Social Media richtig nutzen und analysieren

Matthias Bettag
Matthias Bettag

Matthias Bettag ist „VP Analytics, Europe“ bei Semphonic und leitet das neue Büro in Berlin. Schwerpunkt ist die branchenübergreifende strategische Beratung für Web-/Online-Analyse und deren Plattformen, sowie Datenintegration und Data-Warehouse-Lösungen. Seit 2011 ist Matthias Bettag von der DAA zertifizierter Webanalyst.
Vorher war Bettag fast 5 Jahre im Global E-Marketing bei Bayer Pharma in einer zentralen Supportrolle zwischen Marketing, Agenturen und IT tätig und hat dort neben SEO, SEM, Usability und Content-Management im Wesentlichen die Webanalyse-Plattform und -Prozesse geleitet.
Ehrenamtlich ist Matthias Bettag aktives Mitglied der DAA (Digital Analytics Association, ehemals Web Analytics Association) und DAA Country Manager für Deutschland. Zudem ist er Co-Spokes Person der Special Interest Group der DAA für Online-Datenschutz in Europa.

Mehr von diesem AutorArtikel als PDF laden

Social Media wird unter anderem für PR-Zwecke, zum Aufbau einer Kundencommunity, zur Marktforschung oder für den Kundensupport genutzt. Die Kommunikationsformen sind jeweils unterschiedlich, aber auch die Messmethoden, um den Wert einer Social-Media-Aktivität erfassen zu können. Matthias Bettag stellt verschiedene kommerzielle Nutzungsformen unter dem Aspekt der Erfolgsmessung vor.

Social-Media-Typen

Bei Social Media (Glossar) denkt wohl jeder zuerst an „Fanseiten“ auf Facebook oder Marketingnachrichten auf Twitter. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich aber differenziertere Nutzungsformen. In Abbildung 1 sind sechs (kommerzielle) Nutzungsformen dargestellt, welche Semphonic durch die Arbeit an verschiedenen Projekten identifiziert hat.

Wie immer beginnt alles mit der Zielstellung: Welche Kommunikationsform möchte man gegenüber welcher Zielgruppe anbieten?

Public Relations (PR) ist im klassischen Sinne gerichtet an eine Zielgruppe aus Einflussgebern und Multiplikatoren, die wiederum eigene Netzwerke haben, in welche sie die Botschaften weitertragen. PR ist somit eher eindirektional: Eine Botschaft wird verbreitet und setzt sich dann fort. In großen Firmen ist PR meist Teil der offiziellen Unternehmenskommunikation, manchmal kann PR aber auch marketing- oder produktbezogen sein, womit die Bereiche einer Community und sogar Kampagnen berührt werden (siehe unten, aus Analysesicht ein kompliziertes Vorgehen). Dieser Artikel definiert PR als vornehmlich eindirektional mit dem Ziel, Multiplikatoren und Einflussgeber zu erreichen.

Anders hingegen eine Community. Hier besteht die Zielgruppe aus echten Endkunden (und solchen, die es werden wollen bzw. sollen). Diese erwarten keine Pressetexte oder Unternehmensnachrichten, sondern individuellen, persönlichen Austausch. Die Kommunikation mit Endkunden in Social Media geschieht 1:1 und das n-fach und bidirektional. Es erfordert oft größere Teams, um die vielen An- und Rückfragen zu beantworten und die Kommunikation der Kunden untereinander zu moderieren. Fertige Textbausteine und Pressetexte helfen hier nicht weiter. Eine Kundencommunity erwartet Authentizität und individuelle Antworten in kürzester Zeit. Man kann zwischen offenen und privaten Communities unterscheiden. Eine private Community erfordert z. B. eine Registrierung, eine offene erlaubt direkte Einträge und Kommentare auch „von außen“.

Eine Social-Media-Kampagne ist –webanalytisch gesehen – nichts anderes als ein spezieller Referrer, also eine Weiterleitung auf die eigentliche Zielseite (bzw. die Einbettung der externen Zielseite in die Kampagnenseite). Hier geht es darum, Interesse zu wecken, um die eigentliche Konversion (Glossar) dann woanders stattfinden zu lassen. Kommunikation und Moderation sind vergleichbar mit einer Community, aber im Gegensatz zu dieser ist eine Kampagne zeitlich befristet. Eine Kampagne kann auch in eine Community integriert werden.

