Ist die Personalpolitik von SEO-Agenturen falsch?

Jonas Weber
Jonas Weber

Jonas Weber ist freiberuflicher SEO-Berater. Er arbeitete davor u. a. bei Google im Search Quality Team in Dublin, Irland, bevor er als geschäftsführender Gesellschafter den Aufbau der Online-Marketing-Agentur „webhelps“ verantwortete. Des Weiteren war Diplom-Kaufmann Jonas Weber im Online-Marketing bei Großkonzernen wie Lufthansa und Bertelsmann tätig. Sowohl auf vielen Branchen-Konferenzen als auch an den Entrepreneurship Centern der LMU und TU München hält er jährlich Fachvorträge zum Themenbereich Suchmaschinenoptimierung (SEO).

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Die letzten Updates von Google hebeln die gängigen Arbeitsprozesse von SEO-Agenturen aus. Sie sind nicht mehr so erfolgreich und in Bezug auf potenzielle Abstrafungen sehr riskant geworden. Google schafft es immer besser, „echte“ Qualität von künstlicher SEO-Optimierung zu unterscheiden und trotzdem relevante Suchergebnisse auszuliefern. SEO-Agenturen müssen umdenken, neue Prozesse integrieren. Das fängt bei der Personalpolitik an.

SEOs werden nicht eingestellt!

Auf der BrightonSEO-Konferenz in England nahm ich dieses Jahr mit den zwei früheren Google-Search-Quality-Kollegen Fili Wiese und Alfredo Pulvirenti am Experten-SEO-Panel „Ask the Ex-Googlers anything“ teil. Auf die sehr gute Frage aus dem Publikum, wie wir als Inhaber einer SEO-Agentur nun googlekonform Linkbuilding betreiben, sagte ich zwei Dinge: Zum einen haben wir uns bei der Betreuung im Bereich SEO, SEM und Online-Marketing eine Nische herausgepickt. Somit fällt es uns leichter, in einem bestimmten Bereich Expertise und Kontakte aufzubauen.

Zum anderen betonte ich, dass ich keine Personen einstelle, die schon einmal im Bereich SEO gearbeitet haben, da diese mir zu „schmutzig“ denken. Das saß, mehr als 1.000 SEOs im schicken Opernsaal waren wenig erfreut, wie auf Twitter nachzulesen war. Warum sagte ich das, wollte ich mich unbeliebt machen? 

Prozesse in den SEO-Agenturen

Google hat es geschafft, dass die alten lukrativen Prozesse in den Agenturen nicht mehr so wirkungsvoll sind (Ausnahmen bestätigen die Regel). Früher kauften die Agenturen eifrig Links und Texte ein und verkauften sie mit Aufschlag. Die etwas größeren Agenturen ließen die Texte selbst schreiben, meist von billigen Praktikanten. Zusätzlich investierten sie in Linknetzwerke und verkauften die Links teuer direkt weiter. Man konnte mit Sicherheit von einem lohnenden Arbitragegeschäft sprechen – bis Google mit den neuen Updates wie Panda und Pinguin den Goldrausch beendete. Nun geht die große Angst und Verunsicherung durch die Szene. Wie machen wir weiter?

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Fachkräftemangel in der Branche

In der letzten Website Boosting (Ausgabe 19) war der aktuelle Fachkräftemangel ein großes Thema, nicht ganz zu Unrecht, es gibt kein wirklich gutes Ausbildungssystem. Allerdings werden vielleicht zu viele Suchmaschinenoptimierer gesucht. Denn sie sind nur in bestimmten Bereichen gut, wie zum Beispiel in der technischen Suchmaschinenoptimierung oder in der Analyse. Bereiche wie Markenaufbau bzw. Branding, (Online-)Pressearbeit, hochwertige Texte mit Experten-Know-how verfassen, Produktmanagement – das sind keine Stärken eines SEOs. Werden diese Strategien auf Konferenzen vorgeschlagen, entstehen zwei Szenarien: Entweder der SEO resigniert, weil er es nicht kann, oder er versucht Möglichkeiten zu finden, die diese Disziplinen nachbilden, also der Algorhytmus soll wieder manipuliert werden.

