Enterprise 2.0 – Der Mensch im Mittelpunkt der Strategie

Bianca Gade
Bianca Gade

Bianca Gade war mehrere Jahre Webmaster für Europas größten Papiergroßhändler und anschließend Projektleiterin zum Aufbau eines Wissens-Portals für die Siemens AG in Karlsruhe. Diese mehr als 12 Jahre Berufserfahrung bringt sie seit 2009 als Social-Media-Managerin für die netmedianer GmbH in Saarbrücken ein. netmedia ist eine Webagentur mit Beratungsschwerpunkt auf Enterprise 2.0 und Social-Media-Strategien.

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Die richtige Social-Media-Einführung in Unternehmen ist eine Frage der Ziele. Sie allgemein als (digitale) Kommunikation und Kollaboration zu betrachten, ist ein guter Schritt. Und der gemeinsame Nenner dabei ist immer einer: Der Mensch.

„Unterstützen Sie Unternehmen auch bei Social Media?“, fragte uns eine Interessentin aus der Corporate-Communications-Abteilung eines Kunden am Telefon. „Ich möchte mir von Ihnen eine Analyse erstellen lassen, inwieweit die Einführung einer Facebook-Fanpage für uns interessant ist.“ Wir erklärten ihr daraufhin unseren strategischen Ansatz von Social Media und Enterprise 2.0. Er begründet, warum es sinnvoller ist, sich im ersten Schritt zunächst in der internen Unternehmenskommunikation mit dem Thema intensiver auseinanderzusetzen, als sich von Beginn an gleich mit Facebook zu beschäftigen. Nach dem Telefonat waren wir uns nicht sicher, ob wir sie überzeugen konnten, doch eine Stunde später kam der Rückruf: „Ich habe mit der Geschäftsführung darüber gesprochen und wir möchten Sie gerne zum Workshop bei uns im Hause einladen.“

Wir erhalten häufig solche Anfragen, vor allem aus dem B2B-Bereich. Die Idee, dass Social Media vor allem für ihr Marketing nützlich sein könnte, haben viele. Hinzu kommt, dass bei vielen Unternehmen die soziale Medienkompetenz der eigenen Mitarbeiter wenig oder gar nicht ausgeprägt ist. Das bedeutet meist, dass Social Media nur als neuer Werbekanal verstanden wird – was dann entweder ignoriert oder auch kritisiert wird.

Nicht nur im B2B-Geschäft, sondern für alle Unternehmen ist es generell wichtig, Social Media nicht als Werbekanal zu betrachten, denn Social Media versteht sich als Unternehmensstrategie, die wesentlich tiefgreifender ist als reines Marketing. Im Falle unserer Interessentin hat sich herausgestellt, dass deutlich mehr Fragen zu klären waren als vorher gedacht. Eine Marketing-, eine IT-, eine PR- oder HR-Abteilung kann diese Strategie alleine nicht planen. Was hierbei zählt, ist das Big Picture: ein Enterprise-2.0-Konzept mit Fokus auf den Mitarbeiter und die Unternehmensziele, das die gesamte Unternehmenskommunikation einbindet. Beispiele:

Kollaboration und Produktivität
Wie kann die Produktivität gesteigert und die unternehmensweite Zusammenarbeit gefördert werden?

Innovation und Ideenmanagement
Wie kann man Mitarbeiter, Kunden und Partner dafür begeistern, gemeinsam an Innovationen zu arbeiten?

Service und Support
Wie ermögliche ich eine stärkere Kundenbindung durch verbesserte Einbindung meiner Partner und Kunden in die Unternehmenskommunikation?

Marketing und Markenkommunikation
Wie können gleichzeitig Vertriebsaktivitäten gefördert, die Reputation gesteigert und ein professionelles Netzwerk geschaffen werden?

Dem Mitarbeiter ist seine Arbeit wichtig – egal, mit welchen Kommunikationsinstrumenten

