Content-Marketing – weit mehr als nur updatesicheres SEO!

Andre Alpar
Andre Alpar

Andre Alpar ist seit über 20 Jahren unternehmerisch im Bereich Online-Marketing tätig. Er hat unter anderem die ehemals 170-köpfige Performance-Marketing-Agentur AKM3 gegründet, welche nach dem Verkauf an Publicis zum wesentlichen Bestandteil von Performics wurde. Heutzutage ist er als Investor, Fachautor (über 50 veröffentlichte Fachartikel), Keynote Speaker (über 150 Fachvorträge) und Podcaster (#askOMR) aktiv.

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Sich heutzutage über Content-Marketing zu äußern, fordert fast schon Überwindung. Ein Beitrag dazu sollte daher zunächst mit einer kritischen Betrachtung der Benutzung des Begriffs starten, bevor man sich der Vielfalt, Tiefe und Spannung des Themas hingeben kann.

Sowohl das qualitative Prisma von aktuell Veröffentlichtem als auch die Anzahl der verschiedenen Arten von Fachleuten, die sich als neue zentrale Anlaufstelle für das Thema Content-Marketing sehen, könnten breiter kaum sein. Ein Artikel zum Thema Content-Marketing muss daher einfach mit einem ordentlichen Rantstarten!

Content-Marketing – aktuell eher Sumpf als sauberes Arbeitsfeld

Selbstverständlich sind die allgemeinen Marketing- und Kreativleute in breiter Front schon zur Stelle: Content-Marketing habe man schon immer gemacht – wie lange schon pappt man beispielsweise ein lustiges Comicheftchen in den Deckel der Nutelladose oder ein Rezeptheftchen als Beilage in die Nudelpackung, ohne eine Strategie dafür zu haben, wie eigentlich Marketing für oder mit diesem Content gemacht werden kann. Und auch die Flashprogrammierer, die trotz nicht vorhandener SEO- und Smartphone-Kompatibilität ihrer generierten Inhalte überlebten, haben Content-Marketing für sich entdeckt: Ihre Flash-Content-Wunderwerke sind jetzt super, weil sie Likes und Tweets anziehen und dadurch ein Brandingeffekt entsteht. Die Public-Relations-Fraktion und einige andere sind selbstverständlich auch am Start. Ein Rundumschlag wäre natürlich nicht vollständig, wenn nicht auch ins eigene Nest geschaut würde. Da bekleckert sich die Welt der Suchmaschinenoptimierer auch nicht gerade mit Ruhm, denn hier wird einfach von Linkmaklern und -marktplätzen in eher niedrigen und mittleren Qualitäts- und Preisregionen durch die Umdeklaration der Dienstleistungen eine Wiederbelebung des zu Recht einbrechenden Geschäfts erhofft. Um sich das dargelegte Trauerspiel besser vorstellen zu können, sollen hier mal zwei Beispiele betrachtet werden.

flautenalarm.de ist eine von der klassischen Werbewelt hergestellte Plattform für die Automarke VW. Die hochwertige Erstellung soll hier nicht infrage gestellt werden. Vielmehr stehen hier sowohl SEO- als auch Usability-Fehler im Fokus der Betrachtungen. Das Portal siecht nach einmalig im Sommer versendeten Pressemitteilungen, mit exakt gleichem Text, auf wenigen Dutzend Nischenportalen nur so vor sich hin. Von Usability-Fehlern wie erst nach dem Log-in zugänglichem Content wollen wir gar nicht erst anfangen. Hier sieht man die Probleme der klassischen Werbewelt, die sich in eine Produktion und eine „Verteilung“ der Webemittel zweiteilt. Die kreative Werbeagentur macht den Inhalt. Für die Verbreitung sorgt dann die Mediaagentur. Letztere beherrscht aber „muttersprachlich“ nur „Pushmedien“ wie TV, Print oder Plakate und kann mit „Pull“ (Willkommen im #Neuland!) noch immer nicht richtig umgehen. Ein integriertes Denken von der Herstellung des Contents bis hin zu dessen Marketing muss hier erst wieder erlernt werden – denn diese Trennung besteht seit Jahrzehnten.

Ein genauso bitteres Beispiel aus der SEO-Ecke sei hier mal mit Textbeispielen eines Marktteilnehmers illustriert:

„Die Mission von XXX ist die Verbindung von wertvollen Inhalten mit hochwertigen Blogs und Magazinen. Wir konnten Unternehmen von professionellen Content Marketing überzeugen. Hier geht es um werbliche Artikel die auch gekennzeichnet werden können. […]”

„Hallo, Hiermit übermittle ich Ihnen unsere Liste von X Webseiten für Content Marketing zu günstigen Fixpreisen – bitte vertraulich behandeln. […].”

Nein, Content-Marketing ist kein neues Pseudo-Whitehat-Synonym für Linkverkauf.

