Ohne Inhalt ist alles nichts

Jens Jacobsen
Jens Jacobsen

Jens Jacobsen arbeitet seit 1996 als Konzepter und UX-Berater für interaktive Medien. Sein Schwerpunkt liegt auf der Vermittlung komplexer Inhalte aus Wissenschaft und Medizin sowie auf der benutzerfreundlichen Umsetzung von Websites, Apps und Informations-Anwendungen. Seit 2006 erstellt er auch Audio- und Video- Podcasts. Er betreibt das Konzepter-Blog benutzerfreun.de und ist Autor des Buchs „Website-Konzeption“, das gerade in der 6. Auflage bei Addison-Wesley erschienen ist.

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Der Spruch „Content is king“ ist zur Binsenweisheit geworden. Und trotzdem ist der Content erstaunlicherweise das, was am wenigsten Aufmerksamkeit bekommt, wenn eine Website erstellt wird. Das wollen Content-Strategen ändern und damit den Erfolg von Websites auch langfristig sichern.

Das Website-Projekt wird mustergültig angegangen: Der Konzepter definiert Geschäftsziel und Zielgruppe, die Informations-Architektur erstellt er nach einem Card-Sorting durch Vertreter der Zielgruppe, die Designs und die Navigation werden in Prototypentests geprüft und optimiert. Die Site geht online – und floppt. Die Besucher bleiben einfach aus. Leider passiert das allzu häufig. Einer der Gründe kann sein, dass man zu wenig auf das eigentliche Herzstück der Site geachtet hat: die Inhalte. Viel zu oft werden die Inhalte ganz am Schluss eingepflegt, das ganze Drumherum entsteht völlig unabhängig von ihnen.

Ebenso häufig gibt es das Problem, dass die Besucherzahlen ständig abnehmen, obwohl die Inhalte mehr und mehr werden. Es wird immer schwieriger, sich auf der Site zurechtzufinden und viele Inhalte sind veraltet. Nur findet keiner die Zeit, diese zu aktualisieren, weil ständig Neues produziert werden muss.

In beiden Fällen kann eine gute Content-Strategie helfen.

Der Begriff „Content Strategy“ tauchte um 2000 auf, seit 2004 wird mehr darüber gesprochen, aber erst in den letzten ein, zwei Jahren ist es ein Thema mit einer gewissen Breitenwirkung in der Webentwickler-Szene. 2010 fand die erste große Konferenz nur zu diesem Thema statt (Content-Strategy-Forum in Paris).

Warum erstellt man überhaupt Inhalte? Wenn man nicht Künstler ist, dann fürs Content-Marketing. Das heißt, Sie wollen mit den Inhalten ein Ziel erreichen – Sie wollen sich bekannt machen, Ihr Image stärken, für eine Idee werben oder etwas verkaufen. Ziele erreicht man mit Glück – oder man hat eine Strategie.

Der meiste Inhalt im Web wird aber einfach nur deshalb veröffentlicht, weil ihn jemand erstellt. Dieser jemand erstellt ihn, weil das Thema ihn gerade beschäftigt, weil es sein Chef interessant findet oder weil es andere gerade behandelt haben. Viel zu wenig Inhalt wird erstellt, weil sich jemand Gedanken darüber gemacht hat, dass die Nutzer seiner Site gerade jetzt gerade diese Inhalte brauchen. 

Dabei ist Content-Strategie wie Projektmanagement: Man kann es nicht „nicht“ machen, man kann es nur schlecht machen.

Heute ist Content-Strategie noch so unbekannt wie Informations-Architektur oder Usability Ende der 1990er-Jahre. Sehr häufig ist bei Webprojekten immer noch die Einstellung: „Den Content liefert der Kunde am Ende des Projekts und wir bauen ihn dann ein.“

Das Problem mit CMS

Dass der entscheidende Teil jeder Website der Content ist, das war seit den ersten Websites in den 1990ern klar. Trotzdem wurde der Content jahrelang vernachlässigt, ja sogar als Problem behandelt. Mit größer und größer werdenden Sites wurde der Umgang mit den Inhalten immer komplexer. Die scheinbare Lösung für das Problem waren Content-Management-Systeme (CMS).