Social CRM (Customer-Relations-Management) ist die Verknüpfung von Daten aus einem Social-Media-Kanal mit einer CRM-Datenbank, zum Beispiel, um eine direkte Kommunikation mit Einzelpersonen zu ermöglichen. Ein anderes Beispiel wäre die Integration von Kommentaren und Verhalten in Social Media in ein CRM-System und Customer Data Warehouse (CDW), also ein Speichern der User-Interaktionen. Aber auch eine „Drip-Kampagne“ („Tröpfchen-Kampagne“) kann hierzu gezählt werden: Zum Download eines Whitepapers z. B. muss man eine E-Mail-Adresse angeben, an diese wird automatisch eine Nachricht mit Bezug auf den Inhalt des Downloads gesendet, nach 3 Wochen erneut und nach 6 Wochen noch einmal. Dabei können Social-Media-Aktivitäten berücksichtigt werden. Durch sanfte, aber stetige Erinnerung (und mit wenig Budget) soll eine Konversion ohne viel „Lärm“ erzeugt werden. Datenschutzrechtlich ist Social CRM in Europa natürlich nur mit entsprechender vorheriger Einwilligung der Nutzer möglich und sicher eine seltene Nutzungsform.

Produkt- und Marktforschung in Social Media ist wahrscheinlich selbsterklärend. Aufgrund des sehr genauen Targeting  auf Social-Media-Plattformen bieten sich hier sehr gute Möglichkeiten, die entsprechenden Segmente einer Zielgruppe exakt zu adressieren. Das wird übrigens nicht nur aus kommerziellem Interesse gemacht, sondern auch für soziologische Forschungen (siehe auch einfach.st/zfbk).

Kundendienst per Social Media ist beispielsweise auf Twitter schon sehr weit verbreitet. Aber auch auf Facebook gibt es das (siehe z. B. einfach.st/smma). Anstatt die teure Supporthotline anzurufen, kann man für viele Produkte und Services auch den entsprechenden Twitteraccount anschreiben und erhält dann individuelle Beratung und Hilfe. 

Das Sampling-Problem

Das Sampling, also die Zusammensetzung der Stichprobe einer untersuchten Zielgruppe, birgt eine große Fehlerquelle. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass eine Stichprobe aus Social-Media-Kanälen nicht, oder nur selten, repräsentativ ist. Längst noch nicht alle Menschen sind regelmäßig online, nur ein Teil davon nutzt Social Media, wovon nur eine Untermenge aktiv teilnimmt, deren Beiträge wiederum nur zum Teil öffentlich zugängig sind. Man sollte sich dessen immer bewusst sein, bevor man allgemeingültige Erkenntnisse aus einer Erhebung mit entsprechenden Samples ableitet.

Anschaulich wird das bei Online-Umfragen, die eine andere Wendung als erwartet bekommen. Dann heißt es oft, „Internet-Freaks“ hätten eine Abstimmung „gekapert“. Viel eher lag dem aber eine falsche Erwartungshaltung zugrunde. Es gibt immer „Aktivisten“, die ihre Favoriten stärken (oder die Rivalen schwächen) möchten. Ein Link in einem viel gelesenen Blog oder in einem Forum kann schnell zu entsprechenden „Kaperungen“ führen. Dann folgen mitunter eher peinliche Abschaltungen bei „ungewollten“ Ergebnissen und manchmal auch unüberlegte Vorwürfe gegenüber den Nutzern.

Mentions – je mehr, desto besser?

