Gründungsfrust ist hausgemacht

Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

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Es hörte sich so leicht an. Jeder schwärmte von den unendlichen Möglichkeiten des World Wide Web. Die Gründungsberater redeten einem gut zu. Man müsse sich auf eine Nische konzentrieren, meinten sie. Finanzierungskalkulationen, mögliche Zuschüsse, Anträge, Seminare – das alles wurde prima unterstützt. Gesagt, geplant, gegründet – und dann grübelt man, weil der Erfolg irgendwie ausbleibt und das Geld langsam ausgeht. Was ist schiefgelaufen?

Wie schon im Editorial ganz vorn erwähnt: Es gibt fast keine Nischen mehr im Web, auf die sich gründungswillige Shopbetreiber und -betreiberinnen stürzen könnten. Wichtiger als Businesspläne und alles andere ist es daher, die Erfolgsaussichten vorab ausführlich, mit ruhigem Kopf und unverklärtem Auge, zu analysieren. Das können Gründungsberater und -helfer aller Art in der Regel nämlich nicht: die Erfolgsaussichten für eine vermeintliche Nische wirklich kompetent beurteilen. Und es ist auch nicht ihr Job. Der ansonsten oft warnende Zeigefinger bei anderen, Nicht-Online-Gründungen, unterbleibt aber offenbar im Hinblick auf die allseits spürbare Web-Euphorie. Die Shopsoftware gibt es umsonst, einen günstigen Webprogrammierer findet man in höchstens 200 Meter Umgebung eines jeden Kaugummiautomaten, ein Wohnzimmer hat man schon, auch einen PC plus Internetzugang. Die Ware bestellt man erst beim Großhändler, wenn jemand gekauft hat. Was soll da noch schiefgehen? Wenn man nicht aufpasst: irgendwie alles!

Schritt 1: Eine Nischenanalyse mit den richtigen Keywords

Aufmerksame Website-Boosting-Leser wissen es bereits. Es geht nicht nur darum, Keywords zu bestimmen, mit denen man gerne gefunden werden möchte. Es müssen auch aus Sicht der Suchenden die richtigen sein und das Suchvolumen muss ausreichen. Oft zeigt sich bei einer solchen Analyse schon, dass die vermeintliche Nische gar keine Nische mehr ist – und im Gegenteil schon recht überlaufen. Derzeit im Aufkommen ist z. B. das traditionelle Bogenschießen mit Langbögen. Beim Suchwort „Langbogen“ hat man noch nicht zu Ende getippt, da ist die erste Seite bereits mit Anzeigen gefüllt. Sieht man bei AdWords in der Traffic-Schätzung nach, kostet ein Klick für eine gute, obere Position durchschnittlich etwas um die 0,60 Euro. Für 100 Besucher zahlt man also 60 Euro. Kauft nur einer von ihnen, was bei noch nicht professionell betriebenen Shops durchaus nicht unrealistisch ist, kann der komplette kalkulierte Gewinn damit bereits aufgebraucht sein. Die Keyword-Kombination „Langbogen kaufen“ ist sogar noch 2 Cent teurer, bringt aber statistisch laut Google nur einen halben Klick pro Tag. Davon könnte man noch nicht mal leben, wenn man das wollte – denn bei zu geringem Suchvolumen wie hier schaltet Google diese Keywords erst gar nicht. Um Werbung für eine Kaffeekanne zu schalten, werden etwa 0,70 Euro pro Klick fällig. Eine „feuerfeste Dichtung“ wird laut Google zwar gesucht (140 Suchanfragen pro Monat in Deutschland), aber hier erfolgt angeblich kein einziger Klick. Wer sich auf Zeltheringe spezialisieren will, erfährt, dass er nur alle drei Tage mit einem Klick rechnen kann. Das wären zehn pro Monat und bei einer Conversion-Rate von 1 % bräuchte man statistisch jeweils ein Jahr, um einen Kunden zu generieren. Möchte man „Rotwein“ oder „Weißwein“ bewerben, fallen Klickkosten von weit über einem Euro an. Bei einer angenommenen Conversion-Rate von 2 % kostet ein so getriggerter Verkauf mehr als 50 Euro. Ob das der durchschnittliche Warenkorb überhaupt vom Umsatz hergibt, bleibt zu bezweifeln – vom Gewinn ganz zu schweigen. Dass all diese Preise und Zahlen sich bei jeder Neueingabe in AdWords ändern, macht eine Planung nicht eben einfacher.

