The Digital Intelligence Gyroscope

Ralf Haberich
Ralf Haberich

Ralf Haberich trägt als Chief Commercial Officer bei Webtrekk die globale Verantwortung für Vertrieb & Marketing und leitet das internationale Team. Zudem steuert er ehrenamtlich als (Co-)Chairman der Digital Analytics Association (DAA, ehemals WAA) die Aktivitäten des Interessenverbandes in Deutschland und forciert die Positionierung des Themas Webseitenanalyse in den Medien sowie den relevanten Zielgruppen in Wirtschaft und Politik. Ralf Haberich ist Herausgeber des renommierten deutschsprachigen Blogs für Web Analytics und Online-Marketing: Web Analytics Europa (www.web-analytics-blog.de).

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Die Bedeutung der Webanalyse ist bei den meisten Unternehmen noch immer nicht richtig angekommen – oder bleibt ein internes Werkzeug der Fachabteilung. Der Web-Analytics-Experte Ralf Haberich zeigt auf, welche Erkenntnisse eine ganzheitliche Sicht und vor allem eine integrierte Darstellung für Unternehmen bringen können, und gibt wertvolle Tipps für den Einsatz.

Ihren Erfolgsweg startete die Webanalyse über die IT-Abteilungen in den Unternehmen. Die IT-Experten dort waren die einzigen Mitarbeiter, die aus Logfiles oder anderen Inhalten wesentliche Informationen extrahieren und diese verstehen konnten, um daraus statistische Auswertungen zu bilden. Bei den Inhalten handelte es sich zwar um rudimentäre Informationen, aber sie waren trotzdem zahlreicher, als man sich bis dato hatte vorstellen können. 

Recht bald danach gesellten sich die Marketingabteilungen zum Kreis der Web-Analytics-Interessenten und -Nutzer, da sie entdeckten, dass zum einen außerordentlich viele Inhalte für die täglichen Entscheidungen hilfreich und relevant waren und zum anderen die Webanalyse-Zahlen für statistische Arbeiten im Detail nutzbar gemacht werden konnten. Über die Zeit banden die Marketingabteilungen das Thema Webanalyse innerhalb der Unternehmen immer stärker an sich und übernahmen es letztlich komplett, während der Einfluss der IT-Abteilungen sank.

Im Lauf der Jahre und simultan mit der steigenden Bedeutung des Internets erfuhr über die Marketingabteilung auch die Geschäftsführung vom neuen Tool und dem daraus resultierenden Erkenntnisgewinn und Web Analytics wurde vom Management nicht nur als Kostenfaktor, sondern als lukrative Investition erkannt. Da in dieser Zeit bei fast jedem Unternehmen der Einfluss der eigenen Website rasant wuchs, wurde die Webanalyse zügig in das fixe Instrumentarium fast aller Unternehmen aufgenommen, vor allem im E-Commerce, aber auch bei Lead-Generierungs-Seiten sowie im Publishing-Bereich. Aus der Perspektive eines Top-down-Managements handelte es sich hierbei um einen verständlichen Schritt und heute fließen Web-Analytics-Kennzahlen oft in die täglichen Management-Board-Reports ein. 

Webanalyse wird noch längst nicht in jeder Abteilung genutzt

Webanalyse hat sich also zum festen Bestandteil wichtiger Entscheidungs- und Zielprozesse auf nahezu jeder Unternehmensebene entwickelt – aber noch längst nicht in jeder Abteilung! Sie birgt immer noch enormes ungenutztes Potenzial: Jeder Unternehmensbereich kann von Informationen aus der Webanalyse profitieren und mit deren Hilfe die eigene Effizienz verbessern – und nicht nur Klickzahlen im Abteilungsbereich der Website steigern.

Web Analytics protokolliert tatsächliche Aktionen in realer Umgebung und hilft damit auf anonymisiertem Wege, das Verhalten der menschlichen Zielgruppen zu analysieren und die eigenen Produkte sowie das Unternehmensbild nach außen optimal darauf abzustimmen. Dabei arbeitet die Webanalyse schneller als eine Marktforschung und ihre Ergebnisse sind detaillierter, gleichzeitig analysiert sie umfassender als es nur mit Consulting möglich wäre.

