Freiwild „AdWords“: Zukünftig rechtlich alles erlaubt?

Martin Bahr
Martin Bahr

Dr. Bahr ist Rechtsanwalt in Hamburg und auf das Recht der Neuen Medien und den gewerblichen Rechtsschutz (Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht) spezialisiert. Neben der reinen juristischen Qualifikation besitzt er ausgezeichnete Kenntnisse im Soft- und Hardware-Bereich. Unter Law-Podcasting.de betreibt er seit 2006 einen eigenen Podcast und unter Law-Vodcast.de einen Video-Vodcast.

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Google hat Anfang August angekündigt, seine Markenrichtlinie für AdWords in Europa grundlegend zu verändern. Die Veränderungen treten am 14. September 2010 in Kraft. Nach Äußerungen von Google-Deutschland-Chef Stefan Tweraser passt der Suchmaschinen-Riese damit seine Bestimmungen an die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) an. Zukünftig soll auch die Buchung markenrechtlich geschützter Begriffe als Keyword möglich sein. Der Artikel geht der Frage nach, ob Werbetreibende nun zukünftig tatsächlich auf jeden Begriff buchen dürfen oder ob es rechtliche Grenzen gibt.

1. Neue Markenrichtlinie für AdWords

Google hat Anfang August angekündigt, seine Markenrichtlinie für AdWords in Europa grundlegend zu ändern. Die Änderungen treten am 14. September 2010 in Kraft. Der Suchmaschinen-Riese verweist in diesem Zusammenhang auf mehrere Musterprozesse vor dem EuGH, die die Problematik AdWords zum Gegenstand gehabt hätten und bei denen herausgekommen wäre, dass Keyword-Buchungen bei AdWords keine Markenverletzungen seien.

Zukünftig soll es nach dem Willen von Google so laufen, dass sämtliche Begriffe frei buchbar sind. Markeninhaber, deren Rechte verletzt werden, müssen sich dann beschweren und der Suchmaschinen-Riese geht der Beanstandung nach. Google-Deutschland-Chef Stefan Tweraser gibt bereits jetzt den Prüfungsmaßstab vor: Google werde nur dann eingreifen, wenn der Nutzer zu einer irreführenden Anzeige beziehungsweise Seite geleitet werde.

Rechtlicher Ärger für alle Beteiligten – Markeninhaber, Werbetreibende und auch Google – ist damit vorprogrammiert. Es ist daher sinnvoll, sich noch einmal den aktuellen Stand der Rechtsprechung in Erinnerung zu rufen – als AdWords-Inserent, um entscheiden zu können, ob sich das rechtliche Risiko lohnt, und als Markeninhaber, um beurteilen zu können, welche Erfolgschancen ein Prozess hat.

2. Markenname als bloßes Keyword

Bei der AdWords-Buchung sind grundsätzlich drei Konstellationen denkbar, in denen ein geschützter Markenname verwendet werden kann:

  • im sichtbaren AdWords-Anzeigentext selbst,
  • im Quelltext der AdWords-Anzeige und
  • als bloßes Keyword.

Der rechtlich spannendste, aber umstrittenste Bereich ist die Verwendung des Markennamens als bloßes Keyword. Ausschließlich dieser Bereich wird im Folgenden erörtert. Auf die beiden ersten Konstellationen kann aus Platzgründen leider nicht näher eingegangen werden.

a. Rechtsprechung des BGH 

In mehreren Verfahren hat der Bundesgerichtshof inzwischen einen groben Rahmen in Sachen AdWords vorgegeben. Anfang 2009 fällte er dazu drei Grundlagen-Urteile.

aa. „PCB“:

In der „PCB-Pool“-Entscheidung (BGH, Urt. v. 22.01.2009 - I ZR 139/07) hatte ein Werbetreibender als Keyword die beschreibende Angabe „pcb“ (Abkürzung für printect circuit board = Leiterplatte) verwendet. Aufgrund der Option „weitgehend passende Keywords“ erschien die Anzeige auch bei der Eingabe des geschützten Kennzeichens „PCB-Pool“. Die höchsten deutschen Zivilrichter stuften damals das Handeln des Werbeinserenten als rechtmäßig ein, weil es sich bei dem Keyword um einen rein deskriptiven Begriff handle, der von dem Markeninhaber nicht untersagt werden könne.

