Der Page View ist tot – es lebe das Social Page Engagement

Marco Hassler
Marco Hassler

Marco Hassler ist Partner und Business Unit Manager des Web-Dienstleisters Namics. Seit über 10 Jahren beschäftigt er sich mit der erfolgsorientierten Nutzung von Web Analytics und berät zahlreiche namhafte Kunden. Darüber hinaus ist er als Buchautor des Standardwerks „Web Analytics“ bekannt sowie als Fachdozent an Hochschulen und als Herausgeber der iPhone-App „Dashboard für Google Analytics“ tätig. Zu aktuellen Web-Analytics-Themen blogged er unter www.web-analytics-nutzen.de.

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Noch vor wenigen Jahren war eine Website ein Instrument, mit dem ein Unternehmen Informationen, Angebote und Botschaften einfach in die Welt hinausposaunte. Ob dieses Konzert beim Zuhörer mit freudigem Applaus oder müdem Schnarchen aufgenommen wurde, war egal – solange nur der Konzertsaal gefüllt war. Nur so lässt es sich interpretieren, wenn Unternehmen den Erfolg ihres Website-Inhalts mit Zahlen wie Page Views, Visits und Visitors zu belegen versuchten: Hauptsache, die Seite wird aufgerufen – ob sie informativ, spannend, begeisternd oder dröge ist, interessiert nicht. Zum Glück ist es mit dieser Einstellung im Social Web vorbei – wer heute nicht auf sein Publikum eingeht und hierfür dank neuer Web-Analytics-Kennzahlen über ein entsprechendes Sensorium verfügt, hat schlechte Karten in der Hand.

Eine zeitgemäße Website setzt auf Interaktion mit ihren Besuchern und nutzt hierfür auch die Möglichkeiten, die das Social Web bietet. Auch auf Unternehmens-Websites ist es daher heute gang und gäbe, dass Inhalte gebookmarkt, bewertet, kommentiert, geliket, +1’et oder getweetet werden können. Ausdruck hierfür sind die vielen „Gefällt-mir“- und Bookmarking-Buttons, die inflationär nicht mehr nur Blogs, sondern auch E-Commerce-Sites und gar Corporate-Websites erfasst haben. Die bereitgestellten Informationen erlangen durch die Beurteilung der Betrachter eine ganz neue Dimension von Qualität und Kredibilität – zumal Menschen als soziale Wesen gerne auf individuelle Empfehlung anderer Menschen oder gar Freunde hören anstatt nur auf die geschliffenen Botschaften von Unternehmen. 

Neue Kennzahlen fürs soziale Web

Mit diesem Wandel von der Publikations- zur Interaktions-Website ändern sich auch die Messgrößen, welche die Qualität und den Erfolg von Website-Inhalten beurteilen. Klassische Inhaltskennzahlen wie Page Views, Verweildauer und Absprungrate eignen sich gut für statische Inhaltsseiten. Sobald allerdings die Interaktion mit dem Besucher gemessen werden soll, sagen solche Metriken wenig aus. Stattdessen wird für eine solide Messung der Interaktion ein neues Set an Kennzahlen notwendig, die man unter dem Begriff „Social Engagement“ zusammenfassen kann. Social-Engagement-Kennzahlen messen auf Seitenebene auf der eigenen Website die Nutzung der einzelnen Interaktionsmöglichkeiten wie Kommentare, Likes oder Bookmarks. Sie sagen damit aus, wie hoch die effektive Begeisterung oder eben das Engagement zu einem Inhalt ist. 

Web-Analytics-Systeme wie Google Analytics (Abbildung 2) können solche Engagements seit einiger Zeit ausweisen und unterscheiden dabei zum Beispiel nach sozial engagierten Besuchen – wenn der Besuch ein Like, +1, Tweet oder ähnlich beinhaltete – oder eben sozial nicht engagierten Besuchen. Für eine einzelne Seite lässt sich damit in den Auswertungen schnell erkennen, inwieweit diese bei den Besuchern Emotionen weckt oder eben nicht. Das ist schon einmal viel wert: Viel besser lässt sich nun einschätzen, welche Inhalte tatsächlich interessant für Besucher sind. Betrachtet man zum Beispiel für eine News-Website oder einen Blog die sozialen Aktionen zu unterschiedlichen Artikeln, dann lässt sich nun einfach erkennen, welche Stories ziehen. Bei solchen Themen lohnt es sich dann, mehr Beiträge ähnlicher Natur zu publizieren. Aber auch zum Beispiel auf Produkte-Sites lässt sich mittels Anzahl der Shares, Bookmarks oder Tweets eruieren, welche Neuerungen gut ankommen oder welche Produkte aktuell besonders hohe Beliebtheit genießen.