„Die Webanalyse arbeitet schneller als jede Marktforschung.“

Für den nächsten Evolutionsschritt wird die Webanalyse wie das Zentrum eines Kreisels (engl.: „Gyroscope“) zu einem Informations-Hub, von dem aus alle Abteilungen des sich dynamisch bewegenden Unternehmens ständig mit relevantem Wissen versorgt werden. Hier ist es auch an der Zeit, vom Begriff Web Analytics etwas Abstand zu nehmen und das Feld weiter zu fassen. Nicht mehr nur das Web ist der alleinige Kanal für Kommunikation mit dem Kunden. Die gesamte verfügbare digitale Kanalpräsenz bietet Potenzial zur Analyse – und weiterführend zur Sammlung von Daten, die bei professioneller Nutzung in Intelligenz umgewandelt werden können: Digital Intelligence.

Die Geschäftsführung ist gefragt

Bisher gibt es Unternehmensbereiche, die im direkten und regelmäßigen Austausch mit Web Analytics stehen, und Abteilungen, die lediglich indirekt mit Web Analytics arbeiten. Die direkten Abteilungen wie das Marketing und die IT interagieren dabei wie bereits ausgeführt sehr stark mit der Webanalyse, während die indirekten Abteilungen, wie Human Ressources, Social-Media-Kommunikation und Produktabteilung – auf die noch näher eingegangen wird – bisher nur passiv Informationen aus den Web Analytics ziehen, oft über einen automatisierten Versand, meistens jedoch ohne eigenes Login zum Tool.

Die beiden Ebenen können sich aber noch viel stärker als bisher sinnvoll ergänzen und voneinander profitieren, wenn Inhalte aus der Webanalyse in den verschiedenen Bereichen mehr (oder manchmal sogar erstmals) Beachtung finden und zudem die Ergebnisse aus der Webanalyse zwischen den Unternehmensbereichen stärker ausgetauscht und vernetzt werden. 

„Die Geschäftsführung muss integriert werden!“

Voraussetzung dafür ist ein noch stärkeres Engagement der Geschäftsführung im Bereich der Webanalyse: Sie sollte in einem ersten Schritt die Unternehmensziele in die Webseitenziele integrieren und danach den neuen Umgang mit den Webanalysezahlen in Handlungsanweisungen umsetzen und somit Top-down für alle Abteilungen verbindlich festschreiben. Im Gegenzug wird der Gewinn für das Management Board hoch sein – mit der Einführung von Webanalyse in Abteilungen, die bisher nur indirekt damit in Kontakt kamen, können Umsatzsteigerung und Gewinnmaximierung erreicht werden, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Leistungen des Web-Analytics-Kreisels für die Abteilungen
Marketing, Personal, Social Media, Produktmanagement

Die Leistungen der ganzheitlichen Webanalyse für die direkt beteiligten Abteilungen sind heute schon sichtbar. So nutzt das Marketing die Webanalyse nicht etwa nur für die Statistik. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten sinken zwar die Gesamt-Marketingbudgets, gleichzeitig steigt aber das Online-Marketingbudget, denn Online-Werbung ist direkter, verzeichnet weniger Streuverluste und die Wege des Kunden sind nachvollzieh- und messbarer als in Offline-Kanälen wie Print, TV & Co. Mithilfe von Webanalyse erhebt das Marketing hier also Daten für die Zukunft und optimiert auf deren Basis seine Online-Marketingmaßnahmen, um das Maximum aus seinem Budget herauszuholen. Dazu zählen zum Beispiel die Planung von Bannerkampagnen und die Optimierung laufender Kampagnen auf Grundlage der beobachteten Klickpfade des Kunden.

Doch wie profitieren die bisher nur indirekt beteiligten Abteilungen, wenn die Webanalyse in ihren Berufsalltag integriert wird? 

Die Human-Ressources- bzw. Personal-Abteilung steht einer Vielzahl an Jobportalen gegenüber, von denen nach eigener Aussage jedes am besten für die Veröffentlichung von Stellenanzeigen des Unternehmens geeignet ist. Aktuell erfolgt die Bewertung der Portale zumeist anhand der Eigenaussagen der Anbieter und der Anzahl der eingegangenen Bewerbungen. Digital Intelligence bietet hier deutlich mehr: eine neutrale, unternehmenseigene Bewertung, eine größere Vielfalt an Bewertungskriterien und vor allem einen tieferen Blick in die Passgenauigkeit der einzelnen Lebensläufe pro Jobportal. Es lässt sich messen, wie viel Interesse in einem Kanal, also einem Bewerberportal, vorhanden ist: Webanalyse zeigt, wie viele Besucher, die auf dem Jobportal auf eine Stellenausschreibung klicken, auch auf die Website kommen und ob die potenziellen Bewerber dort zuerst auf die Stelleninhalte klicken oder sich über die Produkte informieren. Die Resultate lassen Rückschlüsse z. B. auf den Bekanntheitsgrad des Unternehmens und der Produkte zu und zeigen eventuellen Handlungsbedarf im Bewerbermarketing auf. Informationen aus der Webanalyse, die über die Qualität der Bewerber aufklären, unterstützen die Personaler bei der Bewertung der einzelnen Kanäle. Die Personalabteilung kann eine Suche mithilfe von Webanalyse gezielter z. B. nach gewünschtem Qualifikationslevel der Bewerber aussteuern, wenn sie weiß, welches Portal üblicherweise welche Qualifikationslevel liefert. Hierdurch öffnen sich neue Möglichkeiten zur Zeit- und Kostenersparnis. 