Content-Marketing ganzheitlich erfassen

Content-Marketing ist als Prozess, bestehend aus unterschiedlichen Elementen, zu verstehen. Dies ist essenziell für den nachhaltigen Erfolg von Content-Marketing. Es gibt den übergeordneten strategischen Prozess zur Entwicklung einer Content-Marketing-Strategie und daraus abgeleitet den Prozess der konkreten Umsetzung von Content-Marketing-Kampagnen, auf den wir im Folgenden eingehen wollen und dessen verschiedene Elemente kurz erläutert werden.

Die Zieldefinition der Content-Marketing-Kampagnen leitet sich aus der übergeordneten Content-Marketing-Strategie ab. Fragen, die hier beantwortet werden, beziehen sich beispielsweise auf die zu erreichende Zielgruppe, das Maß an tolerierbaren Streuverlusten, Branding- vs. Conversionorientierung, Budget- vs. KPI-orientierte Vorgehensweise, Fokussierung auf bestimmte Produkte des Unternehmens usw.

Bei der Ideengenerierung muss man sich bspw. der Art des Contents (interaktive Schaubilder, Infografiken, Gastbeiträge, Case Studies, Podcasts, Videos, E-Books, Bücher etc.), der Menge und Frequenz der benötigten Content-Elemente und deren konkreter Inhalte bewusst werden.

Bei der Produktion werden in vielen Fällen nicht nur Text-, sondern auch Multimediaelemente wie Bilder, Videos oder Tonaufnahmen benötigt. Soll der Content langfristig zu transaktionalen Begriffen bei Google ranken, ist bei der Content-Produktion die Onpage-SEO-Brille aufzusetzen. Je nach Art des Contents ist ggf. sogar Programmieraufwand notwendig. Dabei ist selbstverständlich alles mit Personen, die im Unternehmen über das Corporate Design wachen abzustimmen, bis zur Serversicherheit hochgeladener interaktiver Elemente. Nicht zuletzt gehören zur Produktion auch Themen wie die Einbindung in die Content-Management-Systeme des Unternehmens und sich daraus ergebende Fragestellungen.

Das Seeding ist die Prozessphase, die von SEOs sehr gern mit dem gesamten Content-Marketing-Prozess gleichgesetzt wird. Tatsächlich ist diese Prozessstufe aber vielfältiger. Eine für die Praxis nützliche Unterscheidung stellt die Differenzierung zwischen kostenlosen Kanälen, kostenpflichtigen Kanälen und das Begreifen der Firmenkommunikation als dritten Kanal dar. Das dem SEO am Herzen liegende systematische Outreach an Webmaster ist sicherlich der wichtigste Bereich bei den kostenlosen Kanälen. Das ist auch der Bereich, der gerade z. B. PR- und Werbeleuten und -agenturen, wenn sie sich der Content-Marketing-Thematik nähern, am schwersten fällt. Hier kann man also sofort ein Kooperations- und Synergiepotenzial in den Stärken der unterschiedlichen Marktteilnehmer sehen. Allerdings ist das nicht alles! Da bei guten Content-Marketing-Strategien die Ziele wesentlich breiter sind, als „nur Backlinks“ zu stecken, fällt in diesen Bereich z. B. auch das Seeding in passenden Communities, in Social Networks etc. Mit den kostenpflichtigen Kanälen ist ein Seeding über bspw. elegant ausgesteuerte Facebook-Ads, Google AdWords oder sogar (ordentlich gekennzeichnete) Advertorials (mit Nofollow-Links) gemeint. Das Seeding über die reguläre Firmenkommunikation ist gleichzeitig auch ein schöner Maßstab, ob die Qualitätsbarriere beim Content-Marketing auch hoch genug gesetzt wurde. Der Content der Kampagne muss so gut sein, dass das Unternehmen gern auch z. B. über eigene Kundennewsletter oder Social-Media-Accounts auf diese Inhalte verweist.

Mit dem Reporting muss der Zirkelschluss zur Zieldefinition geschlossen werden. Der Erfolg einer Content-Marketing-Kampagne muss gemessen werden. Das könnten Kennzahlen aus verschieden Bereichen sein:

  • Branding-KPI wie Reichweite von eigenem und externem Content, die Zunahme an Mentions, die Anzahl „Folgeklicks“ ab dem Kerncontent der Kampagne, die Anzahl der Kommentare und anderer Interaktionen mit dem Content
  • Social-Media-KPI wie Retweets, Repins, Zuwachs an RSS-Abonnenten oder der Zuwachs an Follower
  • SEO-KPI wie die Anzahl an neuen Keywords, zu denen man durch die Kampagne rankt, oder die gewonnenen Backlinks
  • und natürlich auch Vertriebs-KPI wie Leads oder Sales

Kennzahlen müssen selbstverständlich schon vor der Kampagne, regelmäßig während und bis zu einigen Monaten nach der Kampagne erhoben werden, um die tatsächlichen Gewinne, die jenseits der üblichen Entwicklung liegen, erkennen zu können und die Wertattribution zur einzelnen Kampagne so gut wie möglich zu vollziehen. Die so erzielten Erkenntnisse inkl. Zielmonitoring sollten in die nächste Kampagne als Lerneffekte einfließen. Nur so lassen sich nachfolgende Kampagnen systematisch effizienter gestalten und KPI steigern.