Keine Frage, all diese Themen könnten ein oder gar mehrere Bücher füllen. Aber wenn wir genauer hinschauen, können wir erkennen, dass die Ziele einen gemeinsamen Nenner haben: Es geht hier immer um den einzelnen Mitarbeiter, um einen Menschen. In der Vergangenheit wurde lange versucht, dessen Arbeit vor allem durch die Einführung von Prozessen zu optimieren. Ein Großteil der Probleme in Unternehmen entsteht jedoch durch fehlende Kommunikation und Interaktion der Menschen entlang dieser Prozesse. Unternehmen müssen daher dafür sorgen, dass der Mitarbeiter in der digitalen Welt effizienter arbeiten kann. Dies ist die Kernaufgabe des Social Workplace, des digitalen Arbeitsplatzes der Zukunft. Er vernetzt die Mitarbeiter des Unternehmens miteinander und bildet die Grundlage für die Kommunikation mit Externen. Neu ist das alles nicht, denn schon vorher hat der Mitarbeiter per Brief, Mail und Telefon kommuniziert – allerdings begrenzt in Bezug auf Abteilungen und Standorte. Diese Vorgehensweise bindet Unternehmen aber zu stark auf die persönliche oder telefonische Kommunikation, die im Gegensatz zur Globalität steht. Anders ist dies jetzt durch die Digitalisierung der sozialen Komponente: Sie ist beliebig skalierbar sowie zeit- und standortunabhängig. Genau hier beginnt der Ansatz, bei dem auch B2B-Unternehmen von Social Media profitieren.

Die Herausforderung

Klare Hierarchien und Prozessstrukturen treffen im Enterprise 2.0 auf spontane, selbst kontrollierende Netzwerke. Vordefinierte Kommunikationsworkflows waren und sind leider häufig noch die Antworten auf die Frage, wie mit Kommunikation umgegangen wird. Solange Unternehmensprozesse funktionieren, ist auch alles gut. Falls aber Kommunikation bei Prozessproblemen nicht ermöglicht wird, kann das erhebliche Kosten verursachen. Schlimm wird es, wenn dadurch Mitarbeiter demotiviert und Kunden verärgert werden – abgesehen vom geschädigten Unternehmensimage. Dabei genügt den Menschen häufig schon der richtige Ansprechpartner, der schnell und unkompliziert Fragen beantwortet und handelt.

Wir müssen den Graben zwischen Unternehmensstrukturen und lebendiger Kommunikation überbrücken.

Doch man tut sich schwer damit, auch weil Regeln und Gesetze Unternehmen verunsichern. So recht wissen noch die wenigsten, ob dokumentierte Dialoge dem Unternehmen nützen oder schaden. Zum Beispiel besagen Compliance-Vorgaben wie SOX und branchenspezifische Richtlinien wie Basel II, dass Prozesse nachvollziehbar dokumentiert werden müssen – sie sind ein Beweis für Unternehmenseffizienz. Auf der anderen Seite gibt es Bedenken zum Datenschutz, wenn Mitarbeiter persönliche Daten nicht anonymisiert ins System oder Netz stellen – verständlich, dass Unternehmensentscheider daher zögerlich handeln.

In der Arbeitswelt geht es um Prozesse, um Technik, aber vor allem um den Menschen.

Der Mensch im Mittelpunkt der Strategie

Am Anfang jeder Enterprise-2.0- oder Social-Media-Strategie sollte der Schwerpunkt auf den Bedürfnissen des einzelnen Mitarbeiters liegen. Seine Medienkompetenz, seine Bereitschaft, sein Wissen zu teilen und sich zu vernetzen, sind entscheidende Kriterien für den Erfolg. Motivierte Mitarbeiter sind fähig, wesentlich mehr und qualitativ hochwertigere Ergebnisse zu schaffen, als es zu Anfang vorstellbar war. Ist der Mensch begeistert von dem, was er tut, und wertschätzt er sein Arbeitsumfeld, rücken Produktivitätssteigerung, verbesserte Zusammenarbeit und verbessertes Image in greifbare Nähe. Daher sollte jedes Unternehmen seine Mitarbeiter rechtzeitig, authentisch und transparent in die Enterprise-2.0-Strategie mit einbeziehen – das stärkt die Beziehung zu den Angestellten und damit die Unternehmensloyalität und -attraktivität bei Fachkräften.

Wie können die ersten Schritte in der Social-Media-Strategie aussehen und was gilt es zu beachten?

Von oben. Aber nicht von oben herab! (Daniel Kraft)

Vorleben, nicht vordiktieren

Nach einer Studie von centrestage im Juli 2010 bevorzugen 47 % der Unternehmen eine Top-down-Strategie, bei der das Management die Entwicklung von oben nach unten bestimmt. Nur 17 % wählen den Mittelweg, nämlich sowohl Bottom-up als auch Top-down für die Einführungsstrategie. Dabei ist die Einbindung beider Seiten wichtig – aber auch wesentlich schwieriger. Vom mittleren Management wird die Moderation zwischen Top-Management und Mitarbeitern ohne Führungsverantwortung gefordert. Und da fängt das Umdenken an: Mehr denn je muss man sich bewusst werden, wie wichtig eine offene Unternehmenskultur und Wissensteilung ist. Diese Punkte wurden bei der Karriereplanung und klassischen Strategieentwicklung nicht immer mit einbezogen und bedacht.