bb. „Beta-Layout“:

In der „Beta-Layout“-Entscheidung (BGH, Urt. v. 22.01.2009 - I ZR 30/07) ging es um den Schutz eines Firmennamens. Ein Mitbewerber hatte als Keyword den Begriff „Beta Layout“ gebucht. Der unmittelbare Konkurrent war die „Beta Layout GmbH“. Neben dem Hinweis auf sein Warenangebot hatte der Werbeinserent einen Link zu seinem Internetauftritt gesetzt.

Die Richter des BGH verneinten auch hier eine Markenverletzung. Es fehle die erforderliche Verwechslungsgefahr. Der Internetnutzer nehme nicht an, dass die in einem separaten Anzeigenblock gekennzeichnete und neben der organischen Trefferliste stehende Anzeige von der Beta Layout GmbH stamme.

cc. „Banabay“:

In der „Banabay“-Entscheidung (BGH, Beschl. v. 22.01.2009 - I ZR 125/07) wurde ein Keyword exakt für den Waren- und Dienstleistungsbereich benutzt, für den es markenrechtlich geschützt war. Der BGH konnte hier nicht selbst entscheiden, sondern musste diese Frage dem EuGH vorlegen, da die europäische Markenrichtlinie betroffen war.

b. Rechtsprechung des EuGH

aa. „Google"-Verfahren

In mehreren Verfahren vor dem EuGH ging es um die Frage, ob Google dadurch, dass es Werbetreibenden die Möglichkeit bietet, Schlüsselwörter zu kaufen, die geschützten Kennzeichen von Mitbewerbern entsprechen, das Markenrecht verletzt hat. Es ging dabei rein um die Ansprüche des Markeninhabers gegen Google. In diesen Verfahren war nicht Gegenstand der Erörterung, ob ein Dritter durch eine Keyword-Buchung eine Rechtsverletzung begeht. In vielen Berichten und Artikeln werden – bewusst oder unbewusst – diese Verfahren mit den sonstigen gleichgesetzt. Dies ist juristisch aber nicht zutreffend. Während es in allen sonstigen Verfahren um die Ansprüche der Markeninhaber gegen die Werbeinserenten ging, wurde in den vorliegenden Fällen lediglich die Frage beantwortet: Nimmt Google durch seine AdWords-Richtlinie billigend Markenrechtsverletzungen in Kauf und haftet deswegen als Mitstörer?

Die Antwort des EuGH (u. a. C-236/08 bis C-238/08) fiel eindeutig aus: Die AdWords-Funktion ist nicht per se rechtswidrig und verletzt auch nicht grundsätzlich die Rechte geschützter Marken. Google haftet danach nur, wenn nach Kenntnis der Rechtsverletzung die beanstandeten Inhalte nicht unverzüglich entfernt werden.

bb. „Banabay“:

Ende März 2010 hatte der EuGH dann über das vom BGH vorgelegte Verfahren „Banabay“ zu entscheiden (EuGH, Beschl. v. 26.03.2010 - Az.: C-91/09). In diesem und mehreren anderen Verfahren machten die Europa-Richter ihren Standpunkt klar: Danach ist die Nutzung einer fremden Marke nur dann eine Markenverletzung, wenn dem Betrachter nicht klar wird, dass die beworbenen Waren und Dienstleistungen nicht vom Markeninhaber, sondern von einem Dritten stammen. Der Jurist spricht hier von einer sogenannten „Zuordnungsverwirrung“.

Mit der Beantwortung der „Banabay“-Konstellation schien die seit vielen Jahren umstrittene Frage beantwortet. Das Machtwort schien gesprochen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber schnell, dass diese Frage in Wahrheit nicht endgültig beantwortet ist. Unklar bleibt nämlich weiterhin, wann denn in der Praxis eine Zuordnungsverwirrung zu bejahen ist. Das Problem verstärkt sich noch in der alltäglichen Rechtspraxis durch den Umstand, dass der EuGH keine abschließenden Entscheidungen trifft, sondern jeweils den nationalen Gerichten nur Auslegungsvorgaben an die Hand gibt. Die endgültige Entscheidung trifft jedes nationale Gericht allein.