Genau aufpassen sollte man beim Zählen von „Mentions“ (Erwähnungen). Manche Tools leiten aus dem textuellen Kontext einer Erwähnung eine Wertung im Sinne eines positiven, neutralen oder negativen Kommentars ab. Problematisch ist hier nicht nur die oft unscharfe oder falsche Bewertung (Ironie ist schon für Menschen leicht missverständlich, wie soll ein Algorithmus das richtig zuordnen?), sondern vor allem der fehlende qualitative Kontext. Soll ein Tweet zu einem Zeitungsartikel („XY erobert mit neuem 3-D-TV die Marktführung“) denselben Stellenwert erhalten wie ein Tweet an den Kundensupport („Hallo XY, mein schicker neuer 3-D-TV findet keine Sender“)? Die wesentlichen Keywords zu Marke und Produkt sind in beiden Fällen identisch. Die Zeitung wird von vielen Menschen gelesen, ein Tweet dazu ist also ein Hinweis auf eine Multiplikation der Botschaft, unabhängig von der Verbreitung des Tweets an sich – die Zeitung wird ohnehin gelesen. Die Anfrage an den Kundendienst hingegen interessiert niemanden, außer natürlich den Fragesteller und hoffentlich den Adressaten. Würde man einfach alle Erwähnungen zusammenzählen und dann berichten: „Super, wir hatten im Mai 5.000 Erwähnungen allein auf Twitter, doppelt so viele wie im April!“, so wäre das eine qualitativ nichtssagende, ja eventuell sogar völlig irreführende Aussage. Welchen Grund hatte der Anstieg? Etwa durch erhöhte Kundendienstanfragen? Das wäre dann ein Alarmsignal. Gab es vielleicht ein lustiges Video, welches sich viral verbreitete – und wenn ja, ist es ein eigenes oder wird man verspottet? Oder droht gar ein Shitstorm?

Will man Brand-Keywords erfassen, zielt man unter Umständen auch daneben. Ein Beispiel: Ein Autohersteller möchte seine Markenreputation messen. Dazu wird das Vorkommen des Markennamens gezählt und die Ergebnisse werden nach positiv/neutral/negativ klassifiziert. Selbst wenn alle Wertungen stimmen, so wird der Markenname sicher auch in Verbindung mit verschiedenen Automodellen genannt werden. Somit wird das Ergebnis der Messung stark von konkreten Produktmeinungen beeinflusst, welche nicht unbedingt repräsentativ für die allgemeine Markenreputation sind, zumal Produktmeinungen eher von Bestandskunden oder konkret Suchenden geäußert werden, während eine allgemeine Reputation weit darüber hinausgeht.

Competitor Analysis erfordert dieselbe Klassifizierung der Keywords pro Produkt, und das für alle Wettbewerber. Ansonsten lassen sich die Erkenntnisse nicht vergleichen. Eine Äußerung wie „Die Bedienung bei X ist super, aber das Design von Y ist fantastisch“ ist ein Kommentar mit zwei positiven Aussagen zu zwei Produkten, aber zu unterschiedlichen Produktkategorien. Es sind sowohl absolute Aussagen („super“, „fantastisch“) als auch eine Relation der Produkte zueinander enthalten. Das zu analysieren, wird schnell ein komplexes Unterfangen mit einer größeren hierarchischen Struktur, weil alle (Unter-)Kategorien für alle gemessenen Bewertungen und Aussagen parallel für jedes Produkt und jeden Mittbewerber identisch angelegt sein müssen. Auch das Sample muss identisch sein, um Vergleiche zu analysieren. Vergleichsanalysen sind nicht möglich, wenn die Aussagen zweier verschiedener Samples nur nebeneinandergestellt werden. Das Resultat ist dann der Zufriedenheitsgrad des jeweiligen Samples, nicht aber eine Vergleichsanalyse.

Es ist schnell zu erkennen, dass einfaches „Mentions“-Zählen, ohne das jeweilige Sample genauer zu beachten, nicht viel bringt. Die Gleichung „viele Mentions = sehr erfolgreich“ erinnert an die Zählung von „Hits“ in der Frühphase der Webanalyse. (Hits sind Anfragen an den Webserver, z. B. für jeden noch so kleinen Hintergrundgrafik-Schnipsel, stehen aber in keiner Beziehung zu Page Views oder Visits. Daher erklären Webanalysten auch HITS als „How Idiots Track Success“.) Aber zurück zum Thema: Wichtig ist einerseits die qualitative Erfassung der Erwähnungen, aber andererseits vorher das richtige Sampling bzw. die Kenntnis über dessen Schwächen und Stärken.

Social-Media-Analyse

Analyseprozesse in Social Media sind nicht grundlegend anders als in der Webanalyse. Es gelten die Grundsätze

1) Planung,
2) passende Messungen ableiten,
3) Messungen standardisieren,
4) Reports/Ergebnisse demokratisieren,
5) Auswahl der geeigneten Methoden- und Tools
(Quelle: einfach.st/sem1).