CMS haben eine überwältigende Zahl von Features. Der Haken ist: Die meisten von ihnen braucht man nicht. Und selten wird zuerst die Content-Strategie erstellt und dann das CMS ausgesucht. Vielmehr muss man meist versuchen, die Strategie mit dem vorhandenen CMS umzusetzen. CMS nehmen zwar einen Teil der Verwaltungsarbeit ab, aber trotzdem können sie nicht entscheiden, welche Inhalte wann für welche Nutzer relevant sind. Und auch, wann die Inhalte aktualisiert werden oder archiviert werden müssen, wissen sie nicht. Manche CMS bieten dafür Automatismen – aber die sind eben genau das: automatisch. Man kommt nicht umhin, regelmäßig Menschen auf die Inhalte schauen zu lassen.

Zu hoffen, ein CMS könne die menschliche Pflege überflüssig machen, ist etwa so effektiv, wie dem Acker eine Scheune voll modernster Traktoren zu zeigen und dann in Urlaub zu fahren in der Hoffnung, alles würde gut. Traktoren sind effektiver als ein vom Pferd gezogener Pflug, aber auch sie brauchen Menschen, die entscheiden, wann und wie sie eingesetzt werden.“ Content-Expertin Erin Kissane

Was ist überhaupt Content?

Content bedeutet Inhalt und ist zum Beispiel:

  • Text (Blogposts, Website-Artikel)
  • Strukturierte Information (Tabellen, Produktdatenblätter)
  • Fotos
  • Grafiken
  • Videos
  • Interaktive Anwendungen, Spiele

Content kann vertrieben werden über/als:

  • Eigene Webseite
  • E-Mail-Newsletter
  • Podcast
  • Tweet, Facebook-Post, Xing-Eintrag etc.
  • Youtube-/Vimeo-Video
  • Buch, Broschüre, Brief, Katalog, CD/DVD/USB-Stick

Was ist Content-Strategie?

Content-Strategie ist die Planung der Produktion, der Publikation und der Pflege von Inhalten, die für die Nutzer relevant sind.

Relevant heißt, dass der Inhalt zum aktuellen Zeitpunkt hilft, das Ziel des Nutzers zu erreichen. Das heißt auch, dass etwas in einem Moment hoch relevant sein kann, im nächsten nur noch störend.

Wir müssen den Nutzern also liefern:

  • Was sie brauchen,
  • in dem Moment, in dem sie es brauchen,
  • in der Form, in der sie es brauchen können (sowohl technisch, also z. B.: Nutzen sie einen PC, ein Tablet oder ein Mobilgerät?, als auch von der Aufbereitung her: Haben sie das notwenige Hintergrundwissen, um die Inhalte zu verstehen?).

Der Content muss immer helfen, die Ziele der Website-Betreiber zu erreichen. Damit das möglich ist, muss man sich Gedanken darüber machen, was der jeweilige Content bewirken soll. Dabei sollte man möglichst konkret sein. „Verkaufen“ ist zum Beispiel kein besonders konkretes Ziel. Am besten definieren Sie in diesem Fall, welches Produkt Sie verkaufen wollen und wie Sie das mithilfe dieses Contents erreichen wollen – etwa, indem sie die Produktvorteile für einen Anwender zeigen, der das Produkt erstmals verwendet.

Sie sollten das auch tatsächlich aufschreiben. Meist merkt man nämlich erst beim Schreiben, wenn die Zieldefinition schwammig ist. Das müssen Sie nicht für jedes einzelne Content-Element auf Ihrer Site tun, aber zumindest für die wichtigsten. Und bei jedem Inhalt, den Sie erstellen, sollten Sie zumindest über das Ziel nachdenken, bevor Sie drauflosschreiben/-gestalten/-filmen etc.

Gute Inhalte sind aus Nutzersicht:

  • relevant
  • auffindbar
  • verständlich/benutzbar
  • anwendbar
  • teilbar (z. B. über Soziale Netze)

Gute Inhalte sind außerdem aus Sicht der Website-Betreiber:

  • möglichst effizient produziert worden
  • durch Metadaten klassifiziert
  • für Suchmaschinen zugänglich
  • langlebig und wiederverwertbar

Info

Content-Strategie ist nicht identisch mit Textschreiben. Content-Strategie beginnt vor dem Schreiben und hört danach nicht auf. So macht ein Content-Stratege sich Gedanken darüber, wie die Inhalte weiter genutzt werden können, wann sie nicht mehr aktuell sind und aktualisiert werden sollten. 