„Was machen eigentlich potenzielle Bewerber auf den Webseiten?“

Die Social-Media-Maßnahmen werden in den meisten Unternehmen immer noch relativ einzeln und nicht im Zusammenhang mit der hauseigenen Webanalyse betrachtet. Social-Media-Tools liefern viele spannende Daten, aber erst die Verbindung dieser Fremd- mit den Onsite-Daten, d. h. den Daten der Websiteanalyse, können den vollen Nutzen von Social Media zeigen. Ein Beispiel: Ein E-Commerce-Betreiber kann über Facebook 10.000 neue Fans gewinnen. Doch was bringt ihm die gestiegene Anzahl der Fans für seinen E-Shop bzw. seinen Markt generell? Handelt es sich bei den generierten 10.000 Personen um qualifizierte Fans oder war die Facebook-Kampagne nur im Sinne der Markenbildung erfolgreich, d. h. 10.000 Leute kennen nun das Unternehmen, kaufen aber nicht dort? Diese Synergieeffekte erkennt der Webanalyst kanalübergreifend; er kann somit viel dazu beitragen, die Social-Media-Präsenzen unter Berücksichtigung der konkreten Zielsetzungen des Unternehmens auszusteuern.

Auch für die Produktabteilung kann Webanalyse viel leisten. Alle Produktmanager, Produktgruppen- bzw. Produktkategorienverantwortlichen sollten sich darüber informieren, wie ihre Produkte auf der Website performen, in den Unterkategorien, aber vor allem auch auf der Startseite: Hilft die Platzierung auf der „teuersten“ Werbeplatzierung, der Homepage, die gesamte Produktkategorie nach vorn zu bringen oder einzelne Produkte stärker zu verkaufen? Eine professionelle Auswertung der Webanalyse zeigt beispielsweise, welche Bundles, also Komplettangebote aus zwei bis drei Produkten, gefragt sind, und hilft so, Produkte weiter vorn zu platzieren. So werden vielleicht üblicherweise schwarze Herrenschuhe und schwarze Socken häufig zusammen bestellt, aber je nach Saison auch Kombinationen, die nicht unbedingt logisch herleitbar sind, sich aber aus den Klickpfaden des Kunden ergeben, z. B. zu Weihnachten die gemeinsame Bestellung von schwarzen Herrensocken und Damenparfum. Webanalyse erleichtert hier den Websitebesuchern das Einkaufen und Produktmanagern die Arbeit.

„Herrensocken und Parfum als Kombination? Die Webanalyse gibt Aufschluss.“

Webanalyse wird Kompetenz-Hub: „Warum“-Fragen aller Abteilungen erklären

Die Vorteile liegen auf der Hand, die Umsetzung muss zuallererst in den Köpfen erfolgen: Die Geschäftsführung muss die Web-Analytics-Abteilung als zentralen Informations-Hub begreifen, in dem alle Daten schon via Digital Intelligence vorhanden sind – und den bisher großen, ungenutzten Teil den einzelnen Abteilungen zugänglich machen. Nur so erfährt der momentan Bottom-up agierende Webanalyst die Top-down-Unterstützung, die er benötigt, um alle Abteilungen vom Nutzen der Webanalysezahlen zu überzeugen. 

Das Webanalyse-Tool versorgt mit den wesentlichen und nötigen Informationen, diese werden vom internen oder externen Web-Analytics-Experten bewertet und so mit Antworten auf die spezifischen „Warum“-Fragen aller Abteilungen angereichert.