Unklar bleibt somit weiterhin, was nun der BGH für das deutsche Recht entscheiden wird: Legt man nämlich die EuGH-Kriterien an, dann dürften die meisten Fälle keine Markenverletzungen sein. In aller Regel wird der Inserent für sein eigenes Unternehmen (z. B. durch Angabe der URL in der Anzeige) werben. Die Frage ist nur, ob dies dann hinreichend deutlich geschieht, um im Sinne des EuGH eine Verwirrung auszuschließen. Insofern bleibt die Frage auch weiter unbeantwortet, bis der BGH in der Sache entscheidet.

Zwar hat der EuGH jüngst (EuGH, Urt. v. 08.07.2010 - C-558/08) dem Begriff der „Zuordnungsverwirrung“ ein wenig mehr Leben eingehaucht. Danach soll eine Irritation ausgeschlossen sein, wenn der geschützte Begriff lediglich zur Beschreibung für eine gebrauchte Markenware verwendet wird.

Es bleibt aber dabei: Das Kriterium der „Zuordnungsverwirrung“ ist auch weiterhin äußerst schwammig und unklar. Eine Entscheidung des BGH zu diesem neuen Merkmal fehlt bislang. Vieles wird davon abhängen, wie der BGH – nach den Anmerkungen des EuGH – den Fall „Banabay“ entscheiden wird. Eines ist aber bereits jetzt gewiss: Auch weiterhin wird es keine ausreichende Rechtssicherheit geben.

3. Fazit: Bewertung der neuen Google-Markenrichtlinie

Wie ist nun in Kenntnis der unter Punkt 2 erörterten bisherigen Keyword-Rechtsprechung das aktuelle Handeln von Google zu bewerten? Sind Markenbegriffe zukünftig Freiwild? Ist bei AdWords alles erlaubt?

Aus Sicht des Suchmaschinen-Riesen sind die neuen Bestimmungen mehr als verständlich. Mit den EuGH-Entscheidungen im Rücken, dass AdWords nicht per se rechtswidrig sind, erweitert er ganz massiv die Möglichkeiten für Werbeinserenten. Die Buchhalter von Google dürften über die neuen Geldströme entzückt sein, die hierdurch ausgelöst werden.

Der Werbeinserent sollte sich aber nicht täuschen lassen. Nur weil Google zukünftig diese Option freigibt, heißt es noch lange nicht, dass eine Buchung auch legal ist. Sobald nämlich das nebulöse Kriterium der Zuordnungsverwirrung greift, liegt eine Markenverletzung vor. Andererseits bietet diese neue Möglichkeit für risikobereite Unternehmer ein neues, enormes Werbepotenzial: Da die Grenzen des rechtlich Erlaubten neu gesteckt werden, kann vieles ausprobiert und getestet werden, ohne dass eine offensichtliche Markenverletzung vorliegt.

Spiegelbildlich ist die Situation aus Sicht des Markeninhabers. Die Frage, ob eine Markenverletzung zu bejahen ist, lässt sich derzeit nur schwer prognostizieren. Aktuell spricht vieles dafür, dass ein neuer, langer Marsch durch die Instanzen der Gerichte bevorsteht. Wenn nämlich das LG Hamburg andere Kriterien als das LG München für die Zuordnungsverwirrung anlegt, dann wird es wieder einige Jahre dauern, bevor diese Frage erneut beim BGH aufschlägt.

Art des Keywords Keine Markenverletzung Markenverletzung
Beschreibender Begriff (z. B. „pcb“) keine Markenverletzung, da rein deskriptiv und kein Herkunftshinweis  
Fremder Firmen-Name (z. B. „Beta Layout“) keine Markenverletzung, wenn Verwechslungsgefahr ausgeschlossen Markenverletzung, wenn Verwechs-lungsgefahr besteht
Geschützter, nicht beschreibender Markenname keine Markenverletzung, wenn keine Zuordnungsverwirrung Markenverletzung, wenn Zuord-nungsverwirrung besteht