SEO und Content-Marketing unterscheiden lernen und Zugang finden

Ein wesentlicher Unterschied, den es für SEOs, die sich in das Thema Content-Marketing einarbeiten wollen, zu lernen gilt, wurde oben im Bereich Seeding bereits besprochen. Das Outreach als Mittel des Linkaufbaus oder -marketings ist nur ein kleiner Ausschnitt des Seeding im Rahmen von Content-Marketing-Kampagnen und somit nicht mit den klassischen Offpage-Maßnahmen gleichzusetzen.

Ein noch grundlegenderer Unterschied besteht in der Kontinuität der Maßnahmen. Allen Performance-Marketing-Kanälen ist gemein, dass eine erfolgreiche und effiziente Aktivität von einer Kontinuität gekennzeichnet ist. Man macht nicht „einmal ein bisschen SEA und dann wieder nicht“, sondern in der Regel kontinuierlich. Genauso ist es auch bei Affiliate-Marketing, SEO oder Display-Performance-Maßnahmen oder der Präsenz von E-Commerclern in Preissuchmaschinen. Von der „Kampagnendenke“ der Offline-Marketing-Welt bleiben die meisten „verschont“, die im Performance-Marketing tätig sind. Genau diese muss aber gelernt sein, wenn man im Content-Marketing erfolgreich sein will – auch wenn man es kontinuierlich betreiben möchte. Auf einen einzelnen Inhalt hin betrachtet, mit dem man hinausgeht und für den man in „Pull-Manier“ Aufmerksamkeit zu gewinnen versucht, kann man die „Kampagnenartigkeit“ von Content-Marketing einfach nicht leugnen. Kampagnenarbeit kann mitunter auch einen starken Einfluss auf die Teamzusammenstellung haben, da sie zum Teil ein anderes Wissensportfolio als im SEO-Bereich benötigt.

Wichtig ist außerdem, die Unterschiede zu Inbound-Marketing zu erkennen, welches seit einiger Zeit zum neuen Oberbegriff zu werden scheint und dem auch SEO untergeordnet wird. Inbound-Marketing versteht sich als ein Marketing, welches sich insbesondere auf kostenlose Trafficquellen fokussiert. Das betrifft sowohl SEO, Social-Media-Accounts von Unternehmen oder Weiterempfehlungen von Kunden als auch allerlei zu publizierenden Content. Es gibt sicherlich einige Überschneidungen zwischen Content- und Inbound-Marketing, aber sie sind nicht als identische Kanäle zu betrachten. Inbound-Marketing teilt auf keinen Fall das Kampagnenhafte von Content-Marketing. Das Seeding über Paid-Kanäle wiederum, das bei Content-Marketing sehr häufig effektiv und lohnenswert sein kann, widerspricht dem Anspruch des Kostenfreien des Inbound-Marketings.

Ein weiterer und mindestens genau so wichtiger Punkt für SEOs, die sich für Content-Marketing zu interessieren beginnen, ist die Anlaufstelle in den Unternehmen. Wie eingangs geschildert, können und müssen die Ziele für Content-Marketing breiter gesteckt werden. Ein Inhouse-SEO, der nach einem Preis pro Link fragt, wird hier auf keinen grünen Zweig kommen – genau so wenig wie ein Performance-Marketing-Leiter, der in Kosten pro Conversion der Content-Marketing-Kampagne denkt. Mit Content-Marketing kommt das „Pull“ endlich in den Online-, Digital- oder sogar allgemeinen Marketingabteilungen an. Auf dieser Ebene wird sowohl Branding KPI als auch Traffic, aber auch Backlinks, Social Signals und Conversions ein Wert beigemessen, und wer diesen erfasst, wird Content-Marketing ganzheitlich begreifen und betreiben können.

Um erste Einsichten zu gewinnen, kann man sich anschauen, was die Pharmabranche, die verschreibungspflichtige Medikamente herstellt, so an informativen und neutralen Portalen kreiert, da sie nie direkt werben durfte. In dieser Branche findet man eigentlich die ältesten guten Beispiele für Content-Marketing. Vom Inhalt her etwas harmloser als Medikamente, aber vom Wesen her ähnlich fortgeschritten sind Portale wie www.sweet-family.de, die breit über Zucker informieren und von einem Zuckerhersteller publiziert werden. Wer weitere spannende Content-Marketing-Perlen und Fails anschauen möchte, dem sei abschließend noch das Board http://alpar.at/gpluscm bei Google+ empfohlen.