Revisit-after" content="10 days" />
<base href="http://www.[der-domainname; Anm. der Red.].de/" />

Der Inhalt beim Meta-Tag Keywords lautet tatsächlich „keywords,kommagetrennt“. Das war also keine Anonymisierung der Redaktion. Das Description-Tag fehlt gänzlich. Die Überschriften mit Hx wurden in falscher Reihenfolge und unvollständig verwendet. Auf den Unterseiten findet man dann jeweils eine Musterkombination aus Navigationsbegriffen bzw. Produkt- und Domainnamen in den Meta-Tags „Keywords“ (unnütz), „Description“ (viel zu kurz) und dem Title (zu mechanisch). Die Sichtbarkeit der Domain liegt in allen SEO-Tools bei null.

Beispiel Kunde 2:

Ein Auszug aus dem Header der Startseite:

<title>Home</title>

Das war eigentlich auch schon alles. Keine Description, keine weiteren Einträge, die auf irgendeine Art SEO-Arbeit schließen lassen könnten.

Beispiel Kunde 3: (inhaltlich anonymisiert!)

Ein Auszug aus dem Header der Startseite:

<title>Zeltjunkie Haken-Weg Classic - 32302 - Sport und Freizeit - reines Naturprodukt das direkt Zelt und</title><meta name="description" content="Haken-Weg Classic, 32302, Sport und Freizeit, reines Naturprodukt, das direkt Zelt und Haken nach dem Aufbau in Gras, Sand oder Beton verankert. Beutel mit 5 Stück"><meta name="keywords" content="Zeltjunkie,Haken-weg,Classic,32302,Sport,und,Freizeit,reines,Naturprodukt,das">

Hier scheinen sich die SEO-Maßnahmen auf ein rein mechanisches Erzeugen von Inhalten im Head der Seiten zu beschränken, falls diese Maßnahmen überhaupt von der Agentur durchgeführt wurden und nicht durch schlecht konfigurierte Content-Management-Systeme. Eines scheint nämlich allen Kunden gemeinsam: Den Websites sieht man deutlich an, dass sie von Amateuren geplant, umgesetzt und gewartet werden. Bei einer Website fanden wir sogar das Meta-Tag

<meta name="GENERATOR" content="Microsoft FrontPage 4.0">.

Websites, die heute noch solche Einträge beinhalten und sich optisch noch auf dem Niveau von 1999 bewegen – hier hat man es mit dem Überreden, günstig SEO zu machen, wohl sehr leicht. Selbstverständlich beschränken sich SEO-Maßnahmen nicht nur auf die Optimierung von Tags und einzelnen Seitenelementen. Aber hier, bei den wirklich einfachen Dingen, startet man in der Regel. Man müsste schon überproportional viele gute Backlinks für ein nennenswertes Rankingergebnis auf eine Webseite setzen, wenn bei dieser noch nicht einmal der Title aussagekräftig genug ist und einfachste Regeln für Basis-SEO missachtet werden.

"Ist das jetzt Betrug?"

Und das sagt der Fachanwalt Dr. Martin Bahr:

Wenn dem Eskimo Kühlschränke verkauft werden ...

Die in dem Artikel genannten Handlungen haben eines gemeinsam: Sie sind nicht nur unseriös, sondern zudem ausnahmslos rechtswidrig und größtenteils auch noch strafbar.

Hier liegen nicht nur Wettbewerbsverstöße am laufenden Band vor (z. B. Cold Calls, Ausnutzen von bekannten Firmennamen), sondern solche Unternehmen bewegen sich auch mit beiden Beinen im Strafrecht.

Leicht nachvollziehbar sollte sein, dass die SEO-Agentur, die bewusst künstlich überhöhte Rechnungen ausstellt, strafrechtlich einen Betrug begeht, ebenso die Firma, die objektiv untaugliche Leistungen erbringt.

Hingegen werden die wenigsten SEO-Agenturen wissen, dass sie auch dann betrügerisch handeln, wenn sie zwar objektiv taugliche Leistungen erbringen, mit denen der Kunde aber subjektiv nichts anfangen kann. Der Jurist nennt das individuellen Schadenseinschlag. Verkaufe ich einem Eskimo für teures Geld einen Kühlschrank, obwohl er diesen natürlich nicht braucht, begehe ich auch dann einen Betrug, wenn der Kühlschrank sein Geld objektiv wert ist. Denn der Eskimo kann mit dem Kühlschrank rein gar nichts anfangen.

Ob in solchen Fällen tatsächlich im juristischen Sinne Betrug vorliegt, müsste wahrscheinlich im Einzelfall geklärt werden, wobei eine Beweisführung in diesem und auch in anderen Fällen sicher schwierig ist. Richtern genügt nicht die bloße Vermutung und ein „alles deutet darauf hin“. Es ist zu befürchten, dass bei der unklaren Beauftragungslage möglicherweise sogar das Setzen eines Keyword-Tags ausreicht, um die Vorauszahlung der vereinbarten Summe juristisch zu rechtfertigen. Die Begriffe Ethik, Anstand und Moral dürften allerdings bei solchen höchst zweifelhaften Leistungen sicherlich schon als verletzt gelten und das Wort Abzocke könnte sich bei einer Gesamtbetrachtung von Leistung und Ergebnis durchaus aufdrängen.

Während unserer Recherchen wurde der Aufkleber mit dem Firmennamen von dem oben gezeigten „Massen-Briefkasten“ entfernt. Man hat sich offenbar diskret mit nun unbekannter Adresse zurückgezogen. Die Website ziert allerdings noch immer die gleiche, nun nicht mehr erreichbare Anschrift - was nach deutschem Recht nun eindeutig nicht mehr als legal einzustufen ist.