Berechtigt das Penguin-Update zur Kündigung von SEO-Verträgen?

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Vor einigen Wochen kam das Penguin-Update von Google auch in Deutschland an. Die Aufregung in der SEO-Szene war entsprechend groß. Matt Cutts und seinem Team war – nach eigenen Äußerungen – dieses Mal insbesondere die Bekämpfung gekaufter Backlinks ein wichtiges Anliegen.

Welche juristischen Konsequenzen auf laufende SEO-Verträge ergeben sich somit aus dem Penguin-Update?

A. Die Sachlage:

1. Das Penguin-Update

Für große Unruhe in der SEO-Branche sorgte das vor Kurzem auch in Deutschland aktiv gewordene Google-Update „Penguin.“ So ist in vielen SEO-Blogs zu lesen, dass der Suchmaschinenriese sich dieses Mal ganz erheblich die Bekämpfung gekaufter und somit unnatürlicher Backlink-Strukturen auf die Fahne geschrieben hat.

Auch wenn es klar gegen die Webmaster-Richtlinien von Google und auch gegen geltendes deutsches Recht verstößt, war und ist der Kauf von Backlinks nach wie vor einer der wichtigsten und zugleich wirtschaftlich interessantesten Bereiche. Als in der einschlägigen Fachpresse zu lesen war, dass Google praktisch Backlinks in ihrer Wichtigkeit stark reduzieren oder gar gänzlich entwerten würde, kam bei einigen Kunden helle Panik auf. Angesichts dieser scheinbaren Katastrophe zweifelte der Kunde an den Qualitäten seines engagierten SEO-Experten und kündigte in seiner Verzweiflung die laufenden Verträge außerordentlich. Das betraf insbesondere reine Backlink-Verträge, von denen der Kunde nun vermutete, dass sie jede Bedeutung verloren hätten.

Die Reaktion des Kunden erscheint auf den ersten Blick nachvollziehbar: Warum für etwas teures Geld ausgeben, wenn es jeden Wert verloren hat? Dann ist eine sofortige Beendigung des Vertrages nur mehr als konsequent.

2. Blaue Briefe von Google

Verstärkt wurde diese Situation häufig noch dadurch, dass der Kunde in einem Google-Webmaster-Account einen blauen Brief von Google vorfand. Die Nachricht lautete so oder ähnlich:

„Benachrichtigung von Google-Webmaster-Tools über unnatürliche Links, die auf http://www.xy.de gefunden wurden. Wir haben festgestellt, dass auf einigen Seiten Ihrer Website eventuell Techniken verwendet werden, die gegen die Webmaster-Richtlinien von Google verstoßen.

Suchen Sie insbesondere nach möglicherweise künstlichen oder unnatürlichen Links, die auf Ihre Website verweisen und zur Manipulation von PageRank dienen könnten. Zur unnatürlichen Verlinkung können beispielsweise gekaufte Links, die PageRank weitergeben, oder die Teilnahme an Textlink-Börsen gehören.

Wir empfehlen Ihnen, Ihre Website entsprechend unseren Qualitätsrichtlinien zu bearbeiten. Nachdem Sie die Änderungen vorgenommen haben, stellen Sie einen Antrag auf erneute Überprüfung Ihrer Website.“

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war sich der Kunde sicher: Ich bin mit meinen gekauften Backlink-Strukturen bei Google aufgeflogen! Jetzt kann ich nur noch retten, was zu retten ist, und kündige sofort den SEO-Vertrag!

B. Die Rechtslage:

Nun stellt sich die spannende juristische Frage, ob ein Kunde tatsächlich sofort außerordentlich einen laufenden Suchmaschinen-Optimierungsvertrag beenden kann. Da solche Kontrakte nicht selten Laufzeiten von 6 oder 12 Monaten oder sogar noch länger haben, hätte eine berechtigte vorzeitige Beendigung des Vertrages einschneidende wirtschaftliche Folgen für jede SEO-Agentur.