Gewünschte Verantwortungsbereiche eines Suchmaschinenoptimierers in einer Agentur

Schauen wir uns an, welche Aufgaben und Fähigkeiten Agenturen heutzutage von einem SEO-Manager bei der Einstellung verlangen, ist es kein Wunder, dass zu wenig Fachpersonal gefunden wird. Wer soll diese ganzen Disziplinen auf hohem Niveau beherrschen können, vor allem, wenn wir uns das ambitionierte Ziel setzen, Suchmaschinenoptimierung nachhaltig und googlekonform zu betreiben? Folgende Aufgaben erwarten einen SEO-Manager in einer Agentur, wenn wir diverse Stellenausschreibungen betrachten:

  1. Fähigkeit zur gezielten SEO-Analyse bestehender Webseiten/-shops
  2. Strategische Erarbeitung sowie aktive Steuerung der SEO-Maßnahmen (onpage, Technik, offpage) im Unternehmen mit Fokus auf stetige Optimierung
  3. Keyword-Analyse und -Research
  4. Texterstellung und -optimierung
  5. Entwicklung und Umsetzung hochqualitativer Linkstrategien für alle relevanten Seiten
  6. Auf- und Ausbau von Universal Search Rankings
  7. Koordination externer Dienstleister (Content, offpage, Entwicklung u. v. m.)
  8. Wettbewerber-Analyse onpage und offpage
  9. Analyse und Auswertung suchmaschinenrelevanter Daten
  10. Controlling der KPI je Kampagne und Optimierung mit den jeweiligen Produktmanagern, Optimierung der Keyword-Listen anhand der Performance-Kennzahlen
  11. Aktives Testing neuer innovativer Maßnahmen
  12. Reporting an die Geschäftsführung und Marketingleitung
  13. Betreuung und Beratung der Kunden
  14. Stetige Markt-, Wettbewerbs- und Trendbeobachtung

Einzelne Funktionen und Aufgabengebiete

Um diese Aufgaben sowohl strategisch als auch operativ auszuüben, sind verschiedene Persönlichkeiten und Qualifikationen nötig. Zum Beispiel fehlt einem Strategen in Form eines Projektleiters bei operativen Arbeiten meist die Detailtreue, das Know-how oder die Motivation.

Es sind unterschiedliche Funktionen und Jobprofile zu entwickeln, die die Umsetzung der geforderten Maßnahmen mit hoher Qualität realisieren können.  Matt Cutts hat auf der Pubcon 2011 in Las Vegas in seiner Präsentation treffend formuliert: „SEO = Marketing.“ Die letzten Updates von Google haben diese These durchaus unterstrichen. Somit können wir uns u. a. am Aufbau klassischer Marketing- bzw. Werbeagenturen orientieren, um das zeitgemäße SEO-Team aufzubauen – natürlich mit einigen Abweichungen. Welche Funktionen brauchen wir?

SEO-Projektleiter, Berater und Key Account (m/w)

Der gesuchte SEO-Manager hat die SEO-Projektleitung zu übernehmen, nicht aber die meisten operativen Aufgaben, die in den Stellenausschreibungen gefordert werden. Er hat über alle Teilbereiche im Bereich Suchmaschinenoptimierung Bescheid zu wissen, er ist der Stratege. Er hat zu wissen, WAS zu machen ist, und delegiert es weiter. WIE die Aufgaben zu erledigen sind, das ist die Verantwortung der Spezialisten. Auch die Analyse der relevanten Daten, Qualitätssicherung, Testing, Beratung der Spezialisten im Team und Kundenbetreuung sind seine Aufgaben. Mit diesen Verantwortungsbereichen ist er ausreichend ausgelastet. Er ist eigentlich die einzige Person, die etwas von Suchmaschinenoptimierung verstehen muss, zumindest übergreifend. Der SEO-Projektleiter ist auch der Einzige aus dem Team, der sich auf SEO-Konferenzen und Blogs fortbilden sollte.

Programmierer (m/w)

Der Spezialist „Programmierer“ bearbeitet die technischen SEO-Bereiche. 301 redirects, Speedoptimierung, SEO-Ausrichtung des Content-Managment-Systems etc. Ebenfalls spannen wir ihn ein, um zeitintensive manuelle Prozesse zu automatisieren; z. B. entwickelt er interne Tools für die Spezialisten. Um seine Kapazitäten auszuschöpfen, setzen wir ihn bei der Programmierung von Landingpages, SEO-/Usabilty-Tests oder sogar ganzen Websites ein. SEO-Kenntnisse sind vorab nicht nötig, die wenigen wichtigen Punkte werden vom SEO-Projektleiter erklärt. Kleine Agenturen können auf freie Programmierer zurückgreifen, wenn sie sich einen Vollzeitprogrammierer nicht leisten können.

Marketingspezialist (m/w)

Themen wie Branding und Benutzerverhalten sind im Algorithmus von Google essenzielle Rankingfaktoren geworden. Das heißt, wir brauchen einen Mitarbeiter, der ausgebildet wurde, um Zielgruppen und Märkte zu analysieren, integrierte Kommunikationskonzepte zum Markenaufbau zu entwickeln und Alleinstellungsmerkmale auszuarbeiten und zu kommunizieren. Bestenfalls verfügt der Spezialist noch über ein exzellentes Sprachgefühl und Textverständnis, er ist für qualitativ hochwertige Texte auf der eigenen Website verantwortlich. Des Weiteren koordiniert er gegebenenfalls die Werbekampagnen zum Markenaufbau.

