Ob die Kirche wohl im Dorf bleibt?

Mario Fischer
Mario Fischer

Mario Fischer ist Herausgeber und Chefredakteur der Website Boosting und seit der ersten Stunde des Webs von Optimierungsmöglichkeiten fasziniert. Er berät namhafte Unternehmen aller Größen und Branchen und lehrt im neu gegründeten Studiengang E-Commerce an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg.

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In den vergangenen Wochen entbrannte abermals der Disput um Webanalyse und Datenschutz. In der FAZ bewertete Hamburgs Datenschützer, Johannes Caspar, Google Analytics als in Deutschland illegal und erklärte die Verhandlungen mit Google für abgebrochen. Kurz darauf musste er seine eigene Website vom Netz nehmen, weil sie durch die Verwendung des sog. IVW-Zählpixels den eigenen Forderungen nicht entsprach. Wir unternehmen den Versuch einer Versachlichung der aktuellen Diskussion.

Caspars nicht „konforme“ Website ist keineswegs eine Ausnahme, denn die erhobenen Anforderungen der Datenschützer gehen deutlich über die geltende Gesetzgebung hinaus und selbst Juristen kommen dem Vernehmen nach mittlerweile ins Schwimmen. Datenschützer interpretieren das Gesetz eigentlich ja nur, geben Einschätzungen ab, die bis auf Weiteres weder juristisch bindend sind geschweige denn eine gesetzgebende Qualität haben. Der Fall der Seite des Hamburger Datenschutzbeauftragten verdeutlicht das aktuelle Dilemma und zeigt, wie schwer es für einen Webmaster ist, diese Forderungen zu erfüllen.

Am Rande sei erwähnt, dass teilweise auch Parteien, Datenschutz- oder EU-Behörden Google Analytics oder ähnliche Tools einsetzen, um ihre Internetpräsenzen zu optimieren und Besucherströme zu messen. Da die kostenlose Google-Software mit geschätzten 80 Prozent Marktanteil in Deutschland Verwendung findet, fällt Kritik daran vergleichsweise leicht bzw. genießt die nötige Aufmerksamkeit. Dass sich die Debatte fast ausschließlich an Google´s Tool entzündet, ist durchaus nicht ungefährlich, denn dabei wird leicht übersehen, dass von den im internationalen Vergleich einzigartig strengen Forderungen der deutschen Datenschützer nicht einzelne, sondern generell alle Anbieter von Analysetools betroffen sind. Selbst die Zählpixel zur üblichen und notwendigen Reichweitenmessung der IVW entsprechen diesen wie erwähnt aktuell nicht. Viele Trackinganbieter, deren Tools (natürlich) kostenpflichtig sind, freuen sich verständlicherweise hinter vorgehaltener Hand darüber, dass Google Analytics derzeit viel negative Presse bekommt. Da aber zu befürchten ist, dass der Schuss der Datenschützer weit über das Ziel hinausgeht, könnte der aufstrebenden Branche des E-Commerce ein schwerer Dämpfer verpasst werden. Davon werden wahrscheinlich weder die Anbieter noch die Kunden etwas Positives haben. Eine verzwickte Situation, denn gerade die Stellung der Kunden wollen die Datenschützer durch erzwungene Anonymität doch explizit stärken. 

Wird die Diskussion zu eng und gar mit Scheuklappen geführt?

Der Disput um die Speicherung von IP-Adressen gärt seit Jahren und flammt immer wieder auf, ohne dass eine bundesweit verbindliche und verständliche Lösung erzielt wird, die Rechtssicherheit schaffen würde. Die unvermeidbare Folge: eine extrem breite Verunsicherung bei Anbietern und Internetnutzern in Deutschland. Betroffen sind nicht nur Zigtausende von Seitenbetreibern, E-Commerce- und Inhalteanbietern wie Medienseiten, Blogs und Serviceseiten, die mittels Analyse-Tools optimiert werden. Sie sowie die Analysetoolanbieter und die Werbewirtschaft sind nur die eine Seite der Medaille. Ebenso betroffen, verunsichert und leidtragend sind die Nutzer und Verbraucher, die von gut gestalteten Websites, von Nutzerfreundlichkeit und – auch dies wird immer wieder gerne vergessen – von werbefinanzierten kostenlosen Angeboten profitieren. Und schlussendlich geht es natürlich auch um den Innovationsspielraum und die Wettbewerbsfähigkeit von Online-Diensten in Deutschland. Bei 50 Millionen Internetnutzern und Milliardenumsätzen allein im deutschen Online-Handel steht daher mehr auf dem Spiel, als manchem direkt bewusst wäre.