Nach dem Ansatz der ganzheitlichen Webanalyse, dem Web Analytics Gyroscope, wird die Webanalyse idealerweise zu einer zukunftsorientierten, unternehmenssteuernden und alle Abteilungen inspirierenden Kompetenzabteilung. Damit steigt das aktive Wissen des gesamten Unternehmens und das Niveau der Entscheidungen wird beflügelt. Dabei ist es einfacher, Web Analytics im Unternehmen und den einzelnen Abteilungen zu verankern, wenn es eine vom Management gelenkte Top-down-Entscheidung ist, dass hier wichtige und budgetrelevante Fragestellungen für aktuelle und zukünftige Maßnahmen getroffen werden können.

Interview mit Ralf Haberich

Website Boosting:Herr Haberich – was waren für Sie in den 10 Jahren Online-Marketing die wichtigsten Learnings?

Ralf Haberich: Die Branche bewegt sich unglaublich schnell. Schritt zu halten, ist nicht das Wichtigste, sondern einen entscheidenden Schritt voraus zu sein! Jegliche neuen Trends heißt es, zu prüfen und vor allem auf Relevanz zu kontrollieren. Ich erinnere an SecondLife … Neue Kommunikations- und Vertriebskanäle wie Twitter, Facebook und Co sind hier weitaus erfolgreicher und benötigen von Anfang an entsprechende Aufmerksamkeit. Es ist schön zu sehen, wie sehr die Online-Branche auch gesamtgesellschaftlich in den Mittelpunkt gerückt ist. Klassisch orientierte Medien wie FAZ oder WirtschaftsWoche haben bereits häufig Titelseiten mit Online-Themen belegt und neue Magazine wie Webselling oder LEAD Digital unterstreichen den Stellenwert. Die Menschen im Online-Bereich erscheinen mir lebendiger und aktiver als in anderen Branchen. Ich hoffe, das bleibt so, auch wenn Online irgendwann sehr erwachsen wird.

Welche Disziplin muss ein Web-Analyst am besten beherrschen, wie sähe denn aus Ihrer Sicht ein Job-Profil aus?

Der Web-Analyst ist eine erst seit wenigen Jahren genutzte Berufsbezeichnung – und aus meiner Sicht ist die Bezeichnung mittlerweile schon wieder zu eng gesetzt, denn die Analyse und die Intelligenz der Datenauswertung muss auf allen Kanälen stattfinden, bis hin zu Mobile, Apps und mehr, aber auch als Verbindung zu den klassischen Offline-Daten, die innerhalb eines geeigneten Analytics-Systems eingebracht und bewertet werden können. Es gibt durchaus eine Relation zwischen Wetterdaten und dem Abverkauf einzelner E-Commerce Produktkategorien. Außerdem haben wir in einer detaillierten Analyse für einen großen Modekonzern herausgefunden, dass es Sinn machen kann, die einzelnen Models innerhalb der Website zu analysieren. Hier fließen Aspekte wie Haarfarbe, Geschlecht und "Typ" mit in die Bewertung ein, um zu erkennen, welche Models welche Kleidungsstücke durch ihre Darstellung am besten verkaufen können. Ein spannender Ansatz. Der Analyst sollte sehr offen für den Blick über den Tellerrand sein, um solche Beziehungen aufzunehmen und zu verstehen. Außerdem ist eine Fokussierung wichtiger Bestandteil eines guten Analysten, da man sich sonst sehr schnell in Zahlen verlieren kann. Die KPIs sind also ein wichtiger Faktor und um diese Informationen herum weitere Felder der Analyse. Eine für Zahlenmenschen seltene Eigenschaft sollte ebenfalls gewährleistet sein: proaktive Kommunikation. Hierbei ist es wichtig, mit anderen Abteilungen zu sprechen, aber auch mit anderen Unternehmen den Austausch zu suchen. Auch innerhalb des Unternehmens muss der Web-Analyst auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung kommunizieren können. 

Sie sind jetzt 100 Tage neu im Amt bei Webtrekk – wie ist denn dort Ihr Alltag?

Spannend! Das gesamte Team ist sehr aktiv und eng vernetzt, die Wege kurz. Wenn in regelmäßigen Meetings, an denen CEO und CTO ebenfalls teilnehmen, Entscheidungen getroffen werden, ist die Umsetzung sehr zeitnah erfolgreich. Das ist ein großer Unterschied zu anderen Unternehmen der Branche. Das internationale Team wächst und wir sind sehr gut global vernetzt. Soeben haben wir in Russland den größten E-Commerce-Anbieter im Bereich "Schuhe" gewinnen können. Auch weitere Neukunden konnten bereits gewonnen werden – außerdem planen wir, neben unserem Büro in Mailand noch weitere internationale Niederlassungen zu eröffnen.