Je mehr soziale Aktionen unterschiedlicher Art auf einer Website genutzt werden, desto schwieriger wird jedoch auch eine Auswertung. Ist nun ein mit 15 Kommentaren versehener Inhalt wertvoller als jener mit den 50 Facebook-Likes – oder eher umgekehrt? Zählen die vier Bookmarks, sieben Shares und drei Tweets zum einen Artikel nun mehr oder weniger als die zwei Bookmarks, 15 Shares und zwei Tweets zum anderen Artikel? Die unterschiedlichen sozialen Aktionen verlangen nach einer differenzierten Betrachtung des Engagement-Grades, um eine veritable Aussage treffen zu können.

Applaus, Verstärkung, Dialog

Auch bei Besuchern von Konzerten kennt man verschiedene Abstufungen im Ausdruck ihrer Begeisterung: Applaus in Form von Klatschen ist dabei meist die erste Stufe des Engagements. Standing Ovations sind eine Steigerungsform. Die höchste Form der Unterhaltung entsteht schlussendlich, wenn es ein Künstler schafft, einen Dialog mit dem Publikum aufzubauen und dieses mit interaktiven Elementen in die Vorstellung einbindet. 

Eine ähnliche Klassierung kann man beim sozialen Engagement von Website-Besuchern vornehmen. Avinash Kaushik, eine der größten amerikanischen Web-Analytics-Koryphäen, unterscheidet dabei nach den drei Stufen Applaus, Verstärkung und Dialog: Applaus auf einer Website sind Facebook-Likes oder Google +1’s. Der Besucher klatscht hier virtuell zu einem ihm zusagenden Inhalt. Eine „Verstärkung“ tritt dann ein, wenn ein Inhalt auf Facebook geteilt oder per Twitter gepostet oder retweetet wird. Hier erzählt der Besucher Freunden und Familie virtuell von dem Ereignis. Die Stufe des Dialogs schließlich wird dann erreicht, wenn sich ein Besucher zum Beispiel per Kommentar oder Antwort über einen sozialen Kanal am Inhalt beteiligt. 

Mit einer solchen Abstufung lassen sich die sozialen Aktionen auf einer Website schon einmal ganz gut abstufen und viel leichter interpretieren. Ein Inhalt mit viel Applaus gefällt den Besuchern. Allerdings wird der Inhalt vielleicht noch als eher fokussiert eingestuft, als dass sich ein breiterer Freundeskreis dafür interessieren könnte. Deshalb wird dieser vielleicht noch nicht geteilt. Dies tritt erst bei einem Inhalt mit viel verstärkender Wirkung ein: Nutzer gehen hier davon aus, dass dies nicht nur für sie, sondern für einen großen Teil der Bekannten von Interesse sein könnte. Vielfach ist dies bei emotionaleren Inhalten zu sehen, z. B. wenn es um politische Themen, sportliche Zugehörigkeit, Marken oder Statusobjekte geht. Erst wenn jedoch Besucher in den Dialog treten, ist die emotionale Verbindung zu dem Inhalt so hoch, dass sogar diese Kommunikationshürde überwunden wird.

Der Social Engagement Score

Obwohl die Abstufung nach Applaus, Verstärkung und Dialog nützliche Einblicke in die Wirkung eines Inhalts bietet, bleibt die Übersicht schwierig. Jede Inhaltsseite muss erst in diesen drei Dimensionen betrachtet werden, um Aktionen ableiten zu können, wodurch der Gesamtüberblick nicht erhöht wird. Ein einfacheres und übersichtlicheres Instrument bietet dagegen die Kennzahl des „Social Engagement Score“. Die Idee hinter einer solchen Scorezahl ist es, die verschiedenen sozialen Aktionen entsprechend ihrer Bedeutung zu gewichten und dann in einem einzigen Messwert pro Seite zusammenzufassen. 