Rollen von IT, Marketing, PR, HR und Betriebsrat

Je nach unternehmerischer Zielsetzung müssen klassische Abteilungsaufgaben an die neuen Anforderungen angepasst und vor allem beschrieben werden. In der Praxis bedeutet dies, mit den Mitarbeitern die neuen Aufgaben zu definieren. Dabei ist nicht das Delegieren dieser Aufgaben wichtig, sondern mehr das Ausräumen von Unsicherheiten, um Konflikte zu vermeiden.

Konflikte drücken sich nicht nur darin aus, dass sich Mitarbeiter ihrer Aufgaben beraubt fühlen, sondern auch durch die Unsicherheit, für welche Aufgaben sie überhaupt Verantwortung tragen. Ob jemand einen kritischen Blogbeitrag kommentiert, der dies nach Ansicht der Kollegen nicht tun sollte, oder ob es niemand macht: einen negativen Effekt hat beides.

Die Interessenschwerpunkte in den einzelnen Abteilungen sorgen für unterschiedliche Ziele. Während die HR die Facebook-Fanseite vielleicht für das Recruiting nutzen möchte, würde das Marketing dort lieber Produktinhalte veröffentlichen. Dem Betriebsrat könnten Mitarbeiterprofile Sorge in Bezug auf den Datenschutz bereiten – dieser steht damit im Widerspruch zur nötigen Offenheit und Transparenz.

Diese Interessenkonflikte können nicht alle am Anfang gelöst werden. Gerade im „laufenden Betrieb“ sind Menschen wichtig, die Probleme und Unsicherheiten erkennen und entsprechend handeln können. Die sich aufdrängenden Fragen lauten: Wer löst Konflikte, wenn sie auftreten? Wer kann mediativ auf Ängste und Wünsche der einzelnen Personen eingehen und für ein eingeschworenes Team sorgen?

Wenn Social Media nun weder ein alleiniges Thema für Marketing, PR, HR oder IT ist, muss es eine Abteilung geben, die dies unternehmensübergreifend betreut. Praktisch, wenn man dabei auf bestehende Ressourcen zurückgreifen kann. In größeren Unternehmen gibt es häufig einen Bereich mit dem Schwerpunkt Wissensmanagement. Dieser berichtet beispielsweise als Stabsabteilung direkt an die Geschäftsführung und unterstützt andere Abteilungen. Das Wissensmanagement hat somit eine gute Position, um sich den wandelnden Bedingungen in der Enterprise-2.0-Welt anzupassen.

Die Pilotphase beginnt bei einem Projekt oder Prozess

Nicht die Tools, sondern das Ziel ist wichtig. Die Frage, wie man ein Unternehmenswiki für die Zusammenarbeit oder Twitter fürs Marketing einsetzen kann, ist zu Beginn der falsche Ansatz, denn leider versperren die technischen Grenzen eines Tools die Wege, die für das eigentliche Ziel womöglich gebraucht werden. Möglich, dass Twitter genutzt werden kann. Möglich ist auch ein moderiertes Forum, ein Wiki oder ein Blog – oder alles zusammen. Am Ende geht es aber immer um Kommunikation und um die Fragen: Was und wen möchte ich vernetzen und wozu?

Bei der Einführung von Enterprise 2.0 ist aus strategischen Gründen mit einer Pilotphase zu beginnen. Hierbei identifiziert das Unternehmen ein Projekt oder einen Prozess, der mit den neuen Kommunikationsmitteln unterstützt werden soll. Für das Marketing kann es beispielsweise von Nutzen sein, enger mit der Produktentwicklung zusammenzuarbeiten. Die hieraus entstandenen Ideen und das vermittelte Wissen kämen nicht nur den Mitarbeitern zugute, sondern auch den Kunden selbst. Gleichzeitig erhalten die Prozess- oder Projektbeteiligten die Chance, sich mit der digitalisierten sozialen Komponente anzufreunden und entwickeln im Idealfall neue Ideen zu deren Nutzung – sie bauen Medienkompetenz auf.

Für die Umsetzung des Social Workplace ist eine schrittweise Herangehensweise notwendig. Zunächst muss man dem Mitarbeiter einen vereinfachten Zugang zu Informationen und zu den Experten des Unternehmens ermöglichen, um damit eine kollektive Wissenskultur aufzubauen. Dabei muss es für den Einzelnen einen Wert darstellen, sein Wissen zu teilen und sich im Team einzubringen. Die Vernetzung der Menschen in Teams und die Förderung der Kommunikation innerhalb der Firma über Abteilungsgrenzen hinweg sind die notwendige Grundvoraussetzung, bevor der Dialog mit externen Ressourcen (Kunden, Partner, Lieferanten) intensiviert und deren Wissen eingebunden werden kann.