In der Öffentlichkeit wird die Auseinandersetzung leider häufig verkürzt dargestellt. So entsteht der verbreitete Irrglaube, es ginge um eine bilaterale Auseinandersetzung zwischen einzelnen Landesbeauftragten für Datenschutz und dem Unternehmen Google bzw. um dessen Software Google Analytics. In Wahrheit ist jedoch die gesamte Branche betroffen und in der stark einseitig geführten Berichterstattung geht der Hinweis auf Sinn, Zweck und Notwendigkeit von Webanalyse ebenso unter wie deren Vorteile für die Verbraucher. Medien haben das Zerrbild der Datenkrake „Google“ lieb gewonnen, denn es sorgt regelmäßig für Auflage. Wer diese Berichterstattung mit genügend Hintergrundwissen verfolgt, schwankt häufig zwischen der Einschätzung, dass hier entweder absichtlich verkürzend argumentiert wird oder dass die berichtenden Journalisten ganz einfach zu wenig von dem verstanden haben, worüber sie da letztlich schreiben.

Natürlich ist Datenschutz wichtig, hierüber besteht keinerlei Zweifel. Man sollte jedoch auch den Nutzen für beide Seiten (Anbieter und Surfer/Kunden) nicht aus dem Auge verlieren und Grenzen mit mehr Bedacht setzen. Wenn wir am Ende so weit sind, dass Kunden für die Zusendung eines Newsletters ein von Hand unterschriebenes Formular an ein Unternehmen schicken müssen (Ja, diese Forderung gab es auch schon!) oder dass keinerlei Bewegungsinformationen eines Websitebesuchers mehr gespeichert werden dürfen – dann verlieren, wie schon erwähnt, sicher alle. Anbieter sind auf die Möglichkeiten des Trackings angewiesen, denn nur dies ermöglicht es, Angebote kontinuierlich im Sinne des Kunden zu verbessern und für ihn attraktiv zu gestalten. Ohne Speicherung dieser Daten würde auch allen Reichweitenmessungen die Grundlage genommen. Damit könnte ein Großteil der Werbemodelle infrage stehen, mittels derer bekanntermaßen ein wesentlicher Teil der im Netz kostenlos angebotenen Dienste refinanziert wird. Ob Nutzer bereit wären, für solche Dienste zu bezahlen, weil die Kosten über Werbung nicht mehr gedeckt werden könnten, bleibt zu bezweifeln.

Die Frage nach des Pudels Kern: Ist Google Analytics nun legal oder nicht?

Oft genug werden Webanalyse, Tracking und Cookies mit dem Ausspionieren einzelner Personen, ihrer persönlichen Daten und Interessen gleichgesetzt. Das ist ein Fehlschluss, und zwar gleich aus mehreren Gründen. Die aktuell strittigste Frage lautet: Sind IP-Adressen in den Händen eines Webseitenbetreibers oder Trackingtoolanbieters überhaupt personenbezogene Daten? Die jüngst viel zitierten Datenschützer aus Hamburg und Berlin, Johannes Caspar und Alexander Dix, bejahen dies. Sie fordern folglich, IP-Adressen wie Telefonnummern oder Bankverbindungsdaten besonders zu schützen.

Doch während sich die meisten Telefonnummern per Telefonbuch oder durch einen einfachen Anruf einer Person zuordnen lassen und zu dieser mitunter auch die Adresse ermittelbar ist, wird es bei IP-Adressen schwieriger. Hier wäre die Unterstützung des jeweiligen Zugangsproviders nötig. Der darf diese Daten allerdings nur auf behördliche Anweisung herausgeben, also in der Regel, wenn eine Straftat vorliegt. Eine massenhafte Abfrage von realen Adressen zu IP-Adressen (bei DSL sogar noch zu einer bestimmten Uhrzeit), ist in Deutschland nicht möglich. Eine endgültige Rechtsprechung steht zwar noch aus, aber das LandgerichtWuppertal oder das Oberlandesgericht Hamburg sind der Auffassung, dass es sich bei IP-Adressen nicht um personenbezogene Daten handelt. Die Datenschützer sagen also Ja, die Gerichte Nein. Zumindest der nun verwirrte Laie könnte vorsichtig den Schluss ziehen, dass Google Analytics konform mit der europäischen Datenschutzgesetzgebung und damit auch in Deutschland legal einsetzbar wäre. Einige der Trackinganbieter schweigen sich zu dem Thema völlig aus, andere (wie auch Google) betonen, rechtskonform zu sein.