Natürlich kann man diese Kosten in der Regel durch eine saubere und leider aufwendige Optimierung senken. Dazu muss man allerdings erst einmal eine Menge Erfahrung sammeln, die angehende Gründer zunächst eben meist nicht von Beginn an haben. Die wenigen, zufällig ausgewählten Beispiele zeigen, dass eine eingehende Analyse unverzichtbar ist. Mit wie vielen Besuchern kann ich realistisch rechnen – und was kosten mich diese Besucher unter dem Strich? 

Schritt 2: Eine Kostenkalkulation für das Online-Marketing

Bezahlte Werbung in Suchmaschinen aufschalten ist allerdings nur eine von vielen Möglichkeiten beim Online-Marketing. Der Vorteil ist hier wohl, dass man sehr schnell Besucher „einkaufen“ kann und das Ganze finanztechnisch recht gut zu steuern ist. Eine andere Möglichkeit, mit der nicht nur Gründer oft fest rechnen, ist die klassische Suchmaschinenoptimierung, also das Auftauchen im sog. organischen (gerechneten) Bereich der zehn Suchergebnisse. Der Vorteil ist ganz klar: Klicks verursachen keine Kosten. Fast keine, denn natürlich sind auch hier viele Hausaufgaben zu machen, damit überhaupt eine Chance besteht, im organischen Ergebnis aufzutauchen. Entgegen den Werbeversprechen vieler Shop-Hersteller ist es leider eben nicht so, dass man an bestimmten Stellen im Shop-Backend einfach ein paar Suchworte festlegen bzw. eingeben muss und schon steht man oben bei Google und Co. Jedenfalls nicht mit Suchworten, die auch tatsächlich Traffic in den Shop bringen. Böse Zungen behaupten sogar, viele Shop-Hersteller wüssten noch nicht mal, dass sie ihre Kunden da anschwindeln. Zauberbuttons und „SEO-Module“ muss man also genauer unter die Lupe nehmen und ohne Aufbau von Links funktioniert hier in der Regel gar nichts. Natürlich kann man zur Unterstützung eine SEO-Agentur einschalten, am besten eine gute. Leider sind die guten Agenturen schwer zu finden und meist sind sie auch auf Monate hin ausgebucht. Bliebe einer der vielen Anbieter, die irgendwie auch SEO im Programm haben und mehr oder weniger griffige Versprechen für „Top-Platzierungen“ machen. Bei uns in der Redaktion trudeln mittlerweile beinahe jeden Tag Mails ein, in denen sich Unternehmer mit mehr oder weniger heftigen Worten über die erreichten Leistungen und auch die dafür verlangten Preise solcher Agenturen beklagen. In Zeiten, in denen jeder zumindest etwas davon gehört hat, dass SEO „wichtig“ sei, ist es recht einfach, mit dem Schlagwort „SEO“ auf Kundenakquise zu gehen. Dazu muss man noch nicht mal eine der größeren SEO-Agenturen sein, deren Businessmodell eher darauf abzielt, den Kunden mit einem Telefonanruf zur Unterschrift für mehrjährige Betreuungsverträge zu bringen, als dessen Website nennenswert für Suchmaschinen fit zu machen. Es genügt, das SEO-Wort und Google-Optimierung auszusprechen, und Kunden sind begeistert. Kommen wir zum Gründer bzw. zur Gründerin zurück. Von all den bösen Dingen da draußen wissen sie meist noch gar nichts und legen sich unbedarft mit einem solchen Minderleister ins Bett. Schlimm schlägt dann nach Monaten des Wartens das bis dahin verbrannte Geld zu Buche – eigentlich noch schlimmer die vertane Zeit.