1. Beweislage

Ein Vertrag kann ganz grundsätzlich immer dann gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Der könnte hier in dem Penguin-Update zu sehen sein.

Lassen wir zunächst noch einmal die Frage nach dem wichtigen Grund unbeantwortet, sondern kommen vielmehr im Vorfeld zu dem mindestens genauso entscheidenden Punkt der Beweisbarkeit.

Derjenige, der die Kündigung ausspricht, ist verpflichtet nachzuweisen, dass es diesen wichtigen Grund auch tatsächlich gibt. Er muss notfalls mittels Beweisen darlegen, dass er berechtigt war, sich vorzeitig vom Vertrag zu lösen. Das deutsche Zivilrecht kennt insgesamt fünf Beweismittel: Sachverständiger, Augenschein, Parteivernehmung, Urkunde und Zeuge.

Tauglich wäre hier allein das Beweismittel des Sachverständigen. Alle anderen kommen aus inhaltlichen Gründen nicht infrage. Wer schon einmal vor Gericht gestanden hat und von einem Sachverständigengutachten abhängig war, weiß: Das Ergebnis einer solchen Beauftragung ist nicht immer klar vorhersehbar, sondern gleicht häufiger dem Ergebnis beim Würfelspiel.

Zudem muss jeder Sachverständige, der halbwegs Ahnung von seiner Materie hat, zugeben, dass er allenfalls Rückschlüsse aus den aktuellen Suchmaschinenplatzierungen ziehen kann. Es handelt sich bei seinen Äußerungen um Vermutungen und Einschätzungen und nicht um objektive, nachprüfbare Fakten. Auf dem Markt gibt es so gut wie keine Primärquellen. Dies liegt insbesondere an dem Umstand, dass Google natürlich weiterhin seinen Algorithmus geheim hält.

Eine der wenigen Primärquellen sind die offiziellen Verlautbarungen von Google selbst, allen voran Matt Cutts und seine Video-Statements. Aber selbst aus diesen Dokumenten lässt sich so gut wie nichts Klares und Eindeutiges herleiten. Cutts erklärt zwar häufig, welche aktuellen Tendenzen Google verfolgt, bleibt aber in der Regel relativ allgemein. Belastbare Fakten bieten somit auch diese Primärquellen nicht, mit dem Ergebnis, dass es dem Kunden – auch mithilfe eines Sachverständigen – so gut wie nie möglich sein wird, die Behauptungen, die in der SEO-Szene zum Penguin-Update grassieren, nachzuweisen.

Eine insgesamt recht erfreuliche Beweissituation also für SEO-Agenturen. Eine wichtige Ausnahme hiervon gibt es jedoch: Äußert sich ein Mitarbeiter der betreffenden SEO-Agentur offiziell (z. B. in einem Blog oder auf einer Tagung), dann wird das Gericht diese Äußerungen in einem Rechtsstreit im Zweifel als richtig annehmen und keinen Sachverständigen beauftragen.

Beispiel: Der Mitarbeiter M der SEO-Agentur X äußert in einem Blog, dass durch das Penguin-Update sämtliche Backlink-Verträge sinnlos geworden seien, weil Google Backlinks keinerlei Bedeutung mehr beimesse.
In einem solchen Fall trifft den Kunden der SEO-Agentur X nicht mehr die Pflicht, die relevanten Umstände nachzuweisen. Da der Mitarbeiter M sich offiziell geäußert hat, muss sich SEO-Agentur X diese Äußerungen zurechnen lassen.