Einem Kommentar auf einer Seite würde man so zum Beispiel als sehr hohes soziales Engagement definieren und mit einem Faktor von zehn gewichten. Ein Tweet über dieselbe Seite wäre mäßiges Engagement mit vielleicht einem Gewichtungsfaktor von vier. Ein Social Bookmark oder ein Rating eines Inhalts wäre ein leichtes Engagement mit lediglich einem Gewichtungsfaktor von eins oder zwei. Eine heiß diskutierte Inhaltsseite mit fünf Kommentaren und keinem Tweet erhält dann richtigerweise einen höheren Score als eine interessante Seite ohne Kommentare und dafür mit zehn Tweets. Auf diese Weise gelingt es nun, das Engagement der Besucher zu einer Seite konsolidiert in einer Zahl wiederzugegeben.

Wie die unterschiedlichen sozialen Aktionen untereinander gewichtet werden, ist schlussendlich abhängig von den individuellen Website-Zielen und davon, welche sozialen Aktionen man als Website-Betreiber auslösen möchte. Eine mögliche Gewichtung, die eher auf einen hohen Dialog abzielt, zeigt die folgende Zusammenstellung:

Soziale Aktion:Gewichtungsfaktor
Kommentar:10
Facebook-Share: 7
Twitter-Tweet: 6
Facebook-Like: 4
Facebook-Unlike: -4
Google +1: 3
Google -1: -3
Bewertung/Rating: 2
Social Bookmark (z. B. Delicious, Digg, Reddit, Mister Wong): 2

Für eine spätere Auswertung des Scores ist entscheidend, dass auch Unlikes und -1’, d. h. wenn Besucher ihren Applaus aus irgendwelchen Gründen zurücknehmen, mit in die Bewertung einfließen. Mit einer entsprechenden Negativgewichtung kann auch dieser Spezialfall einfach berücksichtigt werden.

Aus einer solchen Gewichtung lässt sich nun für jede Seite ein entsprechender Social Engagement Score errechnen, nämlich indem die einzelnen Aktionen gewichtet und zusammengezählt werden. Eine Seite mit drei Kommentaren, sieben Facebook Likes und zwei Bookmarks erhält so einen Score von 62 (3 x 10 + 7 x 4 + 2 x 2).

Natürlich ist es nun zweckmäßig, wenn man eine solche Rechnung nicht selbst im Kopf für jede Inhaltsseite durchführen muss, sondern dies ein Web-Analytics-System übernimmt. Google Analytics kann dies – wenn man einige Kniffe anwendet – wie in Abbildung 4 ausgeben. Die Auswertung zeigt zu einer Liste mit verschiedenen Inhaltsseiten, wie viele Male auf der jeweiligen Seite soziale Aktionen vorgenommen wurden (Spalte „Ereignisse gesamt“) und welcher Social Engagement Score (Spalte „Ereigniswert“) erzielt wurde. Auffällig ist im Beispiel, dass die Seite „Next Generation Commerce“ zwar am meisten Aktionen erzeugt, diese jedoch einen geringeren Social Engagement Score generieren als zum Beispiel die Seite „Life in 2020“, womit letztere Seite als die inhaltlich wertvollere zu deuten ist. 

Noch größere Unterschiede in der Beurteilung eines Inhalts lassen sich ausmachen, wenn man den Social Engagement Score einer Seite nun den entsprechenden Page Views der Seite gegenüberstellt. Jetzt wird erst recht ersichtlich, dass eine höhere Anzahl Page Views überhaupt nicht mit einem höheren Social Engagement Score korrelieren muss. Im Gegenteil wäre es geradezu sträflich, heutzutage auf Basis des Page Views die Attraktivität einer Inhaltsseite beurteilen zu wollen – diese Ansicht stammt noch aus alten Zeiten vor dem Social Web.