Es ist die Frage zu klären, welches Medium das Richtige ist, um den Content so zum Nutzer zu bringen, dass er für ihn die höchste Relevanz hat, wobei natürlich Kosten und Zeit auch eine Rolle spielen. Selbst wenn Sie wissen, dass ein Video eigentlich optimal wäre, erlauben es Zeit- und Kostengründe oft nicht, ein solches zu produzieren. Denken Sie aber trotzdem über das richtige Medium nach, bevor Sie einfach das produzieren, was Sie immer produzieren – meist ist das Text. Vielleicht ist aber eine Tabelle kürzer und leichter zu erfassen? Oder Sie erstellen eine einfache Grafik?

Als Nächstes legen Sie den Kanal fest: Blog, Website, Twitter, Facebook, Delicious, Google+, Youtube, Slideshare, Scribd …

Eine Content-Strategie erarbeiten

Eine Content-Strategie sollte idealerweise entworfen werden, bevor der erste Wireframe (Seitenskizze) erstellt wird, unbedingt aber bevor HTML-Code geschrieben oder ein CMS angelegt wird. Denn der Content ist das, wofür Sie eine Website anlegen. Insofern müssen Sie sich damit auch zuerst beschäftigen.

Ein CMS zu installieren ist noch keine Content-Strategie. Ein CMS ist aber Teil einer Content-Strategie.

Content-Strategie heißt auch, dass Sie nicht mit Lorem-ipsum-Platzhaltertext arbeiten. Platzhaltertext kann man im Einzelfall verwenden, wenn man aktuell Diskussionen über den Content vermeiden will. Aber dennoch ist es sinnvoll, dass auch die Gestalter von Anfang an wissen, welche Inhalte geplant sind, denn nur dann können sie ihr Design so anpassen, dass die Inhalte optimal wiedergegeben werden.

Für Ihre eigene Content-Strategie gehen Sie so vor:

  1. Ziele, Zielgruppen festlegen (sollte eigentlich schon Teil des Website-Konzepts sein)
  2. Content-Inventar erstellen; Content-Lücken erkennen
  3. Migrations-Plan erstellen
  4. Kernbotschaften definieren
  5. Themen festschreiben (was interessiert die Zielgruppe?)
  6. Metadaten-Strukur aufstellen
  7. Styleguide, Vorlagen erstellen
  8. Editorial, Workflow festlegen
  9. Verantwortlichkeiten bestimmen (wer erstellt, nimmt ab, pflegt den Content?)
  10. Veröffentlichungs-Kalender schreiben
  11. Vorgehen für Qualitätskontrolle, Umgang mit Nutzerfeedback definieren
  12. Analyse der Zugriffe und der Bewegungspfade auf der Site planen

Content-Styleguides gibt es schon bei einigen Projekten. Diese beschreiben aber nur, wie der Content aufbereitet werden soll. Für eine gute Content-Strategie sollten Sie noch einen Schritt früher ansetzen: Legen Sie fest, welcher Content überhaupt auf die Website soll. Wer immer den Content einstellen will, sollte zuvor folgende Fragen beantworten:

  • Wer soll den Content nutzen?
  • Was bringt dieser dem Nutzer? Beantwortet er seine Fragen? Braucht er ihn wirklich?
  • Was ist die beste Form, diese Inhalte zu präsentieren? Ist es wirklich eine Seite Text?
  • Wie sorgen wir dafür, dass dieser Content aktuell bleibt?

Lernen Sie, wie ein Medien-Mogul zu denken, und bringen Sie Ihren Auftraggeber dazu, das Gleiche zu tun. Wer eine Website betreibt, ist Herausgeber. Und ein erfolgreicher Herausgeber denkt vor allem daran, was seine Leser wollen.