Webanalyse ist der Grundstein für wirtschaftlichen Erfolg – und nützt auch dem Besucher

Die Trackingtoolanbieter interessieren sich nicht für den einzelnen Besucher. Und die Betreiber von Online-Shops, Medienseiten und nahezu aller anderen Websites tun dies ebenso wenig. Warum auch? Es ist die veraltete Denkart der Old Economy, Namen und Adressdaten haben zu müssen. Was will ein Onlineanbieter mit diesen Daten? Teure Werbebriefe versenden? Oder die mühsam gewonnenen Adressen von Interessenten an Mitbewerber weiterverkaufen? Die Fragen erscheinen zwar lächerlich, aber genau damit wird medial Angst geschürt. Den unkundigen Surfer erschrecken solche Gespensterszenarien tatsächlich. Und er käme gar nicht auf den Gedanken, zu fragen, wie man bitte sehr von einem normalen Besuch auf einer beliebigen Website auf seinen Namen und seine Adresse schließen sollte. Die Herausforderung im modernen E-Commerce liegt vielmehr darin, Besucherströme auf aggregiertem Niveau wahrnehmen zu können und herauszuarbeiten – also den Wald bzw. die Waldwege hinter den Bäumen zu finden: Welchen Anteil an Verkäufen hat die Homepage als Einstiegspunkt, welchen die verschiedenen Unterseiten und Landingpages? Welche Produktbeschreibungen und Banner funktionieren, wo sind die Abbruchraten besonders hoch? Tragen alternative Seitenstrukturen und Navigationsmittel dazu bei, dass Nutzer besser und schneller finden, was sie suchen? Welche Waren und Inhalte sind, gemessen am statistischen Aufrufvolumen, wie interessant? Und wie entwickelt sich das Interesse von Monat zu Monat oder von Saison zu Saison? Wie gelingt es, Erstkäufer zu wiederkehrenden Stammkunden zu machen? Was im realen Leben in Läden bis zum Exzess verprobt, analysiert, befragt und beobachtet wird, soll in elektronischen Shops verboten werden.

Gut, eine theoretische Alternative für Seitenbetreiber wären klassische Erhebungsmethoden: Umfragen, Nutzer-Panels, Usability-Tests durch externe Beratungsfirmen. Das könnten sich bestenfalls Großunternehmen leisten, aber auch hier bliebe der Erkenntniswert zweifelhaft – und wir kennen alle die leicht deppert wirkenden Fragen, die uns schon beim Betreten einer Website pop-uppen: „Wie finden Sie auf einer Skala von eins bis fuffzehn unsere Website?“ Wer sich wissenschaftlich ernsthafter mit derlei Online-Befragungen auseinandersetzt, weiß, wie wenig die Antworten tatsächlich taugen. Umgekehrt interessant ist aber doch, dass diese Methoden in der klassischen Wirtschaft und Marktforschung seit Jahrzehnten gängig sind und dabei tatsächlich nicht selten auch persönliche Daten mit erhoben werden, ohne dass jemals eine vergleichbare Datenschutzhysterie ausgebrochen wäre.
Wer eine Internetpräsenz betreibt und Online-Dienste anbietet, investiert viel Zeit und Geld. Ohne eine (verlässliche) Erfolgskontrolle von Webseiten, ohne Controllinginstrumente und die Analyse von Besucherströmen ist ein wirtschaftlicher Betrieb wenig praktikabel. Und ohne Refinanzierung über Werbung wäre das Internet mit seiner Vielfalt an kostenlosen Diensten und Inhalten derzeit nicht vorstellbar. Online-Shops, Verlage, Blogger und selbst der öffentliche Sektor – sie alle und auch die Verbraucher sitzen in einem Boot: Sie brauchen und profitieren von einer sauberen Online-Analyse. Wie die Süddeutsche Zeitung kürzlich überspitzt, aber richtig feststellt, könnte es ohne Reichweitenmessung und Werberefinanzierung künftig heißen: „Dieser Dienst ist von Deutschland aus leider nicht nutzbar“.
Die (typisch) deutsche Debatte um Webanalyse, Tracking, interessenbasierte Werbung und Online-Marketing sollte deutlich sachlicher und sachgerechter geführt werden. Gerade auch im Dienst der Konsumenten und des Innovationsstandorts Deutschland ist die derzeitige formalistische Pauschalkritik und technikfeindliche Skepsis gegenüber der Webanalytic kontraproduktiv. Man zieht diese Kritik zwar mit Google im Visier nach oben, trifft aber viele nützliche Dienste, Services und Annehmlichkeiten im Internet, die überhaupt erst auf Grundlage von Analysedaten und der darauf aufbauenden Werberefinanzierung möglich wurden. Wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet – und danach sieht es derzeit aus – hat wohl am Ende niemand etwas davon. Ist die Online-Branche zu zersplittert, um sich vernünftig Gehör zu verschaffen? Bleibt zu hoffen, dass die entsprechenden Verbände rechtzeitig die Gefahren erkennen und den Datenschützern beherzt und vor allem mit aufklärendem Sachverstand entgegentreten. Datenschutz ist wichtig. Zum heiligen Gral ohne jedes Augenmaß darf er allerdings nicht erhoben werden.