Der SEO-Projektleiter schult und berät die Fachkraft für Marketing in den für Suchmaschinenoptimierung relevanten Punkten wie Titles und Metadescriptions texten, vernünftige Berücksichtigung von Suchbegriffen in den Produkttexten und Verlinkungen bei Marketingkooperationen. Schon aufgrund seiner Ausbildung wird der Spezialist darauf achten, dass die Maßnahmen nicht zu „spammig“ durchgeführt werden. Marken stehen für Eigenschaften wie Qualität, Vertrauen, Nachhaltigkeit, Emotionen und Kundennutzen.

Große Firmen haben diese Positionen und Expertise des Öfteren intern aufgebaut, eine sehr sinnvolle Maßnahme. Das Outsourcing an eine Agentur ist bei dieser Konstellation nicht mehr unbedingt nötig, der SEO-Projektleiter berät den Mitarbeiter des Kunden direkt. Die Marketingfachkraft bildet sich nicht in der SEO-Szene weiter, sondern besucht Marketingkongresse und Social-Media-Konferenzen. Der Einsatz von Social Media für den Bereich Branding ist je nach Produkt sehr empfehlenswert.

Spezialist für Pressearbeit (m/w)

Wir brauchen keinen „Linkbauer“, der „offpage“ wütet. Wir brauchen einen Spezialisten für Pressearbeit, der weiß wie seine journalistischen Kollegen arbeiten und ticken. Idealerweise hat er schon auf der „anderen“ Seite gearbeitet. Er pflegt sein Netzwerk und baut es weiter aus, auch auf exklusiven Veranstaltungen für und von Journalisten. Er hat ein Gespür dafür, welcher Journalist zu welcher Zeit bestimmte Informationen braucht, und liefert diese. So entsteht eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Der Journalist hat seine Story, der Manager für Pressearbeit seinen Kunden redaktionell platziert. Voraussetzung für eine Erfolg versprechende Arbeit ist ein gutes Produkt.

Die Fachkraft für Pressearbeit ist textsicher und kann sich gewählt ausdrücken. Sie textet bzw. kontrolliert die Inhalte, die außerhalb der eigenen Website, also in externen Medien, platziert werden. Sie arbeitet eng mit der Fachkraft für Marketing zusammen, da sich die jeweiligen Verantwortungsbereiche und Zielsetzungen sehr gut ergänzen. Vom SEO-Projektleiter hat die PR-Kraft gelernt, bei allen Presseaktionen an relevante Verlinkungen zu denken. Auch diese Position kann im Unternehmen des Kunden platziert sein oder die SEO-Agentur kooperiert mit einer auf Public Relations spezialisierten Agentur.

Designer (m/w)

Um unsere Inhalte ansprechend zu präsentieren, brauchen wir einen fähigen und kreativen Designer. Er erstellt nützliche Infografiken und Illustrationen, achtet mit dem Spezialisten für Marketing darauf, dass das Corporate Design des Kunden berücksichtigt wird. Er arbeitet an der Erstellung neuer Landingpages mit, bearbeitet Bilder für die Website. Beim Besuch einer Website entscheidet der erste Eindruck, ob ein potenzieller Kunde bleibt oder nicht, dafür ist der Designer maßgeblich mit verantwortlich. Absprungraten sind ein (negativer) SEO-Rankingfaktor.

Auch bei einem Designer kann es sich anbieten, auf Freelancer zurückzugreifen. In Teilbereiche der Suchmaschinenoptimierung muss er nur dann eingewiesen werden, wenn er komplette Webdesigns entwirft.

SEO = Marketing

Die meisten SEO-Konferenzen haben ohne Frage ein sehr hohes Niveau erreicht. Leider referieren meistens nur Verantwortliche von SEO-Agenturen oder Inhouse-SEOs, wie man Kampagnen im Bereich Branding oder Online-Pressearbeit (in der SEO-Szene „natürlicher Linkaufbau“ genannt) erfolgreich durchführen kann. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

Die Branche muss sich öffnen: Wir brauchen Vorträge externer Spezialisten, z. B. erfolgreiche Journalisten großer Medienhäusern, Geschäftsführer etablierter Presseagenturen, Brandmanager oder Marketingstrategen. Sie haben einen höheren Einfluss auf Google, als wir wahrhaben wollen. Von ihnen können wir noch viel lernen.

Noch besser, wir integrieren sie in unser SEO-Team. Glücklicherweise ist es einfacher, gute Marketingfachleute zu finden oder niedrig bezahlte Journalisten abzuwerben als SEO-Experten zu suchen. Wir können auf ihre Expertise nicht mehr verzichten.