Dieses Vorgehen kann in drei Schritte unterteilt werden:

  1. vom Mitarbeiter zum Team durch vereinfachten Zugang zu Wissen und Experten,
  2. vom Team zur Company durch Vernetzung der Menschen und Förderung des Dialoges,
  3. von der Company zur Community durch die Einbindung externer Ressourcen.

Patenmodelle

Bei der Einführung haben sich Patenmodelle bewährt: Aus dem Wissensmanagement kommend ist dieser Ansatz nicht neu, aber nützlich. Patenmodelle sind im Grunde nichts weiter als das Finden und Motivieren von Mitarbeitern, die Spaß an der Wissensweitergabe und an der Vernetzung haben. Die Paten bilden das unternehmensweite Multiplikatorenteam mit dem Ziel, das Wissen in die Praxis zu bringen – von Kollegen zu Kollegen.

Es gibt dabei zwei unterschiedliche Ansätze, wie so ein Patenmodell aussehen kann.

  1. Offliner von Onliner
    Es ist leicht zu sagen, was man für seine Arbeit braucht, wenn man sein Werkzeug kennt. Wer sich häufig im Web bewegt und sicher im Umgang mit den sozialen Medien ist, für den ist es ebenso selbstverständlich, sie auch für die Arbeit zu nutzen. Nach außen hin werden über XING, Twitter und Facebook Netzwerke gepflegt und erweitert, nach innen vielleicht mit einem Wiki oder Blog ganz selbstverständlich an Projekten gearbeitet. Die Hürde ist aber bei demjenigen hoch, der soziale Netzwerke oder Software bisher nicht genutzt hat, z. B. weil er bisher keinen Vorteil darin sah. Diesen zu erkennen ergibt sich aber häufig durch die Nutzung derselben, und genau hier greift das Patenmodell: Erfahrene Web-Enthusiasten begleiten Kollegen über mehrere Monate hinweg in ihren ersten Schritten im Social Web.
     
  2. Management-Sponsor: Team-Ansprechpartner für Enterprise 2.0 und Social Media
    Der Management-Sponsor kennt die Anforderungen seiner Abteilung/Division oder seines Projekts und weiß sie gekonnt mit dem jeweiligen System abzubilden. Er gilt als dezentrale Schnittstelle z. B. für die Wissensmanagementabteilung, mit der er eng zusammenarbeitet. Der Management-Sponsor ist darüber hinaus eine Person, die geduldig nicht web-affinen Kollegen/Kolleginnen bei Fragen und Problemen hilft. Von zentraler Stelle wird der Sponsor über Technik und Strategie des Unternehmens unterrichtet, die er für seine Abteilung(en) umsetzt und durch Schulungen, Blogbeiträge und/oder Newsletter an seine Kollegen weitergibt. Er vertritt darüber hinaus auch die Interessen der Abteilung, die zentral in die Enterprise-2.0-Strategie mit einfließen. Die Rolle des Sponsors einnehmen kann dabei jeder, der die Abteilungsanforderungen kennt, Spaß am Kommunizieren und Interesse an der Technik hat: vom Abteilungs- und Projektleiter hin zum Programmierer, Verkäufer, Einkäufer oder zur Team-Assistenz.

Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Menschen die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer. (Antoine de Saint-Exupéry)

Fazit

Es gibt viele Überlegungen darüber, was die beste Strategie für die Umsetzung von Social Media ist. PR und Marketingfachleute schwören auf Neukundengewinnung durch externe Kommunikation auf Facebook, XING und Twitter. Entscheider aus dem B2B-Bereich sehen diese Kanäle als weniger lukrativ an – denken wir mal an Flugzeugteilezulieferer, Schweißroboterhersteller oder Großhändler. Die Aufgaben, vor denen Unternehmen stehen, erfordern immer mehr und immer schnellere Zusammenarbeit, wodurch die Vernetzung von Menschen in Unternehmen eine neue Bedeutung gewinnt. Unternehmen, die sich darum nicht kümmern, werden langfristig Wettbewerbsnachteile haben. Uns bestärkt die Tatsache, dass nach unserer Erfahrung selbst große und konservative Unternehmen diese Chancen schon erkannt haben und dabei sind, den Social Workplace umzusetzen.