Aus Sicht einer SEO-Agentur ist somit dringend Vorsicht geboten vor Äußerungen mit solchen grundlegenden Fakten. Im Zweifel schneidet sich das Unternehmen nämlich ins eigene Fleisch. Sinnvoller ist es somit, nur von Tendenzen und Einschätzungen zu sprechen. In einem solchen Fall bieten dann die Äußerungen keine ausreichende Grundlage und der Kunde bleibt auch weiterhin zum Nachweis verpflichtet.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den aktuell verschickten blauen Briefen von Google. Der vom Suchmaschinenriesen über die Google-Webmaster-Tools verbreitete Text enthält ein wichtiges Wort, nämlich „eventuell“. Der wichtigste Satz lautet:

„Wir haben festgestellt, dass auf einigen Seiten Ihrer Website eventuell Techniken verwendet werden, die gegen die Webmaster-Richtlinien von Google verstoßen.“

Diese Einschränkung zeigt, dass auch diese Nachricht – juristisch gesehen – unverbindlich ist. Google sagt nicht, dass die Webseite eindeutig Spam-Links enthält, sondern teilt nur mit, dass sie möglicherweise welche enthält. Somit kann sich ein Kunde auch nicht auf diese blauen Briefe als Beweis berufen.

Darüber hinaus müsste, selbst wenn dem blauen Brief eine rechtlich relevante Bedeutung zukäme, der Kunde nachweisen, dass Google sich in seiner Mitteilung auf die von der SEO-Agentur vorgenommenen Optimierungshandlungen bezieht. Hat der Kunde nämlich noch eine weitere SEO-Agentur beauftragt oder optimiert zusätzlich selbst, so ist unklar, auf welche Aktivitäten genau sich Google hier bezieht. Da es in diesen Fällen genauso gut sein kann, dass der Suchmaschinenriese die Aktivitäten der anderen Agentur oder des Kunden beanstandet, wäre hier der Kunde verpflichtet nachzuweisen, worauf genau sich die Äußerungen beziehen. Dass ein solcher Nachweis von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, liegt auf der Hand.

2. Inhaltliche Anforderungen

Kommen wir nun zu der Frage, ob der Kunde überhaupt inhaltlich berechtigt ist, eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Dabei unterstellen wir einfach einmal, dem Kunden gelänge – wider Erwarten – der Nachweis, dass durch das Penguin-Update erhebliche Verwerfungen im Bereich der Suchmaschinenoptimierung stattgefunden haben.

a. Ausdrückliche vertragliche Regelungen

Existiert eine vertragliche Regelung zur Problematik, so greift diese grundsätzlich.

Beispiel: Im Standard-Vertrag der SEO-Agentur X ist eine Klausel enthalten, dass das wirtschaftliche Risiko bei Updates ausschließlich der Kunde trägt und für diese Fälle eine außerordentliche Kündigung ausgeschlossen wird.

Mit einer solchen Regelung ist jedoch aus zweierlei Gründen Vorsicht geboten: zum einen, weil sehr fraglich ist, ob eine solche Klausel auch tatsächlich wirksam ist, denn selbst im B2B-Bereich dürfte eine solche Bestimmung schon AGB-rechtlich mehr als bedenklich sein. Zum anderen, und das ist in der Praxis der wichtigere Grund, vergrault die SEO-Agentur damit in aller Regel ihre Kunden. Jeder, der einen solchen Vertrag in den Händen hält und sich durchliest, wird die Risikoverteilung als ungerecht und unfair empfinden. Der Ärger mit dem Kunden ist somit vorprogrammiert.

Daher finden sich auch in den seltensten Fällen entsprechende Klauseln in den gängigen SEO-Verträgen.

b. Keine ausdrücklichen vertraglichen Regelungen

In der Praxis ist der Regelfall vielmehr, dass der SEO-Vertrag keine ausdrückliche Regelung zu diesem Umstand enthält.

aa. Kündigung nur in angemessener Frist

Eine Kündigung des Kunden ist bereits dann formal-juristisch unbegründet, wenn der Kunde seit Kenntnis zu lange Zeit hat verstreichen lassen (§ 314 Abs. 3 BGB). Das Gesetz selbst spricht von „angemessener Frist“ und lässt somit offen, was genau darunter zu verstehen ist. Die genaue Frist wird man nur in Kenntnis der konkreten Umstände des Einzelfalls bestimmen können. Angemessen erscheint nach der Rechtsprechung in der Regel eine Frist von ca. zwei Wochen.