Es genügt, das SEO-Wort und Google-Optimierung auszusprechen, und Kunden sind begeistert.

Damit kein falscher Eindruck entsteht. Mit Suchmaschinenoptimierung kann man sehr viel bewegen! Shopeinsteiger sollten aber nicht unterschätzen, dass gute Dienstleister (sowohl AdWords also auch SEO) nicht auf Bäumen wachsen und nur darauf warten, für sie tätig zu werden, zumal viele Gründer oft mit Worten wie „kleines Geld“, „überschaubares Budget“ oder „vorsichtig“ anfragen und wirklich gute Agenturen darauf keine Rücksicht nehmen können. Sie sind meist ausgelastet und eine Arbeitsstunde wird natürlich lieber an einen normal zahlenden Kunden verrechnet. Erfolglos sind meist auch die Angebote der Gründer, die Agentur(en) prozentual am Erfolg zu beteiligen – der sich irgendwann später mal einstellen soll. Gute und professionelle Leistung kostet nun mal auch beim Online-Marketing Geld. Das sollte man realistisch mit einplanen. Umgekehrt bringt dies auch schneller und nachhaltiger einen sichtbaren Erfolg. Mit anderen Worten: Hier sollte man nicht an der falschen Ecke den Rotstift ansetzen.     

Schritt 3: Erlöse minus Aufwand ist Gewinn

Banaler kann eine Zwischenüberschrift wohl nicht lauten. Die Erlöse – na ja, die muss man wohl irgendwie schätzen. Businesspläne sind geduldig. Wenn der typische Satz fällt: „Wenn nur ein Prozent aller X bei mir einkaufen, hätte ich schon …“, sollte man die Gründung noch mal überdenken. Alle schwärmen vom Internet und es muss doch gelingen, wenigstens … Nein, meist gelingt genau das nicht. Das Ziel sollte ohnehin sein, vernünftige Marktanteile zu erobern, statt mit Milchmädchen-Hoffnungen an den Start zu gehen. Kommen wir zur Zwischenüberschrift zurück. Da steht noch das Wort „Aufwand“ drin und der ist meist noch schwieriger zu beziffern, als die möglichen Erlöse zu schätzen sind. In der Online-Branche verstecken sich viele Kosten in Prozessen, von denen man als Anfänger keine oder nur wenig Vorstellungen hat. Eine Open-Source-Software kostet nichts, so steht sie mit Null Euro in der Kalkulation. In Wirklichkeit kann das die unter dem Strich teuerste „Investition“ sein, die man tätigt. Was ein Content-Managment-System oder eine Shopsoftware in der Beschaffung kostet, ist eigentlich völlig egal. Experten gehen davon aus, dass diese Anschaffungskosten max. fünf bis zehn Prozent eines Online-Projektes ausmachen. Nicht selten noch weniger. Ist die Software sicher? Wer wartet sie und spielt die notwendigen, oft im Wochentakt erscheinenden Sicherheitsupdates ein? Was kosten Änderungen? Wie häufig fallen Änderungen an? Kann die der Betreiber selbst einstellen? Was kostet bei einem ausgewählten System eine vernünftige Optimierung (Umprogrammierung) für Suchmaschinen? Kann das System wirklich alles, was man für den späteren Betrieb benötigt? Weiß man überhaupt jetzt schon, was man später alles benötigt? Hier muss man meist auf Dienstleister zurückgreifen und es gilt, ein realistisches Budget hierfür einzuplanen. 

Was ein Content-Managment-System oder eine Shopsoftware in der Beschaffung kostet, ist eigentlich völlig egal.

Schritt 4: Warum ich und warum diese Nische?