Soziale Aktionen mit Google Analytics messen

Während Page Views in jedem Web-Analytics-System standardmäßig gemessen werden, ist das Messen sozialer Aktionen oder des Social Engagement Scores noch mit Konfigurationsarbeit verbunden. In Google Analytics zum Beispiel, dem verbreitetsten Web-Analytics-System, werden zwar die Klicks auf die Google-+1-Buttons ohne weiteres Zutun in den Berichten ausgegeben, für Facebook-Likes, Tweets oder andere soziale Aktionen muss hingegen bei einem entsprechenden Klick auf die jeweilige Schaltfläche ein zusätzliches Tracking-Ereignis ausgelöst werden. Damit dies passiert, wird technisch der HTML-Quellcode um eine Codezeile ergänzt, die dann zum Beispiel für ein Facebook-Like-Button wie folgt aussieht:

_gaq.push(['_trackSocial', 'facebook', 'like', targetUrl]);

Diese Code-Zeile macht nichts anderes, als an Google Analytics zu übermitteln, dass der zu einer bestimmten Zielseite (targetUrl) zugehörige Facebook-Like-Button geklickt wurde. Für Twitter, Bookmarks oder andere Dienste funktioniert dies analog. Zum Glück muss man sich den Code nicht komplett selbstständig ausdenken, sondern Google stellt eine Referenzimplemenitierung bereit (bit.ly/s3vLDK), welche relativ einfach für die eigene Website adaptiert werden kann. Noch einfacher kann man sich es machen, wenn man sämtliche soziale Aktionen unter dem Dienst von AddThis (www.addthis.com) konsolidiert. Dann reicht nämlich eine einzige zusätzliche Zeile Code für fast beliebig viele Social-Buttons. Die Anleitung für den Einbau eines Trackings der AddThis-Buttons ist unter bit.ly/sR4iyy abrufbar.

Den Social Engagement Score messen

Etwas aufwendiger wird es für die automatische Berechnung eines Social Engagement Scores, denn dafür ist Google Analytics – wie auch andere Web-Analytics-Systeme – noch nicht ausgelegt. Das sogenannte Ereignis-Tracking liefert hierfür jedoch den notwendigen Bausatz. Ereignis-Tracking wird eingesetzt, um das Messen von Geschehnissen innerhalb einer Seite zu ermöglichen – also zum Beispiel das Abspielen oder Stoppen von Videos, das Zoomen in einer Kartenanwendung oder das Klicken auf Links. Genauso lässt es sich das Ereignis-Tracking natürlich auch für die Messung von Social-Buttons einsetzen.

Anders als das oben vorgestellte Tracking-Verfahren für soziale Aktionen lassen sich mit dem Ereignis-Tracking jedoch zusätzliche Informationen an Google Analytics übergeben, nämlich zum Beispiel ein Wert für eine Gewichtung, wie wir sie für die den Social Engagement Score benötigen. Beim Absenden eines Kommentars, der mit Faktor zehn gewichtet ist, würde man so einen Code wie folgt hinter den Sende-Button einbauen: 

<input type="submit" onClick="_gaq.push(['_trackEvent', 'Engagement', 'Kommentar', document.title, 10]);" value="Kommentar" />

Für andere soziale Aktionen wie Likes, Tweets oder Bookmarks verfährt man analog und übergibt die entsprechende Gewichtung in einem vergleichbaren Aufruf. Konkrete und ausführliche Einbau-Beispiele für Facebook, Twitter und Google+ sind in der dritten und erweiterten Auflage des Buchs „Web Analytics“ beschrieben, zumal diese doch etwas umfangreicher sind. Diese Beispiele erlauben es aber, auch ohne vertiefte Programmierkenntnisse die wichtigen sozialen Aktionen einfach mittels Ereignis-Tracking in die eigene Website zu integrieren. Dadurch errechnet Google Analytics schlussendlich aus den verschiedenen übermittelten und gewichteten Aktionen einen Ereigniswert je Seite, der nun genau den Social Engagement Score darstellt und eine Auswertung gemäß Abbildung 4 bietet.

Mit der Messung sozialer Aktionen und des Social Engagement Scores in einem Web-Analytics-System sind nun die zentralen Instrumente gegeben, um sein Website-Publikum zu hören und den Begeisterungsgrad zu interpretieren. In Zukunft wird dieses Verständnis der Schlüssel sein, um geeignete Inhalte, Produkte und Dienstleistungen online anbieten und auf der Klaviatur des Social Webs mitspielen zu können. Bereits heute damit zu beginnen, lohnt sich also ganz sicher!