Leider wiederholen sich bekannte Fehler, wenn man sich nur von technischen Möglichkeiten leiten lässt, anstatt darüber nachzudenken, was wirklich im jeweiligen Kontext sinnvoll ist. Je nachdem ergeben sich ganz andere Messmethoden, um Erfolg zu messen (Abbildung 6). Und daraus leiten sich wiederum verschiedene Tools ab, mit denen die jeweilige Messung am besten gelingt. Die schlechte Nachricht vorweg: Es gibt kein Tool, das alle Nutzungsgebiete gleichermaßen gut abdeckt.

Die erste wesentliche Erkenntnis ist, dass ein Social-Media-Kanal für mehrere parallele Nutzungsformen nicht gut funktionieren kann. Die zweite Erkenntnis ist, dass man verschiedene Tools und Messverfahren benötigt, um die jeweiligen Anforderungen der verschiedenen Nutzungsformen abzudecken.

Datenerfassung und Datenanalyse sind nicht dasselbe. Ersteres erledigen Tools, Letzteres benötigt aber weitaus mehr als nur ein paar Konfigurationsschritte. Analyse setzt gute Planung und funktionierende Prozesse voraus, um anhand der gesammelten Daten wertvolle Erkenntnisse zu liefern. Wie immer ersetzt auch hier die Software keinen Analysten.

Zu den Messzahlen für die Erfolgsmessung in den verschiedenen Nutzungsformen:

  • PR misst den Einfluss in den jeweiligen Kategorien, z. B.: In wie vielen Artikeln und Sendungen haben Medien eine PR-Nachricht aufgenommen, und wie war wiederum deren Verbreitungsgrad?
  • Communities messen die Aktivitäten in der Community, wie die Anzahl der (aktiven) User, die Anzahl der Beiträge, Weiterverteilung und Zustimmung („shares“, „likes“, „retweets“, „grabs“, „installs“ usw.). Das Schwierigste bei einer Community ist, sie am Leben zu erhalten. Der Fokus sollte also auf Abnutzungserscheinungen liegen und auf der besonderen Beachtung und Motivation der „Power-User“, welche zwar nur einen ganz geringen Teil der Gesamtuser ausmachen, aber stark überproportional aktiv sind und so das Herz einer Community bilden.
  • Der Erfolg einer Kampagne wird auf der Konversionsseite gemessen. Die Social-Media-Kampagne selbst muss natürlich genau beobachtet werden, um entsprechende Mikrokonversionen zu messen und zu optimieren, wesentlich ist aber die Weiterleitung auf die Konversionsseite.
  • Social CRM hat Datenintegration oder Retargeting zum Ziel. Dies lässt sich am ehesten aus dem Zielsystem messen. Ähnlich wie bei einer Kampagne ist die Social-Media-Nutzung nur Mittel zum Zweck.
  • Produkt- und Marktforschung benötigen NLP (Natural Language Processing, also Textanalyse) um Wertungen, Kontext und inhaltliche Verbindungen analysieren zu können. Hier geht es weniger um quantitative Werte als vielmehr um das Erkennen von Trends, Meinungen, Wünschen und Kritik – aber auch um vergleichende Analysen wie in die Competitor Analysis.
  • Kundendienst lässt sich durch operationale Metriken messen. Jeder Supportfall, welcher via Twitter gelöst werden konnte, ist günstiger als ein Anruf im Callcenter und viel günstiger als ein Vor-Ort-Support oder eine Rücksendung. Hier lässt sich Erfolg auch in der Anzahl der Rückfragen pro Supportfall messen, ebenso in der Lösungszeit, und mit der letzten Rückmeldung des Kunden kann ein Zufriedenheitsgrad abgeleitet werden.

Natürlich gibt es Messmethoden und Tools, die für mehr als nur eine Nutzungsform geeignet sind, ebenso wie es Social-Media-Aktivitäten gibt, welche sich nicht eindeutig nur einer der genannten Kategorien zuordnen lassen. Neben der kommerziellen Nutzung von Social Media gibt es natürlich auch andere Formen, die hier aber nicht diskutiert wurden. Als Fazit lässt sich aber erkennen, dass die verschiedenen Nutzungsformen auch unterschiedliche Messmethoden zur Folge haben, um den jeweiligen Erfolg auch richtig analysieren zu können.