Kündigt der Kunde erst nach Ablauf dieser Frist, läuft der Vertrag unbehelligt weiter. Die ausgesprochene Beendigung des Kontraktes kam zu spät und ist somit unwirksam.

bb. Wichtiger Grund

Die entscheidende Frage ist, ob das Penguin-Update juristisch ein wichtiger Grund ist. Das Gesetz selbst erklärt, dass „ein wichtiger Grund dann vorliegt, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann“ (§ 314 Abs. 1 S. 2 BGB).

Eine ähnliche Regelung findet sich auch an anderer Stelle im Gesetz. Dort heißt es: „Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann“ (§ 313 Abs. 1 BGB).

Die relevante Frage ist somit: Wer trägt das wirtschaftliche Risiko für ein solches Google-Update?

Wie die Gerichte die Frage beantworten werden, lässt sich nicht sicher vorhersagen. Vieles spricht jedoch dafür, dass die Robenträger hier keinen wichtigen Grund annehmen werden. Beiden Parteien war nämlich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannt, dass Google in schöner Regelmäßigkeit seine Algorithmen ändert. Das Penguin-Update ist somit also kein Umstand, der nicht im Vorhinein bekannt war. In Kenntnis dieser Umstände haben die Parteien gleichwohl einen längerfristigen Vertrag geschlossen. Da die Parteien Unternehmer und somit weniger schutzbedürftig sind als Verbraucher, trägt jede Seite das wirtschaftliche Risiko grundsätzlich selbst. Wenn ein Kunde und eine SEO-Agentur somit einen zwölfmonatigen Vertrag vereinbaren, muss der Kunde diese Laufzeit auch grundsätzlich gegen sich gelten lassen. Will der Kunde hingegen flexibler auf solche Updates reagieren, kann er einen ausdrücklichen Kündigungsgrund für solche Fälle oder eine kürzere Laufzeit vereinbaren. Tut er dies nicht, so trägt er allein das wirtschaftliche Risiko.

cc. Art des Vertrages

Selbst wenn ein Gericht anders entscheiden und einen wichtigen Grund bejahen würde, so kommt eine außerordentliche Kündigung von vornherein nur für bestimmte SEO-Verträge in Betracht. Hat nämlich das Google-Update keine relevante Veränderung für die Vertragsleistung zur Folge, so besteht kein Kündigungsrecht.

Beispiel: Die SEO-Agentur hat einen reinen Beratungsvertrag mit ihrem Kunden. Durch das neueste Google-Update verändern sich einzelne Ranking-Faktoren.

Hier besteht kein Kündigungsrecht, denn die Beratungsleistung ist durch die Änderung der Ranking-Faktoren nicht negativ betroffen.

Etwas anderes hingegen gilt, wenn die Leistung nahezu wertlos werden würde:

Beispiel: Die SEO-Agentur hat einen reinen Backlink-Vertrag mit ihrem Kunden. Durch das neueste Google-Update haben Backlinks jede Bedeutung verloren.

Hier hat die vertragliche Gegenleistung jeden Wert verloren, sodass – wenn man einen wichtigen Grund annehmen würde – ein Recht auf außerordentliche Kündigung bestünde.

C. Ergebnis:

Es ist weit und breit nicht erkennbar, dass ein Kunde durch das aktuelle Penguin-Update berechtigt ist, seinen laufenden SEO-Vertrag zu kündigen, denn der Kunde wird zum einen nur schwerlich nachweisen können, dass es überhaupt zu gravierenden Veränderungen gekommen ist. Zum anderen trägt nicht die SEO-Agentur, sondern der Kunde in solchen Fällen das wirtschaftliche Risiko.