Zur Klärung einiger Fragen über Google Analytics habt Website Boosting mit Stefan Tweraser gesprochen, dem Deutschlandchef von Google:

Website Boosting: Was sagen Sie Webseitenbetreibern – ist Google Analytics in Deutschland legal nutzbar?
Stefan Tweraser: Ja. Wir sind überzeugt, dass Google Analytics in seiner jetzigen Form bereits allen europäischen Datenschutzanforderungen entspricht. Es wird nicht ohne Grund sogar von Datenschutzbehörden im europäischen Ausland zum Messen der Besucherströme auf deren Seiten eingesetzt.

Wie laufen die Verhandlungen mit den zuständigen Datenschützern? Woran hapert es?
Auch wenn die Traffic-Analysen, die Betreiber mit Google Analytics auf ihren Seiten vornehmen, unserer Ansicht nach im Einklang mit allen rechtlichen Vorgaben stehen und seit Jahren bewährt sind, besteht jetzt aufgrund des Vorgehens einiger Datenschutzbehörden eine große Unsicherheit. Das hat auch mit der föderalen Struktur des deutschen Datenschutzes zu tun. Jedes Bundesland hat eigene Datenschutzbeauftragte mit eigenen Rechtsauffassungen, und mitunter gibt es sogar landesspezifisch individuelle Datenschutzanforderungen, sodass die Länder auch untereinander zu abweichenden Einschätzungen kommen können. Regelungen auf EU-Ebene kommen hinzu, und der globale Charakter des Internets führt manch regionale Lösungen an die Grenzen ihrer Praktikabilität. Eine einvernehmliche Lösung werden wir dennoch finden, da bin ich ganz sicher.

Tracking ist wichtig für die Online-Wirtschaft, aber Datenschutz ist Voraussetzung für einen legalen Betrieb und das Vertrauen der Verbraucher. Welche Möglichkeiten bietet Google?
Datenschutz ist zweifelsfrei auch im Sinne der Betreiber von Internetpräsenzen. Deshalb stellen wir nicht nur den Internetnutzern, sondern auch den Betreibern von Web-Präsenzen mit Google Analytics zusätzliche Möglichkeiten bereit, Analytics den hiesigen Datenschutzbestimmungen anzupassen. Die Pseudonymisierung von IP-Adressen gehört dazu ebenso wie Opt-out- beziehungsweise Widerspruchsmöglichkeiten. Und für Internetnutzer mit Google Accounts bieten wir weitere Opt-out-Möglichkeiten und gewähren Einsicht in die Daten, die Google mit dem eigenen Benutzerkonto verknüpft. Damit bieten wir eine sehr große Transparenz.

Sollte es dazu kommen, dass in Deutschland die Möglichkeiten für Webanalysen eingeschränkt werden, was wären die Folgen?
Die deutsche Online-Wirtschaft würde international massiv zurückfallen, wenn Web-Tracking in Deutschland massiv eingeschränkt oder gar komplett eingestellt werden müsste. Eine Insellösung für Deutschland halte ich weder für wünschenswert noch für vereinbar mit der geltenden EU-Regelung. Es geht ja beim Tracking nicht um individuelle Profile, sondern um die Messung anonymisierter Nutzerströme, wodurch Schwachpunkte und Verbesserungspotenziale auf Webseiten erkannt werden können. Für optimierte Nutzerführungen und Seiten mit intelligent auf die Nutzer zugeschnittenen Einstellungen und Inhalten sind Webanalysen und auch Tracking schlicht nötig. Letzten Endes profitieren vor allem auch die Nutzer von Webanalyse – denn sie ermöglicht es erst, dass Seiten an die Anforderungen der Nutzer angepasst werden und das Feedback der Nutzer erkannt und berücksichtigt wird. Das sollte in der aktuellen Debatte stärker zur Sprache kommen. 

Wir danken für das Gespräch!