Mehr Content bedeutet auch mehr Schwierigkeiten für den Nutzer, das jeweils Gesuchte zu finden. Außerdem bindet die Content-Produktion Ressourcen – erstellen Sie lieber weniger Content, den aber dafür mit Bedacht und tatsächlich auf die Bedürfnisse der Nutzer zugeschnitten.

Ein Styleguide sollte Folgendes festlegen:

  • Sprachstil, Tonfall, Wortwahl
  • Ansprache der Nutzer („man“, „Sie“, „du“?)
  • Detailgrad der Texte, Länge
  • Umgang mit längeren Texten (Auf mehrere Seiten aufteilen? Eine lange Seite?)
  • Gliederung mit Überschriften, Einsatz von Listen
  • Suchmaschinenoptimierung
  • Formatierung von Tabellen
  • Welche Medien werden in welchen Fällen eingesetzt?
  • Bildsprache, Bildgröße, Bildplatzierung
  • Stil der Illustrationen
  • Länge und Stil der Videos
  • Einsatz von Audio
„Veröffentliche nichts ohne einen Support-Plan.“ Erin Kissane, Autorin von „The Elements of Content Strategy“

Überflüssigen Content finden

Über-uns-Seiten sind meist ein guter Startpunkt, um überflüssigen Content zu finden. Was dort unter „Unsere Philosophie“, „Unser Service-Versprechen“ oder „Mission Statement“ steht, ist höchstwahrscheinlich Text, der nur die Betreiber der Site interessiert, nicht aber deren Benutzer. Den Benutzer interessiert, wie bzw. ob diese Ideen umgesetzt werden. Er interessiert sich nicht für Service-Versprechen, nur für den Service. Bekommt er diesen nicht so wie erwartet, wird ihn das nicht gehaltene Versprechen höchstens verärgern.

Sehen Sie sich außerdem folgende Bereiche an: Pressemitteilungen (Liest die jemand?), FAQs (Haben die Nutzer tatsächlich diese Fragen?) oder Video (Sieht das jemand an?).

Trauen Sie sich, auch Content zu streichen, der aufwendig oder teuer in der Produktion war. Natürlich ist es kein einfacher Job, dem Chef klarzumachen, dass das fünfminütige hoch professionelle Unternehmensvideo von der Site sollte, das er vor zwei Jahren hat produzieren lassen – das aber seitdem nur 51 Zugriffe hatte.

Fangen Sie beim Aufräumen auf der obersten Ebene an – sehen Sie sich ganze Bereiche Ihrer Site an. Machen Sie weiter mit den einzelnen Seiten und dann nehmen Sie sich die einzelnen Inhaltselemente auf diesen vor. Schließlich sollten Sie Absätze, dann Sätze ansehen. Und sogar in fast allen Sätzen werde Sie noch Inhalte finden, die überflüssig sind. Betrachten Sie die Inhalte immer mit der Brille Ihrer Benutzer und bedenken Sie deren Ziele. Hilft der Inhalt, diese Ziele zu erreichen? Wenn nicht, dann streichen Sie den Inhalt.

Neben den Besuchsstatistiken bieten sich Usability-Tests an, um zu sehen, welche Inhalte von den Benutzern überhaupt wahrgenommen werden.

Noch mehr Content über Content

Wie Sie sehen, kommen Sie langfristig nicht umhin, eine Content-Strategie zu verfolgen. Damit diese auch erfolgreich ist, sollten Sie für Ihre bestehende Site oder für Ihr nächstes Projekt eine definieren. Hilfe dabei finden Sie hier:

http://www.alistapart.com/articles/a-checklist-for-content-work

Auszug aus dem lesenswerten Buch „The Elements of Content Strategy“ von Erin Kissane:

http://lucidplot.com/2009/09/09/diy-content-strategy

Content Strategy for the Web Professional – gute Praxis-Tipps für alle, die selbst die Rolle des Content-Strategen ausfüllen wollen oder müssen:

http://www.lofwebdesign.com/content-strategy-resources.html

Nützliche Checklisten und Vorlagen für die praktische Arbeit:

http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/0321620062/benutzerfreund-21

Das Buch „Content Strategy for the Web“ von Kristina Halvorson ist leicht zu lesen und empfiehlt sich für alle, die für den Inhalt einer größeren Website verantwortlich sind.