Vielleicht ist das die Kernfrage schlechthin. Im Offline-Business wird meist nach Know-how und persönlicher Neigung gegründet. Ohne intensive Branchenkenntnisse wagt man diesen Schritt zumeist eher nicht. Hat man gutes Branchen Know-how, nützt allein das in der Online-Welt aber noch nichts! Mit viel Herzblut einen Laden in der Fußgängerzone oder an einer viel befahrenen Straße zu eröffnen – hierzu reicht es wirklich, ein Händchen für den Umgang mit Menschen zu haben und sie fachlich begeistern zu können. Man wird weiterempfohlen, irgendwann läuft der Laden. Im Web gibt es wenige Fußgängerzonen, eigentlich fast nur eine, die Ergebnisseiten von Suchmaschinen, allen voran Google. Das Problem ist, dass da alle hinwollen und meist schon viele vorher da sind. Engagement, Branchenwissen und Geduld reichen deswegen nicht aus, weil man gar nicht die Chance bekommt, dies die Kunden spüren zu lassen. Die Fußgängerzone ist voll und freiwillig macht niemand Platz. Wie oben erwähnt, läuft ohne Online-Marketing hier meist gar nichts. Man braucht also einerseits Wissen und Kontakte in der Branche – andererseits aber auch das Wissen, wie man das online vermarktet. Hier entsteht wohl viel Frust bei Gründern, die sich über Mitbewerber ärgern, die falsche Infos auf den Webseiten haben oder nur suboptimalen Service bieten. Man selbst wäre da sehr viel besser – bekommt jedoch keine oder zu wenig Kunden ab, um das auch zu beweisen.

Nächte und Wochenenden reichen nicht immer aus!

Wer onlinebasiert gründen möchte, sollte sich also im Klaren darüber sein, wer seine Leistung sichtbar vermarkten kann. Wenn neben der Branchenkenntnis noch Wissen im Bereich des Online-Marketings vorhanden ist – umso besser. Ansonsten sollte man sich einen leistungsfähigen Partner bzw. eine Agentur suchen und diese Kosten realistisch einplanen. Als Letztes wäre sicher noch die Frage zu beantworten, ob man wirklich genügend Zeit mitbringt, im virtuellen Raum etwas Neues aufzuziehen. Die Nächte und Wochenenden reichen nämlich nicht immer aus. Umgekehrt ist wohl die größte Triebfeder, etwas „unternehmen“ zu wollen, etwas zu bewegen. Wer sich von dieser Motivation getrieben fühlt, sollte sich von Unwägbarkeiten nicht abhalten lassen. Jedes Problem ist lösbar, wenn der Wille, und manchmal auch der Geldbeutel, stark genug ist. Wer ganz fest davon überzeugt ist, Mitbewerber zu Mitbewunderern machen zu können, sollte diesen Weg auch konsequent gehen. Eine realistische Sicht der Dinge, Aufgaben und Kosten schadet aber auch dem motiviertesten Gründer nicht. Zu gründen, weil das im Internet ja vermeintlich so einfach geht – das ist leider oft eine fatale Fehleinschätzung.  

Schritt 5: Die Gründung einleiten oder es eben sein lassen

Unternehmer kommt von „unternehmen“, nicht von „unterlassen“. Wenn Ihnen jemand diese Phrase vordrischt, lächeln Sie einfach nur und lassen ihn stehen. Er hat keine Ahnung oder ist ein Manager (also angestellt), der nicht mit seinem eigenen Geld und Risiko „unternimmt“ – mithin also völlig anders denkt und tickt als jeder Ein-Mann/Frau-Unternehmer. Gute Unternehmer/-innen wissen sehr gut, wann sie etwas unterlassen müssen. Wägen Sie daher ohne Emotionen und glasklar ab, ob Sie das Risiko eingehen sollten. Selbstständig im Web unterwegs zu sein, kann eine wunderbar spannende und auch lukrative Sache sein. Bedenken sollte man aber auch, dass man in der Regel eben nur immer von geglückten Gründungen hört und liest. Misserfolg hat keine Fürsprecher, und wie viele missglückte Shopgründungen auf eine positiv hervorgehobene Story kommen, weiß wohl niemand. Daher entsteht eben auch oft der Eindruck: Na, das ist ja einfach. Nein, ist es nicht. Wenn Sie überzeugt von einer Idee sind und eine saubere Prüfung der genannten Schritte positiv verlaufen ist, dann sollten Sie es auch anpacken. Aber eben nur dann – und wenn, mit voller Kraft!